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Titel: Nachtrag zu Andreas v. Bülows „Verschwörungstheorien“

Datum: 19. Februar 2008 um 8:50 Uhr
Rubrik: Terrorismus
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Gestern habe ich bei einem Eintrag ins kritische Tagebuch zu und mit einer Rede von Andreas von Bülow versäumt, anzumerken, dass ich mir die darin enthaltenen Thesen zu 9/11 nicht zueigen mache. So kam es, dass einige Leser der NachDenkSeiten meinen Text verständlicherweise falsch interpretierten. Drei haben sich in Leserbriefen geäußert. Einen davon können Sie im Folgenden lesen.
Wir wollen diese alte Debatte damit nicht auch noch in den NachDenkSeiten weiterführen. Wie erwähnt, kam es mir bei der Einstellung dieses Beitrags vor allem darauf an, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass auch Journalisten und nicht nur Politiker und andere Zeitgenossen im Auftrag von Geheimdiensten arbeiten und schreiben können und wir deshalb Texte skeptisch lesen sollten. Albrecht Müller.

Zum folgenden Leserbrief und den beiden anderen nur eine kleine Anmerkung. Alle drei operieren mit dem Begriff und Vorwurf „Verschwörungstheoretiker!“. Auch wenn man sich die Theorien von Andreas von Bülow wie ich zum Beispiel nicht zueigen macht, ist man nicht darauf angewiesen, einem solchen Autor das Etikett „Verschwörungstheoretiker“ anzuheften. Ich jedenfalls reagiere darauf mit Unverständnis, ja sogar ein bisschen allergisch. Denn ungefähr vor zwei Jahren habe ich nach Veröffentlichung meines Buches „Machtwahn“ mit dem Untertitel: „Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet“ immer wieder zu hören bekommen, ich sei ein Verschwörungstheoretiker. Heute müssen selbst solche Berufs-Etiketten-Anhefter eingestehen, dass die Realität noch viel schlimmer ist, als ich in den Kapiteln über Korruption und Zerstörung wichtiger Einrichtungen durch unsere Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Medien geschrieben habe.

Nun also zu einem der Leserbriefe, der im Großen und Ganzen auch die anderen mit aufnimmt:

Sehr geehrter Herr Müller,
sehr geehrte Nachdenkseitenmacher!

Als ständiger Leser der Nachdenkseiten und als Dozent in der politischen Erwachsenenbildung möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie sich mit dem obigen Artikel auf recht dünnes Eis begeben. Ich schätze sehr Ihre solide und kritische Auseinandersetzung mit wirtschafts- und sozialpolitischen Themen, die auch in dieser Qualität in Deutschland ihresgleichen sucht. Dafür meinen größten Respekt!

Zugleich möchte ich jedoch deutliche Kritik daran äußern, dass Sie einem politischen Irrläufer wie Andreas von Bülow – und sei auch nur indirekt – eine Bühne bieten. Herr von Bülow mag seinerzeit ein verantwortlicher Politiker gewesen sein. Heute ist er genau das, womit er in rhetorischer Absicht zu Beginn seiner Rede kokettiert: ein Verschwörungstheoretiker. Und es ist keineswegs die von ihm so apostrophierte Gegenpropaganda, die ihm dieses Etikett anheftet. Es sind vielmehr diejenigen, die sich in wissenschaftlich und journalistisch angemessener Weise mit den Ereignissen um den 11.09.2001 (und ebenso mit der von neoliberalen Auswüchsen begleiteten Globalisierung) befassen. Andreas von Bülow wird vor allem deshalb zurecht als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, weil er sich konsequent allen Erkenntnissen verweigert, die seinem konspirationalistischen Weltbild widersprechen. Meines Erachtens ist er zusammen mit vielen Gleichgesinnten dem sog. Teufel-Syndrom verfallen: Hinter bösen Ereignissen werden böse Absichten von bösen Menschen vermutet; früher war es der Teufel, heute sind es die allgegenwärtigen Geheimdienste, die für das Böse in der Welt verantwortlich sein sollen.

Es kommt Andreas von Bülow nicht in den Sinn, dass es Ignoranz und Dummheit, Unfähigkeit oder schlichte Zufälle sein können, die in der Folge katastrophale Auswirkungen haben. Er schreibt: “Zum Fall 9/11: für mich ist gerade aufgrund des fast schon entlarvenden Verhaltens des amerikanischen Staates gegen die umfassende Aufklärung der Ereignisse des 11. September 2001 klar, dass ein enger Kreis der politischen, militärischen und geheimdienstlichen Führung das Terrorgeschehen planend und ausführend begleitet haben muss.” Konkrete, prüfbare Belege für diese Annahme gibt von Bülow nicht; es bleibt bei der Feststellung, dass US-amerikanische Behörden die Aufklärung jener Ereignisse behindern. Das ist kein belastbarer Beweis für irgendetwas! Es ist vielmehr die Veranschaulichung für den logischen Kurzschluss des von Andreas von Bülow eingangs angeführten Cui-bono-Arguments: “Um dieses Spiel in seiner Tendenz zu durchschauen, bleibt die Frage nach dem cui bono zu stellen?” Wem ein Ereignis nützt, KANN der Urheber sein, aber er MUSS es NICHT sein. Cui-bono erzeugt eben keineswegs einen zwingenden Schluss! Und genau hier krankt die gesamte Darstellung der Rede von Bülows. Sie ist eine krude Mischung aus selektierten Fakten, verzerrten Zusammenhängen und waghalsigen, weitestgehend unbelegten Schlussfolgerungen.

