Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: RWE-Hamster blamiert Guido Westerwelle
Datum: 11. Januar 2005 um 16:45 Uhr
Rubrik: Energiepolitik, FDP, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Manipulation des Monats
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Weil der FDP-Vorsitzende von einer Personaldiskussion um seine Generalsekretärin ablenken musste und weil es auch ansonsten ziemlich langweilig zugegangen wäre auf dem traditionellen Dreikönigstreffen der Freidemokraten, hat Westerwelle sich in seiner Grundsatzrede auf einen Hamster gestürzt.
Soweit sei es gekommen in unserem Land, dass Hamsterhöhlen, die die Grünen schützen wollten, im nordrhein-westfälischen Braunkohlerevier den Bau eines RWE-Kraftwerks für zwei Milliarden Euro verhinderten. „Da lachte und klatschte der liberale Anhang“ berichtete die FR vom 07.01.2005.
Dabei merkte das Publikum im Stuttgarter Staaatstheater gar nicht, dass sich ihr Vorsitzender und es selbst sich lächerlich machten. Das Hamster-Gutachten wurde vom RWE in Auftrag gegeben und sieht darin einen Anlass, eine vertraglich zugesicherte Großinvestition weiter hinaus zu schieben.
Weder die Grünen noch Naturschützer haben mit dem RWE-Hamster etwas am Hut.
Doch der Reihe nach:
Jedenfalls in Nordrhein-Westfalen erinnern sich noch viele an den Streit um den Aufschluss eines neuen riesigen Braunkohlereviers namens Garzweiler II. Die Genehmigung eines Tagebaus auf einem Gebiet von 48 Quadratkilometer mit einer Flöztiefe von 210 Meter, einer Abraummasse von 6,5 Milliarden Kubikmetern und einer Sümpfungswassermenge von 150 Millionen Kubikmeter pro Jahr erregte über Jahre hinweg die Gemüter. Die Dimension des Eingriffs in die Natur, die da geplant wird, mag man allein an der Größe des „Restsees“ ermessen, der nach der Auskohlung übrig bleibt: Der See wird 185 Meter tief sein und 2.300 Hektar Fläche einnehmen – das sind gut zweieinhalbtausend Fußballfelder. 18 Ortschaften mit 7600 Einwohnern müssen umgesiedelt werden.
Die Befürworter des Projekts verwiesen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Braunkohle als Energieträger und auf den Verlust von 4200 Arbeitsplätzen, falls Garzweiler II nicht aufgeschlossen würde. (Westdeutsche Zeitung, 1.3.04) Kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, im März 1995 genehmigte das Umweltministerium diesen Braunkohleplan. Eine Abstimmung im Landtag fand nicht statt, 19.000 Einwendungen wurden per Entscheid des sog. Braunkohleausschusses zurückgewiesen; bis heute sind die Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen.
Bei den Wahlen im darauffolgenden Mai 1995 hat die SPD nach zwei Legislaturperioden ihre absolute Mehrheit verloren. Ministerpräsident Johannes Rau musste eine Koalition mit den Grünen eingehen.
Politisch neutrale Beobachter fragten sich schon damals, wie es dazu kommen konnte, dass ein solch gigantisches Projekt gegen viele vernünftige umweltpolitische, ja sogar energiewirtschaftliche Gründe und einen relativ breiten, parteiübergreifenden öffentlichen Widerstand durchgesetzt werden konnte. Sieht man die jetzt durch die Affären Arentz und Meyer bekannt gewordenen Abhängigkeiten der Politik von dem mit einem Umsatz von fast 44 Milliarden Euro größten Stromerzeuger Deutschlands, so erstaunt einen diese Entscheidung nicht mehr ganz so sehr.
Um diese hoch umstrittene Genehmigung eines historisch einmaligen Braunkohletagebaus wenigstens etwas umweltfreundlicher darstellen zu können, koppelte die Landesregierung die Genehmigung an ein 10 Milliarden umfassendes Investitionsprogramm zur Erneuerung der in dieser Region vorhandenen 28 Kraftwerksblöcke, die nahezu alle an die dreißig Jahre alt und längst abgeschrieben sind.
