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Titel: BILD: So macht die Schule unsere Kinder kaputt

Datum: 5. Februar 2008 um 8:30 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, Demografische Entwicklung, Strategien der Meinungsmache
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Seit der Hessenwahl und der Schlappe für Koch ist öffentlich geworden, welcher Unmut sich in der Schulpolitik gegen G 8, das Abitur nach 12 Jahren angestaut hat. Wieder einmal wie auf Kommando wird Schulstress zum Thema der konservativen Leitmedien. BILD eröffnete mit Reinhold Beckmann „Schulen überfordern unsere Kinder“ und schiebt einen Schulreport nach. Auch die FAZ alarmiert: „Hände weg von unserer Kindheit“ und das Boulevard-Blatt für die selbsternannte Intelligenz, der SPIEGEL plädiert: „Besser lernen ohne Hausaufgaben“. Es sind genau diese Kreise, die zuvor jahrelang dagegen polemisiert haben, dass in Deutschland die Ausbildungszeiten zu lang seien, und die Kampagnen für kürzere Schul- und Studienzeiten inszeniert haben. Wolfgang Lieb

Ein 24-Jähriger, verheiratet, zwei Kinder, Promotion und möglichst zwei Jahren Auslandsaufenthalt, dass war bis vor Kurzem die Karikatur einer idealen Berufseinstiegsbiografie. Jahrelang wurde die Dauer der Schulzeit bis zum Abitur beklagt und der frühere Berufseintritt in anderen Ländern als vorbildlich propagiert. Ohne auch nur einen Gedanken darüber zu verschwenden, welches Niveau die Schulabschlüsse in anderen Ländern haben. Hauptsache mit 17 oder spätestens 18 Jahren Abitur, das war die Devise.
Die angeblich so schildkrötenhaft langsame Kultusministerkonferenz hat dem Druck nachgegeben und flächendeckend das Abitur nach 12, statt bisher 13 Jahren eingeführt.

Nun merken auch unsere „Eliten“, vor allem diejenigen, die noch schulpflichtige Kinder haben und sie nicht an eine Privatschule abgegeben haben, was damit ihren Kindern angetan wird.

Die Verkürzung der Gymnasialzeit von 9 auf 8 Jahre (G 8) ist ein typisches Beispiel, wie im letzten Jahrzehnt Bildungsreformen durchgesetzt werden.

In der gesamten Debatte um die Verkürzung der Schulzeit spielten pädagogische oder bildungspolitische Argumente kaum eine Rolle.

Wie bei der Einführung der Bachelor Studiengänge ging es auch bei G 8 nahezu ausschließlich um das betriebswirtschaftliche Kalkül der Intensivierung und der Verkürzung, kurz um die Effizienz der Ausbildung. Es wurden „workflow“-Kalkulationen angestellt, aber kaum jemand stellte die Frage nach den Bildungszielen in einer bestimmten Ausbildungsphase, geschweige denn, dass über Faktoren der außerschulischen „Bildung“, etwa durch Sport, Musik oder sonstiges Engagement reflektiert wurde.

Die Kultusministerkonferenz hat sich mit Lern-„Standards“ und mit der Vergleichbarkeit von Abiturzeugnissen beschäftigt; der Vorschlag ein bundesweites Zentralabitur einzuführen, scheiterte eigentlich nur am Länderegoismus. Bertelsmann bot ein Evaluationsprogramm zur Steigerung der Schulqualität nach dem anderen an. Kein Schulkind blieb ungetestet. Um bloß keine inhaltlichen Reformen angehen zu müssen, wählte man die einfachste Methode, man setzte Standards und lud die Last auf die Schüler und die Lehrer ab.

Eine Debatte darüber, wie der Lehrstoff statt in 9 künftig in 8 Jahren bewältigt werden sollte, fand bisher kaum statt. Im Gegenteil, die Diskussion ging vor allem darum, wie man zusätzliche Lernziele, wie Medienkompetenz, früherer Fremdsprachenunterricht oder Wirtschaftskunde in die Curricula einbauen sollte. Wie die Lehrpläne möglichst so gestaltet werden könnten, dass im Rahmen der Ideologie von der „eigenverantwortlichen Schule“ auch noch ein Wechsel der Schule innerhalb einem Land oder gar zwischen den Bundesländern ohne ein „Sitzenbleiben“ möglich bleiben sollte, darüber hat sich kaum jemand Gedanken gemacht.

Bildungspolitik bestimmt von Betriebswirten und von Wettbewerbsfetischisten zeigt nun offenbar ihre Wirkung: Zunehmend mehr geraten Schulkinder unter Schulstress und zeigen entsprechende Symptome. Die Mehrzahl der Schulkinder kommt ohne elterliche oder kommerzielle Nachhilfe nicht mehr zurecht. Kinder mit sozial bedingten Bildungsnachteilen, werden immer stärker selektiert. Die Klagen über die Qualität der Schulausbildung nehmen zu.

Nun wird die „schlampige Schulreform“ kritisiert, es werden die Eltern in die Verantwortung genommen oder es wird die mangelnde Belastbarkeit der Schüler beklagt.
Auf den naheliegendsten Gedanken, endlich wieder einmal Pädagogen um Rat zu fragen, kommt kaum jemand.

Dies vielleicht auch deshalb nicht, weil es kaum noch Pädagogen gibt. Sie sind in den letzten Jahren von den Test- und Evaluationsexperten und von den Schulmanagementfachleuten verdrängt worden.

Der Unmut, der sich über die Schulausbildung zusammengebraut hat, wird sich darin ein Ventil verschaffen, dass diejenigen, die es sich leisten können, ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken, wo sie bessere Lernbedingungen als an staatlichen Schulen vorfinden.
Das ist – zwar nicht für den Steuerzahler aber für die Kultusbürokratien – die „billigste“ Lösung.

Wenn daneben aber ein öffentliches Schulwesen noch eine Chance haben soll, ist es allerhöchste Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik. Einen Wechsel dahin, dass die Betriebswirte und die ökonomischen Effizienzfanatiker endlich wieder auf die Ersatzbank versetzt werden und in Deutschland endlich wieder eine Debatte über Bildungsziele und Bildungsinhalte und vor allem auch über pädagogische Konzepte stattfindet.

Der verstorbene Bundespräsident, Johannes Rau, hat noch während seiner Amtszeit ein Buch veröffentlicht, in dem er für eine neue Bildungsreform plädiert hat. Der Titel ist: „Den ganzen Menschen bilden – wider den Nützlichkeitszwang“.
Dieser Aufruf ist aktueller denn je.


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