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Titel: „Denunziation und Denkfreiheit. Was die politische Diskussionskultur unserer Zeit von der Aufklärung lernen kann.“

Datum: 26. Oktober 2015 um 12:07 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Das ist die Überschrift eines Essays, den der NDS-Leser S. B. uns gesendet hat. Er forscht und lehrt an einer deutschen Universität über Aufklärung. In seinem Essay beschreibt er, was die Arbeiten eines der führenden Philosophen der deutschen Aufklärung, Christian Wolff, für unsere heutige Debatte bedeuten könnten. Wolff hat seine Gedanken zur Diskussionskultur 1726 für die Einführung seiner auf Deutsch erschienenen Schriften formuliert. Sie könnten den Betrachter mancher publizistischer Schlammschlachten von heute erstaunen. Mich erreichte diese Mail wenige Tage nach dem Versuch des NDR, das Buch „Meinungsmache“ mit Hitlers „Mein Kampf“ zu verbinden. Es folgt die Passage mit dem aktuellen Bezug zur öffentlichen Debatte und dabei zu den NachDenkSeiten. Hier ist der gesamte Essay [PDF – 127 KB]. Albrecht Müller.

Auszug aus dem Essay:

… Die Methode des politischen Rufmordes bezieht denn auch ihre Wirkungskraft nicht aus der Stichhaltigkeit und Belegbarkeit von Argumenten, sondern aus den beschriebenen emotionalen Reflexen, die eine nüchterne Analyse bekanntlich verhindern. Ihr trauriger Erfolg resultiert jedoch ebenso sehr – das hat Wolff sehr scharf gesehen – aus der Logik und der Autorität der herrschenden Macht (140f.):

Denn wer ist in der Geschichte der Gelehrten so unerfahren, daß er nicht wüste, wie man durch die Consequentien-Macherey zu allen Zeiten der Freyheit zu philosophiren Eintrag gethan und dadurch Gelegenheit erhalten, diejenigen zu verfolgen, welche nicht in ihren Meynungen sich denen unterwerfen wollen, welche die weltliche Macht auf der Seite gehabt. Denn wer von der Sache nichts verstehet und am allerwenigsten davon zu urtheilen geschickt ist, der kan sie mit den ungereimtesten und gefährlichsten Consequentien belästigen.

Es wird keinem Betrachter der politischen Diskussion unserer Tage schwerfallen, die Parallelen zwischen damals und heute zu ziehen. Was Wolff kritisiert und deutlich beschrieben hat und was er als Aufklärer zu überwinden hoffte, ist offenkundig bis heute nicht aus dem rhetorischen Arsenal verschwunden. Was uns heute allerdings not tut, sind die nötigen Instrumente und Begrifflichkeiten, um dieses Vorgehen zu erkennen und zu benennen, wo es am Werk ist. Es ist hier nicht der Ort, um ausführlicher auf die Strategien der heutigen ‚Consequentien-Macher‘ einzugehen. Beispiele kennt die jüngste Vergangenheit zur Genüge, sie werden auf den ‚NachDenkSeiten’ immer wieder benannt und zurecht kritisiert. Ich verweise etwa auf die dort (am 13.10.2015) dokumentierte Berichterstattung einiger Leitmedien über die Anti-TTIP-Demonstration in Berlin, die inzwischen auch vielfach kritisiert worden ist (unter anderem von Petra Pinzler auf Zeit online unter dem Titel “Steckt die Hitlerkeule wieder ein”), und, nicht zuletzt, auf die wirklich bedrückende Nebeneinanderstellung von Albrecht Müllers Buch “Meinungsmache” mit Adolf Hitlers “Mein Kampf” in einer Sendung des NDR. Einer derartigen Verdächtigungshermeneutik, die etwa im (fälschlich) so genannten ‚Antikapitalismus‘ der TTIP-Gegner Parallelen zu rechten Stammtisch-Ressentiments zu erkennen glaubt, sie damit in die Nachfolge nationalsozialistischer Propaganda gegen das Schreckgespenst einer jüdischen Hochfinanz stellt, ist nun allerdings keine noch so fundierte Gegenargumentation mehr gewachsen, weil sie von da an permanent unter Ideologieverdacht steht. Die derart Angegriffenen haben die jeweilige Diskussion, soweit davon noch die Rede sein kann, schon verloren, wenn sie sich auf dieses Spiel einlassen und sich in eine Defensive drängen lassen, aus der sie nicht leicht herauskommen werden. Abgesehen von der generellen Perfidie dieses Vorgehens ist dabei vor allem ärgerlich, dass auf diese Weise wertvolle Zeit und Kraft verloren geht, die eigentlich in Diskussionen über die Sache investiert werden sollte. Auch deswegen scheint es wichtig, auf historische Parallelen hinzuweisen (und zwar dort, wo auch tatsächlich welche zu finden sind). Wie weit die Ähnlichkeiten und die Unterschiede reichen, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden, das Material ist frei zugänglich.


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