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Titel: BILD: Wozu Arbeiten? Hartz IV reicht doch!

Datum: 13. Februar 2008 um 9:06 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Die BILD-Hetze gegen Arbeitslose und die Kampagne für eine Senkung der Hartz IV-Regelsätze gehen weiter. „Deutschland diskutiert über Hartz IV“ brüstet sich BILD seiner Selbstinszenierung. Dabei zieht das Boulevardblatt nur einige abgestandene „Studien“ noch einmal hoch, über die selbst ihre Urheber sagen, sie seien „in der abgedruckten Form fehlerhaft“ [PDF – 44 KB]. In der bei BILD üblichen Personalisierung von Botschaften werden einige passende Arbeitslose präsentiert, die sich als Hartz IV-Empfänger über diejenigen lustig machen, die einer Arbeit nachgehen: „Wer arbeiten geht, ist doch richtig schön blöd“. Und natürlich lässt die BILD-Zeitung wieder einmal ihre „Hausexperten“ Sinn, Straubhaar, Rürup und das arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft“ zu Wort kommen, die übereinstimmend verlangen, die Arbeitslosen mehr zu fordern und die Sozialabgaben zu senken. BILD schürt Ressentiments gegen Arbeitslose und stigmatisiert sie als Sozialschmarotzer. Wolfgang Lieb

Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer hat jüngst wieder einmal einen Zwischenbericht seiner Langzeitstudie über „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ vorgestellt. Darüber schreibt der Berliner Tagesspiegel:

„Heitmeyer beunruhigt der Befund, dass das „ökonomistische Denken“ offenbar den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährde. Langzeitarbeitslose würden zum Beispiel in breiten Teilen der Öffentlichkeit stigmatisiert, ihnen werde ein Image zugeschrieben, nach dem ihre mangelnde Arbeitsmoral der entscheidende Grund für ihre Arbeitslosigkeit ist. Für den Satz: „Ich finde es empörend, wenn sich Langzeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“ erhielten die Bielefelder Forscher eine Zustimmungsquote von über 60 Prozent. Der Aussage „Wenn man Langzeitarbeitslose zu öffentlichen Arbeiten heranzieht, stellt sich bald heraus, wer arbeiten will und wer nicht“ stimmt 88,5 Prozent der Befragten „ganz“ oder „eher“ zu. (Siehe dazu die im Tagesspiegel abgebildete Grafik) Bei sinkender Soziallage, heißt es in der Studie, nähmen die Ressentiments gegenüber Langzeitarbeitslosen kontinuierlich zu. Das Bedürfnis wachse, „sich von Personen am unteren Rand der Sozialhierarchie abzugrenzen, indem man diesen eine negativere Arbeitshaltung zuschreibt als sich selbst“. Wilhelm Heitmeyers erste Analyse: „Wir müssen uns davon verabschieden, dass ausschließlich politische Ideologien wie die des Rechtsextremismus die abwertenden oder feindseligen Mentalitäten erzeugen.“ Es reiche eine ökonomisch erzeugte „Ungleichheit“, die in eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ umgewandelt werde.“

Dafür, dass die „Arbeitslosenfeindlichkeit“ inzwischen die „Fremdenfeindlichkeit“ als Symptom „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ offenbar ablöste, ist BILD sicher nicht alleine verantwortlich zu machen. Der gruppendiskriminierende Charakter ist schon im Grundmotiv der Hartz-Gesetze mit den Schlagworten „fördern und fordern“ angelegt. Heißt diese Parole im Klartext doch, dass es nicht an der Wirtschaftspolitik und der dadurch herbeigeführten Lage auf dem Arbeitsmarkt liegt, wenn Entlassene keine Arbeit finden, sondern dass man nur ausreichend Druck auf Arbeitslose ausüben müsse, damit sie jenseits der „Zumutbarkeit“ jede Arbeit zu jedem Preis anzunehmen bereit sind. Die Schuldverlagerung für das Schicksal der Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen wurde ja sogar regierungsamtlich betrieben, etwa wenn in einer offiziellen Broschüre des ehemaligen Wirtschaftsministers Clement [PDF – 184 KB] von „Abzocke“ oder „Selbstbedienung im Sozialstaat“, ja – in geradezu faschistoidem Vokabular – von „Parasiten“ oder „Sozialschmarotzern“ gesprochen wurde.

BILD hat in dieser Abwertungs- und Beleidigungspropaganda sozusagen nur die Rolle des „Stürmers“. BILD spaltet seit Jahren systematisch die Gesellschaft und schürt latent vorhandene Aggressionen gegen Minderheiten und Randgruppen – weniger wissenschaftlich gesprochen nennt man das schlicht Volksverhetzung. So hat das Blatt jüngst den Resonanzboden für die ausländerfeindliche Wahlkampagne zur Jugendkriminalität von Roland Koch abgegeben, und so schürt BILD jetzt zum wiederholten Male den Zorn von Arbeitsplatzbesitzern gegen Hartz-IV-Empfänger, indem deren Einkommen aus Sozialleistungen mit Rechentricks auf das Niveau eines voll arbeitenden Niedriglöhners hochgerechnet wird.

