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Titel: Zum Rücktritt Franz Münteferings als Vizekanzler und Arbeits- und Sozialminister

Datum: 14. November 2007 um 9:46 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte
Verantwortlich:

Franz Müntefering hat angekündigt, dass er in der kommenden Woche aus seinem Amt als Bundesminister ausscheiden werde. Er schreibt: „Diese Entscheidung hat ausschließlich private, persönliche Gründe, die Krankheit meiner Frau hatte in den letzten zwei/drei Wochen plötzlich eine weitere schwierige Operation erforderlich gemacht… jetzt, in der Phase einer langen Reha, ist meine Hauptaufgabe zu Hause und das lässt sich nicht verantwortlich kombinieren mit der Leitung eines Bundesministeriums“.
Die NachDenkSeiten respektieren diese Entscheidung. Es gibt persönliche Schicksalsschläge, die alles Berufliche und Politische in den Hintergrund drängen. Wir fühlen mit Franz Müntefering und wünschen seiner Frau Ankepetra eine rasche Verbesserung ihres Gesundheitszustandes und beiden die nötige Kraft in dieser schweren Zeit.
Aus Respekt vor Münteferings Begründung wollen wir diese Entscheidung nicht kommentieren.
Wenngleich die zahllosen „Nachrufe“, die es heute gab, dazu reichlich Anlass gäben. Wir wollen uns vor allem mit den beiden Nachfolgern in seinen Ämtern beschäftigten. Wolfgang Lieb

Übergehen wir einmal die Krokodilstränen, der Herren Koch („stets ein Eckpfeiler der Koalition“),
Huber („immer ein sehr verlässlicher Partner gewesen”), Niebel (“politisch konsequent”) oder Bütikofer („”Er wird in der Regierung und in der SPD nicht so leicht zu ersetzen sein”). Besonders sprachgewandt äußerte sich der schon länger zurückgetretene Edmund Stoiber: “Als traditioneller Sozialdemokrat hat er den Wandel der Zeit erfasst und trotz innerparteilicher Angriffe die Reformnotwendigkeit immer gesehen.” Das sind die üblichen Floskeln, mit denen man dem politischen Gegner gedenkt, der einem nicht mehr gefährlich werden können.

Was unseren Widerspruch provozieren müsste, ist die „Würdigung“ die der SPD-Vorsitzende Kurt Beck anlässlich der persönlichen Entscheidung von Franz Müntefering für nötig erachtete. Ach hätte er sich doch – jedenfalls für diesen Augenblick – auf einen mitfühlsamen Satz des Bedauerns und einem herzlichen Dank für die geleistete Arbeit beschränkt.
Aber nein, Kurt Beck missbrauchte diesen Rücktritt für ein politisches Bekenntnis. So schreibt Kurt Beck an die Parteimitglieder: Franz Müntefering „stand mit ganzer Kraft für unseren Kurs und hat als starker Vizekanzler die sozialdemokratische Handschrift in der Großen Koalition geprägt. Ohne ihn wäre 2005 diese Koalition auf Augenhöhe nicht zustande gekommen. Seiner zielstrebigen und entschlossenen Verhandlungsführung verdanken wir einen Koalitionsvertrag, der sicher stellt, dass unsere Ziele für soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden können.“

Aber auch nach solchen Sätzen lassen wir uns nicht dazu hinreißen, den Respekt vor Franz Münteferings Rücktrittsentscheidung zu vergessen.

Wir haben schließlich auf den NachDenkSeiten zu aktuellen Anlässen zu Münteferings „sozialdemokratischer Handschrift“ in der Großen Koalition und im Koalitionsvertrag das aus unserer Sicht Nötige gesagt:
So etwa zu dem unsinnigen Vorstoß bei der Rente mit 67, zu seiner Weigerung dazu Übergangsregelungen zuzulassen, zu seinem dogmatischen Festhalten an den gescheiterten Hartz-Gesetzen, zuletzt deutlich geworden am Widerstand gegen die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere. Wir haben uns anlässlich seiner jüngsten Ablehnung einer Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze geäußert, zur Verlängerung der Abgabenbefreiung bei den Betriebsrenten und deren negativen Auswirkungen auf die Rentenkasse und mehrfach haben wir zu Münteferings Werbefeldzüge für die private Vorsorge oder zur Erhöhung der staatlichen Subventionen für die Riester-Rente Stellung genommen. Wir haben nach jahrelangen Nullrunden die Ankündigung einer lächerlichen Rentenerhöhung von 0,49 Prozent im Westen und von 0,69 Prozent im Osten im kommenden Jahr kritisiert und die Untätigkeit gegenüber der Ausweitung des Niedriglohnsektors oder gegenüber der Lockerung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes als Anstoß zur explosionsartigen Ausdehnung der Leiharbeit. Wir haben die schleichende Einführung von Kombilöhnen genauso als falschen Weg kritisiert wie wir seine Untätigkeit gegenüber den von ihm selbst so genannten „Heuschrecken“ und gegenüber den Verbesserungen der „Arbeitsbedingungen“ von Spekulationsfonds in Deutschland oder seine Untätigkeit gegenüber der Steuerbefreiung der Gewinne bei Unternehmensverkäufen beklagt haben.

