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Titel: Deutschland bei den „Lohnnebenkosten“ auf Rang 14 innerhalb der EU

Datum: 23. April 2008 um 9:59 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Strategien der Meinungsmache, Wettbewerbsfähigkeit
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Auf 100 Euro Bruttolohn und -gehalt zahlten die Arbeitgeber im Jahr 2007 in Deutschland nach einem europäischen Vergleich des Statistischen Bundesamtes 32 Euro „Lohnnebenkosten“ . Das ist ein Euro weniger als noch im Jahr zuvor. Leider weisen die amtlichen Statistiker dieses Jahr nicht die bei uns täglich kritisierten gesetzlich auferlegten „Lohnnebenkosten“ aus; sie lagen 2006 bei 20 Euro, und dabei lag Deutschland auf Platz 17 unter den 27 EU-Ländern. Die gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge dürften sich angesichts der insgesamt gesunkenen „Lohnnebenkosten“ jedoch gleichfalls verringert haben.

In Schweden, das etwa beim Wirtschaftswachstum oder bei der Arbeitslosenquote viel besser dasteht als Deutschland, zahlten die Arbeitgeber auf 100 Euro Bruttolohn mit 50 Euro die weitaus höchsten „Lohnnebenkosten“. Dennoch werden die Bundesregierung und voran der Bundespräsident weiter die Senkung der „Lohnnebenkosten“ zum wichtigsten Mittel für die Senkung der Arbeitslosigkeit und für das wirtschaftliche Wachstum erklären. Wolfgang Lieb

Auch dieses Jahr behandelt das Statistische Bundesamt zuerst und hauptsächlich die sog. Arbeitskosten, also den Preis, den die Arbeitgeber durchschnittlich für eine geleistete Arbeitsstunde bezahlten. Dieser liegt bei 29,10 Euro, und der Anstieg der Arbeitskosten in Deutschland (+ 1,0%) war erneut der geringste aller europäischer Mitgliedstaaten.

Die Arbeitskosten sind der Wert, der von Arbeitgeberseite gerne angeführt wird, wenn es um Lohnerhöhungen geht – und da heißt es dann immer, Deutschland sei Spitzenreiter. Doch auch bei diesem Wert nimmt Deutschland erst Rang 7 innerhalb der EU ein.

Aber auch auf die Propaganda über die zu hohen Arbeitskosten sollte man nicht länger hereinfallen. Entscheidender für die Rentabilität der Produktion und für die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft sind nicht die absolute Höhe der Arbeitskosten, sondern die Lohnstückkosten, also die Lohnkosten je erbrachter Leistung.
Nach der Statistik der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission aus dem Herbst 2005 [PDF – 2.5 MB] ergibt sich innerhalb der EU im Vergleich der Lohnstückkosten folgendes Bild: Das Verhältnis von Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer zum nominalen BIP je Beschäftigten, also die realen Lohnstückkosten für Deutschland (und nur sie sind wichtig im internationalen Vergleich), hat sich in den letzten 10 Jahren unterdurchschnittlich entwickelt. Hier die Ziffern: Wenn man die Lohnstückkosten von 1995 gleich 100 setzt, dann liegen sie in Deutschland 2006 bei 95,1, in der Euro-Zone bei 95,5, in der EU der ursprünglichen 15 minus Luxemburg bei 96,8 und bei allen heutigen EU-Ländern insgesamt bei 96,9 [PDF – 56 KB].

Wir können unseren Beitrag vom letzten Jahr eigentlich nur wiederholen: „Lohnnebenkosten – die Wirklichkeit zerstört einen Mythos nach dem anderen“. Man muss wohl weiter davon ausgehen, dass in der Politik und in den Medien diese Fakten nicht zur Kenntnis genommen werden. Die Bundesregierung und voran der Bundespräsident werden weiter die Senkung der Lohnnebenkosten zum wichtigsten Mittel zur Senkung der Arbeitslosigkeit und für das wirtschaftliche Wachstum erklären. Und die „Mietmäuler“ in der Wissenschaft und in den Medien werden sich weiter die Mär die angeblich zu hohen Löhne und die viel zu hohen „Lohnnebenkosten“ wie ein Mantra nachbeten. Es ist eben schon immer so gewesen, mit Mythen soll über die Realität hinweggetäuscht werden, mit Mythen lässt sich das kritische Bewusstsein der Menschen vernebeln und mit Mythen hat man seit Jahrhunderten die Völker verführt. Deshalb braucht die Politik und brauchen die einschlägigen Interessenverbände auch heute den Mythos der zu hohen „Lohnnebenkosten“ – egal ob dieser Mythos längst durch die Wirklichkeit zerstört wurde.

Übrigens: Gestern kostete der Euro 1,60 US-Dollar und hat damit eine weitere Schallmauer durchbrochen. Am Tag der Einführung des Euro am 1. Januar 2002 musste ein Amerikaner, wenn er seine Dollars in Euro einwechselte, für einen Euro weniger als einen Dollar, nämlich nur 89 US-Cent bezahlen. Dieser Wertverlust von rd. 80 Prozent gilt aber für die Konjunkturforscher, für den Wirtschaftsminister und für die Wirtschaftsredaktionen im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit als ziemlich undramatisch. Wenn aber die Senkung der Rentenbeiträge um 0,8 Prozent von 19,9 auf 19,1 Prozent um 2 Jahre hinausgeschoben wird, um die Rentenbeiträge um etwas mehr als ein halbes Prozent gegenüber der Rentenformel anzuheben, dann wird der Untergang des Wirtschaftsstandorts beschworen und man inszeniert dafür einen Krieg zwischen den Generationen.

Man kann es manchmal wirklich nicht mehr fassen, wie wir systematisch in die Irre geführt werden.

Ein typisches Beispiel für die Irreführung ist der Spiegel-Bericht zur Meldung des Statistischen Bundesamtes:

Standort Deutschland verbessert sich bei Arbeitskosten Arbeit in Deutschland bleibt teuer – aber im Ländervergleich macht der Standort immer mehr Boden gut. Die Arbeitskosten der Firmen sind 2007 weniger stark gestiegen als in allen anderen EU-Staaten – und das trotz guter Konjunktur. “Wir werden wettbewerbsfähiger”, lobt ein Experte.
Quelle: SpiegelOnline

Anmerkung AM: Mit welcher Selbstverständlichkeit die Perspektive und die Interessenlage der Arbeitgeber bestimmend ist für den Gebrauch der deutschen Sprache, ist immer wieder erstaunlich. Arbeitskosten sind Löhne. SpiegelOnline freut sich, wenn die Arbeitskosten, das heißt die Löhne sinken. Die Wertung entspricht nicht einmal der gesamtwirtschaftlichen Perspektive. Denn diese gesamtwirtschaftliche Sicht, so haben wir zuletzt sogar beim Treffen der EU-Finanzminister in Brdo in Slowenien vernommen, würde nahe legen, die Arbeitskosten bei uns steigen zu lassen, auch im Verhältnis zu den anderen europäischen Staaten. Doch die Medien kennen keine gesamtwirtschaftliche und gesamteuropäische Perspektive. Hier werden Interessen vertreten, und die Sprache wird entsprechend geformt.


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