An die Stelle der alten kleinen 150 Megawatt-„Dreckschleudern“, die mit einem Wirkungsgrad von gerade mal um die 30% extrem umweltbelastend sind, sollten neue Großkraftwerke mit dem schönen Schlangennamen „BoA“ gebaut werden, die immerhin einen Wirkungsgrad von 43% und mehr haben würden.
Der RWE-Konzern hatte zugesagt, Neuanlagen in Abständen von vier bis fünf Jahren in Betrieb zu nehmen. In den zurückliegenden fast 10 Jahren ist allerdings von den vorhandenen Kraftwerken der Region mit einer Gesamtbruttoleistung von 11.000 Megawatt erst ein einziges BoA-Kraftwerk in Niederaußem mit einer Leistung von 1.000 MW im Jahre 2003 in Betrieb gegangen. Einen Genehmigungsantrag für ein weiteres BoA-Kraftwerk in Neurath stellte RWE Power im Jahre 2004 immer wieder zurück.
Nun gibt es seit Jahren Expertenmeinungen, die besagen, dass die heimische Braunkohle keineswegs so kostengünstig und wettbewerbsfähig gegenüber anderen Primärenergieträgern ist, wie das früher einmal dargestellt wurde. Wegen ihres weitaus höheren Wirkungsgrades sind Gaskraftwerke, zumal Blockheizkraftwerke weitaus umweltfreundlicher und auch kostengünstiger als Braunkohlekraftwerke – jedenfalls dann wenn die „alten Schätzchen“ nicht schon längst steuerlich abgeschrieben sind. Das hat z.B. dazu geführt, dass – sicherlich nicht ohne Zutun des RWE – eine Investition von 500 Millionen Euro in ein Gaskraftwerk am Rande des Braunkohlereviers durch einen britischen Investor politisch durch Berlin und Düsseldorf so lange hinausgezögert wurde, bis eine Niederlage vor Gericht drohte.
Mit den versprochenen Investitionen in neue Großkraftwerke geht das RWE jedenfalls auffallend zögerlich um. Im letzten Frühjahr war die Diskussion um die Einführung eines CO2-Emissionshandels als Grund für die Verzögerung des neuen Kraftwerks in Neurath genannt worden – so wie die Debatte lief, kann man ruhig sagen: Der angedrohte Investitionsstopp diente als politisches Druckmittel, diesmal gegen die Grenzwerte, die Umweltminister Trittin für zahlungspflichtige schädliche Abgase vorsah. Nachdem der am Garzweiler II-Genehmigungsverfahren -damals noch als nordrhein-westfälischer Chef der Staatskanzlei – wesentlich beteiligte und heutige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement seinem Kabinettskollegen Trittin beim Emissionshandel wesentliche Zugeständnisse im Interesse der Braunkohle abgetrotzt hatte, gab es eigentlich keinen Grund mehr, die Investition weiter hinaus zu zögern.
Die nordrhein-westfälische Umweltministerin nannte den Stopp der Modernisierung des Kraftwerkparks denn auch eine „Unverschämtheit“ und fragte, „was Selbstverpflichtungen noch wert sind, wenn sie am Ende missachtet werden“. Auch Ministerpräsident Steinbrück bekräftigte das massive Interesse von NRW an der Kraftwerkserneuerung. (Rheinische Post, 1.3.04). RWE Power setzte aber immer noch wenig Power in den Fortgang des Genehmigungsverfahrens für das Bauvorhaben in Neurath.
Da kam im Dezember 2004 plötzlich der Hamster ins Spiel:
„Hamster kontra Kraftwerk“ hieß es in den Schlagzeilen, die auch der FDP-Vorsitzende Westerwelle auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei zur Gaudi seiner Zuhörer vom Rednerpodium schwenkte. Die Späher von Umweltministerin Bärbel Höhn hätten Hamsterhöhlen auf dem vorgesehenen Baugelände ausfindig gemacht, um die Umweltverträglichkeit des Bauvorhabens zu bestreiten, deklamierte Westerwelle bühnenreif ins Staatstheater.
