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Titel: Armut im Alter – Droht Rentnern Altersarmut?
Datum: 31. August 2007 um 15:48 Uhr
Rubrik: Rente, Sozialstaat, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Zur Rentenpolitik aus gewerkschaftlicher Sicht ein Beitrag der ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Ursula Engelen Kefer. Mit einer Anmerkung von Wolfgang Lieb.
Die Solidarität in der Gesellschaft bröckelt
Von Ursula Engelen Kefer
Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Wochen im so genannten „ Sommerloch“, könnte das Thema für diese Veranstaltung nicht aktueller sein:
Kein Wunder, dass viele Menschen vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht viel spüren. Trotz hervorragender Export-Konjunktur zieht die Binnennachfrage nicht ausreichend mit. Dies wäre jedoch für einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung dringend notwendig. Die Zweiteilung unserer Wirtschaft zwischen boomenden Exportsektoren und dahin dümpelnder Binnenwirtschaft setzt sich fort und führt zunehmend zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft.
Schon längst ist der so genannte Mittelstand auf Arbeitnehmer- und Arbeitsgeberseite kein Markenzeichen „made in Germany“ mehr.
Der kleinen aber immer „feiner“ werdenden Schicht der Wohlhabenden stehen immer mehr Menschen gegenüber, die vom Wohlstand abgekoppelt sind.
Armut ist leider in Deutschland keine Randerscheinung mehr, sondern frisst sich immer mehr in die Mitte unserer Gesellschaft.
Welche Lebens-Perspektiven haben Menschen, die trotz Vollzeitarbeit ihre Lebensexistenz nicht mehr sichern können und auf Hartz IV mit allen negativen Begleiterscheinungen angewiesen sind?
Welche Zukunft haben Kinder, die in Armut aufwachsen und oft sogar die Schulmahlzeiten nicht mehr bezahlen können?
Welche Zukunft haben Jugendliche aus Elternhäusern in sozialer Ausgrenzung und Armut, die ohne Abschluss von der Schule gehen.
Welche Perspektive bieten wir jungen Menschen, denen wir nach dem Schulabschluss eine anerkannte Berufsausbildung und den Übergang in eine qualifikationsgerechte Beschäftigung verweigern.
Wie gehen wir mit Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern oder mit Kindern mit Migrations-Hintergrund um?
Wie können wir es uns leisten, zehn Prozent eines Schülerjahrgangs im Durchschnitt ohne Abschluss von den Schulen in die Arbeits- und Hoffnungslosigkeit zu entlassen?
Auch im Internationalen Vergleich zieht das Markenzeichen „made in Germany“ zwar im Export, aber schon lange nicht mehr im Binnen-Verhältnis.
Bei Langzeit-Arbeitslosigkeit, Armut, Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Schichten sind wir leider im EU-Vergleich rekordverdächtig.
Das Gegenteil gilt bei Betreuung, Erziehung, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Hier sind wir eher am unteren Ende der Skala mit vergleichbaren Ländern in der EU.
Dies alles wissen wir seit vielen Jahren, aber bis heute fehlt es an überzeugenden Konzepten und vor allem deren Durchsetzung, damit die Schere in unserer Gesellschaft zwischen arm und reich nicht immer weiter aufgeht – geschweige denn wieder geschlossen werden kann.
Gesetzliche Altersrente unter Dauerbeschuss
Dies ist das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld, in dem das Thema des heutigen Abends zu behandeln ist: Droht Rentnern Altersarmut?
Früher- in den 1960er, 1970er und auch noch 1080er Jahren – hätte ich dies weit von mir gewiesen.
Unsere solidarische gesetzliche Rentenversicherung hat in Deutschland – wie in kaum einem anderen vergleichbaren Industrieland – Altersarmut in den Randbereich verweisen können.
Die gesetzliche Altersrente hat nicht nur – wie kein anderes Alterssicherungssystem – zwei Weltkriege überstanden, sondern auch in den meisten Fällen ein Leben in Würde ermöglicht.
