Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Anja Reschke – Journalistin des Jahres? Unter den Blinden ist die Einäugige Königin. Die Medien schaffen es nicht, die Gründe für ihren Vertrauensverlust zu erkennen.
Datum: 24. Februar 2016 um 10:38 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medien und Medienanalyse, Medienkritik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Am 15. Februar wurde die Chefin Innenpolitik des NDR und zugleich Moderatorin von Panorama und ZAPP zu ihrer Wahl zur „Journalistin des Jahres“ gefeiert. Prämiert wurde ihr Kommentar vom 5. August 2015 mit dem Titel „Aufstand der Anständigen“ (Anlage 2). Ihre Dankesrede wurde sehr gelobt, unter anderem vom sogenannten medienkritischen Portal „Über Medien“. Sogar die NachDenkSeiten haben diese Lobeshymne in die Hinweise übernommen. Das war ein bisschen vorschnell. Frau Reschke macht manches gut und vermutlich manches auch besser als ihre Kollegen. Aber die Hauptgründe für den Vertrauensverlust der Medien erkennt sie genauso wenig: Das Versagen der Medien als kritischer Instanz und ihre Einbindung in Kampagnen der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Keine der großen gesellschaftspolitischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen ist ohne massive Meinungsmache zustande gekommen. Journalistinnen und Journalisten haben sich daran fleißig beteiligt. Wer das nicht sieht oder sogar rechtfertigt, hat keinen Preis verdient.
Es gibt viele Beispiele und Belege dafür, dass sich JournalistInnen in Deutschland willig und ohne zu zögern in Kampagnen einspannen lassen. Kampagnen wurden gefahren
Die Liste ließe sich sehr verlängern. Im Einzelnen gehe ich beispielhaft auf folgende Kampagne ein:
Kampagne zum demographischen Wandel, zur Zerstörung der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente und zur Förderung der privaten Altersvorsorge
Die Versicherungswirtschaft und die Banken haben in den neunziger Jahren nach neuen Geschäftsfeldern Ausschau gehalten und in der Altersvorsorge ein solches Geschäftsfeld entdeckt. Sie haben schon im Bundestagswahlkampf 1998 mit großflächigen Anzeigen massiv für die Umstellung auf private Altersvorsorge geworben. Schon damals war für aufmerksame Zeitgenossen erkennbar, was gespielt wird.
Die Mehrheit der JournalistInnen hat das offensichtlich nicht gemerkt. Sie hat sich stattdessen an den Kampagnen zur Dramatisierung des demographischen Wandels, zur Schmähung und Erosion des Vertrauens in die Gesetzliche Rente und zur Werbung und finanziellen Förderung für Privatvorsorge beteiligt. Es kann ganz und gar nicht ausgeschlossen werden, dass dabei neben Nichtwissen auch politische Korruption im Spiel war. Schließlich ging es um viel Geld. Und die Zeichen der politischen Korruption sind überdeutlich.
Das Ergebnis dieser Veränderung der Altersvorsorge: Es wurden teure und ineffiziente Modelle der privaten Altersvorsorge wie etwa die Riester-Rente, die Rürup-Rente und die Entgeltumwandlung für die betriebliche Altersvorsorge eingeführt. Vieles hat sich als Flop erwiesen. Obwohl diese Erkenntnis gerade im „Spiegel“ dieser Woche von deutschen Nationalökonomen verkündet wurde und deshalb aktuell ist, ist das für die Preisträgerin Reschke wie für die anderen Journalistinnen und Journalisten, die sich über den Glaubwürdigkeitsverlust der Medien Gedanken machen, kein Thema. Ich wiederhole: die Medien sind mit ihren Kampagnen mitverantwortlich für die Altersarmut vieler Menschen. Und sie reflektieren nicht einmal über diese Mitverantwortung.
Kampagnenjournalismus gibt es in den Augen dieser Medien nicht. Deshalb betrachten sie diese Charakterisierung als Beleidigung. Eine wahrliche Groteske.
Es folgt hier eine Serie von Folien aus meiner PowerPoint Präsentation zum Thema demographischer Wandel und zur geforderten Umstellung auf Privatvorsorge. Dabei wird sichtbar, dass viele verschiedene Medien an dieser Kampagne mit gestrickt haben. Es gibt ein paar rühmliche Ausnahmen.
