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Titel: „Krieg gegen den Terror“: Was heißt das wirklich?
Datum: 11. Februar 2016 um 7:57 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache, Terrorismus
Verantwortlich: Albrecht Müller
Peter Becker, Rechtsanwalt und Vizepräsident der IALANA, wirft einen erfrischenden Blick auf den Zusammenhang von Staatsterrorismus und dem, was wir geläufig Terrorismus nennen. Hier sein Text für die NachDenkSeiten. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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„Krieg gegen den Terror“: Was heißt das wirklich
von Peter Becker
Nach den Attentaten von Paris am 13. November 2015 sprach Präsident François Hollande von einem kriegerischen Akt und kündigte einen entschiedenen „Kampf gegen den Terror“ an. Dazu gehörte die Fortsetzung der Luftangriffe auf den ISIS in Syrien. Deutschland entschied sich aus Solidarität mit Frankreich für deren Unterstützung. Am 13. Dezember stimmte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit einer Unterstützung dieses ‚Krieges‘ zu.
Die Reihe der Kritiker an dieser Sorte ‚Anti-Terror-Krieg‘ ist lang. Jürgen Todenhöfer verurteilt ihn als „Terrorzuchtprogramm“. Peter Ustinov sagt: „Terrorismus ist der Krieg der Armen gegen die Reichen … und Krieg ein Terrorismus der Reichen gegen die Armen.“ Für Mike Dörries ist die Autobombe „die Air Force des kleinen Mannes“. Noam Chomsky, Linguistik-Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), spricht vom Terrorismus als „Waffe der Schwachen“ (in: Media Control, 1997, deutsch 2003). Wenn man aber erwarten würde, dass er sich nur aus semantischer Sicht mit dem Terrorismus beschäftigt, irrt man: Chomsky untersucht in dem Buch intensiv das Entstehen des Terrorismus nach dem Zweiten Weltkrieg und prangert den israelischen „Staatsterrorismus“ an.
Über diesen Begriff ‚Staatsterrorismus‘ sollten wir weiter nachdenken. Alle Terrorismus-Definitionen zeigen, dass der Terror eine Reaktion ist. Wenn man den Abläufen weiter nachspürt, drängt sich die Frage nach Recht und Unrecht auf. Beginnen wir mit Israel:
Wie entstand dieser Staat, wie hat er sich entwickelt, was lernen wir? Am 29. November 1947 stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Resolution 181 für den UN-Teilungsplan für Palästina, der das Gebiet in einen jüdischen und einen arabischen Staat einteilte. Jerusalem sollte wegen seiner Bedeutung für die jüdische, die christliche und die islamische Religion unter internationale Kontrolle gestellt werden.
Die jüdische Bevölkerung akzeptierte den Plan und proklamierte am 14. Mai 1948, dem Tag des Auslaufens des britischen Mandats für Palästina, den israelischen Staat. Elf Minuten später erkannten die USA Israel an, kurz danach aber auch die Sowjetunion.
Die Araber akzeptierten das nicht. Noch in der Gründungsnacht erklärten Ägypten, Saudi-Arabien, Transjordanien, der Libanon, der Irak und Syrien dem neuen Staat den Krieg. Es folgte der israelische Unabhängigkeitskrieg, den die Israelis gewannen.
Am 11. Mai 1949 trat Israel den Vereinten Nationen bei. Gleichwohl missachtete es bis zur Suez-Krise (1956) neun Resolutionen des Sicherheitsrates. Am 1. Juni 1964 gründete der erste palästinensische Nationalrat die PLO. Sie wurde fortan ein Träger der Aktionen gegen Israel. Im Jahre 1967 kam es zu einem weiteren Krieg, dem Sechs-Tage-Krieg, den wiederum Israel gewann. Auslöser waren ägyptische Provokationen. Israel zerstörte mit einem Präventivschlag die gesamte ägyptische Luftwaffe am Boden. Folgen waren die israelische Eroberung des Gazastreifens und der Sinai-Halbinsel von Ägypten, des Westjordanlandes mit Ost-Jerusalem von Jordanien und der Golan-Höhen von Syrien. Die fehlende Umsetzung des Zwei-Staaten-Planes der UN und die israelischen Landnahmen sind der Hauptgrund für die bis heute andauernden Auseinandersetzungen im Nahen Osten.
