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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 2. April 2008 um 8:24 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
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schnellen Information hin.
Anmerkung WL: Eine ganze Zeitungsseite bietet die wirtschaftsliberale Süddeutsche Zeitung, dem marktradikalen Dogmatiker Sinn um seine eindimensionale Arbeitsmarktlehre auszubreiten.
Sinn hängt dem schlichten Bild vom Arbeitsmarkt, als einem Kartoffelmarkt an. Motto: Preis (=Lohn) runter, Angebot (=Arbeit) auf dem Markt (=Arbeitsmarkt) geräumt! So das schlichte gedankliche Konstrukt. Dieser „Preismechanismus“ trifft jedoch noch nicht einmal für den „Gütermarkt“ zu, denn auch dieser besteht aus einer riesigen Vielzahl von Märkten mit ganz unterschiedlichen Produkten, vom Brötchen bis zum Rolls Royce. Noch weniger passt dieses gedankliche Konstrukt für den Arbeitsmarkt, wo ja auch ganz unterschiedliche Fähigkeiten nachgefragt werden.
Diese eindimensionale Denklogik finden wir bei Sinns Argumentation gegen den Mindestlohn: Ein Mindestlohn, der von den Arbeitgebern im Wettbewerb nicht bezahlt werden kann, vernichtet Arbeitsplätze.
Weder Herr Sinn noch irgendeiner der neoklassisch inspirierten Ökonomen hat außer in der Welt ihrer Grenzprodukt-Modelle jemals auch nur näherungsweise ausrechnen können, was jeder einzelne im jeweiligen Produktionsprozess erwirtschaftet. Die Anhänger solcher Denkmodelle müssten ja sonst auch ausrechnen können, wie viel mehr der millionenschwere Manager gegenüber dem Portier „im Wettbewerb“ (Grenzprodukt) „erwirtschaftet“. Lohnverhandlungen oder Aufsichtsratsbeschlüsse über Managerbezüge könnte man sich ersparen. Vom Fegen des Hofes, bis zur Entwicklung eines Designs für ein Produkt, ja sogar der strategische Meinungsfindungsprozess des Topmanagers müsste danach nämlich exakt ausgerechnet werden können, was ihre letzte im Produktionsprozess eingesetzte „Arbeitseinheit“ erwirtschaftet (Grenzprodukt).
Im Übrigen sollte man sich immer darüber im klaren sein, wer sich gegen Mindestlöhne ausspricht und damit für ein weiteres Sinken der Löhne in den untersten Lohngruppen, um damit Beschäftigung im Niedriglohnsektor zu schaffen, der „fordert implizit auch eine Senkung des durchschnittlichen Lohnniveaus, wenn er nicht gleichzeitig eine entsprechende Anhebung der Löhne in höheren Verdienstgruppen ausdrücklich anmahnt“ (Flassbeck/Spiecker).
Die Anhänger des neoliberalen Angebotsansatzes starren zudem lediglich auf die Angebotsbedingungen für die Unternehmen, die Nachfragebedingungen bleiben hingegen nahezu völlig außer Acht. Ob die Produkte auf eine kaufkräftige Nachfrage stoßen ist für diese Lehre vernachlässigbar, denn für sie gilt ein vor 300 Jahren aufgestelltes Gesetz von Jean-Baptist Say. Say`s Law lautet: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage.
Dass ein Anbieter auf seinem Angebot sitzen bleibt, muss aber keineswegs an fehlenden Konsumwünschen der Konsumenten liegen, sondern schlicht daran, dass mangels Einkommen der Konsumenten sie sich das Angebot einfach nicht leisten können.
Der schlichte Zusammenhang „Löhne runter – Beschäftigung rauf“ mag das Denken eines einzelnen Unternehmers bestimmen und einzelwirtschaftlich tendenziell vielleicht eine gewisse Plausibilität haben, in einer gesamten Wirtschaft hängen jedoch Angebot und Nachfrage insgesamt voneinander ab. Die Zusammenhänge sind also etwas komplizierter als uns vorgegaukelt wird, und deswegen ist es ziemlich einfältig, den Arbeitsmarkt mit dem Kartoffelmarkt gleichzusetzen.
