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Titel: Ein Leserbrief von Paul Suding aus Italien

Datum: 28. August 2015 um 9:14 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Leserbriefe
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Liebe Reaktion

Grüße aus Italien, wo in den letzten Wochen eine sehr interessante politische Auseinandersetzung ausgebrochen ist.

Hier laufen Dinge ab, die uns in DE vielleicht noch bevorstehen, auch wenn die Regierung Renzi eher an die Vergangenheit mit (Clinton, Blair und) Schroeder erinnert.

Ausgelöst hat die Auseinandersetzung interessanterweise der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz (CEI) Nuntius Galantino, der mehrere Breitseiten gegen die Politiker abgefeuert hat.

Besonders scharf ist die Auseinandersetzung mit dem Chef der Lega Nord Salvini, der seit Monaten jede Zurückhaltung abgelegt hat, und in einer Weise polemisiert, die wir in DE nur aus den sozialen Netzen kennen. Der trägt gelegentlich ein T-Shirt auf dem ein Raupenbagger (Ruspa) abgebildet ist, womit er seine Lösung für Roma-Lager kundtut; um das Flüchtlingsproblem zu lösen, bittet er um drei Tage Regierungszeit etc. Von einigen der Bemerkungen Galantinos, der zweifellos Papst Francesco beispringt, der sich ja auch mit sehr kritischen Äußerungen in italienische Probleme eingemischt hat, fühlt sich der LN Chef direkt angesprochen: „Handlungsreisende für ein paar Groschen , die für ein paar Stimmen beleidigende Behauptungen“ aufstellen. In der Auseinandersetzung hat Salvini den Nuntius dann mit dem schwulen Parteiführer der Grünen Vendola assoziiert, um in seinem Lager zu punkten. Mit den offenen Äußerungen gegen Roma und Flüchtlingen hat Salvini als Chef der derzeit drittstärksten Partei Italiens eine Grenzen überschritten. Das übertrifft sogar Trump. Vergleichbares gibt es in der deutschen Politiklandschaft (noch) nicht, wo sogar die NPD noch scheinheilige Distanzierungen verlauten lässt.

Auf Galantinos neuere Äußerung über die politische Klasse: „Harem der Ko-optierten und Gerissenen“ zeigt sich auch Renzis PD indigniert, zumal Galantino noch den direkter Appell an Renzi verlauten ließ, das Parlament besser zu respektieren, das er in seinem Reformdrang ständig unter Druck setzt.

Um die Position der CEI (und eventuell auch des Vatikans) zu verstehen, ist ein Vortrag nützlich, den Galantino bei einem Treffen halten wollte, dessen Text jetzt verbreitet ist. Er bezieht sich auf De Gasperi, den Gründer der Democrazia Cristiana in den 50er Jahren, da der damals eine politische Grundidee verfochten habe. Der Herausgeber der Zeitung La Repubblica weist in einem Leitartikel darauf hin, dass De Gasperi gegen den Rat von Pius XII Kompromisse mit den Rechten abgelehnt hat.

Auch Romano Prodi hat den Mangel an einer Idee und die Konzentration auf Personen beklagt. Das richtet sich nicht nur gegen Berlusconi, sondern auch gegen Renzi, und im Übrigen auch gegen Merkels Europapolitik. Entgegen seines Labels als „Verschrotter“ (Rottamatore) der politischen Klasse, mit dem er angetreten ist, hat er sich jetzt als Ministerpräsident immer wieder mit deren Vertretern verbündet, um eine Vielzahl von tiefgreifenden Gesetzes-Änderungen durchzubringen. Er hat dabei auf die Gefolgschaft von Flügen der eigenen Partei verzichtet, von der es bereits Abspaltungen gibt.

Die Vorhaltungen von Galantino und Prodi sind aber besonders auf Renzis taktischem Festhalten an Personen begründet, die korruptionsbelastet sind. Um die Posten von Regions-Präsidenten nicht zu verlieren, hat Renzi sehr umstrittene Alt-Politiker unterstützt. Die damit offenbarte Prinzipienlosigkeit trägt ihm auch die Kritik wichtiger Medien ein.

Die nicht enden wollenden immer bunteren Mafia-Geschichten in Rom und Latium werden von der Bevölkerung als weiteres Beweis der Verkommenheit der Politik betrachtet. Als besonders übel hat sich dabei die Amtszeit des neofaschistischen Bürgermeisters Alemanno erwiesen; aber auch PD-Parteimitglieder sind involviert; und der aktuelle PD-Bürgermeister gilt als zu nett und schwach um aufzuräumen. Renzi hält aber auch an ihm fest, da er bei Neuwahlen den Posten für die PD zu verlieren riskieren würde, möglicherweise an Grillos M5S.

Herzlich
Paul Suding


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