Vor allem lösten sie den palästinensischen Terrorismus aus: Am 23.07.1968 bringen palästinensische Terroristen eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al in ihre Gewalt. Am 06.09.1970 entführen Mitglieder der ‚Volksfront für die Befreiung Palästinas‘ drei Flugzeuge internationaler Gesellschaften. Am 27.06.1976 kapern pro-palästinensische Terroristen über Libyen einen Airbus der Air France.
Ende Dezember 1968 wird Israel vom Sicherheitsrat mit Resolution 262 wegen militärischer Aggression gegen den internationalen Flughafen in Beirut verurteilt. Es folgen zahlreiche Resolutionen wegen militärischer Übergriffe gegen den Libanon. Denn Israel missachtet permanent das Gewaltverbot in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta. Insgesamt kommt es in der Zeit zwischen 1948 und 1989 zu 30 Resolutionen des Sicherheitsrates gegen Israel. Resolutionen gegen die PLO gibt es hingegen nicht. Vielmehr wird die PLO 1974 von den Vereinten Nationen anerkannt. Israel lehnte diese Resolution der Generalversammlung ab.
Fazit: Die Israelis nutzen die UN-Gründungsresolution, die Araber lehnen sie hingegen ab: ein Fehler! Die Israelis setzen sich in den militärischen Auseinandersetzungen durch. Die UN-Bemühungen zur Domestizierung des Konflikts werden von Israel missachtet. Der palästinensische ‚Terrorismus‘ entsteht als – in der Tat – „Waffe der Schwachen“ gegen die Starken. Aber das ist nicht das einzige Merkmal des ‚Terrorismus‘: Er richtet sich gegen die rechtswidrige Vorgehensweise des Starken.
‚Krieg gegen den Terror‘ I: Diese Bezeichnung wurde erstmals 1985 von der US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan verwendet, nach dem Anschlag von 1984 auf die internationalen Friedenstruppen in Beirut und mehreren Flugzeugattentaten. Auch hier sind die Zusammenhänge evident: Der Libanon-Krieg war der erste arabisch-israelische Konflikt, den Israel begann, ohne dass seine Existenz unmittelbar bedroht war (Motto: „Frieden für Galiläa“). Der Krieg wurde selbst in Israel als Angriffskrieg gewertet; Premierminister Begin und Verteidigungsminister Ariel Scharon mussten zurücktreten. Auslöser waren übrigens zwei Anschläge in Paris Anfang April 1982, bei denen die israelische Botschaft angegriffen und ein Diplomat erschossen wurde. Der Anschlag auf den US-Stützpunkt war die Antwort auf die amerikanische Unterstützung für die israelische Intervention.
Der Beobachter merkt (1): Terror ist nur das, was die anderen machen.
Und niemals sind die USA Terrorist: Das zeigt das US-Verhalten unter demselben Reagan gegenüber El Salvador, Nicaragua und Grenada. In El Salvador unterstützten die USA die rechtsgerichtete Militärregierung, die einen schmutzigen Krieg gegen Aufständische und politische Gegner führte und dabei Anfang der 1980er Jahre etwa 40.000 Oppositionelle ermordete. 1979 hatte die sandinistische Revolution in Nicaragua gesiegt und den Diktator Somoza nach Florida vertrieben. Reagan unternahm seit Amtsantritt 1981 den Versuch, die sandinistische Regierung zu stürzen, die er als „kommunistisch“ bezeichnete. Zu diesem Zweck wurden die Contras unterstützt, paramilitärische Gruppen, die vorwiegend von Honduras aus operierten. Das Geld stammte aus geheimen Waffenverkäufen der USA an den Iran (Iran-Contra-Affäre). Die Contras versuchten, die Infrastruktur zu zerstören, unternahmen terroristische Überfälle auf die Landbevölkerung und legten Minen. Reagan nannte diese Gruppen aber „Freiheitskämpfer“. Außerdem veranlasste er die Verminung des Pazifikhafens Corinto. Dagegen klagte Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und gewann. Die USA wurden mit dem Urteil vom 27.06.1986 für ihre „ungesetzliche Anwendung von Gewalt“ gegen Nicaragua und zur Zahlung von Reparationen verurteilt. Die USA wollten das Urteil nicht anerkennen und entzogen sich der Rechtsprechungsgewalt des IGH. Eine pro-nicaraguanische Resolution des Sicherheitsrates wurde durch das US-Veto blockiert.
