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Titel: Julian Nida-Rümelin: Der nächste Bildungsnotstand

Datum: 4. Februar 2008 um 9:00 Uhr
Rubrik: Berufliche Bildung, Hochschulen und Wissenschaft
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Der Umbau auf Bachelor und Master setzt auf Dequalifizierung. Es schadet dem Land, wenn immer mehr junge Menschen studieren sollen – besser wäre es, die Lehrberufe zu fördern, meint Nida-Rümelin in der SZ. Nida-Rümelin ist ja bekannt dafür, dass er sich mit unorthodoxen Ideen hervortut. Nun spricht er sich in der SZ – entgegen den übereinstimmenden Forderungen von der OECD bis hin zum Urteil nahezu aller Bildungsfachleute – gegen eine allgemeine Anhebung der Akademiker-Quote in Deutschland aus und plädiert für einen Ausbau der beruflichen Lehrberufe. Eine ziemlich unseriöse Alternative und ein unsinniger Weg aus der Überlastung der Hochschulen. Wolfgang Lieb

Ich teile Nida-Rümelins Kritik an der Verschulung des Studiums durch den sog. Bologna-Prozess mit Einführung der Bachelor-Studiengänge. Mit ihm kritisiere ich die seit Jahrzehnten andauernde Unterfinanzierung der Hochschulen und den Mangel an Studienkapazitäten, der sich in immer schärferen Zulassungsbeschränkungen ausdrückt. Ich meine auch, dass die duale Ausbildung in Deutschland einen höheren Stellenwert besitzt, als in den internationalen Bildungsstatistiken zum Ausdruck kommt und dass sich die hohen beruflichen Qualifikationen mit den Qualifikationen der tertiären Ausbildung in der Vergangenheit gut ergänzt und sich als Vorteil für das Ineinandergreifen der Qualifikationsprofile der Beschäftigten in unserem Lande erwiesen haben.

Nida-Rümelin muss aber entschieden widersprochen, wenn er sich gegen einen Ausbau der Studienkapazitäten und für eine Entlastung der Hochschulen aus ihrer Unterfinanzierung, durch die Verknappung von aus seiner Sicht überzähligen Studienplätzen etwa bei Architekten, Juristen, Kommunikationswissenschaftlern und Germanisten ausspricht und stattdessen dafür plädiert, die berufliche Ausbildung aufzuwerten und auszubauen.

Ziel müsste vielmehr sein, sowohl die akademischen als auch die beruflichen Ausbildungskapazitäten auszubauen.

Tatsächlich ist es doch so, dass – wie Nida-Rümelin selbst schreibt – „das duale System aus betrieblicher Ausbildung und staatlich verantworteter beruflicher Bildung …in einer Krise“ steckt und dass es gleichzeitig eine deutlich zu niedrige Quote an Hochschulabsolventen gibt.

Die bedrückende Wahrheit ist doch: Die duale Ausbildung ist nur noch ein Fetisch. Ein Blick in den Berufsbildungsbericht 2007 [PDF – 1.9 MB] zeigt:

Weniger als die Hälfte der neu hinzukommenden Bewerber finden einen Ausbildungsplatz, für Hauptschüler werden die Chancen immer schlechter und nur noch ein Drittel aller Jugendlichen mit Migrationshintergrund können in einen Ausbildungsbetrieb vermittelt werden. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit der Jugendlichen ist doppelt so hoch wie bei den Erwachsenen.

Seit Jahren wird uns das gleiche Märchen erzählt. Der Ausbildungspakt sei ein Erfolg. Von Oktober 2005 bis Oktober 2006 seien 576.153 neue Ausbildungsverträge geschlossen worden, das seien 4,7 Prozent mehr als zuvor.

Das hört sich gut an. Verschwiegen wird dabei allerdings, dass sich die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen um 5,9 Prozent erhöht hat. Selbst wenn man nur die (geschönten) offiziellen Angaben der Bundesagentur von 763.079 Bewerber und Bewerberinnen um einen Ausbildungsplatz der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge gegenüber stellt, kann man durch einfache Subtraktion ausrechnen, dass eine riesige Lücke klafft. Nach Hochrechnungen des Bundesinstituts für Berufsausbildung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sind 160.000 Bewerber ohne konkretes Ausbildungsangebot geblieben sind, obwohl sie eine betriebliche Ausbildung anstrebten.

Die von der Bundesagentur ausgewiesene Ausbildungslücke ist schon deshalb geschönt, weil alle Jugendlichen, die in Warteschleifen sind oder schlicht aufgegeben haben, aus der Statistik fallen. 22% der erfolglosen Bewerber besuchen mehr oder weniger freiwillig weiter eine allgemeinbildende Schule oder absolvieren eine sog. berufsvorbereitende Maßnahme und der Rest landet irgendwo in „Zwischenlagern“, davon 10% als ungelernte Hilfskräfte.