Für die konkret benannten Zusammenhänge um die Anschläge von 11.09.2001 haben die renommierten Journalisten Oliver Schröm und Dirk Laabs in einem sorgfältig recherchierten und mit prüfbaren Quellen belegten Buch bereits 2003 dargestellt, wie eine Mischung aus Unfähigkeit, Ahnungslosigkeit und Konkurrenzdenken der US-amerikanischen Geheimdienste wesentlich dafür verantwortlich war, dass die Anschläge von 11.09.2001 geschehen konnten. Diese fatalen Fehler versuchten (und versuchen) die Verantwortlichen im Nachhinein zu vertuschen – und nicht ihre Beteiligung an der Planung und Durchführung der Anschläge. Letztere Annahme ist völlig absurd.

Dass nicht Afghanistan, sondern der Irak bereits im Vorfeld auf der Agenda der US-amerikanischen Administration in Washington stand, ist auch nicht wirklich Gegenstand von Verschwörungen, sondern schon seit 2004 infolge der ausgezeichneten Recherche eines der renommiertesten Journalisten der USA und Pulitzer-Preisträgers, Seymour Hersh, jedem Interessierten zugänglich. Auch hier verweist Andreas von Bülow stattdessen auf sein Weltgespinst der Geheimdienstverschwörungen.

Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt Verschwörungen, es gibt sie weltweit und es sind gewiss auch Geheimdienste daran beteiligt. Eine Verschwörung ist nichts anderes, als eine geheime Absprache zur Durchsetzung eines gemeinsamen Ziels. Die Darstellungen von Herrn von Bülow werden jedoch zu Verschwörungstheorien, indem Annahmen über vermutete Verschwörungen mit ausgewählten Fakten und waghalsigen Schlussfolgerungen ideologisch so verkleistert werden, dass sie die Gestalt von letztgültigen, unhinterfragbaren Wahrheiten angenommen haben.

Von Bülow und seine verschwörungstheoretischen Gesinnungsgenossen sind schlicht einer Versuchung der Irrationalität erlegen. Der Historiker Dieter Groh schrieb bereits vor 20 Jahren, dass Verschwörungstheorien “eine ständige Versuchung für uns alle dar[stellen].” Verschwörungstheorien seien nur insofern irrational, als dass sie “die Wirklichkeit an logischer Konsistenz und Kohärenz weit übertreffen”. Heute wird solchen Darstellungen gerne das Gewand einer kritischen, investigativen Recherche unter erschwerten Bedingungen (zu Unrecht als Verschwörungstheoretiker lächerlich gemacht zu werden …) umgehängt. In der Tat bedarf es hier eines geschulten Auges, aber vor allem deshalb, um diese antiwissenschaftlichen und antidemokratischen Hirngespinste als solche zu enttarnen. Verschwörungstheorien sind nichts anderes als der Sirenengesang unserer globalisierten, fernseh- und internetbasierten Medienwelt.

Und darin liegt eine Gefahr für den kritischen Verstand. Damit Verschwörungstheorien wirksam werden können, muss ihnen “die Realität … im Sinne von ‘welcome orientation and structure’ entgegenkommen” (Groh). Dann bedarf es nur noch eines Anlasses, eines unverstandenen Ereignisses, um der verführerischen Einfach-Komplexheit einer Verschwörungstheorie zu verfallen. Und wie die Erfahrung zeigt, schützen weder Intelligenz noch Bildung vor der verschwörungstheoretischen Versuchung! Sie scheinen im Gegenteil manche Verschwörungstheorien eher noch zu befördern. Hierin liegt ein weiterer Aspekt ihrer Antirationalität. Verschwörungstheorien richten unsere Rationalität quasi neu aus. So wie man einen Kompass durch Manipulation dazu bringen kann, in jede Himmelsrichtung zu zeigen, verwenden Verschwörungstheorien und -ideologien ihre hochrationale Binnenstruktur und ihr (pseudo-)skeptisches Auftreten manipulativ gegen den gesunden Menschenverstand. Sie verändern unsere Interpretation der Welt und führen uns in das geschlossene Labyrinth einer konstruierten parallelen Realität mit hoher Aufklärungsresistenz.

Hier noch die genannten Buchtitel:

Schröm, Oliver und Laabs, Dirk: Tödliche Fehler. Das Versagen von
Politik und Geheimdiensten im Umfeld des 11. September. Berlin 2003.

Hersh, Seymour M.: Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib.
Reinbek 2004.

Groh, Dieter: Die verschwörungstheoretische Versuchung. Oder: Why do bad things happen to good people? In: Ders.: Anthropologische Dimensionen der Geschichte. Frankfurt am Main 1992. S. 267-304. (Erstfassung 1987).
Zitate S. 269ff.

Viele Grüße!
Demuth


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