Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Varoufakis: „Diese Eurozone hat keine Zukunft, wenn sie sich nicht ändert“
Datum: 4. Mai 2015 um 10:07 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Euro und Eurokrise, Europäische Union, Markt und Staat
Verantwortlich: Redaktion
„Ich sage das schon immer: Kein Land – und nicht nur Griechenland – hätte sich einer derart schlampig konstruierten Gemeinschaftswährung beitreten dürfen – vor allem nicht ein so defizitäres Land wie das unsere. Aber ich bin zugleich der Meinung dass es zweierlei Dinge sind, zu sagen: man durfte nicht eintreten – und man muss wieder austreten. Anders formuliert: Der Pfad, der uns in die Eurozone geführt hat, den gibt es nicht mehr; und sollten wir versuchen, den Rückweg anzutreten, würden wir sehr unangenehme Überraschungen erleben.“ Ein Interview mit Yanis Varoufakis in Efimerida ton Syntaktion vom 2. Mai 2015, geführt von Tassos Pappas und Marios Christodoulou, übersetzt von Niels Kadritzke.
Viele Leute, die nicht zu Ihren politischen Gegnern gehören, hört man sagen: „Der Varoufakis ist ein charismatischer und hochintelligenter Typ, aber er redet zu viel. Und wenn man viel redet – und das auch noch in einer feindlichen Medienlandschaft – dann fallen die Schakale über einen her. Wie kommentieren sie das?
Bis zum Übereinkommen vom 20. Februar mit der Eurogruppe, um dessen Zustandekommen wir uns sehr bemüht haben, habe ich mich sehr wenig in den (griechischen) Medien geäußert und mich auf die Darstellung der griechischen Positionen im Ausland konzentriert. Als Finanzminister habe ich die Pflicht, die Erfolglosigkeit des Memorandums-Programms (der Troika) aufzuzeigen, mit dem die ungeheure Opfer des griechischen Volkes voll vergeudet wurden, und das uns die tiefste sozialen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschert hat.
Danach hatte ich die Pflicht, diese Vereinbarung (vom 20. Februar) und ihre Vorteile für Griechenland zu erklären und gegen unhaltbare und verzerrte Interpretationen zu verteidigen. Man muss auch sehen, dass ich eine Medienfront gegen mich hatte, die immer feindlicher wurde, je näher das Ende der Überbrückungsperiode rückte, die wir uns am 20. Februar verschafft hatten.
Man hört, vor allem von Ihren Gegnern, den Vorwurf des Narzissmus.
Ich versichere den Leuten, denen das Selbstbewusstsein nicht passt, mit dem diese Regierung der katastrophalen Politik der letzten fünf Jahre ihr „Nein“ entgegenhält, dass dieses Selbstbewusstsein nicht einem Narzissmus entspringt, sondern dem Auftrag, den wir am 25. Januar (von den Wählern) bekommen haben.
Ja schon, aber einige Ihrer europäischen Kollegen scheinen keine gute Meinung über Sie zu haben. Man konnte lesen, dass Sie in der Eurogruppe (von Riga am 27. April) als „Taschenspieler“, „Amateur“ und „Abenteurer bezeichnet wurden. Das sind doch schwerwiegende Anschuldigungen.
Das wären sie in der Tat, wenn sie ausgesprochen worden wären. Das ist aber nicht der Fall! Das Klima in Riga war, auf persönlicher Ebene, höflich und kultiviert. Dagegen stieß die griechische Position auf politischer Ebene auf eine Feindseligkeit, die noch über das hinausging, was innerhalb der EU üblich ist. Aber dabei muss man sich klarmachen: Diese Feindseligkeit war weder gegen mich noch gegen die Regierung gerichtet. Sie richtet sich vielmehr gegen das griechische Volk, das nach wie vor – angesichts der Politik der Memoranden – unsere Regierung unterstützt.
Diskutieren Sie lieber mit den Typen aus dem Exarchia-Viertel (gemeint sind linksradikale und anarchistische Jugendliche), die Sie beschimpfen, oder mit dem Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, der Sie angeblich regelmäßig heruntermacht?
Die Diskussion, die sich nach einem Zusammenstoß (mit Dijsselbloem (NK)) entwickelt hat – und nach einer Attacke, durch die wir uns bedroht fühlten -, verläuft nach einer eigenen Dialektik, und zwar von Gewaltdrohungen hin zum Dialog. Dieser Verlauf hinterlässt bei mir sehr positive Gefühle. Denn auf der persönlichen Ebene liegen die Dinge völlig anders. Und die persönlichen Qualifizierungen, die bei der letzten Eurogruppe angeblich über mich geäußert wurden, sind unzutreffend und absolut unwahr.
