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Titel: Es ist höchste Zeit die gesetzliche Rente wieder armutsfest zu machen

Datum: 16. Januar 2008 um 14:30 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Rente, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente
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Trotz aller amtlichen Versuche, die bitteren Realitäten für Millionen zukünftiger Rentner in diesem Lande zu kaschieren, lassen sich die Fakten nicht mehr unter der Decke halten: “ Armut im Alter“ ist eine reale Bedrohung des Lebensstandards für viele Arbeitnehmer im mittleren Lebensalter. Das gilt nicht mehr alleine für die Gering-Verdiener und Langzeitarbeitslosen, sondern auch für die so genannte Mitte unserer Gesellschaft. Besonders hart betroffen sind die Menschen in den neuen Bundesländern. Ein Beitrag von Ursula Engelen-Kefer.

An Stelle nach den Ursachen hierfür und deren Bekämpfung zu fragen, wird lediglich an den Symptomen kuriert und das Hohelied der Riesterrente gesungen. Dabei dürften doch alle Kundigen wissen, dass es sich bei der Altersgruppe, um die es hier geht- die über 45-bis 50Jährigen – kaum rechnet, eine Riesterrente anzusparen. Bezeichnend ist, dass dies weder bei der übermächtigen öffentlichen Propaganda noch der Einzelberatung deutlich gemacht wird. Und genau diese Altersgruppe ist nach der jüngsten AVID Untersuchung der Deutschen Rentenversicherung Bund in Zukunft am meisten von Altersarmut bedroht.

Die Sozialverbände fordern nun, die angesparte Riesterrente bei der Grundsicherung nicht anzurechnen, wenn die gesetzliche Rente zur Lebensexistenz nicht ausreicht. Sie weisen darauf hin, dass alle, die jetzt „Verrat“ am Ordnungsprinzip schreien, da die Grundsicherung nur im Falle der äußersten Bedürftigkeit gezahlt werden kann, die Lebensrealität vieler Menschen nicht zur Kenntnis nähmen. Nach eineinhalb Jahrzehnten hoher und verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit, einer dramatischen Zunahme gering entlohnter und prekärer Beschäftigung würden immer mehr Menschen in den nächsten beiden Jahrzehnte nur noch Armutsrenten erhalten. Dies trifft vor allem für Arbeitnehmer in den Neuen Bundesländern zu. Darauf hat erst kürzlich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer viel beachteten Untersuchung hingewiesen.

Die Aussetzung der Anrechnung angesparter Riesterrenten würde jedoch vor allem die Kommunen in den Neuen Bundesländern mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit und niedrigem Lohnniveau finanziell belasten, da sie für die Grundsicherung bei den Renten aufkommen müssen. Ihre finanzielle Spielräume tendieren bereits heut gegen Null und sie würden bei den schon minimalen Möglichkeiten zur Schaffung von Beschäftigung für Langzeitarbeitslose weiter eingeengt. Die berufliche Integration gerade auch der älteren Langzeitarbeitslosen ist aber eine wesentliche Voraussetzung zur Bekämpfung der Ursachen für die steigende Altersarmut.

Wenn nicht jetzt – wann denn sonst – ist es höchste Zeit und wäre es der richtige Weg, die gesetzliche Rentenversicherung wieder armutsfest zu machen. Die stereotype Gegenposition, dies sei nicht zu finanzieren und würde zu unvertretbaren Beitragssatzsteigerungen führen, ist nicht stichhaltig.

