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Titel: Nokia – Mehr Mitbestimmungsrechte im Fall von Verlagerungen

Datum: 23. Januar 2008 um 16:28 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Gewerkschaften, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Wir haben in den heutigen Hinweisen Ziffer 1 einen Beitrag übernommen, ohne ihn aus unserer Sicht zu kommentieren. Dazu zunächst einige Anmerkungen und anschließend dokumentieren wir die Rede des IG-Metall Vorsitzenden Berthold Huber auf der Nokia-Protestkundgebung am 22. Januar 2007 in Bochum, der wir uns weitgehend anschließen können. Wolfgang Lieb

Der Autor des Beitrags, auf den wir hingewiesen haben, Michael Schöfer nimmt für sich in Anspruch die Nokia-Werkschließung „differenziert“ zu betrachten. Das tut er leider nicht. Neben einigem Richtigen ist viel falsch.

  • Er unterstellt zunächst, im Bochumer Werk gehe es um „einfache manuelle Tätigkeiten“ für die es in einer „führenden Handelsnation“ keine Zukunft gebe. Das ist falsch: In Bochum geht es keineswegs um nur um einfache und unqualifizierte Handarbeit. In Bochum ist auch die Forschung und Entwicklung angesiedelt mit hochqualifizierten Technikern und Ingenieuren. Auch das soll „plattgemacht“ werden.
  • Der Beitrag folgt eindimensional einer betriebswirtschaftlichen Logik, wie sie offenbar auch die Nokia-Chefs zur Begründung für die Werksschließung heranziehen. Die volkswirtschaftlichen Kosten werden dabei völlig ausgeblendet. Das beginnt schon damit, dass die sozialen Kosten für die zu Entlassenden (Arbeitslosengeld etc.) nicht berücksichtigt werden.
  • Wer wie ein Betriebswirt nur auf die Arbeitskosten schielt, verkennt dass Handys eben keine Handys kaufen. Arbeitnehmer sind auf dem Arbeitsmarkt eben keine Kartoffeln, die man isst und dann sind sie weg. Arbeit hat einen Doppelcharakter, ihr Preis – der Lohn – schafft auch zahlkräftige Nachfrage nach Handys.
  • Wer nur auf die Vorgabe einer Renditesteigerung von 17 auf die von Nokia angestrebten 20 Prozent schielt, betrachtet nur selektiv den durch eine Verlagerung in ein Billiglohnland (möglicherweise) gegenüber den konkurrierenden Handyproduzenten erzielbaren vorübergehenden „Monopolgewinn“ des einzelnen Unternehmens, er lädt jedoch die Kosten dieser Gewinne voll auf die betroffenen Arbeitnehmer und die Volkswirtschaft ab, der man den Rücken zukehrt. Ja noch mehr, wenn Kosten etwa durch Abfindungszahlungen anfallen sollten (was das Mindeste wäre), dann können diese sogar nach dem deutschen Steuerrecht sogar noch als Betriebsabgaben steuermindernd abgesetzt werden. (Diesen Irrsinn kann man zugegebenermaßen allerdings nicht Nokia, sondern man muss ihn der deutschen Steuergesetzgebung anlasten.)
  • Bei einem Lohnkostenanteil der Handyproduktion von unter 5 % dürften die Lohnkosten alleine mit Sicherheit nicht der entscheidende Grund für die Verlagerung gewesen sein, es müssen andere Kostenfaktoren dahinter stehen, die zumindest auch nur durch Subventionen im Ansiedlungsland niedriger liegen dürften. In einem EU-Land wie Rumänien können solche Zuschüsse sei es unmittelbar oder mittelbar letztlich auch nur aus den Subventionen erfolgen, die die Europäische Union an dieses Land transferiert. Und diese EU-Subventionen werden wiederum zu einem Löwenanteil von der Gemeinschaft deutscher Steuerzahler erbracht. Es ist deswegen wenig differenziert zu behaupten: „Was wir mit dem Nokia-Werk an Rumänien verlieren, wird nämlich andernorts aufgewogen.“
  • Die Subventionen in Höhe von 80 Millionen die der deutsche Steuerzahler für die Ansiedlung des Nokia-Werkes in Bochum dem Unternehmen haben zukommen lassen, beweisen, dass es eine un-„differenzierte Betrachtung“ ist, wenn man nicht mehr differenziert, wie es überhaupt zu betriebswirtschaftlichen Gewinnen von Nokia gekommen ist. (Über die Nachlässigkeit bei der Überprüfung, ob die Subventionsbedingen überhaupt eingehalten worden sind, wollen wir gar nicht erst reden.)
  • Die Argumentation Schöfers berücksichtigt ferner nicht, dass das unternehmerische Kalkül der Logik des Wettbewerbs durch staatliche Subventionen und des gegenseitigen Lohn- und Steuersenkungswettlaufs folgt – und das noch innerhalb der Europäischen Union. Das kann jedenfalls kein „linkes“ Modell einer Globalisierung sein.

