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Titel: Der schwarz-gelbe Präsident: „Zur Freiheit gehört Ungleichheit“
Datum: 3. Januar 2008 um 9:26 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Bundespräsident, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Deutschland muss sich für seine Wettbewerbsfähigkeit noch stärker ins Zeug legen. Am Konjunkturhimmel ziehen Wolken auf. Deshalb wünschte ich mir mehr Reformehrgeiz“, sagte Bundespräsident Horst Köhler in einem Gespräch mit der FAZ vom 29.12.07. Köhlers Weltbild ist das einer „Standortkonkurrenz“, da konkurrieren also nicht einzelne Unternehmen auf dem Weltmarkt miteinander, wie z.B. Daimler gegen Peugeot oder General Motors, sondern die „Holding Deutschland“ steht im Wettbewerb mit der „Holding China“ oder dem „Multi USA“. Und gerade so wie der Aufsichtsratsvorsitzende der Firma Deutschland redet der Bundespräsident auch. Er hat vor allem die Interessen der Shareholder dieser Holding im Blick, wenn er das Hauptproblem des „Exportweltmeisters“ Deutschland in seiner Wettbewerbsfähigkeit sieht und nicht etwa in der seit Jahren chronisch stagnierenden Binnennachfrage. Wolfgang Lieb
Die Wolken, die Köhler am Konjunkturhimmel aufziehen sieht, das sind wohl die nachlassende Weltkonjunktur, der Verfall des Dollars und die explodierenden Ölpreise.
Ja, diese externen Entwicklungen könnten den deutschen Export schwächen. Statt nun aber ein Konzept anzubieten, wie die Risiken einer viel zu starken Exportabhängigkeit Deutschlands durch eine Steigerung der Binnennachfrage ausgeglichen werden könnte, gibt es für unseren Bundespräsidenten nur den Weg, die Wettbewerbsfähigkeit der „Deutschland Holding“ gegen die Aufsteiger in Asien und die vorwärts drängenden Schwellenländer zu steigern. Und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit heißt für ihn nicht etwa Steigerung der Produktivität, sondern die Senkung der deutschen Produktionskosten. Diese Art von „Reformehrgeiz“ steckt hinter diesem ziemlich abgestandenen ökonomistischen Weltbild vom „Standortwettbewerb“. Und die Produktionskosten senkt man in einem Konzern bekanntermaßen am einfachsten durch Senkung der Löhne und der „Sozialkosten“ oder der Unternehmenssteuer. Welche Konsequenzen das für die Stakeholder, also für die Arbeitnehmer oder letztlich für das Zusammenleben in Staat und Gesellschaft hat, ist nachrangig.
Wie alle neoliberalen Dogmatiker weigert sich Köhler, eine ehrliche Bilanz über die Auswirkungen der bisherigen „Reformen“ zu ziehen. Wie für alle Agenda-Reformer gilt auch für ihn: wenn die Rezepte nicht wirken, dann bedarf es einer Erhöhung der Reform-Dosis und das „Aushaltenkönnen, bis die Reformen wirken.“
Köhler sieht deshalb schon in der marginalen Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere „offensichtlich“ einen Paradigmenwechsel, der „die Beschäftigungsschwelle des Wachstums wieder“ anhebt. Hinter dieser in ökonomischer Phraseologie verpackten Aussage steckt das Menschenbild, dass man auf die (angeblich faulen und lieber Freizeit statt Arbeit wählenden) Arbeitslosen nur ausreichend existenziellen ökonomischen Druck ausüben müsse, damit sie Arbeit zu jedem angebotenen Preis und unter allen Bedingungen annehmen. Kurz: Alle, die längere Zeit arbeitslos sind, muss man durch massiven Druck zu Arbeit zwingen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. „Vorfahrt für Arbeit“ um jeden Preis!
Köhler ist „offensichtlich“ ein Anhänger der These, wonach die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu einer dauerhaften Verlängerung der Arbeitslosigkeit geführt habe.
Das Gegenteil ist jedoch richtig:
Die Arbeitslosengeldregelung wurde Anfang 1985 erstmals geändert – wer 49 war und arbeitslos wurde, bekam 18 Monate Unterstützung. Von Mitte 1987 an bekamen Jobsuchende über 55 die Unterstützung bis zu maximal 32 Monate. Diese Verlängerung wurde damals durch Arbeitsminister Blüm durchgesetzt, weil von 1980 bis 1985 die Arbeitslosenzahl bedrohlich schnell von knapp 900.000 (3,8 Prozent) l auf über 2,3 Millionen (9,3 Prozent) angestiegen war [PDF – 116 KB]. Voraussetzung und Folge waren also gerade umgekehrt.
Die Arbeitslosigkeit ist dann in den frühen 90er Jahren durch den Einigungsboom eher wieder gefallen und erst durch das unsinnige Abbremsen der Konjunktur durch die dramatische Zinserhöhung der Bundesbank wieder gestiegen.
