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Titel: „Die Todesstrafe ist abgeschafft. Auch die ferngelenkte!“

Datum: 25. September 2015 um 9:34 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Friedenspolitik, Interviews, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich:

Johannes Feest

Das Aktionsbündnis „Stopp Ramstein: Kein Drohnenkrieg!“ ruft für dieses Wochenende zu vielfältigen Aktionen im Umfeld des US-Militärstützpunktes Ramstein in Rheinland-Pfalz auf, dessen Stilllegung sie fordert. Das von dort aus organisierte außergerichtliche Töten „von BürgerInnen anderer Staaten auf deren Territorien (…) (verstößt dabei) nicht nur gegen die Menschenrechts-Charta der UNO und gegen das Völkerrecht, sondern auch – wenn das Verbrechen von deutschem Hoheitsgebiet ausgeht – gegen unser Grundgesetz“, heißt es im zugehörigen bundesweiten Aufruf. Zur Problematik des von Ramstein aus organisierten Drohnen-Mordes sprach Jens Wernicke mit dem Kriminalwissenschaftler Johannes Feest.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Feest, Sie sind Friedensaktivist und kritisieren in Vorträgen und Veröffentlichungen den zunehmenden „Drohnenmord“. Was ist das Problem an dieser Technologie und der Praxis mit ihr? Sind Drohnen nicht … eine Technik, die die Welt sicherer und Kriege sauberer macht?

Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Krieg durch den Einsatz von Kampf-Drohnen sauberer und die Welt sicherer dadurch wird. Das gilt schon für die ursprünglich herrschende Theorie, dass es nur darum gehe, gezielt ein paar Führer auszuschalten, um den Krieg zu gewinnen, die sogenannte kingpin theory. Und es gilt umso mehr für die Ausweitung der „gezielten Tötungen“ auf „wertvolle Ziele“, die nur noch aufgrund von Verdachtsmerkmalen vorgegeben werden, die sogenannten signature strikes.

Ganz sicher ist aber, dass mit der Entwicklung von Kampfdrohnen ein qualitativer Sprung in der Kriegsführung erfolgt ist. Kriege können auf diese Weise ohne persönliches Risiko aus der Ferne geführt werden. Der UN-Sonderberichterstatter Philip Alston spricht diesbezüglich von einer „Playstation-Mentalität“. Das letzte überhaupt noch verbliebene menschliche Element würde schließlich durch vollautomatisierte Kampfdrohnen ausgeschaltet, deren Entwicklung bereits weit fortgeschritten ist.

Kurzum: Killerdrohnen sind Barbarei in zivilisatorischem Gewand und machen das Massenmorden um vieles einfacher. Besser geworden ist der Krieg hierdurch allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Der ganze Drohneneinsatz fordert nicht nur die Leben vieler Unschuldiger, er hat auch mit Rechtsstaatlichkeit überhaupt nichts mehr gemein.

Verstehe ich recht: Drohneneinsätze sind für Sie per se extralegal – sie heben sozusagen die Gewaltenteilung auf und führen die Todesstrafe durch die Hintertür wieder ein?

Nein und ja.

Nein: Einsätze von Angriffsdrohnen sind nach geltendem Kriegsvölkerrecht nicht per se extralegal, soweit sie von Kombattanten erfolgen und sich gegen Kombattanten richten. Schon das ist aus den oben erwähnten Gründen – ich sage nur „Playstation-Mentalität – abzulehnen und die Forderung nach einem Verbot mindestens vollautomatischer Kampfdrohnen wird daher auch zunehmend erhoben. Auch sind im Rahmen des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ die Grenzen des traditionellen Kriegsvölkerrechts zunehmend unklar geworden. Wo überhaupt findet ein bewaffneter Konflikt statt? Wer sind die Kombattanten in Afghanistan, Pakistan, Jemen, Syrien etc.? Gehört auch die CIA zu den Kombattanten? Kann man überhaupt noch zwischen Kombattanten und Zivilisten unterscheiden? Es werden ja auch immer mehr Personenkategorien einfach als „Kombattanten“ definiert, um später „keine zivilen Verluste“ vermelden zu müssen…

