Auch wenn die SPD-Spitze – wohl nur um Druck auf die FDP zu einer Ampelkoalition auszuüben – es Hessens Kandidatin Andrea Ypsilanti jetzt freistellte, mit den Stimmen der Linken Regierungschefin zu werden, bleibt das strategische Dilemma für die Sozialdemokraten bestehen. Dazu Anmerkungen eines regelmäßigen Lesers der NachDenkSeiten aus Sofia/Bulgarien
Zum Trauerspiel, das die SPD in ihrem Verhältnis zur Linken gerade wieder aufführt, möchte ich nur an die historischen Parallelen zum Umgang mit den Grünen vor über 25 Jahren erinnern:
- Die SPD vernachlässigt für ihre Mitglieder und vor allem für ihre Wähler wichtige politische Dimensionen (damals vor allem Ökologie, seit der Agenda 2010 vor allem soziale Gerechtigkeit/Verteilungsgerechtigkeit).
- Das dadurch freiwerdende bzw. von der SPD freigemachte politische Feld führt zur Entstehung einer neuen Partei, vorwiegend aus dem potentiellen Wählerspektrum der SPD.
- Die neue Partei wird zunächst als “Eintagsfliege” unterschätzt und dann für Jahre – der bürgerlich-konservativen Propaganda und den dahinterstehenden Machtinteressen folgend – als nicht koalitionsfähig behandelt. So können vorhandene parlamentarische Mehrheiten nicht ihre demokratische Wirkung entfalten und ihren politischen Ausdruck finden.
- Übrig bleibt der SPD entweder die Oppositionsrolle (damals 16 Jahre im Bund!!), oder – das ist neu – sie wird seit der Rechtswende der SPD durch Schröders Agenda-Politik zum Büttel und Erfüllungsgehilfen rechtskonservativer Interessenpolitik, dies allerdings auf deutlich geschwächtem und ausgezehrtem Mitglieder- und Wählerniveau.
- Sucht man nach Erklärungen für so viel strategische Kurzsichtigkeit bzw. Dummheit, kann ich nach meinen Erfahrungen vor allem in persönlich-egoistischen Motiven der Akteure fündig werden: Wer seit Schröders Rechtswende (ob innerhalb der Partei, der Fraktion oder der Ministerialbürokratie) Karriereerwartungen obenan stellte oder wer auf lukrative Anschluss-Lobbyjobs in der Wirtschaft setzte, der heulte mit den Wölfen. Hinreichendes Argument zur Blockierung von Alternativvorschlägen durch Vorgesetzte wurde in dieser Zeit: “das will der/die Minister/in nicht hören”. Vorauseilender Gehorsam bzw. Ideen-Gleichschaltung wurde zur gängigen Praxis in den Apparaten. Auch so zehrt Demokratie aus, die eigentlich vom Wettstreit der besseren Ideen und Vorschläge lebt und darin einen prinzipiellen Vorteil hat.
Also, alles schon in der einen oder anderen Form einmal da gewesen, aber wieder sitzt die SPD für Jahre in der strategischen Falle, wohl wissend, dass in einigen Jahren es natürlich auch im Westen Linkskoalitionen geben wird. (Weil die Linke sich etablieren und stärker werden wird. Jedenfalls solange das ursozialdemokratische Ziel der sozialen Gerechtigkeit im politischen Handeln der SPD weiter vernachlässigt bleibt.)
Übrigens noch 2 Hinweise zur Semantik der Rechtskonservativen in Politik und Medien:
- Als Schröder überfallartig mit der Agenda 2010 (nicht nur mit den Hartz-Reformen) die SPD insgesamt nach rechts drückte, sprach niemand von einem „Rechtsruck“ der Partei, dafür erfand der Mainstream das Lob auf die „Modernisierung“. Jetzt, da ein bisschen davon beim Alg-II korrigiert wird, ist durchgängig von einem “Linksruck der SPD” die Rede, der sogar bis in die Union hineinreichen soll. So verschiebt man auch sprachlich die Koordinaten nach rechts! Das gleiche konnte man auch bei der Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent beobachten. Die minimale Anhebung bei hohen Einkommen auf 45% wurde dann “Reichensteuer” genannt. So wurde dann die Senkung des Spitzensteuersatzes nachträglich zu einer Steuersenkung für Normalverdiener.
- Das gleiche, asymmetrische Wortspiel mit erheblicher Wirkung findet in Deutschland seit Jahren mit den feststellbaren Umverteilungswirkungen von unten nach oben statt:
Solange die Wirtschaftsprozesse, massiv unterstützt durch die politischen Entscheidungen der zurückliegenden Jahre, Einkommen und Vermögen von unten und von der Mitte nach oben verschieben (so seit ca. 20 Jahren nachweisbar; siehe u.a. die Lohnquotenentwicklung oder den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung), spricht der Mainstream nicht von Umverteilung; aber wehe, man fordert im einen oder anderen Fall eine kleine Korrektur in umgekehrter Richtung, dann denunzieren das dieselben Kreise sofort und reflexartig als Rückfall in eine “alte Umverteilungsideologie” oder blocken die Debatte um mehr soziale Gerechtigkeit als “Neiddiskussion” ab.