Der Verlauf der Arbeitslosenstatistik weist viel eher einen eindeutigen Zusammenhang mit dem Konjunkturverlauf auf, was sich zuletzt um die Jahrtausendwende zeigte, wo bei höherem Wirtschaftswachstum die Arbeitslosenquote wieder nach unten ging [PDF – 136 KB].
Eine Korrelation zwischen der Bezugdauer der Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenquote und der Dauer der Arbeitslosigkeit herzustellen ist völlig willkürlich und geradezu abenteuerlich.
Köhler hängt dem schlichten Bild vom Arbeitsmarkt, als einem Kartoffelmarkt an. Motto: Preis (Lohn) runter, Angebot (Arbeit) auf dem Markt (Arbeitsmarkt) geräumt! So das schlichte gedankliche Konstrukt. Dieser „Preismechanismus“ trifft jedoch noch nicht einmal für den „Gütermarkt“ zu, denn auch dieser besteht aus einer riesigen Vielzahl von Märkten mit ganz unterschiedlichen Produkten, vom Brötchen bis zum Rolls Royce. Noch weniger passt dieses gedankliche Konstrukt für den Arbeitsmarkt, wo ja auch ganz unterschiedliche Fähigkeiten nachgefragt werden.
Diese eindimensionale Denklogik finden wir bei Köhlers Argumentation gegen den Mindestlohn: „Ein Mindestlohn, der von den Arbeitgebern im Wettbewerb nicht bezahlt werden kann, vernichtet Arbeitsplätze“. Da ist Köhler ganz auf der Seite eines der radikalsten Verfechter des Preisfetischs auf dem Arbeitsmarkt, von Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut. Er beklagte unlängst in der SZ: „Auch die CDU hat für staatliche Preiskontrollen beim wichtigsten Preis gestimmt, den die Volkswirtschaft hat, nämlich dem Preis für die menschliche Arbeit.“
Weder Herr Köhler, noch Professor Sinn noch irgendeiner der neoklassisch inspirierten Ökonomen hat außer in der Welt ihrer Grenzprodukt-Modelle jemals auch nur näherungsweise ausrechnen können, was jeder einzelne im jeweiligen Produktionsprozess erwirtschaftet. Die Anhänger solcher Denkmodelle müssten ja sonst auch ausrechnen können, wie viel mehr der millionenschwere Manager gegenüber dem Portier „im Wettbewerb“ (Grenzprodukt) „erwirtschaftet“. Lohnverhandlungen oder Aufsichtsratsbeschlüsse über Managerbezüge könnte man sich ersparen. Vom Fegen des Hofes, bis zur Entwicklung eines Designs für ein Produkt, ja sogar der strategische Meinungsfindungsprozess des Topmanagers müsste danach nämlich exakt ausgerechnet werden können, was ihre letzte im Produktionsprozess eingesetzte „Arbeitseinheit“ erwirtschaftet (Grenzprodukt).
Im Übrigen sollte man sich immer darüber im klaren sein, wer sich gegen Mindestlöhne ausspricht und damit für ein weiteres Sinken der Löhne in den untersten Lohngruppen, um damit Beschäftigung im Niedriglohnsektor zu schaffen, der „fordert implizit auch eine Senkung des durchschnittlichen Lohnniveaus, wenn er nicht gleichzeitig eine entsprechende Anhebung der Löhne in höheren Verdienstgruppen ausdrücklich anmahnt“ (Fassbeck/Spiecker).
Die Anhänger des neoliberalen Angebotsansatzes starren zudem lediglich auf die Angebotsbedingungen für die Unternehmen, die Nachfragebedingungen bleiben hingegen nahezu völlig außer Acht. Ob die Produkte auf eine kaufkräftige Nachfrage stoßen ist für diese Lehre vernachlässigbar, denn für sie gilt ein vor 300 Jahren aufgestelltes Gesetz von Jean-Baptist Say. Say`s Law lautet: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage.
Dass ein Anbieter auf seinem Angebot sitzen bleibt, muss aber keineswegs an fehlenden Konsumwünschen der Konsumenten liegen, sondern schlicht daran, dass mangels Einkommen der Konsumenten sie sich das Angebot einfach nicht leisten können.
Der schlichte Zusammenhang „Löhne runter – Beschäftigung rauf“ mag das Denken eines einzelnen Unternehmers bestimmen und einzelwirtschaftlich tendenziell vielleicht eine gewisse Plausibilität haben, in einer gesamten Wirtschaft hängen jedoch Angebot und Nachfrage insgesamt voneinander ab. Die Zusammenhänge sind also etwas komplizierter als uns vorgegaukelt wird, und deswegen ist es ziemlich einfältig, den Arbeitsmarkt mit dem Kartoffelmarkt gleichzusetzen.
Ein Unternehmer stellt doch nicht allein deshalb einen Mitarbeiter ein, weil er billig ist, sondern weil er, um mehr Produkte auf dem Markt absetzen zu können, dessen Arbeitskraft zur Herstellung der Produkte braucht – sofern er sie auf dem Gütermarkt absetzen kann, weil eine entsprechende Nachfrage danach besteht und der Unternehmer durch den Absatz einen entsprechenden Gewinn erwarten darf.
