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Titel: Widersprüchliches beim ZDF oder: Terror mit Theveßen
Datum: 24. November 2015 um 9:23 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Medienkritik, Terrorismus
Verantwortlich: Jens Berger
Auch nach den emotional aufwühlenden Terrorakten von Paris, gilt es in Sachen Medienkritik einen kühlen Kopf zu bewahren, denn unsere Medien verraten ihre eigenen Fehlleistungen meistens selbst – auch und gerade in Sachen Terrorexpertise. Am Beispiel der ZDF-Berichterstattung in Folge der Anschläge in Paris, die das SITE-Institut als Quelle für das viel zitierte Bekennerschreiben, nicht problematisiert, erläutert unsere Kolumnistin Sabine Schiffer die Versäumnisse des öffentlich-rechtlichen Senders, der auch mit dem zweiten Auge nicht für mehr Klarheit sorgt.
Die Reflexe nach dem schrecklichen Blutbad in Paris haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Jeder hat sein vorhersehbares Statement abgegeben. Nach dem Floskelsprech aller berufener Akteure, folgen nun die Gesetzesänderungen mitsamt der geplanten Militarisierung im Innen und Außen – die Fernsehbilder seither könnten auch aus dem Israel-Palästina-Konflikt stammen. Sie waren zum Verwechseln ähnlich.
Seine Rolle spielt auch „Terrorexperte“ Theveßen, unter welcher Bezeichnung er im ZDF firmiert. Elmar Theveßen ist der ZDF-Nachrichtenchef, zeichnet also verantwortlich für die Nachrichtenformate des Zweiten, und lässt sich in seiner eigenen Sendung stets als “Terrorexperte” interviewen. Wenn ich nichts übersehen habe in den heute-Sendungen, die den Anschlägen von Paris folgten, dann spielt er seine Rolle ohne Versprecher. (siehe ZDF-Mediathek, heute 19 Uhr vom 14.11. oder vom 15.11.2015…)
Er präsentiert das angebliche Bekennerschreiben eines sogenannten „Islamischen Staates“ (Daesh) und bestätigt damit die falsch verstandenen Motive für das Morden in Paris. Das vermeintlich authentische Schreiben erfüllt die Ewartungen, so als ginge es wirklich um einen Angriff auf unseren Lebensstil. Diese Deutung ist natürlich nur möglich, wenn man die Ereignisse selektiv wahrnimmt und nicht den Terror in Kabul, Damaskus, Bagdad und Tripolis in die Betrachtungen mit einbezieht. Denn es ist der gleiche Terror.
Die Rhetorik stilisierter Erklärungen ist das eine, Realität und Faktenprüfung das andere – eine differenzierte Analyse unterlässt Theveßen aber ebenso, wie die Einordnung der Quelle dieses Schreibens. Dabei ist das in den heute-Sendungen verlesene Dokument eindeutig mit dem Logo des SITE-Instituts versehen.
Dieses „Institut“ ist schon nachhaltig in Verruf geraten und zwar nicht nur durch die Recherchen von Ekkehard Sieker, sondern auch durch die Recherchen des ZDF – genauer durch die Recherchen von Elmar Theveßen höchstpersönlich.
In frontal 21 vom 13.10.2015 legt Theveßen die Rechercheergebnisse offen. Zunächst interviewt er den „Dschihadist[en] und V-Mann“ Irfan Peci, der als Aussteiger aus der Islamistenszene gilt. Im Gespräch wird klar, dass die sog. Islamische Dschihad-Front GIMF (Global Islamic Media Front) ihre online-Propaganda nicht ohne die Unterstützung des BND hätte verbreiten können. Elmar Theveßen formuliert: „Der Bundesnachrichtendienst hat Pecis Terror-Propaganda erst ermöglicht.“
Der deutsche Auslandsgeheimdienst hatte dazu ein US-Institut beauftragt, SITE, um logistische Unterstützung bei der Betreibung einer solchen Plattform zu leisten. Mit Wissen des BND habe SITE den Server betrieben. Dieser aufgedeckte Skandal, der einer Vierten Gewalt gut zu Gesicht steht, führt auch zu selbstkritischen Fragen Theveßens, denn er muss einräumen, dass auch das ZDF Kunde von SITE sei. Er reist in die USA und findet zunächst nur eine Briefkastenfirma unter der angegebenen Adresse. Erklärung dafür: SITE müsse verdeckt arbeiten, um sich zu schützen. Schießlich bleibt nach den weiteren Recherchen und Ausführungen ein vager Eindruck davon übrig, dass gar nicht auszumachen ist, ob SITE wirklich dschihadistische Propaganda im Internet auf Echtheit prüft oder nicht gar selbst an der Produktion mitbeteiligt ist. Der 8-minütige Beitrag fährt dann fort die Rolle des BND zu skandalisieren. Soweit, so schlecht mit Blick auf die Situation. Soweit, so gut, in Sachen Journalismus.
Die Sendung ist weiterhin in der ZDF-Mediathek abrufbar und dem Experten Theveßen mag man auch kein Kurzzeitgedächtnis unterstellen, das erklären könnte, warum er diese Fakten nicht wenigstens am Rande seiner Berichterstattung über die behauptete Verantwortungsübernahme für die Schreckenstaten in Paris von Daesh erwähnt. Dass das sog. Bekennerschreiben keine exklusiven Informationen erhält, die nicht bereits aus den Medien bekannt waren, ist ja bereits anderen aufgefallen.
Fürs ZDF aber sieht diese Arbeitsleistung in der aktuellen Nachrichtenberichterstattung mit Blick auf seinen Auftrag einer wahrhaftigen Unterrichtung der Bevölkerung im Sinne seines Staatsvertrags nicht so gut aus. Denn man kann hier nicht bei der Fragestellung stehen bleiben, warum die wichtigen Erkenntisse so mancher Magazinsendung von ARD und ZDF wieder einmal nicht die Nachrichtenredaktion im eigenen Hause erreichen, denn hier ist das Nachrichtenformat mit dem Rechercheur der Magazin-Sendung ein und dieselbe Person: Terrorexperte Theveßen.
Sicher kann und muss man oft genug von Versehen, Überlastung oder anderen Ablaufproblemen innerhalb des regional organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgehen mitsamt einer offensichtlich fehlenden Qualitätssicherung – weshalb so manch wichtige Nachricht gar nicht gesendet wird, wie die Initiative Nachrichtenaufklärung bezeugt – jedoch scheint hier ganz offensichtlich ein aktives Verschweigen vorzuliegen. Ich vermute, mit mir würden sich an dieser Stelle noch weitere Beitragszahler für die Beantwortung einer Frage durch Herrn Theveßen interessieren – nämlich: Warum?
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