Wenn der ehemalige Bundesarbeitsminister, Norbert Blüm, sagte „Die Rente ist sicher!“ habe ich darin vor allem ein politisches Programm gesehen, für das es sich zu streiten lohnte.
Und als für Sozialpolitik zuständige Stellvertretende Vorsitzende des DGB habe ich mehr als genügend Gelegenheit zum Streit gehabt.
Der „Häme“ gegen diesen An- und Ausspruch von Norbert Blüm habe ich mich bis heute nicht angeschlossen und werde dies auch nicht tun – nicht weil ich glaube, die Rente sei heute noch so sicher wie früher – sondern, weil ich der Auffassung bin, dass die große Mehrzahl der Menschen von der solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung auch in Zukunft abhängig sein werden.
Die beitragsbezogene, umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung muss auch in Zukunft eine menschenwürdige Lebensexistenz absichern.
Sowohl der Verweis auf die kapitalgedeckte Altersversorgung als auch steuerfinanzierte Grundrentenmodelle kann und darf nur eine Ergänzung darstellen.
In keinem Fall dürfen sie Ersatz für die solidarische gesetzliche Altersrente sein.
Das heißt für mich aber auch: die Politik des Abbaus der Rentenleistungen und des Rentenniveaus jetzt über 15 Jahre muss endlich beendet werden. Wir brauchen dringend eine Trendwende.
Es ist schon bezeichnend: Die Professoren Rürup und Raffelhüschen, die den Sozialabbau auch bei der gesetzlichen Rentenversicherung maßgeblich vorangetrieben haben, geben inzwischen zu, dass das Ende der Fahnenstange bei den Kürzungen erreicht sei.
Ich glaube, dass die Politik- unterstützt und teilweise sogar getrieben von diesen Wissenschaftlern- bereits viel zu weit gegangen ist und ihre Kürzungsentscheidungen bei der gesetzlichen Altersrente zurückdrehen müssen.
Die Kürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung der letzten 15 Jahre haben die Rentenleistungen bereits bis heute um etwa ein Drittel verringert.
Beigetragen dazu haben: die drastische Verringerung und inzwischen vollständige Abschaffung der Anrechnung von Bildungszeiten, die ständigen Heraufsetzungen des Renteneintrittsalters für Frauen, Arbeitslose, Erwerbsgeminderte, Schwerbehinderte, die erheblichen Einschränkungen beim Zugang zur Erwerbsminderungsrente, die Einschränkungen bei der Hinterbliebenenrente.
Paradigmenwechsel in der Alterssicherung
Einen Paradigmenwechsel in der solidarischen gesetzlichen Altersversorgung hat die Rentenreform 2001 gebracht – bekannt auch als „Riester-Rente“. Dabei wurden sowohl die kapitalgedeckte Altersversorgung als Ersatz für die gesetzliche Altersrente eingeführt als auch die Beitragssätze künstlich eingefroren – auf 20 Prozent bis 2020 und 22 Prozent bis 2030.
Die Gewerkschaften konnten in harten Auseinandersetzungen mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung zumindest durchsetzen, dass die betriebliche Altersvorsorge ausgebaut wurde, die öffentlich geförderte kapitalgedeckte Altersversorgung an Mindestbedingungen des Schutzes für die Arbeitnehmer gebunden wurden und auch ein Mindest-Rentenniveau gesetzlich festgelegt wurde.
Dass diese künstliche Fixierung von Beitragssätzen und Rentenniveau gleichzeitig der Quadratur des Kreises glich, wurde bei weiter steigender Arbeitslosigkeit sehr schnell deutlich.
Die nächste Sparrunde ließ nicht lange auf sich warten.
Auf Vorschlag von Professor Rürup wurde der sog. Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, d.h. eine weitere Absenkung des Rentenniveaus im Verhältnis der Abnahme des Anteils der Erwerbstätigen zu dem wachsenden Anteil der Rentner- also ein abgewandelter Demographiefaktor a la Norbert Blüm.
Hier konnten die Gewerkschaften das Schlimmste verhindern.
Gesetzlich wurde festgehalten, dass keine Absenkung der Rentenleistungen ins Bodenlose stattfinden dürfe.
