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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 28. Februar 2008 um 10:04 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
(KR/WL)
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Das neue Grundrecht trägt einen noch komplizierteren Namen, die Richter nennen es “Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme”. Man kann das neue Grundrecht auch “Computer-Grundrecht” nennen. Es ist das neue Grundrecht des Internet-Bürgers: Es schützt private Computer und Speichermedien, es bewahrt Computer-Dateien vor beliebigem staatlichen Zugriff, es schützt die Persönlichkeit und Intimität der Bürger im elektronischen Zeitalter. Gleichwohl lässt aber das Bundesverfassungsgericht in seiner nicht nur juristisch, sondern auch technisch kundigen Entscheidung die staatliche Online-Durchsuchung zu, aber nur unter strengen Voraussetzungen; sie hätten aber noch strenger sein können – und müssen. Das nordrhein-westfälische Gesetz freilich, das Gegenstand der Überprüfung war, ist rundum verfassungswidrig. Es wurde für nichtig erklärt. Der Bundesinnenminister wird nun sein Online-Durchsuchungsrecht (das er in einem geplanten Paragraphen 20 k des BKA-Gesetzes formuliert hat und das er dem Bundeskriminalamt gewähren will) völlig neu fassen müssen. Mit ein paar hurtigen Sätzen, wie bisher vorgesehen, wird es nicht abgetan sein.
Quelle 1: SZ
Quelle 2: Bundesverfassungsgericht
Siehe auch:
Humanistische Union: Digitale Privatsphäre zum Freiheitsraum erklärt
Mit Blick auf die bisherigen Gesetzesentwürfe zur Einführung einer Online-Durchsuchung betont die HU: “Die Daten privater Computer sind nach dem heute ergangenen Urteil für die Strafverfolger und Geheimdienstler weitgehend tabu, die bisherigen Gesetzentwürfe aus Berlin und Bayern Makulatur.” Das Verfassungsgericht habe für mögliche Eingriffe in die digitale Privatsphäre erstaunlich klare Grenzen gezogen: Sie dürfen demnach nur bei konkreten, im Einzelfall begründeten Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter, nur nach vorheriger richterlicher Genehmigung und nur unter Achtung eines Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung stattfinden. “Bevor der Gesetzgeber jetzt über Befugnisse des BKA und der Verfassungsschutzämter zur Online-Durchsuchung entscheidet, sollten die Sicherheitsbehörden zunächst einmal begründen, in welchen Gefahrensituationen diese Maßnahme überhaupt sinnvoll einsetzbar ist und wie sie den vom Gericht geforderten Schutz der Privatsphäre gewährleisten wollen.”
Quelle: Humanistische Union
Anmerkung: Immerhin haben die Karlsruher Richter Schäubles Überwachungsmanie gestoppt. Unbescholtenen Bürgern darf nicht präventiv der Computer ausgespäht werden. Dennoch fällt das Gericht hinter die Linie im Urteil gegen den sog. „Großen Lauschangriff“ zurück. Dort hieß es noch in aller Klarheit:
Die Unverletzlichkeit der Wohnung hat einen engen Bezug zur Menschenwürde und zu dem verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Sphäre der ausschließlich privaten – “höchstpersönlichen” – Entfaltung. Die vertrauliche Kommunikation benötigt einen räumlichen Schutz, auf den die Bürger vertrauen können. Dem Einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohnräumen gesichert sein, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Entfaltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung überwachen. In diesen Kernbereich darf die akustische Überwachung von Wohnraum nicht eingreifen, und zwar auch nicht im Interesse der Effektivität der Strafrechtspflege und der Erforschung der Wahrheit. Eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen der Unverletzlichkeit der Wohnung und dem Strafverfolgungsinteresse findet insoweit nicht statt. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diese Freiheit zur Entfaltung in den höchstpersönlichen Angelegenheiten nicht rechtfertigen.
Quelle: Bundesverfassungsgericht
Siehe dazu auch:
Staat macht 200 Millionen Euro Plus
Steigende Steuereinnahmen und sinkende Sozialausgaben bescheren den öffentlichen Kassen den ersten Überschuss seit 1989. Nur im Bundeshaushalt bleibt ein Defizit. Das Wirtschaftswachstum nimmt Ende 2007 ab: Der Konsum schwächelt.
Quelle: taz
Anmerkung: Interessant ist, wie die angebotsorientierten Ökonomen Straubhaar und Dreger den Höhenflug des Euro als Problem herunterspielen. Sie tun so, als wäre dagegen nichts zu unternehmen. Für sie ließe sich die Erhöhung der Exportpreise durch weitere Kostensenkungen (sprich Personaleinsparungen) kompensieren. Darauf weist wenigstens Bofinger hin. Dass die hohen Exportquoten aus Deutschland auch für den Euroraum insgesamt den Dollar sinken lassen und es höchste Zeit wäre, stärker auf die Binnennachfrage zu setzen, statt durch (betriebswirtschaftlich begründete) Lohnkostensenkungen (sprich Entlassungen) die Inlandsnachfrage weiter sinken zu lassen, spielt offenbar keine Rolle.