  • So müssen Arbeitnehmer 4 Prozent für die Riesterrente von ihrem Bruttoeinkommen alleine aufbringen, um die öffentliche Förderung zu erhalten. (Und das ist mehr als eine möglicherweise notwendige Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, WL.) Entlastet werden die Arbeitgeber, die für die gesetzliche Rente die hälftigen Beiträge aufzubringen haben.
  • Die mit staatlicher Förderung ausgestattete Riesterrente -12,5 Mrd. Euro 2007- wird vor allem von den Besseverdienenden in Anspruch genommen. Die erklärte Zielsetzung, zusätzliche Renteneinkommen für die Geringverdiener und Minirentner zu ermöglichen, ist nicht erreicht worden. Auszugehen ist vielmehr von erheblichen Mitnahmeeffekten.
  • Wenn diese (zumindest teilweise) nicht zielgerichtet eingesetzte steuerliche Förderung und dazu noch die enormen steuerlichen Mittel für die öffentliche Werbekampagne für die Riester-Rente stattdessen für die gesetzliche Rentenversicherung eingesetzt würden, könnten die Beiträge um mindestes 1 Prozent entlastet werden. Ein Beitragspunkt macht etwa 7 Milliarden Euro aus.
  • Wenn zusätzlich die gesetzlich geschaffenen Lücken bei den Beiträgen für die gesetzliche Rentenversicherung – die Fortführung der Beitragsfreiheit bei der Entgeltumwandlung für die betriebliche Altersversorgung, die vom Gesetzgeber herbeigeführte übermäßige Ausweitung bei den 4oo-Euro Tätigkeiten, die Verringerung der Beiträge für die ALG II Empfänger oder etwa die Kosten für die Hinterbliebenenrente – durch steuerliche Zuschüsse geschlossen würden, könnten die Beiträge noch einmal um mindestens ein halbes Prozent entlastet werden.
  • Wenn darüber hinaus endlich die Weiterentwicklung zu einer Erwerbstätigenversicherung in Angriff genommen würde – in einem ersten Schritt unter Einbeziehung der Selbständigen ohne eigene ausreichende Altersversorgung – könnte die Beitragsbelastung für den einzelnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wiederum um mindestens ein halbes Prozent weiter verringert werden.

Es gibt mithin genügend finanzielle Spielräume, die gesetzliche Rentenversicherung wieder armutsfest zu machen – Aussetzen der Rente mit 67 ab 2012, Korrektur der ungerechtfertigten Verschlechterung von Rentenformel und Rentenniveau, Verbesserung des Zugangs zur abschlagsfreien Erwerbsminderungsrente.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich die ökonomische und soziale Vernunft durchsetzt und nicht noch weiter unter die Räder des Lobbyismus der privaten Versicherungswirtschaft gerät.

Dr. Ursula Engelen-Kefer ist
• ehem. Stellvertretende Vorsitzende des DGB
• Mitglied im Parteivorstand der SPD
• Mitglied in der Arbeitsgruppe Sozialpolitik des Sozialverbandes

Anmerkung Wolfgang Lieb: Wenn – wie das die Sozialverbände oder auch der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Bert Rürup, fordern – die Riester-Rente von der Anrechnung auf die Grundsicherung freigestellt würde, würde diese gegenüber anderen Einkommen der betroffenen Rentner bevorzugt.

Das wäre dann nicht nur ein „ordnungspolitisches Fehlverständnis“ (Riester), sondern dieser Weg, Riester-Sparer besser zu stellen, wäre eine (verfassungsrechtlich bedenkliche) weitere Subventionierung durch den Fiskus und eine Privilegierung dieser Form der privaten Vorsorge (auch gegenüber anderem Vermögen, also etwa dem Besitz einer Wohnung, sonstigen Ersparnissen etc.).

Damit würde man die Menschen erst recht dazu drängen, ja geradezu zwingen, jegliche Vorsorge auf die Riester-Rente zu konzentrieren.

Das wäre natürlich ganz im Sinne der Versicherungswirtschaft und ihrer Protagonisten, wie der Herren Riester und Rürup, die wesentlich dazu beigetragen haben, die gesetzliche Rente zu ruinieren, um damit die privaten Rentenmodelle durchzusetzen.

Das wäre dann eher der Weg in die Vollprivatisierung der Rente mit all ihren Risiken, statt dass die gesetzliche Rente wieder armutsfest gemacht würde.


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