Und deshalb zugleich ja: Die gezielte Tötung von Personen, die von den USA auf Hinrichtungslisten, sogenannten kill lists, gesetzt werden, spricht jedem rechtsstaatlichen Verfahren Hohn. Eine solche Praxis hebelt in der Tat die Gewaltenteilung aus. Wegen genau so etwas haben die Vereinten Nationen bereits 1989 Prinzipien zur Verhütung und Untersuchung außergerichtlicher, willkürlicher und summarischer Hinrichtungen beschlossen. Seit Beginn der gezielten Tötung durch Kampfdrohnen haben die Sonderberichterstatter derselben diese Prinzipien nun auch auf Kampfdrohnen angewandt und diese Praxis entsprechend entschieden verurteilt. Geändert hat das leider nichts.

Ist denn bekannt, wie viele Menschen bisher durch Drohnen getötet worden sind? Und ist bekannt, wie viele hiervon Zivilisten und Unschuldige waren?

Es gibt keine exakten Zahlen über die Drohnen-Opfer, schon gar keine offiziellen. Soweit offizielle Zahlen vorliegen, wird die Zahl der getöteten Zivilisten systematisch unterschätzt, indem alle Männer im wehrfähigen Alter von den USA für Kombattanten erklärt werden, wenn nicht das Gegenteil klar belegbar ist.

Umso wichtiger ist die eindrucksvolle Arbeit des Bureau of Investigative Journalism, welches seit Jahren Daten über Drohnenangriffe sammelt und im Internet zur Verfügung stellt. Danach wurden allein in Pakistan seit 2004 zwischen 2.500 und 4.000 Personen durch Drohnen getötet. Darunter befanden sich zwischen 500 und 1.000 Zivilisten und etwa 200 Kinder. Hinzu kommen entsprechende Zahlen für Afghanistan, Somalia und Jemen. Und Verletzte in ähnlichen Größenordnungen.

Und wie bewerten Sie diese Zahlen?

Diese Zahlen sind Schätzungen aufgrund von Zeitungsberichten und lokalen amtlichen Bekanntmachungen. Sowohl die USA wie auch England weigern sich, Zahlen über die Opfer solcher Angriffe herauszugeben. Die Sonderberichterstatter der UNO verlangen daher heute in erster Linie von den Regierungen Transparenz.

Dies ist auch die Forderung die am 13. Mai 2015 von einer Reihe bekannter NGOs in einem Offenen Brief an Präsident Obama erhoben wurde. Darin wird er aufgefordert, „ein systematisches und transparentes Verfahren der Nachuntersuchung solcher Angriffe einzurichten, dessen Ergebnisse öffentlich gemacht und mit einer angemessenen Entschädigung für die Opfer verbunden werden sollen“.

Im Anhang des Offenen Briefes finden sich zehn Beispiele von Drohnenangriffen, bei denen ausschließlich oder mehrheitlich Zivilisten Opfer waren.

Und falls Sie sozusagen eine „inhaltliche“ Bewertung meinen: Jedes einzelne Opfer ist eines zu viel. Drohnen gehören geächtet und das Morden mit ihnen muss ein Ende finden, ganz klar.

Wie ist es nun aber mit den gezielt Getöteten? Bei wie vielen von diesen vermeintlich schuldig Hingerichteten ist eine Schuld wirklich nachgewiesen worden ist?

Bei keinem Einzigen. Denn dazu bedürfte es genauer Ermittlungen und eines hierauf beruhenden gerichtlichen Verfahrens. Es handelt sich insofern um die massenhafte Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren. Dabei müssten diese Verfahren sogar besonders streng sein, wenn an ihrem Ende die Todesstrafe verhängt werden kann.

Wenn dem aber so ist: Wieso regt sich kein juristischer Widerstand?