Das Ergebnis waren allerdings jahrelange Null-runden für die Rentner.
Diese waren besonders hart getroffen.
Denn gleichzeitig wurden verschiedene weitere Sozialabbau-Maßnahmen beschlossen: Einführung der Praxisgebühr, Erhöhung der Zuzahlungen für Medikamente und Krankenhausaufenthalt, volle Übertragung der Beiträge zur Pflegesicherung auf die Rentner und erst kürzlich eine weitere Erhöhung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegesicherung sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent.
Dabei ist es für Rentner wenig tröstlich, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wurden und auch weiter abgesenkt werden sollen, da sie davon gar nicht betroffen sind.
Rentenspirale nach unten dreht sich weiter
Auch in der seit Ende 2005 amtierenden Großen Koalition geht die Rentenspirale nach unten weiter.
Da der Nachhaltigkeitsfaktor ausgesetzt werden musste, soll er zukünftig nachgeholt werden, was das Rentenniveau weiter absenken soll.
Damit aber nicht genug:
Das gesetzliche Rentenalter soll ab 2012 bis 2029 von 65 auf 67 Jahre angehoben werden.
Das heißt weitere Rentenabschläge bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand.
Für viele ältere Menschen, die aus Erwerbsminderung, Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit vorzeitig in die Altersrente gehen müssen heißt dies Abschläge an ihrer gesetzlichen Altersrente bis zu 25 Prozent – 3,5 Prozent für jedes Jahr des Eintritts in die Rente vor dem dann 67, Lebensjahr.
Allerdings können Arbeitnehmer mit 45 Beitragjahren auch in Zukunft ohne Abschläge mit 65 Jahren in Rente gehen.
Dies ist für einen Teil der Männer mit durchgängigen Erwerbsbiographien hilfreich. Zum Nachteil gereicht diese Regelung allerdings allen, die derartige langjährige Erwerbstätigkeit nicht aufweisen.
Dazu werden viele Frauen gehören – aber auch Männer mit Zeiten der Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung.
Aus einer jüngeren OECD-Studie geht hervor: Deutschland liegt im internationalen Vergleich beim Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Reformen der letzten Jahre für den so genannten Eckrentner mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittseinkommen mit 39,9 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens 2030 weit unten. (Heute beträgt das Rentenniveau noch 48,7 Prozent vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen.)
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass in Zukunft immer weniger Arbeitnehmer überhaupt 45 beitragspflichtige Beschäftigungsjahre und über so lange Zeit ein Durchschnittseinkommen erzielen.
Erst vor wenigen Tagen hat das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, IAB, erschreckende Ergebnisse einer Befragung älterer ALGII Empfänger vorgelegt.
Nicht nur steigt die Anzahl der ALGII-Empfänger insgesamt trotz guter Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung weiter an.
Auch die Zahl der älteren ALGII Empfänger, die aus ALGII in die Rente gehen, nimmt zu.
Die Folge ist wachsende Altersarmut für Rentner.
Dabei sind die jetzt älteren ALGII-Bezieher noch besser dran als die zukünftigen, da sie im allgemeinen nach langjähriger beitragspflichtiger Beschäftigung genügend Rentenanwartschaften erworben haben, um vor Sozialhilfe und Armut bewahrt zu bleiben.
Dies gilt allerdings nicht für viele ältere Frauen im Westen, die wegen unzureichender Erwerbstätigkeit von ihren niedrigen Rentenansprüchen nicht leben können.
Für jüngere ALGII Empfänger sehen die Zukunftsperspektiven erheblich schlechter aus.
Oft werden sie infolge der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit, instabiler und prekärer Beschäftigung zu Niedriglöhnen keine ausreichenden Rentenanwartschaften erwerben können.
Die Altersarmut wird demgemäß steigen.
Trendwende in der Rentenpolitik
Es ist daher höchste Zeit, nicht nur in der Arbeitsmarktpolitik, sondern auch in der Rentenpolitik umzusteuern.
