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Titel: Neoliberale Zerstörung hier und anderswo – eine Verschwörung oder eher nicht?

Datum: 2. April 2008 um 12:18 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Markt und Staat, Neoliberalismus und Monetarismus, Privatisierung
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Bisher sind wir auf den NachDenkSeiten und in anderen Publikationen vorsichtig mit der Behauptung umgegangen, das neoliberale Treiben entspringe einer Verschwörung. Eine unserer Leserinnen sieht das anders und hat uns eine Mail geschrieben, die wir mit ihrer Erlaubnis gerne verbreiten. Ihre Argumente sind bedenkenswert. Außerdem eignet sich der Text dafür, andere, die sich dem Treiben der Herrschenden ebenfalls ohnmächtig ausgeliefert fühlen oder davon mitgezogen werden, anzusprechen. Ganz im Sinne des Aufbaus der dringend notwendigen Gegenöffentlichkeit. Albrecht Müller.

Mail M. Rieke-Jegerlehner vom 25.3.2008

Vor knapp 4 Wochen habe ich die Nachdenkseiten entdeckt und zwar anlässlich der Lektüre des Buches von Naomi Klein “Schock-Strategie”. Ich war sogleich angetan von den Nachdenkseiten und habe mir gleich die Bücher “Machtwahn und “Die Reformlüge” gekauft und nun alle 3 Bücher bereits gelesen.

Mit den beiden letztgenannten Büchern wurden bei mir und meinem Mann offene Türen eingerannt. Bei vielen Dingen haben wir uns schon seit zig Jahren gesagt, dass das so wohl alles nicht stimmen kann, nun hat man auch noch richtig gute Argumente gegen die neo-liberalen Reformvorhaben. Allerdings muss ich auch bekennen, dass in mancher Hinsicht auch bei uns die Gehirnwäsche schon Wirkung zeigte. Diese Wirkung ist nun wieder dahin und wir sind kritischer denn je. Zum Glück.

Allerdings muss ich sagen, dass uns das Buch von Naomi Klein auf die Sprünge geholfen hat. Sie erläutert hervorragend recherchiert, wie der “Katastrophen-Kapitalismus” seinen Aufstieg in der Welt nahm.

Albrecht Müller führt in beiden Büchern an, dass er nicht glaube, dass es eine Verschwörung oder die Idee eines Einzelnen gebe, der die neoliberalen Thesen in Gang gesetzt habe. Da sind wir mittlerweile ganz anderer Meinung. Die Theorien eines Milton Friedmann spiegeln sich unmissverständlich in den Bestrebungen bei uns wider, den Staat und die Sozialversicherungen runterzufahren und möglichst viele staatliche Unternehmen zu privatisieren.

Die Chicagoer Schule ebenso wie Berkeley und auch wohl die Harvard Business-school predigen immer und immer wieder, dass

  • die Gewerkschaften entmachtet
  • die Sozialversicherungen privatisiert
  • Telekommunikation und Bahn privatisiert werden müssen

Das ist das Grundprinzip, weiteres folgt.

Das tönt doch für Deutschland auch recht vertraut. Und wenn unser Bundespräsident, den A. Müller im “Machtwahn” unter den Chicagoboys auflistet, so wohlfeil in das neoliberale Horn bläst, dann kommt das sicher nicht von ungefähr. Als Chicagoboy und IWF-Chef weiß der ganz sicher, was er da predigt. Das trifft sicher nicht für jeden zu, der diese Linie vertritt, aber für etliche ganz bestimmt.

Was die Leute hier sicher nicht so genau wissen, ist, welch eine breite blutige Spur an Leid und Verzweiflung diese Leute hinter sich herziehen. Die Ideen haben noch in keinem Land, wo sie eingeführt wurden zum Erfolg geführt. Es fand nur eine unglaubliche Ausbeutung einzelner Staaten zu Gunsten einer kleinen Minderheit statt, die sich die Taschen bis zum Besten füllte. Für die übrige Bevölkerung blieb immer nur das Chaos übrig.

Ich empfehle den Interessierten, unbedingt auch mal in das Buch von Naomi Klein reinzuschauen. Dort werden viele Ereignisse, die uns allen aus den Nachrichten bekannt sein dürften, einmal genau durchleuchtet. Man ist nur noch fassungslos. Die eingängigsten Beispiele hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen.

Ich mache jedenfalls für alle drei vorgenannten Bücher und natürlich für die Nachdenkseiten rege Propaganda. Danach sieht man die Welt und unser Land mit ganz anderen Augen und hinterfragt viel mehr, was uns tagein tagaus so geboten wird.

Wir bleiben jedenfalls am Ball …

Mit freundlichen Grüssen
M. Rieke-Jegerlehner

Antwort Albrecht Müller vom 25.3.2008

Wie Sie richtig beobachtet haben, habe ich in meinen beiden Büchern nicht die Verschwörungsthese aufgenommen, obwohl ich Ihren Eindruck teile. Ich wollte einfach nicht, dass meine Leser sofort in Abwehrstellung gehen. Vielleicht sollte man solche Rücksicht nicht nehmen.

Wie Sie dem Tagebucheintrag vom 21. Dezember letzten Jahres entnehmen können, habe ich dort eine Verknüpfung zu den Beobachtungen von Naomi Klein hergestellt. Das hat mir zwar heftige Kritik eingebracht. Was in Deutschland an Schock-Strategie angewandt werde, habe nicht die Dimension der von Naomi Klein geschilderten Zustände in anderen Ländern.

Da bin ich ganz anderer Meinung. Natürlich geht es bei uns noch nicht so schrecklich zu wie in Chile, in Argentinien oder Russland. Aber gemessen daran, was hier früher an sozialstaatlicher Regelung war, ist schon ganz schön viel zerstört worden. Wir beide unterscheiden uns in der Sicht dieser Entwicklung vermutlich nicht.

(… )

Antwort M. Rieke-Jegerlehner 28.3.2008

Was die Schock-Strategie in Deutschland betrifft: Es ist vielleicht nicht mit so viel Blut und Tränen verbunden, wie in den bei Naomi Klein aufgezählten Staaten, aber wenn man aus einem einst gesicherten Dasein in die Harz-IV Existenz geschleudert wird, ist das für den einzelnen auch ein schlimmer Schock und davon haben wir ja Millionen. Für die übrigen Arbeitnehmer wirkt sich die Erfahrung der Betroffenen auch schockierend aus und trägt dazu bei, unerträgliche Arbeitsbedingungen (aktueller Fall Lidl), Lohnkürzungen etc. hinzunehmen. Durch die vielen Privatisierungen wird den Leuten ja auch immer tiefer in die Tasche gegriffen. Alle bisherigen Gesundheitsreformen sind unwirksam hinsichtlich der Kostendämpfung, füllt den privaten Anbietern die Taschen und hielt für die Versicherten weitere Beitragserhöhungen parat. Die Energiekosten steigen und steigen. Bei der Telekom sind die Preise nicht wirklich gesunken aber der Service ist praktisch nicht mehr existent. Die Euro-Einführung hat uns eine Teuerungswelle bei Gütern des täglichen Bedarfs beschert und der Gipfel der Unverschämtheit war und ist, von einer “gefühlten” Teuerung zu reden. Die Verbraucher, die beim täglichen Einkauf in ihren Börsen spüren, dass die Teuerung sehr real ist, werden noch als zu blöd hingestellt. Und dann soll man auch noch Lohnzurückhaltung üben und den Gürtel halt enger schnallen.
Es ist eben eine andere Art von Schock, der die Menschen kirre macht.


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