Das duale System wird in der politischen Debatte wie eine heilige Monstranz angebetet. Hinter dem als heilig angesehenen Objekt verbirgt sich jedoch die desillusionierende Tatsache, dass die duale Ausbildung auf 43 Prozent der jährlichen Neuzugänge zur beruflichen Bildung zurückgefallen ist [PDF – 160 KB]. Gleichzeitig ist das Übergangssystem, in dem Jugendliche keine qualifizierte Berufsausbildung, sondern unterschiedliche Maßnahmen der Berufsvorbereitung vermittelt bekommen, auf 40 Prozent der jeweiligen Neuzugänge angewachsen ist. Das Schulberufssystem nimmt 17 Prozent auf.

Wer angesichts einer solchen Entwicklung noch das Hohelied auf die duale Berufsausbildung singt und das gar noch als international beispielhaft bejubelt, betet einen Fetisch an.
Hinzukommt, dass aufgrund der abschreckenden Wirkung der Studiengebühren zunehmend mehr Abiturienten Haupt- und Realschülern die Ausbildungsplätze wegschnappen und wenn die Entwicklung so weiter geht, werden es in kurzer Zeit die Bachelor-Absolventen sein, die sich um eine berufliche Ausbildung bewerben werden.
Nach den OECD-Indikatoren, Bildung auf einen Blick 2007 [PDF – 344 KB] stieg in den meisten OECD-Ländern in den letzten Jahren die Zahl der Hochschulabsolventen an. In Deutschland und Österreich liegen die Abschlussquoten pro Altersjahrgang jedoch nur bei 20 Prozent und damit weit unter dem OECD-Mittel von 36 Prozent.

Schon beim Zugang zur Hochschulbildung mit 36,6 Prozent eines Altersjahrgans steht Deutschland im internationalen Vergleich hinten an.

Was noch viel dramatischer ist: Seit etwa zwanzig Jahren ist die Quote der Nachwuchskräfte mit einem Hochschulabschluss in Deutschland kaum angestiegen.

An dieser Tatsache kann man sich auch nicht vorbeimogeln, indem man darauf verweist, dass das Niveau der Hochschulabschlüsse international nicht ohne weiteres vergleichbar ist oder dass einige der berufsqualifizierenden Abschlüsse unserer dualen Berufsausbildung in anderen Ländern häufig von Hochschuleinrichtungen vergeben würden.

Solche Relativierungen dürfen nicht davon ablenken, dass 20 % der Universitäts- und Fachhochschulabsolventen angesichts zurückgehender Jahrgangsstärken schon in absehbarer Zeit nicht einmal mehr ausreichen, um die aus dem Berufsleben ausscheidenden Akademiker zu ersetzen und das – wie wir heute schon spüren – vor allem in den naturwissenschaftlichen und technischen Berufen, die für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen unerlässlich sind.

Deutschland holt bei der Qualifikation im tertiären Bildungsbereich nicht etwa auf, sondern wir sind zurückgefallen.

Dieser Befund ist umso bedrohlicher als alle Prognosen übereinstimmend, wie etwa der Bericht der Bund-Länder Kommission für Bildungsplanung unter dem Titel „Zukunft von Bildung und Arbeit“ voraussagen, dass der gesellschaftliche Bedarf an Hochschulabsolventen deutlich ansteigen wird.

Der Verweis Nida-Rümelins dass bei Architekten, Juristen, Kommunikationswissenschaftlern und Germanisten die Studierendenzahlen zu hoch seien und Mangel vor allem bei den Ingenieurwissenschaften bestünde, so dass eine pauschale Anhebung der Akademiker-Quote in Deutschland weder bildungspolitisch noch volkswirtschaftlich Sinn mache, mag auf den ersten Blick einleuchten, er ist jedoch nicht zielführend.

Alle bisherigen Prognosen über den Bedarf an fächerspezifischen Akademikerquoten, haben sich bisher als Fehlprognosen erwiesen. Noch nicht einmal auf dem relativ geregelten Arbeitsmarkt der Lehrerberufe ist es gelungen, einigermaßen zutreffende Bedarfsprognosen zu erstellen. Noch um die Jahrtausendwende gab es z.B. Bestrebungen die Ausbildungskapazitäten für Mediziner um ein Viertel zu kappen, heute zeichnet sich ein Ärztemangel ab. Noch Ende der neunziger Jahre hat eine regierungsamtliche Kommission in Baden-Württemberg den Abbau der Studienkapazitäten im Fach Informatik um 10 bis 15 % vorgeschlagen, kurze Zeit später wurde ein dramatischer Mangel an Informatikern beklagt und, um diesen Mangel zu beheben, sogar die Green-Card für ausländische Informatiker eingeführt.

Im Ergebnis beutet Nida-Rümelins Vorschlag nichts anderes, als den Bildungsnotstand im Hochschulbereich durch den Bildungsnotstand im Bereich der beruflichen Ausbildung austreiben zu wollen.

Dem Philosophen and der Elite-Universität München möchte man zurufen: Si tacuisses, philosophus mansisses, will heißen: Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben.


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