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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 21. April 2008 um 9:03 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
(KR/AM)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Lesen Sie zum Kontrast einen typischen Artikel (aus derselben Zeitung!) über Globalisierung, der die Handlungsmöglichkeiten und damit die Verantwortung der Politik ausblendet:
Deutschlands Mittelschicht: In der Mitte wird es eng
Jahrzehntelang hat die Mittelschicht das Land geprägt, doch jetzt geht hier die Angst um: Wo früher Aufstieg möglich war, droht nun der Abstieg – eine Folge von Globalisierung und ins Ausland verlagerter Arbeit.
Quelle: Tagesspiegel
Kommentar Orlando Pascheit: Leider wird es immer offensichtlicher, dass Politik und Medien in zunehmendem Maße den Willen der Bevölkerung ignorieren. Nicht jeder formuliert das so dreist, wie Ex- Bundespräsident Roman Herzog: „Es gibt auch ein Grundrecht auf Dummheit“. Da ist dann, wenn die Effizienzgewinne der riesigen Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungswelle der letzten zwei Jahrzehnte ausbleiben, eher von der Langfristperspektive oder der komplexen Materie die Rede, vor der der einfache Bürger kapitulieren müsse. Man muß aber schon sehr abgehoben bzw. uninformiert sein, um nicht zu wissen, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung die Bahn, die Post oder die Energieversorgung in staatlicher Hand sehen möchte. Insofern verwundert es doch sehr, dass die Süddeutsche Zeitung das am Freitag veröffentlichte Politbarometer des ZDF bemühen muß, um jetzt festzustellen: „Die Mehrheit der Deutschen lehnt eine Bahnprivatisierung ab.“
Vielleicht dauert es einfach, bis diese Realität den ideologischen Panzer unserer privatisierungsgläubigen, wirtschaftsnahen Journalisten durchdringt, wo doch selbst in der SPD der Einstieg in die Börsenkapitalisierung schon fast gelungen ist. Auch mit der Emnid-Umfrage vom Sommer letzten Jahres, welche zu einem ähnlich Ergebnis kam, tat sich die Auftrag gebende ZEIT in ihrer Analyse recht schwer. Da war dann viel von „Angst“ sowie ,„Realitätsverweigerung“ und ähnlichem die Rede, letztendlich mußte man immerhin einräumen: „Die Zeiten, in denen man dem Staat nichts zutraute und unterstellte, dass private Akteure fast alles besser oder günstiger bereitstellen könnten, sind gründlich vorbei“.
Wann endlich begreifen Journalisten und Politiker: Der Bürger hat nicht irgendwelche vagen Ängste. Er befürchtet aus gutem Grund, dass eine privatisierte Bahn, die nach betriebswirtschaftlichen Kalkül Strecken stilllegt und dort fährt und zwar so oft, wie sie beste Rendite abwirft, gesellschaftlich gesehen noch lange nicht rentabel fährt – im Gegenteil, der Schaden wäre immens.
Kommentar AM: Der Hinweis darauf, dass Beck mit den potentiellen Investoren gesprochen hat, ist interessant. – Warum man aber bei einer Verscherbelung an Gasprom mehr Bedenken haben sollte als beim Verscherbeln an eine westliche Heuschrecke wie Blackstone, das verstehe ich nicht.
Kommentar Orlando Pascheit: Man mag es gar nicht glauben , dass die Libor-Zinsen, welche die Referenzzinssätze für zahllose Finanzmarktgeschäfte bilden, getürkt sein könnten. Selbst einige Zentralbanken steuern ihre Geldpolitik durch ein Libor-Zwischenziel. Das vermutete Motiv, “um selbst im Markt besser dazustehen”, ist allerdings schönfärberisch umschrieben. Es geht doch schlicht um Vorteilsnahme: Wenn die Banken Kredite aufnehmen, zahlen sie bei einem niedrigeren Libor-Richtsatz entsprechend weniger Zinsen.
Wenn sich dieser Verdacht bestätigen sollte, wären die Folgen verheerend. In normalen Zeiten liegen die Liborsätze nur wenig über den Leitzinsen der Notenbanken, aber durch die Misstrauen schürende Kreditkrise stiegen die Richtsätze auf den höchsten Stand seit zehn Jahren. Sollten diese Richtsätze nach oben hin korrigiert werden müssen, würden sich die Liquiditätsprobleme vieler Banken weiter verschärfen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Das die EU-Richtlinie berücksichtigende Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1998 enthält zweifellos wunderbare Passagen. Zweck des EnWG ist die “möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas” (§ 1 Abs. 1 EnWG). Ferner ist da die Rede von der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs. – Wir warten immer noch.
Anmerkung Orlando Pascheit: Aus gegebenem Anlass habe ich dazu schon einmal geschrieben und möcht dies noch einmal wiederholen:
Wir wähnen uns immer so weit entfernt von jenen Zeiten und propagieren bei jeder Gelegenheit die Unwiederholbarkeit der NS-Schandtaten. Aber Geschichte wiederholt sich nicht in seiner äußeren Form. Aber wie beginnt heutzutage Ausgrenzung? Heute haben wir die Aktion “Fördern und Fordern”, da schwingt dann schon mit, dass derjenige, der sich nicht fordern lässt, auch keine Förderung verdient. Gewiss wird heute nicht vom “Gemeinschaftsfremden” gesprochen, auch nicht von “Volksgemeinschaft”, aber ist der Titel der unsäglichen Broschüre des damaligen Wirtschaftsministers Clement “Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat” so weit entfernt von solcher Gesinnung?
So werden dann aus Opfern einer verfehlten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik arbeitsscheue Asoziale gemacht. Wobei schon rein rechnerisch bei 3,5 Mio. Arbeitlosen und 1,5 Mio. offenen Stellen (sehr optimistische Zahlen) etliche beim Fördern und Fordern rausfallen. Diese übriggebliebenen 2 Mio. könnten laut Weltökonomen der Bildzeitung durch eine weitere Absenkung der Sozialhilfe und durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors in Lohn und Brot kommen. Man muss also nur Druck auf diese Abzocker machen. Die obszöne Agitation der Bildzeitung unter Mitwirkung bekannter Wissenschaftler gegen Hartz-IV-Empfänger als arbeitsscheue Schmarotzer kommt der Selektion des Menschen in seinem Wert oder Unwert für den “Volkskörper” sehr nahe.
Anmerkung Orlando Pascheit: Da haben wir uns über einige nationalistische Töne der Vorgängerregierung gewundert. Jetzt endlich kommt die freie Marktwirtschaft.
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