Wir haben auch ausführlich kommentiert, dass und wie Franz Müntefering zusammen mit Gerhard Schröder die Agenda 2010 und die Neuwahlen im Jahre 2005 durchgesetzt hat, wie er damit die sozialdemokratische Kanzlerschaft um ein Jahr abgekürzt hat, um die „Reformen“ nicht zu gefährden und sie durch eine Große Koalition abzusichern. Der Satz von Kurt Beck, „ohne ihn wäre 2005 diese Koalition auf Augenhöhe nicht zustande gekommen“, wirkt da wie ein spätes Eingeständnis, dass diese Koalition von vorneherein das Ziel war.

Von gleicher „Augenhöhe“ konnten wir im Koalitionsvertrag auch nicht viel finden.
Wo ist diese Augenhöhe erkennbar gewesen? Etwa bei der Mehrwertsteuererhöhung – vorher noch als Merkel-Steuer bekämpft?
Wo sind die Ziele der „sozialen Gerechtigkeit“ verwirklicht worden? Etwa bei der Abkehr von der Bürgerversicherung durch die Einführung Fondslösung und durch die Stabilisierung der privaten Krankenversicherungen in der Gesundheitsreform, bei den Nullrunden für die Rentner, bei der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors, beim gegenüber den Geringverdienern ungerechten Elterngeld, bei der Senkung der Spitzensteuersätze, bei den ständigen Unternehmenssteuersenkungen, bei der Privatisierung des öffentlichen Eigentums, beim ÖPP- Beschleunigungsgesetz, bei der Freistellung von Spekulationsgewinnen, bei der Entscheidung, Tornados nach Afghanistan zu schicken usw. usf.?

Wie gesagt, dazu haben wir laufend berichtet, analysiert und kritisiert, das brauchen wir aus Anlass von Franz Münteferings Rücktritt aus nachvollziehbaren persönlichen Gründen nicht noch einmal “ zu „würdigen“.
Wir halten vielmehr den Anlass für die heutigen „Nachrufe“ für unangemessen und stillos.

Kurt Beck hat in seinem Brief an die SPD aber nicht nur Franz Müntefering verabschiedet sondern auch die beiden Nachfolger für dessen Ämter vorgeschlagen:

Auf meinen Vorschlag und im Einvernehmen mit der Kanzlerin wird Frank-Walter Steinmeier neuer Vizekanzler. Als stellvertretender SPD-Vorsitzender und Bundesaußenminister, mit den Erfahrungen als langjähriger Chef des Bundeskanzleramts wird er weiterhin die sozialdemokratische Politik in der Regierung vertreten. Das Amt des Arbeits- und Sozialministers übernimmt Olaf Scholz, der zuletzt als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion mit politischer Umsicht und fachlicher Kompetenz unsere Reformpolitik vorangetrieben hat. Die Arbeit von Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz steht für Erfahrung und Kontinuität. Die SPD hat auf dem Hamburger Parteitag klar gemacht, dass sie in der Großen Koalition für das soziale Deutschland steht. Wir setzen unsere erfolgreiche Reformpolitik fort und entwickeln sie weiter, damit alle Menschen am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben und durch nachhaltiges Wachstum gute Arbeit entsteht.

Dass Steinmeier für die „Kontinuität“ der Agenda-Politik kann man beim besten Willen nicht bestreiten. Er war der der getreue Consigliere seines Agenda-Paten Schröder bis hin zu seiner windelweichen Haltung gegenüber dem Beck-Vorschlag zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere in jüngster Zeit.
Steinmeier hat seine Vorstellungen über des „soziale Deutschland“ erst vor kurzem noch einmal in aller Ausführlichkeit dargestellt. Seine in dem Bändchen „Auf der Höhe der Zeit“ dargelegten Ziele einer „sozialen Demokratie“, bedeuten nicht mehr und nicht weniger als eine Abkehr von der „Sozialdemokratie“ und zugleich die Aufkündigung des Verständnisses von einem „demokratischen Sozialismus“, wie er gerade erst auf dem Hamburger SPD-Parteitag ins Grundsatzprogramm hineingeschrieben wurde. Bei Steinmeier entkernt sich „soziale Demokratie“ auf die Schlagworte „Marktwirtschaft, Demokratie und sozialer Zusammenhalt“:

„Der konsequente Erneuerungskurs der Regierung Schröder war ein guter Anfang. Er hat uns Sozialdemokraten wieder auf Augenhöhe mit der Wirklichkeit gebracht. Diesen Weg müssen wir deshalb entschlossen weitergehen, wenn wir die positive Wechselwirkung zwischen dynamischer Wirtschaft, stabiler Demokratie und sozialer Sicherheit weiter stabilisieren und verstetigen wollen“, schreibt Steinmeier.

