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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Merkels clevere Vielfalt-Strategie und die Einfalt auf der anderen Seite: Geschlossenheit!
Datum: 7. September 2007 um 9:27 Uhr
Rubrik: CDU/CSU, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
In der FR vom 4.9. gab es ein Interview mit Bundeskanzlerin Merkel: Darin offenbarte sie ein wichtiges Strategieelement der Union, auf das ich unsere Leser aufmerksam machen wollte. Ganz im Sinne des Ziels der NachDenkSeiten, auf Strategien der Meinungsbeeinflussung hinzuweisen. Albrecht Müller.
Hier ist der einschlägige Auszug aus dem Interview:
Angela Merkel hat begriffen, dass eine Volkspartei wie die Union oder die SPD Wahlen nur dann erfolgreich bestehen kann, wenn sie viele Gruppen bedient – mit faktischer Politik oder mit programmatischen Formulierungen oder nur mit als glaubwürdig vermittelten Worten. Nur wenn sich Menschen aus vielen verschiedenen Gruppen mit sehr verschiedenen politischen Anliegen wiedererkennen, sind Wahlergebnisse von über 40% für eine Partei überhaupt denkbar. Wir nannten das bei früheren Wahlkampfplanungen das „Scheibchenmodell“ der Wahlkampfplanung. Im Buch „Willy wählen 72“ über den Wahlkampf 1972 habe ich dieses Modell beschrieben. Weil dies als Strategieelement unserer größeren Parteien, wie man an Angela Merkels Strategie sieht, immer noch aktuell ist, steht Ihnen der entsprechende Text als Auszug zur Verfügung.
Angela Merkel lässt plurale Profilierung zu. Sie lässt auch den Streit darüber zu. Andere, CDU-Landesfürsten wie Jürgen Rüttgers zum Beispiel praktizieren die Strategie in ihrem Bereich vorzüglich. Soziales Reden und konservative praktische Politik, harte Worte gegen die Hartz Gesetze und die Agenda 2010 auf der einen Seite und eine knallharte Privatisierungspolitik und die Überantwortung der nordrhein-westfälischen Universitäten in den Einflussbereich der Wirtschaft auf der anderen Seite. Bei Angela Merkel auch soziale Töne sowie Klimaschutz als neues Profilierungselement und gleichzeitig eine Renaissance von Ludwig Erhard ohne viel Soziales, das ist die verwirrende Praxis.
Offensichtlich funktioniert diese Strategie der großen Bandbreite, wie man an den Umfragen sieht. Man kann das Funktionieren dieser Strategie auch daran erkennen, dass Frau Merkel eine „recht sozialdemokratische Kanzlerin“ (siehe Interview FR) genannt wird. Oder daran, dass man jetzt gelegentlich hören oder lesen kann, die CDU-Vorsitzender habe sich von den neoliberal geprägten Beschlüssen des Leipziger Parteitages der CDU und damit vom neoliberalen Kurs der Union verabschiedet und überhole die SPD links. Solche Beobachter leiden offenbar an selektiver Wahrnehmung. Das ist genau das, worauf die Strategen der Vielfalt setzen.
Was vom angeblichen Linksruck der Union zu halten ist, kann man erkennen, wenn man den folgenden Bericht der Berliner Zeitung über einen Auftritt Angela Merkels mit Buchvorstellung beim CDU-Wirtschaftsrat liest
Ich zitiere daraus:
„Nichts ist unsozialer als der Wohlfahrtsstaat“ oder: „Der geordnete Markt ist bereits selbst sozial“ – das klingt schon ungeheuer beeindruckend nach der Befreiung von den Fesseln der neoliberal geprägten Leipziger Beschlüsse, kann man hierzu nur noch ironisch anmerken. Aber so ist das mit den vielen Gesichtern. Jeder sucht sich das Gesicht heraus, das ihm gefällt. So ist es von den Strategen auch gedacht.
Da bleibt für kritische Zeitgenossinnen/en nur der Versuch, bei Anerkennung der Notwendigkeit pluraler Ansprache durch die Volksparteien ernsthaft und immer wieder zu prüfen, was glaubwürdig ist am vielfältigen Auftritt und was nicht. Wenn eine politische Gruppe sozial tönt und zugleich ein ganzes Bündel gegenläufiger Maßnahmen wie zum Beispiel die Mehrwertsteuererhöhung und die Unternehmensteuersenkung, weitere steuerliche Erleichterungen für die Heuschrecken und die Studiengebühren durchdrückt und umsetzt, dann sind die sozialen Töne sehr wahrscheinlich aufgesetzt. Ähnlich ist das vermutlich mit den neuen ökologischen Akzenten. Das alles gehört zu einer Strategie der großen Bandbreite.
Die SPD scheint nicht einmal die strategische Notwendigkeit einer solchen Wählerstrategie begriffen zu haben. Dort freute man sich in dieser Woche kindlich über das neue Gefühl der Geschlossenheit, nachdem der Vorsitzende diese Geschlossenheit angemahnt und dabei auf den Tisch gehauen hatte.
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