Köhler kann oder will nicht verstehen, dass Löhne nicht allein der Preis für das Gut Arbeit sind, sondern in der Summe das Einkommen der abhängig Beschäftigten, die immerhin die Hälfte das gesamten Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Sicher nimmt mit steigendem (gesamtwirtschaftlichen) Lohn die Kostenbelastung der Unternehmen zu, und das mag ihre (gesamtwirtschaftliche) Nachfrage nach Arbeitskräften dämpfen, aber andererseits nimmt mit steigenden Löhnen die (gesamtwirtschaftliche) Güternachfrage zu, was wiederum die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften steigert. Diese Zusammenhänge sind jedenfalls erheblich komplexer als sie durch die eindimensionale Angebots- und Nachfragekurve des gängigen Marktschemas erfasst werden könnten.
Die Nachfrage nach Produkten findet für Köhler offenbar allenfalls im Export, aber nicht auf dem Binnenmarkt aufgrund der Kaufkraft auch der Arbeitnehmer statt. Er meint wohl tatsächlich, dass sich Deutschland „für seine Wettbewerbsfähigkeit (dadurch) noch stärker ins Zeug legen“ könnte, dass die Löhne so weit sinken würden, dass sie billiger sind, als der Einsatz des Produktionsfaktors Kapital. Deutsche Autos kaufen eben dann die Ausländer (und vielleicht noch die Besserverdienenden im Inland).
Unser Bundespräsident mag es noch so salbungsvoll verkünden, er vertritt eine ökonomische Lehre, die den Weg zurück in die Steinzeit weist. Er unterstellt nämlich die sog. Substitutionsthese. Will sagen je billiger der Faktor Arbeit im Verhältnis zum eingesetzten Faktor Kapitel (Investitionen) wird, desto mehr Arbeit wird eingesetzt und desto weniger Anreiz besteht für den Unternehmer Kapital zu investieren, also kapitalintensiver zu produzieren. Denkt man diesen Weg zu Ende, dann gelangt man ins vorindustrielle Zeitalter, denn billige Arbeit lohnt die Investitionen in Maschinen ja nicht mehr. D.h. es besteht kein Anreiz mehr zu Steigerung der Produktivität.
Dementsprechend lautet ja auch das neoklassische Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Reallohnsteigerungen möglichst gering zu halten. Nach dem Motto, wenn die Produktivität langsamer zunimmt, werden auch weniger Arbeitsplätze wegrationalisiert. Wettbewerb findet nicht über innovative Produkte und über die Steigerung der Produktivität statt, sondern vor allem über die Angleichung der Löhne an die Wettbewerber in Asien.
Heiner Flassbeck und Friedericke Spieker haben in ihrem neuen Buch „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“ empirisch genau das Gegenteil nachgewiesen: Die Länder mit vergleichsweise guter Reallohnentwicklung (z.B. USA oder Großbritannien) haben eine vergleichsweise bessere Beschäftigungslage, als diejenigen mit stagnierenden Löhnen, also z.B. Deutschland und Japan.
Und ganz anders als die Neoklassiker in ihrem Denkmodell annehmen, hat z.B. Japan mit der schlechtesten Beschäftigungsentwicklung gleichzeitig die niedrigste Produktivitätsrate. Nach Flassbeck/Spiecker belegt die Erfahrung der letzen zehn Jahre: „Hohes Reallohnwachstum geht einher mit einem hohen Produktivitätszuwachs und guter Beschäftigungsentwicklung.“
Die FAZ macht den uralten Spruch der liberalen Traditionalisten zur Schlagzeile: „Zur Freiheit gehört Ungleichheit“. Ungleichheit stärke die schöpferischen Kräfte, meint Köhler. Leider deutet er mit keinem Wort an, wie viel mehr Ungleichheit als jetzt schon besteht, er für unsere Gesellschaft für hinnehmbar hält. Geht es angesichts der um sich greifenden Armut und der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich heutzutage nicht viel mehr darum, endlich politische Schritte einzuleiten, die die zunehmenden Ungleichheiten abmildern, die ihren Ursprung nicht in den unbestreitbaren individuellen Unterschieden, sondern in den gesellschaftlichen Verhältnissen haben, die zu ungleicher Verteilung der individuellen Chancen in der Gesellschaft führt? Hat Köhler noch nie etwas davon gehört, dass zu einer freien Gesellschaft, auch die materiellen Voraussetzungen für den einzelnen gehören, seine Freiheit auch wahrnehmen zu können.
Der Bundespräsident sollte der Repräsentant des ganzen Volkes sein, weder Parteigänger einer nicht zur Macht gelangten schwarz-gelben Mehrheit und schon gar nicht der Vorbeter einer bestimmten Wirtschaftsideologie. Leider ist Köhler auch in seinem Amt nicht über den früheren Sparkassendirektor hinausgewachsen.
Quelle: FAZ
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