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Titel: Agenda 2018 – der SPIEGEL nippt vom Gift, das er selbst jahrelang verspritzt hat
Datum: 2. Dezember 2015 um 13:06 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Medien und Medienanalyse
Verantwortlich: Jens Berger
Dass die goldenen Zeiten beim SPIEGEL schon längst vorbei sind, ist in Branchenkreisen kein Geheimnis. Die Auflage des Print-SPIEGEL ist seit Jahren ebenso kontinuierlich rückläufig, wie dessen Anzeigeneinnahmen. SPIEGEL Online ist zwar – rein quantitativ – ein Erfolgsmodell, kann jedoch auch nicht genügend Geld verdienen, um die Rückgänge der Print-Ausgabe zu decken. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau. Auch im „Krisenjahr“ 2014 konnte die SPIEGEL-Gruppe eine Umsatzrendite von fast 10% erzielen. Für andere Medienunternehmen wäre dies eine Erfolgsmeldung. Nicht so für den elitären SPIEGEL. Dort hat man – kein Witz – offiziell die „Agenda 2018“ ausgerufen und will in den klassischen Bereichen jede fünfte Stelle, also insgesamt 150 Vollzeitstellen, streichen. Der SPIEGEL beherzigt also „endlich“ selbst, was er jahrelang der Gesellschaft vorgepredigt hat – den Gürtel enger schnallen und sicher geglaubte Besitzstände aufzugeben. Doch das ist nur die halbe Story, denn der SPIEGEL ist ebenfalls ein Abbild der Gesellschaft und Mitarbeiter ist nicht gleich Mitarbeiter. So steht zu befürchten, dass auch beim SPIEGEL nicht die „großkopferten“ Elite-Journalisten, sondern die ohnehin schon benachteiligten Mitarbeiter zweiter Klasse vor die Tür gesetzt werden. Von Jens Berger.
Um das Phänomen SPIEGEL zu begreifen, ist es unerlässlich, sich die in der Medienbranche wohl einmaligen Besitzverhältnisse des SPIEGEL vor Augen zu halten. SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein hatte 1974 die Hälfte des Unternehmens an seine Mitarbeiter abgegeben. Seitdem hält die Spiegel Mitarbeiter KG als nicht ganz so stiller Teilhaber des Verlags 50,5% der Anteile und hat bei allen wichtigen Entscheidungen ein Mitspracherecht. Dieses Konstrukt sorgt auch dafür, dass die rund 740 Mitarbeiter, die Mitglied der KG sind, auch zur Hälfte am Gewinn beteiligt sind. In guten Jahren betrug die Gewinnbeteiligung rund 25.000 Euro pro Jahr und diese üppige Prämie war nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen eines Vergütungs- und Privilegienmodells, das nicht nur in der Verlagsbranche einmalig ist. Die Anekdoten reichen dabei vom Porsche in der Tiefgarage bis zur Anzeige am Schwarzen Brett in den Verlagsräumen, in der SPIEGEL-Mitarbeiter ihre 13-Meter-Yachten zum Verkauf anboten, da sie für sich selbst ein schöneres Modell gefunden hatten.
Doch diese „standesgemäß“ bezahlten Edelfedern sind selbst beim SPIEGEL nur die Oberklasse. Mit den Jahren wurden neuen Mitarbeitern peu à peu Privilegien vorenthalten – so gab es beispielsweise eine regelrechte Palastrevolution, als die Konzernspitze bei Neueinstellungen das 14te (!) Monatsgehalt zu Disposition stellte. Beim SPIEGEL griff so langsam ein Effekt, den man psychologisch durchaus nachvollziehen kann: Da üppige Gehälter der „Neuen“ den Gewinnanteil der „Alten“ schmälern, sahen sich die „Alten“ mehr und mehr als Unternehmer und nicht als Kollegen und weigerten sich, ihre eigenen Privilegien auch an die „Neuen“ weiterzugeben. So mancher neoliberale Einpeitscherartikel des SPIEGEL wäre ohne dieses Elitenverständnis von Teilen der Redaktion wohl so auch nie geschrieben worden. Das Sein bestimmt bekanntlich das Bewusstsein und die „Solitäre“, die sich nicht nur ihrer eigenen Großartigkeit bewusst waren, sondern auch die ihnen dafür zustehende Apanage aktiv einfordern, schauten seitdem auf den lumpigen Rest der Gesellschaft – und erst Recht der Branche – hinab.
Die ersten hausinternen „Opfer“ waren die Mitarbeiter von SPIEGEL Online. Anders als die Kollegen vom Print-Magazin, der Verwaltung, dem Verlag und dem Archiv können die Onliner nämlich nicht Anteile der Mitarbeiter KG erwerben, verdienen deutlich weniger Geld und haben auch ansonsten weniger Privilegien … was angesichts der journalistischen Qualität von SPIEGEL Online allerdings auch nicht eben ungerechtfertigt ist.
Nun will der SPIEGEL also 150 Mitarbeiter vor die Tür setzen, so dass die Gewinnbeteiligungen der privilegierten Mitarbeiter auch langfristig üppig ausfallen. Dass es dabei die großkopferten Privilegienträger selbst trifft, ist jedoch auszuschließen. Freiwillig werden sie den SPIEGEL sicher nicht verlassen und Abfindungen oder Vorruhestandsregelungen für tariflich bestens abgesicherte Großverdiener sind bekanntlich unbezahlbar. Nun dürfen Sie dreimal raten, welche SPIEGEL-Mitarbeiter vor die Tür gesetzt werden.
Die Opfer der Agenda 2018 sind also durchaus vergleichbar mit den Opfern der namensgebenden Agenda der großen Politik. Um die Pfründe und die Renditen der Oberklasse zu sichern, muss der Rest den Gürtel enger schnallen. Hoffen wir doch ganz einfach, dass dies auch von den unterprivilegierten Kollegen aus dem Hause SPIEGEL so gesehen wird und diese Botschaft sich auch in den Artikeln durchsetzt. Ja, ich weiß, wahrscheinlich ist das nicht. Dass das Blatt, das nur noch durch eine Melange aus zackiger Deutschtümelei, denkfaulem Papageienjournalismus, eitler Geckenhaftigkeit und gnadenlosen Opportunismus auffällt, jemals wieder zu einem „echten“ Nachrichtenmagazin wird, ist eigentlich auszuschließen … aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
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