Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 5. Oktober 2007 um 8:58 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.
Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind.
Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung WL: Wir weisen auf diesen Spiegel-Beitrag hin, nicht weil wir seinen Inhalt teilten, sondern weil er einer der wenigen Artikel ist, die Becks Vorstoß nicht in Bausch und Bogen verdammt. Wenn Sie in den letzten Tagen einmal Google-News überflogen haben, dann konnten Sie sich selbst ein Bild davon machen, was wir in den NachDenkSeiten den Meinungsmainstream nennen. Wie auf ein geheimes Kommando hackte die ganz überwiegende Mehrheit der Medien auf Beck ein. Vom stern, über die Zeit und natürlich vorneweg die BILD-Zeitung wurde auf den Vorschlag einer Verlängerung des Alg I für ältere Arbeitnehmer eingedroschen. Auch die ach so neutralen Hauptnachrichtensendungen der Öffentlich-rechtlichen bliesen in das Horn der Agenda-Verfechter:
So kommentierte etwa Joachim Wagner in der Tagesschau vom 2.10.07: Die Kurskorrektur von Beck stehe im Widerspruch zum Geist der Agenda, Menschen wieder in Arbeit zu bringen, statt Arbeitslosigkeit zu subventionieren.
“Die kürzere Bezugsdauer des ALGI, gekoppelt mit dem Prinzip ‘Fördern und Fordern’ beginnt sich nämlich in der Praxis zu bewähren…”
“…Aber was ist, wenn die Konjunktur in einem halben Jahr einbricht, die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt…”
(Die sinkenden Arbeitslosenzahlen sind nach Wagner also der Agenda und Hartz-IV zuzuschreiben, die steigenden Zahlen jedoch Ursache der einbrechenden Konjunktur?)
Im ZDF-heute-journal (21.45 Uhr) redete Claus Kleber von einer unter großen Schmerzen geborenen Reform, die gerade erst wirke und von “Rückkehr zu alten Sünden”. Die Agenda 2010 sei das beste Programm für über 50-Jährige gewesen, das wir je hatten und Beck wolle nun am “Heilmittel” herumschrauben.
Die alte Garde von Clement über Schröder bis zu den üblichen Experten, alle kamen wieder zu Wort und sahen in Becks zaghaftem Korrekturvorschlag ein „Roll back“ in „eine alte Vorstellungswelt“ (Clement) und eine opportunistische Anpassung an die angeblich populistischen Rezepte der Linken.
Warum wird gerade eine marginale Verlängerung des Arbeitslosengeldes als Abkehr von Schröders Agenda gegeiselt?
Das Berliner Sozialgericht hält die bestehende Regelung, nach der bei älteren Erwerbslosen die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld drastisch gekürzt wurde, für verfassungswidrig.
Viele Elemente der Hartz-„Reformen“ sind doch schon längst sang- und klanglos verschwunden. Vergessen ist der „Job-Floater“, die „Personal-Service-Agenturen“ waren ein Flop, die „Profis der Nation“ eine Lachnummer.
Andere Elemente sind längst gescheitert: Die Vermittlungsgutscheine schafften, wie der Bundesrechnungshof feststellte eher Mitnahmeeffekte als Vermittlung in Arbeit, die Förderung der Minijobs führte zu 7 Millionen Minijobbern aber nicht zu einem Übergang in reguläre Beschäftigung, die Ein-Euro-Jobs führten eher zu einer Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die Öffnung für befristete Beschäftigung führte zu einer Explosion von schlecht bezahlter Leiharbeit.
All dies wird in der öffentlichen Debatte weg geschoben und unterschlagen, aber die Verlängerung des Bezugs des Arbeitslosengeldes um gerade mal 3 Monate für über 45-Jährige und für über 50-Jährige auf 24 Monate (gegenüber bis zu 32 Monaten früher. Übrigens: 55-Jährige können das Arbeitslosengeld schon nach der derzeitigen Regel 18 Monate beziehen) gilt als Nagelprobe für die „Agenda“.
Die Beschränkung des Arbeitslosengelds auf 12 Monate mit dem sich daran anschließenden Fall in die Sozialhilfe ist in der Tat der Nukleus des Paradigmenwechsels der gesamten Schröderschen Arbeitsmarktreformen, nämlich die Erzeugung von Druck auf die Arbeitnehmer durch die Angst vor dem Fall ins Existenzminimum und zwar sowohl auf diejenigen die (noch) Arbeit haben und als auch auf die, die arbeitslos sind.