Soviel als kurze Anmerkungen und nun die Rede des IG Metall Vorsitzenden:


Berthold Huber
Erster Vorsitzender der IG Metall

Nokia-Protestkundgebung

Bochum, 22. Januar 2008

Sperrfrist Redebeginn
Es gilt das gesprochene Wort!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Vor einer Woche hat Nokia ohne vorher mit den Arbeitnehmern zu sprechen oder sie zu informieren die Schließung des Werkes hier in Bochum verkündet.

Ich klage an einen Weltkonzern, der aus Profitsucht die Existenz tausender Beschäftigter und ihrer Familien vernichtet. Ich klage an einen Weltkonzern, der in einer ganzen Region verbrannte Erde hinterlässt. Ich klage an einen Weltkonzern, der auch die Existenz der Beschäftigten bei Zulieferern, bei Einzelhändlern und Handwerkern zerstört, weil er die Rendite ins Unermessliche steigern will.

Für ein solch schändliches, menschenverachtendes Vergehen gibt es keinen Freispruch!

Klammheimlich wurde die Schließung vorbereitet. Klammheimlich wurde ein neues Werk im Ausland aufgebaut. Hier will der Konzern von Niedriglöhnen und Niedrigsteuern profitieren.

Nokia hat den Bochumer Beschäftigten nicht die Pistole auf die Brust gesetzt – der Konzernvorstand hat gleich geschossen. Das ist Wild-West-Kapitalismus. Das haben wir in Deutschland so noch nicht erlebt. Das hat die Beschäftigten, die Politik, die Öffentlichkeit schockiert. Ich kann den Verantwortlichen nur sagen: Wenn sie noch einen Funken Anstand haben, dann nehmen sie ihre Entscheidung zurück!

Der Nokia-Konzern will den Standort dicht machen. Nicht weil er Verluste hat, sondern weil Managern der Milliardenprofit nicht ausreicht. Alle fünf Jahre will der Konzern das Vermögen seiner Anleger verdoppeln. Aber 20 Prozent Rendite pro Jahr sind aberwitzig. Das untergräbt das wirtschaftliche Fundament, das untergräbt das soziale Gefüge jeder Gesellschaft! Das untergräbt letztendlich die Demokratie.

Zu niedrigsten Löhnen und niedrigsten Steuern im Osten produzieren, aber zu höchsten Preisen und höchsten Gewinnmargen im Westen verkaufen, dieses Konzept geht auf Dauer nicht auf. Das ist Wirtschaft aus dem Irrenhaus.

Das mag ein paar Jahre gut gehen. Dann folgt der Absturz auf den Boden der Wirklichkeit. Konzerne, die Löhne senken und massenhaft Arbeitsplätze vernichten, die vernichten Massenkaufkraft und Absatzmärkte. Diese Konzerne sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen.

Kolleginnen und Kollegen,

Ihr kennt alle die Zahlen. Aber weil der Konzern in Presseerklärungen behauptet, der Standort Bochum sei nicht wettbewerbsfähig, will ich noch einmal einige Daten nennen. Politik und Öffentlichkeit sollten genau hinhören.