Juristischer Widerstand regt sich dagegen sehr wohl. Er ist aber bisher weitgehend auf die Literatur beschränkt. Generell tut sich die Justiz aber schwer mit der Behandlung gezielter Tötungen durch Drohnen. Dabei kann man verschiedene Argumentationen feststellen:

  • Erklärung der Unzuständigkeit „auf dem sensiblen Gebiet der Kriegführung, der nationalen Sicherheit und der Außenpolitik“ , vertreten etwa vom US District Court for the District of Columbia und ähnlich auch vom Verwaltungsgericht Köln;
  • Rechtfertigung der gezielten Tötung mithilfe des Kriegsvölkerrechts, etwa durch den Generalbundesanwalt;
  • Grenzen der Aufklärung des Sachverhalts durch Geheimhaltung;
  • Unmöglichkeit der Vollstreckung nationaler gerichtlicher Entscheidungen gegen die Schädiger, wie der High Court von Peshawar herausfinden musste, nachdem er die CIA-Drohnenangriffe in Wasiristan als Kriegsverbrechen verurteilt und die USA zu Entschädigungszahlungen verurteilt hatte.

Stopp Ramstein: Kein Drohnenkrieg!

Quelle: Kampagne „Stopp Ramstein: Kein Drohnenkrieg!“


Wie kann dem Drohnenmorden dann Einhalt geboten werden? Die Justiz wird den Friedensbewegten die Arbeit hier ja nicht abnehmen, wie es scheint… Was also tun?

Es scheint mir weiterhin sehr sinnvoll, die Justiz durch Strafanzeigen und Musterprozesse zum Einschreiten zu veranlassen. Dazu bietet nicht zuletzt das relativ neue deutsche Völkerstrafgesetzbuch Anknüpfungspunkte.

Man sollte sich aber keine Illusionen machen, dass dies zu schnellen Erfolgen führt. Die Juristen operieren nicht in einem luftleeren Raum. Zusätzlich muss daher die Zivilgesellschaft auf das Problem aufmerksam gemacht und mobilisiert werden. Einige der großen internationalen Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben das Thema bereits aufgegriffen. Und auch auf nationaler Ebene ist bereits eine erhebliche Mobilisierung und Vernetzung zu verzeichnen.

Gibt es spezielle Argumente, die sich gerade in Deutschland zur Mobilisierung anbieten?

Mir fällt auf, dass die Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland und in Europa bisher kaum als Argument benutzt wird. Wir sind da aber einen Schritt weiter als die USA, indem wir gewissermaßen in einer „todesstrafenfreien Zone“ leben. Dies hat aber Konsequenzen weit über unsere Grenzen hinaus. So dürfen wir keine Menschen in Staaten ausliefern oder abschieben, wo Ihnen die Hinrichtung droht. Nach der gleichen juristischen und moralischen Logik dürfen unsere Behörden aber auch nicht Beihilfe zur gezielten Tötung durch Drohnen leisten. Genau das geschieht jedoch, wenn wir es zulassen, dass in der US-Airbase in Ramstein die von den USA abgeschickten Drohnen an ihre jeweiligen Zielorte weitergeleitet werden. Unsere Forderung muss also sein, dass derlei Morde „nicht von deutschem Boden aus organisiert“ werden dürfen, wie es die Kampagne „Stopp Ramstein!“ formuliert…

Noch ein letztes Wort?

Ja! Möglichst viele Menschen sollten dem Aufruf folgen und am 26. September ab 12 Uhr vor der US-Airbase in Ramstein demonstrieren. Damit soll eine Botschaft in die USA, vor allem aber nach Berlin gesendet werden. Ich werde mit einem Schild dabei sein: „DIE TODESSTRAFE IST BEI UNS ABGESCHAFFT (Artikel 102 GG). AUCH DIE FERNGELENKTE!“.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Prof. Dr. Johannes Feest ist Kriminalwissenschaftler. Er hat vor allem zu Fragen der Strafverfolgung und des Strafvollzuges veröffentlicht. Seine Webseite ist www.strafvollzugsarchiv.de.


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