Ein Unternehmer stellt doch nicht allein deshalb einen Mitarbeiter ein, weil er billig ist, sondern weil er, um mehr Produkte auf dem Markt absetzen zu können, dessen Arbeitskraft zur Herstellung der Produkte braucht – sofern er sie auf dem Gütermarkt absetzen kann, weil eine entsprechende Nachfrage danach besteht und der Unternehmer durch den Absatz einen entsprechenden Gewinn erwarten darf.
Sinn kann in seiner eindimensionalen ökonomischen Welt nicht verstehen, dass Löhne nicht allein der Preis für das Gut Arbeit sind, sondern in der Summe das Einkommen der abhängig Beschäftigten, die immerhin die Hälfte das gesamten Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Sicher nimmt mit steigendem (gesamtwirtschaftlichen) Lohn die Kostenbelastung der Unternehmen zu, und das mag ihre (gesamtwirtschaftliche) Nachfrage nach Arbeitskräften dämpfen, aber andererseits nimmt mit steigenden Löhnen die (gesamtwirtschaftliche) Güternachfrage zu, was wiederum die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften steigert. Diese Zusammenhänge sind jedenfalls erheblich komplexer als sie durch die eindimensionale Angebots- und Nachfragekurve des gängigen Marktschemas erfasst werden könnten.
Die Nachfrage nach Produkten findet für Sinn offenbar allenfalls im Export, aber nicht auf dem Binnenmarkt aufgrund der Kaufkraft auch der Arbeitnehmer statt. Er meint wohl tatsächlich, dass der mehrjährige „Exportweltmeister“ Deutschland zur weiteren Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit die Löhne so weit sinken müsse, dass sie billiger sind, als der Einsatz des Produktionsfaktors Kapital. Deutsche Autos kaufen eben dann die Ausländer (und vielleicht noch die Besserverdienenden im Inland).
Sinn vertritt eine ökonomische Lehre, die letztlich den Weg zurück in die Steinzeit weist. Er unterstellt nämlich die sog. Substitutionsthese. Will sagen je billiger der Faktor Arbeit im Verhältnis zum eingesetzten Faktor Kapitel (Investitionen) wird, desto mehr Arbeit wird eingesetzt und desto weniger Anreiz besteht für den Unternehmer Kapital zu investieren, will heißen kapitalintensiver zu produzieren. Denkt man diesen Weg zu Ende, dann gelangt man ins vorindustrielle Zeitalter, denn billige Arbeit lohnt die Investitionen in Maschinen ja nicht mehr. D.h. es besteht kein Anreiz mehr zu Steigerung der Produktivität.
Dementsprechend lautet ja auch das neoklassische Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Reallohnsteigerungen möglichst gering zu halten. Nach dem Motto, wenn die Produktivität langsamer zunimmt, werden auch weniger Arbeitsplätze wegrationalisiert. Wettbewerb findet nicht über innovative Produkte und über die Steigerung der Produktivität statt, sondern vor allem über die Angleichung der Löhne an die Wettbewerber in Asien.
Heiner Flassbeck und Friedericke Spieker haben in ihrem Buch „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“ empirisch genau das Gegenteil nachgewiesen: Die Länder mit vergleichsweise guter Reallohnentwicklung (z.B. USA oder Großbritannien) haben eine vergleichsweise bessere Beschäftigungslage, als diejenigen mit stagnierenden Löhnen, also z.B. Deutschland und Japan.