Der Lohnkostenanteil in Bochum liegt unter fünf Prozent. In Deutschland hat Nokia liquide Mittel von über zwei Milliarden Euro. Allein im dritten Quartal 2007 machte der Konzern im Handy-Geschäft einen Satz von 78 Prozent auf fast 1,4 Milliarden Euro Betriebsgewinn. Der gesamte Nettoprofit des Konzerns stieg sogar um 85 Prozent auf fast 1,6 Milliarden Euro.

Ich wiederhole: Ein Profitsprung von 85 Prozent! Damit kein Missverständnis entsteht. Das war nur das dritte Quartal 2007.

Übermorgen wird der Konzern den Aktionären das Jahresergebnis für 2007 verkünden. Wir werden genau hinhören.

Und ich hoffe, dass den Herren die Worte im Hals stecken bleiben, wenn sie der versammelten Wirtschaftspresse stolz die Profitsteigerung verkünden. Ich hoffe, dass ihnen die Schamesröte ins Gesicht steigt, wenn sie wieder behaupten, Bochum werde geschlossen, weil der Standort nicht wettbewerbsfähig sei.

Kolleginnen und Kollegen,

Existenzen vernichten – das ist das Eine. Die Menschen dann auch noch zu verhöhnen und die Öffentlichkeit zu belügen – das ist das Andere. Nicht wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit soll Bochum plattgemacht werden. Nein: Nur wegen ihrer ungezügelten Gier nach Höchstprofit wollen sie den Standort schließen und tausende Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben.

Diese skrupellose Geschäftspolitik kann niemand hinnehmen. Das übersteigt die Grenze alles Zumutbaren.

Deshalb werden sich die Beschäftigten gemeinsam mit ihrer IG Metall wehren. Deshalb wird sich eine Region wehren! Wir werden Nokia nicht aus der Verantwortung für die Menschen und die Region entlassen. Ich versichere Euch: Die ganze IG Metall steht im Kampf um Eure Existenz an Eurer Seite.

Kolleginnen und Kollegen,

hinter verschlossenen Türen, ohne Verhandlungen mit den Belegschaftsvertretern, ohne die Suche nach Alternativen hat die Führungsspitze eines Weltkonzerns über Nacht den Daumen über die Zukunft tausender von Menschen gesenkt. Ohne die Bereitschaft, die eigene Entscheidung zu hinterfragen.

Da stellt sich jedem die Frage, wo leben wir eigentlich?

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat. Im Grundgesetz steht nicht: Eigentum verpflichtet zu Riesenprofit für Großanleger. Dort steht, Eigentum soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen.

Auch ein Weltkonzern wie Nokia steht nicht außerhalb der Gesetze einer zivilisierten Gesellschaft. Erst recht dann nicht, wenn er sich von dieser Gesellschaft seine Investitionen mit Millionensubventionen finanzieren lässt.

Wer 88 Millionen Euro an öffentlichen Geldern kassiert hat, kann sich nicht wie ein Dieb über Nacht davonstehlen. Der kann sich nicht seiner Verantwortung für die Menschen und die Region entziehen. Der darf nicht verbrannte Erde hinterlassen!

Wir wollen den Erhalt der Arbeitsplätze. Ich fordere den Nokia-Konzernvorstand auf, ein Konzept vorzulegen, das den Beschäftigten und der Region eine Zukunft gibt. Wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze, Wir wollen eine Perspektive.

An die Herren vom Vorstand sage ich deutlich: Wir kommen nicht als Bittsteller. Die Beschäftigten in Bochum haben in Jahren harter Arbeit die Gewinne des Konzerns miterwirtschaftet. Sie haben ein Recht auf Zukunft.

Ich fordere den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Konzernchef auf: Verstecken Sie sich nicht. Stellen sie sich der Belegschaft. Stehen sie auf einer Betriebsversammlung Rede und Antwort, warum sie tausende Arbeitsplätze und Existenzen vernichten wollen. Stehen sie Rede und Antwort, warum ihre Profitgier so maßlos ist.