Bei der amtlichen Prüfung der Umweltverträglichkeit ist allerdings im Kapitel 3.4 „Pflanzen und Tiere“ von Hamstern bis heute nicht die Rede. Wie konnte dann der Feldhamster urplötzlich aus seiner Höhle kriechen?
Ganz einfach: Der RWE-Sprecher Manfred Lang hatte einen Versprecher. Er erklärte der NRZ vom 7.12.04, man habe „aus eigenem Interesse noch mal nach gesehen“. Also hatte das RWE selbst einen Gutachter beauftragt und der will auf dem Baugelände mehrere verlassene Hamsterbauten entdeckt haben. Das Merkwürdige daran ist, dass das RWE einen Gutachter beauftragte, von dem es hätte wissen müssen, dass dessen Be-„Funde“ seit Jahren selbst unter Umweltschützern höchst umstritten sind. Sein Kampf für den Feldhamster hatte schon die Erschließung des europäischen Gewerbegebiets Avantis bei Aachen um fünf Jahre verzögert. Wollte also das RWE den „Bock zum Gärtner“ machen oder wollte es den Artenschutz nur vorschieben, um sich aus der gegenüber der rot-grünen Landesregierung eingegangen Verpflichtung herauszustehlen?
Wie auch immer, das Manöver schien zunächst geglückt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gelangte – wie durch Zufall – in Besitz dieses RWE-Gutachtens und schlug reflexartig Alarm.
Statt dass – wie Westerwelle feixte – Umweltministerin Höhn nun aber ihre „Späher“ losschickte, um die Hamsterhöhlen ausfindig zu machen, erklärte diese in einer offiziellen Landtagsvorlage (13/3112), dass selbst bei einem etwaigen Vorhandensein einiger Exemplare der auf der Roten Liste stehenden schützenswerten Nager, die Art an diesem Standort jedenfalls nicht bedroht ist, da es in der Nähe größere Populationen gebe und im übrigen problemlos Ausgleichsmaßnahmen möglich wären.
Auch der Landeschef des Naturschutzbundes (Nabu) Josef Tumbrinck widersprach dem Strom-Riesen ziemlich heftig und warf ihm eine „perfide Strategie“ vor. RWE versuche mit solchen Methoden damit das Ansehen des Artenschutzes zu ruinieren (Kölner Stadt-Anzeiger vom 14.12.04). Auch der Nabu bezweifelt die Existenz von Hamsterbauten auf dem Baugelände und vermutet vielmehr, dass das RWE-Gutachten dem BUND „gezielt zugespielt“ worden sei. Er bescheinigte dem Konzern „ein in Deutschland einmaliges wie skandalöses Vorgehen“. (Westdeutsche Zeitung vom 14.12.04) RWE Power ließ natürlich alle Vorwürfe zurückweisen.
Fassen wir die Tatsachen zusammen, die hinter Westerwelles Hamster-Lachnummer stehen:
Kannte Westerwelle diese Tatsachen alle nicht, dann hat er sich mit seiner Unkenntnis bis auf die Knochen blamiert. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich einer, der sich über die deutsche Regulierungswut lustig macht, dann wenn er einen konkreten Fall benennt, sich selbst zum Gespött macht.
Kannte er diese Tatsachen und hat sich dennoch über die Grünen und Umweltministerin Höhn lustig gemacht, dann hat er gelogen und sich kompromittiert.
So oder so, die Liberalen hätten auf ihrem Dreikönigstreffen eigentlich nichts zum Lachen gehabt, denn sie sind in eine vom RWE ausgelegte Hamsterfalle getappt. Wer allerdings erwartet hätte, dass darüber ein homerisches Gelächter durch die Republik erschallen würde, sieht sich enttäuscht.
Leider war diese Posse des bekannten Spaßpolitikers Westerwelle nicht einmal einem der Journalisten in Nordrhein-Westfalen, wo man die Tatsachen kennen müsste, eine Glosse wert.
Schade eigentlich im Hinblick auf die journalistische Aufklärungspflicht.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=284