Und ganz anders als die Neoklassiker in ihrem Denkmodell annehmen, hat z.B. Japan mit der schlechtesten Beschäftigungsentwicklung gleichzeitig die niedrigste Produktivitätsrate. Nach Flassbeck/Spiecker belegt die Erfahrung der letzen zehn Jahre: „Hohes Reallohnwachstum geht einher mit einem hohen Produktivitätszuwachs und guter Beschäftigungsentwicklung.“
Wenn Herr Sinn schon die Tatsache nicht überzeugt, dass in 20 von 27 Ländern gesetzliche Mindestlöhne existieren und dabei in den meisten Ländern eine niedrigere Arbeitslosigkeit herrscht als bei uns, dann sollte er wenigstens die einzig bisher vorliegenden empirischen Daten zum Bauhauptgewerbe in Deutschland des IAB anschauen, danach sind jedenfalls im Westen durch die Einführung des Mindestlohns auf diesem Arbeitsmarktsegment keine Jobs verloren gegangen. “Die weite Verbreitung und die regelmäßigen Erhöhungen zeigen, dass Mindestlöhne in der großen Mehrheit der europäischen Staaten als Erfolgsmodell gesehen werden“, heißt es noch in einer Studie des WSI vom Januar 2008. (Siehe auch WSI Tarifarchiv und unseren gestrigen Hinweis zur aktuellen Mindestlohndebatte [PDF – 172 KB] )
Sollten Sie sich immer noch über laut Bild-Zeitung Deutschlands besten Ökonomen ärgern, dann schauen Sie doch einfach mal auf den Mitschnitt von Georg Schramm bei Maischberger.
Quelle: youtube
Anmerkung: Die Frage, mit wem die SPD den Mindestlohn politische durchsetzen möchte, sollte man jedem Wahlkampfredner stellen.
Anmerkung: Was zur Statistik noch dazu gehört:
Anmerkung: Während fast überall in der Welt gehandelt wird oder zumindest über konjunkturstabilisierende Maßnahmen nachgedacht wird legt sich die Bundesregierung mal wieder zurück und wartet in Ruhe den Abschwung ab. Ist die Rezession erst da, wird dann umso lauter nach „Strukturreformen“ gerufen. Denn mehr als Sozialabbau und Lohnsenkungen fallen der herrschenden neoliberalen Wirtschaftspolitik ja nicht ein.
Anmerkung Orlando Pascheit: Zunächst lacht man nur über diese saubere Schau, die der Kommissar für Wirtschaft und Finanzen hinlegt, der überraschte, ratlose, aber bemühte Politiker, mit viel Empathie für den einfachen steuerzahlenden Bürger: “schließlich zahle ich auch Steuern”. Man lacht, bis einem die Galle hochkommt.
Denn unser EU-Kommissar zuständig für Wirtschaft und Finanzen ist ein mit allen Wassern gewaschener Profi, der uns verkaufen will, dass es nicht einfach sei, “wundervolle Lösungen für ausgesprochen komplizierte Probleme zu finden.” Er sei überrascht, dass es bei den Banken losging, denn die “Banken waren vergleichsweise stark reguliert und unter intensiver Aufsicht.” Jeder aufmerksame Zeitungsleser wusste mindestens seit zwei Jahren um die Immobilienblase in den USA, und naturgemäß sind dann die Banken involviert. Und was heißt hier intensive Aufsicht?
Was werden die Finanzminister und den Notenbankchefs der EU in der jetzigen Krise tun? “Wir haben im Oktober des vergangenen Jahres, beim vorherigen Treffen in dieser Runde, einen Aktionsplan beschlossen. Über den werden wir reden.” Und im nächsten Oktober kommt dann die Aktion? Und welche? “Regulierung ist kein Selbstzweck und löst nicht automatisch die Probleme.” Na dann, Prost!