Man lernt (2): Terrorismus wird nur von den Gegnern der USA und ihren Helfershelfern ausgeübt. „Wer immer dasselbe sagt, hat recht“, so Max Uthoff.
Unter Reagan kam es auch zur Invasion Grenadas durch die USA, um den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Maurice Bishop zu stürzen. Der Sicherheitsrat stimmte im Oktober 1983 mit großer Mehrheit für eine Resolution, in der die Invasion als krasse Verletzung internationalen Rechts bezeichnet wurde. Aber die USA legten ihr Veto ein.
‚Krieg gegen den Terror‘ II: Am 11.09.2001 flogen zwei angeblich von Al Kaida-Anhängern gekaperte Flugzeuge in die Twin Towers in Manhattan. Darauf hielt US-Präsident George W. Bush am 20. September 2001 eine Rede vor dem Kongress, in der er erklärte: „Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al Kaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist.“ Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin die Resolutionen 1368 und 2001, mit denen die Mitgliedstaaten ermahnt und verpflichtet wurden, insbesondere eine Anti-Terror-Gesetzgebung zu verabschieden. Die Resolutionen stützten sich auf Art. 41 in Kapitel VII der UN-Charta, der nur etwa Embargos oder den Abbruch der diplomatischen Beziehungen vorsieht. Gleichwohl begannen die USA und Großbritannien am 7. Oktober 2001 mit Luftangriffen gegen Afghanistan, deren Ziel es war, das Taliban-Regime zu stürzen – was gelang. Unmittelbare Konsequenzen:
Ab 20. Mai 2003 wurde der Irak-Krieg geführt, mit dem eines der primären Ziele des ‚Project for the New American Century‘ (PNAC) von 1997 umgesetzt wurde. Gründer des PNAC waren spätere Staatsmänner, der amerikanische Vize-Präsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Staatssekretär im Verteidigungsministerium Paul Wolfowitz, Richard Perle, der die Iran-Contras-Aktion organisiert hatte. Auch Jeb Bush, der sich jetzt um die Präsidentschaft bewirbt, gehörte zu den Gründern.
‚Terrorismus‘ in diesem Sinn ist also nicht mehr nur die Bekämpfung des eigentlichen Terrorismus, sondern Krieg gegen das, was die USA als Terrorismus ausgeben: eine neue Kriegsermächtigung, unter Umgehung des Gewaltverbots in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta und ihres Art. 51 mit dem Selbstverteidigungsrecht.
Was lernen wir (3)? Wenn der ‚Staatsterrorismus‘, der den Terror als Waffe der Schwachen auslöst, regelmäßig rechtswidrig ist, weil er das Völkerrecht verletzt, kann die Botschaft nur lauten: Zurück zum Völkerrecht. Und der Jurist überlegt: Wenn der Terrorist ‚Angst und Schrecken‘ verbreitet, um sich gegen rechtswidrigen Staatsterrorismus zu wehren, kann die Reaktion nicht einfach sein, nur ihn vor das Gericht zu stellen oder seine Bewegung mit Waffengewalt zu bekämpfen, während der Staatsterrorist weitermacht. Andererseits kann ein Staat die Ausübung von ‚Angst und Schrecken‘ durch Terrorismus nicht folgenlos lassen. Es muss eine Weiterentwicklung der Rechtsordnung geben.
Die kann nur bei den Vereinten Nationen liegen. Sie müssen die Kraft entwickeln, den ‚Staatsterrorismus‘ aufzugreifen und Ross und Reiter zu nennen. Das richtige Instrument dafür ist – vorbereitend – das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Untersuchung der rechtswidrigen Akte, die den Terrorismus auslösen, und das Aufgreifen jedes einzelnen völkerrechtswidrigen Aktes der Staaten, die sich über die Charta erheben und meinen, den Frieden nach eigenen Maßstäben herbeibomben zu können; sei es ohne Mandat des Sicherheitsrates, sei es durch rechtswidrige Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts.
Der Autor ist Rechtsanwalt und Co-Präsident der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA).
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