Auch die Hochzinspolitik der EZB, die den Euro angesichts der niedrigen Zinsen in den USA weiter steigen lässt, wird nur von Bofinger problematisiert. Aber alle verweisen auf die angeblich hohe Inflationsrate in Europa – die allerdings auf alles andere als eine überhitzte Nachfrage zurückzuführen sind.
Siehe dazu auch: „Der Höhenflug des Euros gilt als weitgehend unschädlich, aber die sog. Lohnnebenkosten schaden der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“
Anmerkung: Die Studie belegt, wie weit das Wettbewerbsdenken schon in die Familien und in die frühkindliche Erziehung eingedrungen ist und wie weit die schichtenspezifische Ab- und Ausgrenzung geht. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern gilt mehr denn je.
Anmerkung WL: Selbstverständlich gibt es technologischen Wandel – und das ist auch gut so. Aber den Wandel gab es schon immer. Früher wurden Mitarbeiter rechtzeitig auf neue technologische Verfahren umgeschult, heute werden sie auf die Straße gesetzt oder die Betriebsteile verscherbelt. Um dann anschließend wieder neue billigere Arbeitskräfte einstellen zu können.
Anmerkung: BMW ist vor allem auf dem amerikanischen Markt erfolgreich. Durch den Höhenflug des Euro steigen die Preise auf dem US-Markt oder es sinken die Renditen. Diese sinkenden Renditen sollen dann durch Kostensenkungen (Entlassungen) wieder ausgeglichen werden.
Anmerkung: Man fragt sich, wie die „Experten“ darauf kommen, dass bei 2,4 % Zuwachs der Arbeitnehmerentgelte (wohlgemerkt im Durchschnitt) und bei zwei Prozent Inflation Geld zum Ausgeben da wäre.
Anmerkung: Es gab mal Zeiten, da sollte an den Universitäten vor allem wissenschaftlich gedacht werden.
Anmerkung eines Lesers: Sie hatten kürzlich den Artikel “Akademiker in der Armutsfalle” vom Stern verlinkt, der ein offenbar “unbequemes” Problem unserer Bildungsmisere anspricht: Das akademische Prekariat.
Leider haben sowohl Stern als auch EuW einen wichtigen Aspekt vergessen:
Prekär beschäftigt sind u.a. auch Studentinnen, die als “Tutoren” tätig sind. Tutoren sind “nötig”, um die für die Bachelor-Studiengänge garantierten “Kleingruppen” zu gewährleisten (nicht ganz un-heikel: i.d.R. sind diese Studentinnen auch mit den Korrekturen der Klausuren für die entsprechenden Semesterveranstaltungen beauftragt).
Daher gibt es für genau diese Tutorenstellen noch Gelder. Aber just dies stellt auch ein Problem dar. Ketzerisch ließe sich nämlich fragen, warum das Geld nicht für richtiges (!) wissenschaftliches Fachpersonal vorhanden ist: Gerade auch Übungen dürften doch mit dem entsprechenden Lehrpersonal sicher keine mindere Qualität aufweisen, oder? Um es mal zuzuspitzen: Das ländertypische Uni-System ist offenbar darauf ausgelegt, wissenschaftliche Lehrkräfte durch studentische Hilfskräfte zu verdrängen. Dabei haben studentische Hilfskräfte u.a. ebenfalls unter kurzfristigen – und damit wenig planbaren – Anstellungen zu leiden. Hier ließe sich zudem fragen, wie es um die wissenschaftliche Zukunft bestellt ist, wenn das “Uni-System” offenbar kein Interesse daran hat, eine Perspektive für Wissenschaft und Forschung zu bieten.
Ein weiteres Problem, das u.a. beim Stern-Artikel anklang, aber ebenso im EuW-Artikel: Die prekär Beschäftigten sind i.d.R. schlecht bis gar nicht organisiert. Und das ist just der Grund, warum ich Ihnen diesen Artikel mit zusenden möchte, denn der Autor – Andreas Keller – spricht dieses Problem ganz offen an und fordert die Betroffenen indirekt auf, sich zu betätigen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Betroffenen natürlich alles Mögliche um die Ohren haben und daher sicher nicht in erster Linie an eine gewerkschaftliche Betätigung denken mögen. Manchen mag diese Option gar nicht bekannt sein. Aber gerade, wenn sich hier ein Problem zuspitzt, die Formen der akademischen Prekarisierung zum Teil so extrem gegeneinander ausgespielt werden, muss zumindest auf die Möglichkeit hingewiesen werden, sich organisieren zu können.