Kurt Beck ruft mit seinem Vorstoß diese „Politik der Bedrohung“ der Arbeitnehmer wieder in Erinnerung und davor haben die Zyniker der Agenda-Politik Angst. Für ihr Weltbild sind eben Arbeitlose nur Faulpelze oder bestenfalls Menschen, die nicht bereit sind ihre Arbeitskraft zu jedem Preis zu verkaufen und unter jeder Zumutung auf dem Markt feil zu bieten.
Albrecht Müller hat allerdings völlig Recht, wenn er Beck entgegenhält, dass sein Vorschlag nur glaubwürdig wäre, wenn die Arbeitslosenversicherung wiederherstellt, die die Betroffenen im Notfall auffängt und ihnen die Angst vor dem sozialen Absturz nähme.
Trotz des Trommelfeuers, das Kurt Beck entgegenschlug, scheint er immerhin an seinem Vorschlag festzuhalten [PDF – 52 KB]
Anmerkung AM: Tiefensee ist schon herausragend dreist oder herausragend unwissend. Zu behaupten beziehungsweise zu unterstellen, die Bahn könne sich kein Geld besorgen, wenn sie nicht auf Mittel privater Geldgeber über die Börse zurückgreife, ist schlicht falsch. Die Bahn kann sich auf einfache Weise, nämlich zum Beispiel über Anleihen, für die sie wegen ihrer hohen Bonität vergleichsweise niedrige Zinsen zahlen muss, Geld besorgen. Wirklich zukunftsträchtige Investitionen sind auch bisher nicht am Geldmangel gescheitert.
Übrigens ist die Geldbeschaffung über Anleihen auch um vieles billiger als eine Volksaktie. Auch bei der Herausgabe einer Volksaktie ist ein enormer Aufwand fällig, den sich die Begleiter des Börsengangs auch dieser Art üppig bezahlen müssen.
Kommentar: Obwohl Thomas Fricke meines Erachtens mit den Reformen noch viel zu freundlich umgeht und zum Beispiel viel zu wenig in Rechnung stellt, was zum Beispiel mit Hartz IV an Sicherheitsempfinden und an Zustimmung zu unserem Gemeinwesen zerstört worden ist, ist sein Kommentar hilfreich, um die im schnellen Rhythmus wiederkehrenden Lobeshymnen auf die Reformpolitik als Mittel zur wirtschaftlichen Belebung und Arbeitsplatzbeschaffung als verlogen zu erkennen.
Auch Günter Grass wirkt wieder mal am Versuch einer Gleichschaltung mit:
Schröder-Freund Grass lobt Merkel
Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein gutes Zeugnis ausgestellt. «Gemessen an den Schwierigkeiten, die große Koalitionen mit sich bringen, macht sie ihre Sache gut», sagte Grass der «Frankfurter Rundschau». Er schränkte jedoch ein: «Sie setzt dabei sehr viel sozialdemokratische Reformpolitik um, ohne dass die Sozialdemokraten davon profitieren. Auf Dauer kann das nicht gutgehen.»
Quelle 1: Netzeitung
Quelle 2: FR-Online
Dazu passt:
Zahl der überschuldeten Haushalte nimmt zu
Trotz brummender Konjunktur und der vielbeschworenen »Entspannung« auf dem Arbeitsmarkt hat die Zahl der überschuldeten Haushalte in Deutschland weiter dramatisch zugenommen. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte, wurden im Jahr 2006 ein Drittel mehr Verbraucherinsolvenzen registriert als im Vorjahr. Statt der 68000 Fälle im Jahr 2005 waren es 92000 im vergangenen. Hauptursachen sind nach Angaben der Statistiker Arbeitslosigkeit, familiäre Probleme sowie gescheiterte Selbständigkeit. Die Betroffenen standen 2006 mit durchschnittlich 37000 Euro in der Kreide. Demgegenüber verfügten sie über ein monatliches Nettoeinkommen von im Mittel 1150 Euro. In 60 Prozent der Fälle gingen die Einkünfte nicht einmal über 900 Euro hinaus.
Quelle 1: junge Welt
Quelle 2: Statistisches Bundesamt
Anmerkung: Die schweigende Mehrheit der Studierenden, die ja bekanntermaßen aus besser verdienenden Schichten stammen, dürfte in der Tat keine Probleme mit den Gebühren haben, die Eltern bezahlen ja. Über diejenigen, die sich selbst oder deren Eltern die Studiengebühren nicht bezahlen können und vom Studium ausgeschlossen werden, schweigt die schweigende Mehrheit – ein Beispiel für den Verlust an Solidarität der sog. akademischen Jugend
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=2674