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Titel: Griechenland-Sondergutachten: Die eigenwillige und fragwürdige Auslegung von Quellen durch den “Sachverständigenrat”
Datum: 31. Juli 2015 um 9:35 Uhr
Rubrik: Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Der “Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung” hat jüngst ein Sondergutachten zur Situation in Griechenland vorgelegt. Wie so oft, musste das Mitglied Peter Bofinger gegen die neoliberale Ratsmehrheit ein Sondervotum abgeben. Auffällig ist nicht nur, dass und wie diese Ratsmehrheit die ganz wesentlich von der Bundesregierung vorangetriebene Austeritäts- und Kürzungspolitik rechtfertigt, sondern auch, wie eigenwillig und fragwürdig sie dabei offizielle Dokumente von EU und IWF im Sinne einer Rechtfertigung dieser Politik auslegt. Von Patrick Schreiner[*].
Schon Norbert Häring hat jüngst in seinem Blog darauf aufmerksam gemacht, dass die Ratsmehrheit eine – vorsichtig formuliert – kreative Form des wissenschaftlichen Belegens ihrer Behauptungen verfolgt. Häring:
Die vier Trickser und Täuscher unter den Wirtschaftsweisen [gemeint ist die Ratsmehrheit ohne Peter Bofinger, P.S.] bleiben mit dem heute vorgelegten Sondergutachten zu Griechenland ihrer Gewohnheit treu, Falsches ohne Beleg zu behaupten und wissenschaftliche Belege für eigene Behauptungen aufzuführen, die das Behauptete gar nicht belegen.
An einem Beispiel zeigt Häring in diesem Artikel, wie die Ratsmehrheit eine Behauptung aufstellt und zum Beleg dafür auf “Studien” verweist, die sich allerdings als lediglich eine einzige Studie entpuppen, die zudem erstens veraltet ist und die zweitens die angeführte Behauptung gar nicht belegt.
Dieses Vorgehen des Sachverständigenrats scheint System zu haben, wie auch auf meinem Blog annotazioni.de vor einiger Zeit zu lesen war: So hat die Ratsmehrheit in einem früheren Gutachten die Inhalte einer DIW-Studie zur Vermögenssteuer falsch wiedergegeben sowie eine fehlerbehaftete RWI-Studie zum Mindestlohn unkritisch und offenbar ohne weitere Prüfung als Beleg angeführt.
Eine Intention der Ratsmehrheit ist es mit dem Sondergutachten zu Griechenland gewiss, die harte Politik der “Institutionen” sowie gerade auch der Bundesregierung zu rechtfertigen. Dies gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund, dass weltweit eine große Zahl von – im Vergleich zu den vier Mitgliedern der Ratsmehrheit weitaus prominenteren und anerkannteren – Ökonomen sich äußerst kritisch zu dieser Politik geäußert hat. Verwiesen sei etwa auf Paul Krugman, Joseph Stiglitz, Thomas Piketty, Barry Eichengreen und Jeffrey Sachs.
Um die Austeritäts- und Kürzungspolitik in Griechenland “wissenschaftlich” zu rechtfertigen, argumentiert die Ratsmehrheit wie die Bundesregierung: Dieses Instrumentarium habe in den anderen Krisenländern auch funktioniert, und wenn dies in Griechenland nicht der Fall sei, dann könne dies nur an den Griechen selbst und ihrer unzureichenden Reformpolitik liegen. Entsprechend heißt es im Sondergutachten:
41. In Irland und Portugal wurden die vereinbarten Reformen weitgehend erfolgreich umgesetzt. […] Portugal gelang es ebenfalls, die vereinbarten Maßnahmen seines makroökonomischen Anpassungsprogramms erfolgreich umzusetzen (Europäische Kommission, 2014). […]
42. Dank der erfolgreichen Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen sowie der massiven geldpolitischen Lockerung durch die EZB konnten die Rettungsprogramme in Irland, Portugal und Spanien inzwischen beendet werden. Diese Länder befinden sich in einer konjunkturellen Erholungsphase. In Spanien und Portugal nimmt die Arbeitslosigkeit sichtbar ab und die Bruttowertschöpfung steigt seit dem vergangenen Jahr. […]
43. Die Situation in Griechenland stellt sich anders dar. Dort war die Wirtschaftsleistung seit Ausbruch der Krise am stärksten eingebrochen. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist seit dem Jahr 2007 um rund 26 % gefallen und lag im Jahr 2014 knapp unter dem Niveau des Jahres 2000. […]
44. Seit dem Jahr 2010 hat Griechenland auf der fiskalischen und der strukturellen Seite eine Vielzahl an Reformen angestoßen. Dabei hatten die fiskalischen Anpassungen einen erheblich größeren Umfang als jene in Irland, Portugal und Spanien. Im Gegensatz zu den fiskalischen Anpassungen liegt Griechenland bei der Umsetzung von Strukturreformen sichtbar hinter den Programmzielen zurück. Etliche Maßnahmen stehen noch aus, die notwendig wären, um die Wachstumsaussichten Griechenlands nachhaltig zu verbessern. Griechenland verfehlte somit regelmäßig die festgelegten Ziele der Reformprogramme (IWF, 2013, 2014a). […]
Mit wenigen Worten zusammengefasst vertritt die Ratsmehrheit hier die Position, dass (unter anderem) Portugal die in den Programmen vorgeschriebenen “Reformen” umfassend umgesetzt habe und deshalb heute wirtschaftlich erfolgreich ist. Hingegen habe Griechenland zwar die finanzpolitischen (“fiskalischen”) Anpassungen umgesetzt, die notwendigen “Strukturreformen” aber nicht im notwendigen Umfang. Deshalb stehe Griechenland so viel schlechter da als Portugal.
Ihre Behauptungen begründet die Ratsmehrheit mit drei relevanten Quellen:
Alle diese Quellen sind Dokumente, in denen die genannten Institutionen den Fortschritt der “Reformpolitik” in Griechenland bzw. Portugal darstellen und bewerten. Sieht man sich die Quellen genauer an, so kann man durchaus zu anderen – weniger eindeutigen – Schlussfolgerungen kommen, als die Ratsmehrheit es tut:
Fazit: Der Eindruck drängt sich auf, dass die Vierer-Mehrheit im Sachverständigenrat diese – im Detail gar nicht so unterschiedlichen – Dokumente eigenwillig und fragwürdig auslegt. Bei den IWF-Dokumenten zu Griechenland rückt sie die angeblichen Schwächen und Defizite der griechischen Politik in den Vordergrund, um das Land selbst für seine Misere verantwortlich zu machen. Damit wäscht sie die gescheiterte Austeritäts- und Kürzungspolitik zugleich von Schuld frei. Mit dieser Intention unterschlägt die Ratsmehrheit zugleich die deutlich selbstkritischen Ausführungen in einem der beiden IWF-Dokumente. Auf der anderen Seite verschweigt sie die Kritik an der portugiesischen Politik, die in dem von ihr angeführten Dokument der EU-Kommission geäußert wird. Ziel dessen ist es, Portugal zum positiven Gegenbeispiel zu Griechenland zu stilisieren.
[«*] Patrick Schreiner lebt und arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Hannover. Er schreibt regelmäßig für die NachDenkSeiten zu wirtschafts-, sozial- und verteilungspolitischen Themen.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=26995