Viele Langzeitarbeitslose in den Neuen Bundesländern haben eine berufliche Qualifikation aufzuweisen und lange Jahre in diesen Berufen auch gearbeitet. Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels müsste es auch ein Eigeninteresse der Wirtschaft sein, die beruflichen Qualifikationspotentiale bei den älteren Arbeitslosen nutzbar zu machen. Die Arbeitsagenturen und ARGEN müssen ihre Möglichkeiten zur beruflichen Anpassung und Qualifizierung viel stärker nutzen als dies bisher geschehen ist.
Unabhängig von diesen dringenden Reformen bei der Alterssicherung gilt:
Die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung hängt entscheidend von der Entwicklung der Beschäftigung und der Einkommen ab.
Eine aktive Beschäftigungspolitik und tarifliche sowie gesetzliche Mindestlöhne sind unabdingbare Voraussetzungen, um Armut insgesamt und Altersarmut im Besonderen zu verhindern.
Anmerkung Wolfgang Lieb:
Ich kann sehr gut verstehen, dass Ursula Engelen-Kefer in ihrem Vortrag immer wieder Brücken zur Regierungspolitik und zur veröffentlichten Mehrheitsmeinung zu schlagen versucht und ich bin mit ihr erleichtert über jeden Arbeitslosen der wieder Arbeit findet.
Dennoch kann ich ihre Einschätzung nicht teilen, dass wir einen „erheblichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und die Zunahme der Beschäftigung“ hätten. (Siehe dazu meine Anmerkungen zu dem Beitrag von Thomas Fricke unter den Hinweisen vom 31.08.07)
Auch Ursula Engelen-Kefer sagt ja zu Recht, dass die „dass viele Menschen vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht viel spüren“.
Wir können (leider) auch den Optimismus von Ursula Engelen-Kefer nicht teilen, dass die Politik und die Professoren Rürup und Raffelhüschen zur Einsicht gelangt wären, dass ihre Kürzungsentscheidungen bei der gesetzlichen Altersrente zurückgedreht werden müssten.
Die Politik und die genannten Wissenschaftler wollten von Anfang an den Umstieg auf die private Vorsorge und haben dazu den Abbau der gesetzlichen Rente auf ein Niveau vorangetrieben, auf dem Altersarmut droht.
Dass der DGB für ein Mindestrentenniveau von 46 Prozent gekämpft hat, war dabei ein letzter Versuch, die den Fall des Rentenniveaus ins Bodenlose aufzuhalten. Aber selbst dieser Notnagel dürfte angesichts der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors das Absinken der Renteneinkommen nicht aufhalten.
Nichts gegen eine zusätzliche Betriebsrente, aber, wie Ursula Engelen-Kefer auch fordert, nicht zu Lasten der gesetzlichen Rente. Die geplante Verlängerung der Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung konterkariert jedoch diese Forderung.
Anders als Ursula Engelen-Kefer bin ich nicht der Meinung, dass es an überzeugenden Gegenkonzepten gegen einen Sozialabbau und für eine Ankurbelung der Wirtschaft und einer aktiven Beschäftigungspolitik fehlte. Man denke nur etwa an die Vorschläge des gewerkschaftsnahen Konjunkturforschers Gustav Horn vom IMK oder an die vielen Vorschläge des DGB zur Verbesserung von Bildung und Ausbildung. Was fehlte, war die Bereitschaft der Regierungsparteien, solche Konzepte aufzugreifen. Die Regierungspolitik folgte im Gegenteil eindimensional dem angebotsorientierten Dogma von der Notwendigkeit sog. „Strukturreformen“. Nachfrageorientierte wirtschaftspolitische Ansätze der Gewerkschaften haben in dieser vorherrschenden ökonomischen Logik keinen Raum und waren und sind deshalb zum Scheitern verurteilt.
Die Strategie der Gewerkschaften, im Rahmen der Logik der herrschenden „Reformpolitik“ „das Schlimmste zu verhindern“, hat deshalb bisher jedenfalls leider nicht zu erkennbaren Erfolgen geführt. Das sollte den Gewerkschaften zu denken geben.
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