Vielleicht bietet sich auch einmal über die NachDenkSeiten eine Möglichkeit, dieses Problem einer breiteren Öffentlichkeit stärker bewusst zu machen. Ich bin überzeugt, dass dieses Problem sehr maßgeblich für unsere wissenschaftliche Zukunft und Ausrichtung sein wird.
Themen im Freitag 09
Nach den Wahlen in Hessen und Hamburg ist die Lage unverändert und kaum Bewegung in Sicht. Dabei könnte alles so einfach sein, hielten sich die Parteien an die Versprechen ihrer Wahlkampfthemen. Michael Jäger spielt die Konsequenzen einmal durch.
Quelle: Freitag
Thema der Woche: Der jüngste Steuerskandal hat die Bundesbürger und ihr politisches Spitzenpersonal mit der Nase darauf gestoßen, in welcher Welt sie leben. So überrascht und entsetzt, wie pflichtgemäß getan wird, können die Spitzen der bundesrepublikanischen Gesellschaft allerdings im Ernst nicht sein. Zu den Hintergründen Beiträge von Michael Krätke und Franz Schandl sowie ein Interview mit Max Stadler, FDP-Innenexperte und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Quelle: Freitag
Einen ganz persönlichen Rückblick auf ’68 und die Bildung seines politischen Bewusstseins gibt Götz Eisenberg. Er schildert Einflüsse des Elternhauses, die letzten Jahre der Schulzeit, erste Studienerfahrungen und Kontakte zu politischen Gruppen, die nicht hielten, was sie versprachen.
Quelle: Freitag
Im Essay dieser Woche widmet sich Hugo Velarde dem Mythos Fidel Castro, dessen Nachfolger Raúl Castro einen schweren Weg vor sich haben wird, will er in die riesigen Fußstapfen treten. Kuba wird sich von seinen sakralen Elementen und der starken Castro-Symbolik befreien müssen, um der Revolution freie Bahn zu schaffen.
Quelle: Freitag
Anerkennung des Kosovo ist ein »schlimmes Signal«
Als ein »schlimmes Signal« hat der Sicherheitsexperte und CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die Bundesregierung bezeichnet. In einem Interview mit der Berliner Wochenzeitung »Freitag« meinte Wimmer, EU-Partner wie Spanien, Rumänien, Zypern oder die Slowakei treffe eine solche Entscheidung »wirklich ins Mark«. Diesen Staaten werde signalisiert, dass man ihr Interesse an Sicherheit und staatlicher Integrität als zweitrangig betrachte. Wimmer erinnerte daran, es sei nicht nur ein durch die Schlussakte von Helsinki anerkannter völkerrechtlicher Grundsatz, wonach die territoriale Unversehrtheit eines Staates Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht genieße. Wenn mit dem Kosovo diese Rechtsnorm auf den Kopf gestellt werde, bedeute das genau genommen nichts anderes, als die Völker weltweit im Namen des Selbstbestimmungsrechts gegeneinander aufzuwiegeln.
Quelle: Freitag
Zu guter letzt:
Hans-Olaf Henkel gehen die Argumente aus – Ex-BDI-Chef verweigert TV-Diskussion mit Attac-Steuerexperten
Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Präsident des BDI und bekannt als neoliberaler Hardliner, gehen offenbar die Argumente aus. Henkel sollte heute Abend in der TV-Sendung “Phoenix-Runde” mit dem Attac-Steuerexperten Sven Giegold und weiteren Gästen über das Thema “Liechtenstein-Connection – Warum deutsches Geld ins Ausland flüchtet” diskutieren. Doch als Henkel den renommierten Attac-Vertreter erkannte, verweigerte er das Gespräch und verließ das TV-Studio, noch bevor die Aufzeichnung der Sendung begonnen hatte. Als Grund gab er lediglich an, dass er nicht für die Sendung zugesagt hätte, hätte er gewusst, dass Sven Giegold dabei ist. “Herrn Henkel gehen die Argumente aus”, folgerte Detlev von Larcher vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Der ehemalige BDI-Chef scheue offenbar die öffentliche Diskussion mit einem Experten, der in der Lage sei, seine neoliberale Rhetorik argumentativ zu widerlegen.
Und das nicht zum ersten Mal: Bereits im Oktober 2006 hatte Hans Olaf Henkel mitten in einer Podiumsdiskussion in Frankfurt mit Sven Giegold den Saal verlassen, weil das Publikum seinen kaum verhohlenen Marktradikalismus immer wieder mit Buhrufen quittierte.
Und noch was Nettes:
Rürup und Riester als „Außendienstler“ des Finanzdienstleisters AWD:
Die Stuttgarter Zeitung vom 27.02.08 zitiert einen AWD-Vertreter: „Das sind unserer besten Außendienstler“.
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