Der künftige Vizekanzler ist ein typischer Vertreter der rechten Sozialdemokratie, die auch künftig alles tun werden, um das Scheitern einer Politik des sog. „Umbaus“ des Sozialstaats zu verdecken und mit ihren Versprechungen vom „vorsorgenden Sozialstaat“ die Opfer einer verfehlten sozialdemokratischen Politik auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten.

Mit Steinmeier an ihrer Seite, wird die Kanzlerin noch weniger Probleme haben als bisher, denn nahezu alles, was er in einer seiner wenigen programmatischen Leerformeln angekündigt hat, könnte auch Frau Merkel unterschreiben.

In der Rolle des Vizekanzlers kann Steinmeier, wie alle Außenminister vor ihm, hohe Popularitätswerte einfahren, so dass die SPD um seine Kanzlerkandidatur kaum herumkommen wird. Wäre man Zyniker, so brauchte man sich um die Erfolgsaussichten dieser Kandidatur keine Sorgen zu machen: Steinmeier hat als der Verwalter der Agenda an der Seite von Schröder die SPD auf den Kurs ihres seit Jahren anhaltenden Niedergangs festgetrimmt, daran wird seine Beförderung zum Vizekanzler kaum etwas ändern.

Mit Olaf Scholz als „Sozial“-Minister macht Kurt Beck den Bock zum Gärtner.

Scholz wollte schon im Jahre 2003 – damals noch Generalsekretär der SPD – mit seinen „13 Thesen für die Umgestaltung des Sozialstaates und die Zukunft sozialdemokratischer Politik“ die „soziale Gerechtigkeit“ gänzlich aus der Programmatik der SPD entsorgen und durch einen „umfassenderen Begriff von Gerechtigkeit“ ersetzen:
„Gerecht ist, was Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es selbst gerne gestalten möchten“ schrieb er damals. Angesichts „radikal veränderter Bedingungen“ sei der Sozialstaat herkömmlicher Art nicht mehr bezahlbar, er sei vor allem wegen der hohen Lohnnebenkosten wachstumshemmend und wettbewerbsfeindlich, er sei leistungsfeindlich und lähme angesichts der geringen Unterschiede zwischen den Niedriglöhnen und den Sozialleistungen die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit, er fördere darüber hinaus „Schwarzarbeit“. Die Zukunft gehöre „dem aktiven und aktivierenden Sozialstaat“ brachte das Olaf Scholz auf den Begriff und zur Gerechtigkeit gehöre dann eben auch „schlechte und unbequeme Arbeit“ annehmen zu müssen.

Selbst Erhard Eppler, der in den letzten Jahren jede Volte der Parteiführung verteidigte, war die von Scholz propagierte „Jeder ist seines Glückes Schmied“- Gerechtigkeit zu viel der Anpassung an den neoliberalen Zeitgeist: „Wenn Chancen statt sozialer Gerechtigkeit das Ziel dieser Partei ist – wozu braucht es dann noch diese Partei?“, warnte er damals.

Scholz gehörte als Generalsekretär zu den Heißspornen beim Abräumen ursozialdemokratischer Werte: Ungleichheit war für ihn ein produktives Element für die Leistungsbereitschaft und die Übernahme von Eigenverantwortung. Scholz versuchte den Elitebegriff in der SPD hoffähig zu machen. Seine politische Windschlüpfrigkeit brachte ihm den Spitznamen „Scholzomat“ ein.

Die Quittung erhielt er auf dem SPD-Bundesparteitag 2003 wo er mit einem katastrophalen Wahlergebnis von 52 Prozent gerade noch als Generalsekretär bestätigt wurde. Nach dem Abgang Schröders warf auch er das Handtuch.
Die Abwahl als Mitglied des Hamburger Senats oder die bittere Abstrafung durch die SPD-Mitglieder haben ihm offenbar nicht geschadet. Seine absolute Unterwürfigkeit unter den damaligen Parteivorsitzenden und Kanzler Schröder und sein rastloses Bemühen als Generalsekretär die SPD auf den Agenda-Kurs zu zwingen, zeichnen ihn offenbar für Kurt Beck als Nachfolger von Franz Müntefering im Arbeits- und Sozialministerium aus.

Wie Kurt Beck mit diesen Personalvorschlägen für die Kabinettsämter den Menschen deutlich machen will, dass die SPD in der Regierung für das „soziale Deutschland“ stehen soll, bleibt sein Geheimnis.


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