Bei BenQ haben wir erlebt, was es heißt, wenn Tausende Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Wir kennen die verheerenden Folgen, wenn Familien mit Kindern der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn Existenzen und Lebenspläne zerstört werden. Das wollen wir nicht noch einmal erleben!

Wir suchen nicht den Kampf um des Kampfes willen. Die Beschäftigten wollen Arbeit und eine sichere Existenz. Wir werden aber kämpfen, wenn sich der Konzern seiner Verantwortung entzieht, wenn er sich wie ein Dieb wegschleichen will. Wir werden kämpfen, wenn dem Konzernvorstand die Profitinteressen der Aktionäre wichtiger sind als die Zukunft der Beschäftigten und einer ganzen Region!

Ich kann dem Konzernvorstand nur raten: Nehmen sie ihre Pläne zurück. Ihre Schließungspläne sind eine Kampfansage an die Menschen in unserem Land und an die gesamte IG Metall. Wenn dieses Beispiel in Deutschland Schule macht, dann werden wir unser Land nicht wiedererkennen.

Wenn sie die Beschäftigten zwingen, dann werden sie kämpfen, dann werden wir kämpfen! Und dem Management von Nokia muss klar sein: Eine derartige Auseinandersetzung wird die Marke Nokia nicht ungeschoren lassen. Merken sie sich das, meine Herren in Helsinki. Und ich sage ihnen: Zwingen sie uns nicht zum Schritt eines Boykottaufrufs der Marke Nokia.

Auch Politiker und Parteien sind empört und erklären ihre Solidarität mit der Belegschaft. Dafür danken wir.

Aber mein dringender Appell an die Politiker in Düsseldorf und Berlin ist: Redet nicht nur. Handelt endlich! Wir wollen keine Beileidsbekundungen und Trauerkränze. Die Politik kann helfen, die Dinge zum Besseren zu wenden – wenn sie es denn will.

In kaum einem anderen Land ist es so einfach wie in Deutschland, Standorte zu schließen. Das Prinzip ist dabei immer das gleiche: Gewinne werden privatisiert, die Kosten der Arbeitslosigkeit auf die Allgemeinheit abgewälzt.

Wir brauchen Hürden, die es schwerer machen, Produktion zu verlagern. Arbeitsplätze zu vernichten muss teurer werden, damit es sich weniger auszahlt. Presseerklärungen tun keinem Großaktionär weh. Aber am Geldbeutel kann man sie packen.

Deshalb brauchen wir ein Gesetz, das dafür sorgt, dass Unternehmen die sozialen Folgekosten von Verlagerungen mittragen müssen. Es ist ein Skandal, dass Arbeitsplatzvernichtung noch immer als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt werden kann. Damit muss Schluss sein!

Und wir brauchen mehr Mitbestimmungsrechte, um Verlagerungen zu erschweren. Der Fall Nokia zeigt, wie wichtig zum Beispiel Regelungen nach dem VW-Gesetz sind. Bei dem Autokonzern ist eine Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat für Verlagerungen notwendig. Solche Regelungen sollten in allen Unternehmen gelten. Dann können die Belegschaftsvertreter bei Verlagerungen nicht einfach überfahren werden.

Meine Aufforderung und mein dringender Appell an die Politik ist: Wenn ihr das nächste Mal vor Belegschaften tretet, deren Arbeitsplätze durch Verlagerung bedroht sind, dann drückt bitte nicht nur Euer Mitgefühl aus.

Dann sagt den Belegschaften: Wir haben ein Gesetz verabschiedet, das dafür sorgt, dass Arbeitsplatzvernichtung die Täter teuer zu stehen kommt.

Wer aus Profitsucht die Existenz von Menschen zerstört, ihnen ihre Hoffnung und Würde nimmt, der hat kein Recht auf Freispruch!

Kolleginnen und Kollegen,

Wir sind bereit, zu verhandeln. Aber wir sind auch bereit, zu handeln. Es gibt nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen: Arbeitsplätze und eine Zukunft für die Beschäftigten, für ihre Familien und für eine ganze Region. Dafür stehen wir hier und dafür kämpfen wir.

„Gemeinsam sind auch die Schwachen mächtig!“


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