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Titel: Zwei Mustereuropäer, die Europa nicht braucht
Datum: 13. November 2015 um 13:04 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Europäische Union, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht
Verantwortlich: Jens Berger
EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker versteht sich selbst als Mustereuropäer. Egal ob es um die Krise in Griechenland oder die akut angespannte Flüchtlingssituation geht – Juncker mahnt zur Solidarität und appelliert an die gemeinsamen europäischen Werte. Der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sieht sich ebenfalls als Mustereuropäer. Für ihn ist das Einhalten fiskalischer Regeln ein gesamteuropäisches Glaubensbekenntnis. Ein Europa, das solche Musterexemplare hervorbringt, hat ein ernstes Problem. Sowohl Juncker als auch Dijsselbloem haben in ihrer Zeit als luxemburgischer bzw. niederländischer Finanzminister systematisch EU-Richtlinien verletzt, in dem sie multinationale Konzerne mit krummen Deals in ihre Länder gelockt haben. Diese beiden Mustereuropäer sind somit die Allerletzten, die sich in Sachen Solidarität und Solidität zu Wort melden sollten. Von Jens Berger
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Zum Thema EU-Steueroasen lesen Sie bitte auch die aktuell erschienene Broschüre „Lux Leaks – Von Oasen und Briefkästen“, die von der Linken im Europaparlament herausgegeben wurde.
Wenn Sie schon einmal etwas über den Internetriesen Amazon bestellt haben, ist Ihnen sicher aufgefallen, dass ihre Rechnung nicht von Amazon Deutschland, sondern von Amazon EU S.à r.l. aus Luxemburg ausgestellt wurde. Denn Amazon Europe ist nach eigenem Bekunden ein Luxemburger Unternehmen, das in Deutschland von einer Besteuerung der Unternehmensgewinne de facto befreit ist. Ob und wie viel Steuern Amazon in Luxemburg bezahlt, ist dabei noch nicht einmal den deutschen Steuerbehörden bekannt. Steuerrechtliche Details gelten im grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU offenbar als Staatsgeheimnis. Dabei interessiert es dann auch nicht, dass die EU einen Informationsaustausch über derartige steuerrechtliche Details seit 1977 verbindlich vorschreibt.
Und wenn Sie schon einmal einen Kaffee in einer Starbucks-Filiale getrunken haben, ist automatisch ein gehöriger Teil des von ihnen bezahlen Geldes wie von magischer Hand in die Niederlande transferiert worden. Dort betreibt Starbucks nämlich eine Rösterei, die so hohe interne Preise nimmt, dass das Filialgeschäft kaum zu versteuernde Gewinne erwirtschaftet. Und da die ohnehin schon niedrigen Unternehmenssteuern in den Niederlanden für Starbucks immer noch zu hoch waren, machte man ganz einfach einen Deal mit dem Finanzministerium und drückte seine Steuerlast so auf rekordverdächtig geringe 0,9%. Ist das erlaubt? Nein, natürlich nicht. Seit 1998 hat die EU eine stetige Kontrollgruppe, die sogenannte „Gruppe für den Verhaltenskodex” (Code of Conduct Group) eingerichtet, die genau diese unerlaubten Fällen von Steuerdumping überprüfen und ahnden soll. Passiert ist jedoch nichts.
Maßgeblich verantwortlich für das alltägliche Raubrittertum im europäischen Steuersystem sind die eingangs genannten Mustereuropäer. Im eigenen Land rühmt sich Jean Claude Juncker dafür, dass er mit cleveren Tricks in Zusammenarbeit mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die Creme de la Creme der multinationalen Konzerne nach Luxemburg geholt hat. Klar, für Luxemburg ist diese Steuervermeidungstrategie natürlich Gold wert. Jeder multinationale Konzern, der über seine Luxemburger Briefkastentochter auch nur einen Euro Steuern im Großherzogtum bezahlt, ist genau ein Euro Gewinn für Luxemburg. Ähnlich verhält es sich mit Jeroen Dijsselbloem und den Niederlanden. Als Finanzminister war Dijsselbloem ganz maßgeblich dafür verantwortlich, dass multinationale Konzerne sich vor ihrer Steuerlast in anderen EU-Staaten drücken konnten und stattdessen ein paar Prozent Steuern in den Niederlanden abführten. Dass diese Praxis illegal ist, hat sogar die EU-Kommission bereits festgestellt.
Dass dadurch die europäischen Staaten, in denen die Gewinne eigentlich versteuert werden müssten, massive Steuerverluste hinnehmen, interessiert die Raubritter, die sich als Mustereuropäer aufspielen, jedoch nicht. Warum auch? Indem sie andere Länder schädigen, stärken sie ihre eigenen Länder. Für lokale Politiker wäre ein solches Verhalten zwar nicht eben moralisch schicklich; auf einer rein rationalen Ebene ist es jedoch nicht verwerflich, wenn ein Politiker die Solidarität dem Eigennutz unterordnet. Auch die Popularität deutscher Landesväter und -mütter korreliert erstaunlich häufig mit deren Egoismus.
Juncker und Dijsselbloem sind aber nicht mehr die demokratisch legitimierten Vertreter ihrer Länder, sondern als EU-Kommissionspräsident bzw. Eurogruppenchef verantwortlich für die gesamte EU bzw. für alle Eurostaaten. Und da klafft dann doch eine gewaltige kognitive Lücke. Wie der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgaben unter Berufung auf interne Dokumente der „Gruppe für den Verhaltenskodex” herausgefunden haben will, waren es Juncker und Dijsselbloem höchstpersönlich, die in ihrer aktiven Zeit als nationale Finanzminister aktiv verhindert haben, dass die EU die obskuren Steuerdumping-Modelle der Benelux-Staaten auch nur diskutiert.
Dies allein disqualifiziert sie für ein Amt, in dem sie auch die Bürger vertreten, die sie durch ihre vorherige egoistische Politik massiv geschädigt haben. Mehr noch – die selbsternannten Mustereuropäer haben sich an der europäischen Idee versündigt und jegliche moralische Integrität verloren. Wie kann ein EU-Kommissionspräsident Juncker im Rahmen der Flüchtlingssituation an die Solidarität Europas appellieren, wenn er selbst in seiner aktiven Luxemburger Zeit eben diese Solidarität sträflich hat vermissen lassen? Wie kann ein Eurogruppenchef Dijsselbloem den Menschen in Griechenland eine weitere Kürzungspolitik verordnen, wenn seine Politik auch dazu geführt hat, dass dem griechischen Staat dringend nötige Steuereinnahmen verloren gehen, da Unternehmen niederländische Steuerdumpingmodelle wahrnehmen? Wenn diese beiden Politiker Mustereuropäer sind, dann steht es um Europa wirklich schlecht.
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