Zu nennen ist der verstorbene Frank Schirrmacher. Er hat zunächst mit seinem Buch „Das Methusalem-Komplott“ zur Dramatisierung des demographischen Wandels beigetragen, dann aber später – im Gespräch -eingeräumt, dass er damit die schlimmen Konsequenzen für die Gestaltung der Altersvorsorge nicht anstoßen wollte. Er hat angeregt, sich gesellschaftlich auf die Veränderung der Altersstruktur einzustellen. Diese Anregung ist absolut berechtigt.
Zu nennen ist dann die Dokumentation „Rentenangst“, die die beiden Journalisten Dietrich Krauss und Ingo Blank 2008 für den Saarländischen Rundfunk produzierten. Das ist ein Meisterstück an Aufklärung. Dietrich Krauss, der heute im Trio der Macher der Anstalt (ZDF) mitwirkt, wäre übrigens ein würdiger „Journalist des Jahres“ gewesen.
Nun also noch einmal der Link zur PowerPoint Demonstration zum Thema demographischer Wandel und Altersvorsorge. Sie dürfen diese Folien übrigens nutzen und auch weiterverbreiten.
Jetzt komme ich zum zweiten, anfangs genannten wichtigen Grund für den Vertrauensverlust der Medien:
Weder in Frau Reschkes Dankesrede noch in der Ankündigung des Portals „Über Medien“ werden wir über die wichtigsten Umstände der Preisverleihung informiert:
Immerhin könnte man zugestehen, dass Bernd Ulrich über die Steuerung deutscher Journalisten durch Washington offen geschrieben hat. Vielleicht hat er deshalb den Journalistenpreis für Politik bekommen. Wenn das so wäre, dann hätten wir Bernd Ulrich gerne gefeiert. Leider lautet die Begründung anders. Siehe unten Anhang 3.
Für eine aktive Frau wie Frau Reschke müsste es eine geradezu grandiose Herausforderung sein, das Frauenbündnis Merkel, Liz Mohn von Bertelsmann und Friede Springer von Springer aufzubrechen, jedenfalls aufzuspießen und nicht nur treuherzig über Demokratie zu reden, wo man über quasimonopolisierte Macht reden müsste. – „Sagen, was ist?“ So ist diese Rede überschrieben. Dass Frau Reschke darin ausreichend genug gesagt hätte, was ist, kann ich vor allem bei ihrer unkritischen Einstellung zum Zustand der demokratischen Willensbildung nicht sagen.
Anhang 1:
Die Preisträgerin, die Jury-Begründung und ihre Dankesrede
Anja Reschke
NDR
Kategorie: JDJ, Platz: 1
Die Jury-Begründung für die Wahl zur “Journalistin des Jahres 2015” lautet:
“Journalistin mit Profil und klarer Haltung: Im Sommer 2015 zeigte Reschke mit ihrem Kommentar ,Aufstand der Anständigen‘ in den ,Tagesthemen‘, was der Journalismus in Zeiten der ,Lügenpresse‘-Vorwürfe braucht: Haltung. Sie hat dafür einen heftigen Shitstorm in Kauf genommen – und sich davon nicht beirren lassen. Kein einzelner journalistischer Beitrag hat in diesem Jahr so viel Wirkung und Wirbel erzeugt wie dieser Kommentar von Anja Reschke. Als neue Innenpolitik-Chefin des NDR gab sie zudem dem Magazin ,Panorama‘ in diesem Jahr stärkere Relevanz und ihren Mitarbeitern die Möglichkeit für aufwendige Recherchen. Vorbildlich.“
Aber was heißt denn das: „Sagen, was ist“?
Hier die Dankesrede von Anja Reschke.
Anlage 2
Der Kommentar, der preisgekrönt worden ist:
Hetze gegen Flüchtlinge Mund aufmachen, Haltung zeigen!
Stand: 05.08.2015 20:09 Uhr
Im Internet wird die Hetze gegen Flüchtlinge immer aggressiver. Doch Strafverfolgung alleine reicht nicht. Die Hassschreiber müssen kapieren, dass die Gesellschaft diese üblen Beschimpfungen nicht akzeptiert. Jeder müsse jetzt Haltung zeigen, meint Anja Reschke.
Von Anja Reschke, NDR
Anlage 3:
Die Preisträger in den anderen Kategorien:
Ein Auszug aus der obigen Liste:
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=31553