Natürlich sollen im Einzelfall “Manager und Aktionäre haftbar gemacht werden”, aber etwas “anderes ist es, wenn der Staat das Geld seiner Bürger nimmt, um Krisen abzuwenden, die nicht nur eine einzelne Bank, sondern das ganze Finanzsystem bedrohen”. Kurzum wenn viele Banken bzw. deren Manager “Fehler” gemacht haben, sind die Bürger haftbar.- Man könnte meinen der Mann sei ein Idiot, nur das wäre das Dümmste, was wir denken können. Das ist ein Politprofi, der es in Kauf nimmt, dass wir ihn u.U. dafür halten.- Diese Herren Finanzminister, Notenbankchefs und Kommissare haben ihre eigenen Gründe, weshalb sie Banken und Finanzmärkte weder sanktionieren noch regulieren möchten. Der Ex-Harvard-Professor, Ex-Minister, Ex-Generalsekretär des PSOE und Kommissar für Wirtschaft und Finanzen, Joaquín Almunia, weiß sehr wohl was er sagt bzw. tut oder nicht tut.
Anmerkung Orlando Pascheit: Einmal abgesehen vom Grundsätzlichen, unsere Schmalspurökonomen versuchen sich als Heuschrecke: Alles, was nach Kosten aussieht, verbleibt beim Bund, die Filetstücke werden verscherbelt.
Anmerkung: Leider behandelt der Beitrag nur die Auswirkungen der verdeckten Rationierung durch die Ärztebudgets und ist insofern eine platte Werbung für die private Krankenversicherung. Die „Rationierung“ der Kosten bei den Gesundheits-„Anbietern“, also etwa Arzneimittelpreise, Overheadkosten bei Krankenkassen, Vermeidung von Doppelbehandlungen etc. werden leider nicht angesprochen. Warum funktionieren andere Gesundheitssysteme mit gleicher Leistung in anderen Ländern besser und billiger?
Anmerkung Orlando Pascheit: Was man alles so tut, kurzfristig um den Kurs der Aktie zu steigern. Irgendwann wird uns jemand einreden zu wissen, den Bundestag zu verkaufen und dann zurückzumieten, auf den Leerstand in den Köpfen der Bürger hoffend.
Anmerkung Wilhelm Achelpöhler: Die Entscheidung ist ein schöner Erfolg. Man kann ihr entnehmen, dass das BVerwG die Auffassung des OVG NW zur Bedeutung des UN-Sozialpakts in einem entscheidenden Punkt nicht teilt.
Das OVG hatte die Auffassung vertreten, dass der Internationale Sozialpakt kein “Recht” darstelle. Auf der Grundlage dieses Rechtsstandpunkts war deshalb war es konsequent, dass das OVG die Revision nicht zugelassen hat. Denn das Bundesverwaltungsgericht kann nur über Bundes”recht” entscheiden.
Offenbar ist das Bundesverwaltungsgericht hier anderer Ansicht als das OVG NW. Aus seiner Sicht handelt es sich beim Internationalen Pakkt über soziale Rechte sehr wohl um “Recht”, denn sonst macht die Zulassung der Revision keinen Sinn. Aus Sicht des BVerwG kann das Revisionsverfahren “voraussichtlich zur Klärung der Rechtsfrage führen, ob Art. 2 und 13 Abs. 1 und 2 Buchst. c) des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem durch Gesetz vom 23.11.1973 zugestimmt wurde …der Einführung einer Hochschulfinanzierungsabgabe der Studierenden durch Landesgesetz entgegensteht.”
Damit setzt sich das BVerwG auch in Widerspruch zu den Entscheidungen einiger Verwaltungsgerichte, die dem OVG NW gefolgt waren.
Das BVerwG hatte diese Frage in der Vergangenheit bei den Entscheidungen Langzeitstudiengebühren oder Verwaltungskosten immer letztlich offen gelassen, aber bereis darauf hingewiesen, dass sich aus dem Pakt Rechte herleiten lassen könnten.
Ist damit der Sozialpakt als geltendes Recht durch das BVerwG anerkannt, so stellt sich jetzt die spannende Frage, ob das Landesgesetz dem Sozialpakt widerspricht. Genau das war unser zentrales Argument.
Daneben können aber auch alle anderen Einwände gegen Studiengebühren vorgebracht werden. Das Revisionsverfahren ist nicht auf die Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Sozialpakt beschränkt.
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