„Wer arbeitet ist ein Idiot“ wiegelt BILD-Kommentator Nicolaus Fest die Arbeitenden auf. Vor allem mit Kindergeld sei Hartz IV häufig mehr, als viele Arbeitnehmer mit gleicher Kinderzahl nach Hause trügen. Ja, die Kinderzulage ist bei einem Regelsatz von 624 Euro für die Eltern mit 204 Euro höher als das Kindergeld, eben weil die Förderung auf das Bedarfsminimum für das einzelne Kind ausgerichtet ist. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen 1,929 Millionen Kinder (das sind 17 Prozent aller Kinder) in Familien leben, die Hartz-IV-Leistungen erhalten, und die Kinderarmut immer weiter steigt ist es jedoch besonders zynisch, wenn BILD die Kinderzulage bei Regelsatzbeziehern attackiert.

Vielleicht um von den laufenden Tarifauseinandersetzungen um höhere Löhne abzulenken und um den zunehmenden, gesellschaftlichen Druck, Mindestlöhne einzuführen, in eine andere Richtung umzulenken, wird das Gefühl, dass die um sich greifenden Niedriglöhne ungerecht sind, in eine Gerechtigkeitslücke zwischen Billigjobbern und Sozialhilfebeziehern verkehrt – pervertiert wäre wahrscheinlich das richtige Wort.

Es ist gerade so als habe Springer seine Hofhunde bei BILD und Welt losgelassen, um kalte Rache für die Durchsetzung eines Mindestlohns bei den Briefzustellern zu üben. Dadurch hat der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, eine 620 Millionen Investition in die PIN Group in den Teich gesetzt, weil dieser Briefzusteller für seine weit überwiegend Niedriglohnbeschäftigten nicht mehr mit den staatlichen Lohnsubventionen in Form von Hartz-IV-Aufstockleistungen kalkulieren konnte. Bei PIN erhoffte sich Springer also gerade mit Hartz-IV-Leistungen Wettbewerbsvorteile und Gewinne, nach der Niederlage gegen Gewerkschaften und Politik durch die Einführung eines tariflichen Mindestlohns wird jetzt der Kampf gegen die Höhe der Hartz-IV-Leistungen neu aufgenommen.

Für BILD ist nicht der rapide Anstieg des Niedriglohnsektors auf inzwischen 6,5 Millionen oder 22 Prozent aller Beschäftigten und das dramatische Auseinanderdriften der Lohn- und Einkommensverteilung der Skandal. Davon lenkt dieses Blatt bewusst ab und inszeniert als Nebenkriegsschauplatz einen “Verteilungskampf im Armenhaus“.

Statt die gezielte Ausweitung des Niedriglohnsektors durch die Auflösung des Tarifsystems und die Förderung von Niedriglöhnen durch die „Reformpolitik“ der Bundesregierung ins Visier der Kritik zu nehmen, lässt BILD mal wieder seine allzeit bereitstehenden Boulevard-Professoren antanzen, die seit Jahren für die Absenkung der Löhne auf „markträumende Preise“ kämpfen und die in staatlichen Leistungen für eine minimale Existenzsicherung eine Barriere gegen weiteres Lohndumping sehen.

Dass gerade der Rat dieser Experten zur heutigen Situation geführt hat, bleibt natürlich unerwähnt. Für Sinn sind plötzlich die Hinzuverdienstmöglichkeiten „der Hauptgrund (!) für die Arbeitslosigkeit“. Straubhaar sieht Hartz IV als Bremse bei der Jobsuche, will sagen, wenn man die Sozialhilfe kürzt, dann würde die Bremse gelockert. Der „Wirtschaftsweise“ Rürup fordert mal wieder „mehr Druck von den Arbeitsagenturen“, gerade so als hätte der Druck nicht schon erheblich zugenommen. Bis hin zur Zwangsverpflichtung von Erwerbslosen zur Teilnahme an Rekrutierungsveranstaltungen der Bundeswehr [PDF – 44 KB].

Es ist eben die seit Jahren immer gleiche Methode, mit der diese „Experten“ als Wunderheiler auftreten: Wegen ihrer bisher auf ganzer Linie gescheiterten Rezeptur müssen sie ständig wie Drogensüchtige nach einer Erhöhung der Dosis rufen – und BILD bietet sich ihnen als Fixerstube an.

Über die Hälfte der BILD-Leserschaft gehört zur Arbeiterschicht, und leider scheinen diese Leser die Hetze, die dieses Blatt gegen sie selbst betreibt, nicht zu durchschauen. Man möchte ihnen gerne den Satz Erich Kästners zurufen:

Was auch immer geschieht: Nie dürft Ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken!


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