Aber Dijsselbloem hat sie nicht dementiert …
Ich finde es sehr schlecht, dass Herr Dijsselbloem diese Qualifizierungen nicht dementiert hat, nachdem man ihm eine entsprechende Frage gestellt hatte. Er hat das versäumt, indem er von einer „kritischen Diskussion“ gesprochen hat. Ich meine, dass dies nicht dem entspricht, was in dem Konferenzraum gelaufen ist, und diese verzerrte Darstellung lässt mich an der politischen Kultur bei diesem ganzen Vorgang zweifeln. Aber ich betone erneut: In dem Sitzungssaal, aber auch auf persönlichen Ebene, verliefen diese Gespräche im Rahmen der Eurogruppe durchaus zivilisiert.
Nach Medienberichten haben sie zu den jungen Leuten im Exarchia-Viertel gesagt: Spätestens in einer Woche wird man mich aus der Regierung rausgeworfen haben…
In Wirklichkeit habe ich folgendes gesagt: Ich bin kein Politiker, ich bin innerhalb der Politik ein Fremdkörper.
Die BILD-Zeitung hat sie als „libertären Kommunisten“ bezeichnet (eine Verwechslung mit der Springer-Zeitung „Die Welt“ (NK)). Wie würden Sie selbst sich ideologisch verorten?
Das ist ein weiteres Beispiel für „faulen“ Journalismus. Die beziehen sich offenbar auf einen umfangreichen Artikel, den ich im englischen „The Guardian“ (am 13. Februar 2015) publiziert habe – und den sie wie üblich nur oberflächlich gecheckt haben. Darin beschreibe ich mich als „libertären Marxisten“.
Was bedeutet der Begriff?
Ich erinnere Sie daran, dass Marx selbst gegenüber dem Staat besonders misstrauisch war und sogar glaubte, der Staat müsse sich auf dem Weg zu einer guten Gesellschaft selbst abschaffen. Demzufolge muss der Staat dazu benutzt werden, die bestehenden Herrschaftsstrukturen zu überwinden, um anschließend Raum für neue Formen einer gesellschaftlichen, dezentralisierten Selbstorganisation zu haben. Aus dieser Perspektive ist mir die Kritik des Staates seitens der Libertären und der Anarchisten (wörtlich: der anti-exousiaston, also der Machtgegner (NK)) durchaus sympathisch. Auf der anderen Seite versäumen es die Libertären, die Macht des Kapitals über den Menschen (und sogar über die kapitalistischen Staaten) genauso stark zu kritisieren – eine Kritik, die Marx selbst glänzend formuliert hat.
Kurzum, ohne Marx kann man nicht verstehen, wie die Marktgesellschaften funktionieren; zugleich aber halte ich es für einen Fehler der marxistischen Linken, dass sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Begriff der Freiheit verworfen (und damit den Neo-Liberalen überlassen) hat, indem sie sich auf den Begriff der Gerechtigkeit konzentriert und zudem auf den Staat fixiert haben.
Einige ihrer ökonomischen Fachkollegen sind der Meinung, dass es für Griechenland ein Fehler war, in die Europäische Währungsunion einzutreten, dass aber ein Austritt aus der Eurozone ein noch größerer Fehler wäre. Stimmen Sie dem zu?
Ich sage das schon immer: Kein Land – und nicht nur Griechenland – hätte sich einer derart schlampig (wörtlich morsch n(NK)) konstruierten Gemeinschaftswährung beitreten dürfen – vor allem nicht ein so defizitäres Land wie das unsere. Aber ich bin zugleich der Meinung dass es zweierlei Dinge sind, zu sagen: man durfte nicht eintreten – und man muss wieder austreten. Anders formuliert: Der Pfad, der uns in die Eurozone geführt hat, den gibt es nicht mehr; und sollten wir versuchen, den Rückweg anzutreten, würden wir sehr unangenehme Überraschungen erleben.
Seit Beginn der Verhandlungen mit den Partnern kursiert die Meinung, auch innerhalb der Syriza, dass das Programm von Thessaloniki (das Wahlprogramm der Syriza(NK)) und der Verbleib des Landes in der Eurozone miteinander unvereinbar seien, und zwar vor allem wegen der ungünstigen Konstellationen in der heutigen EU. Was sagen Sie dazu?
Das ist die große Frage für alle Länder der Eurozone: Gibt es einen Weg, Europa nach dem Ausbruch der Eurokrise wieder zu einem gemeinsamen Raum des Wohlstands zu machen – statt zu einer gemeinsamen Falle der Austerität und der Deflation?
Eine gute Frage. Und die Antwort?
Seit Jahren schon, und lange bevor ich die politische Bühne betreten habe, versuche ich, die Frage zu bejahen – aber es muss dazu der politische Wille da sein. Ich glaube immer noch an eine positive Antwort. Was uns fehlt, ist die Schaffung des politischen Bündnisses, das man braucht, um einen solchen Wandel zu realisieren.
Also glauben Sie, dass die Eurozone nicht überleben kann, wenn sie sich nicht ändert.
Diese Eurozone hat keine Zukunft, wenn sie sich nicht ändert.
Und was Griechenland betrifft, kann das Land ohne neue Kredite auskommen?
Aber sicher. Allerdings ist eine der Voraussetzungen, dass es zu einer erheblichen Umschuldung kommt.
Hat es hinter den Kulissen eine Diskussion über eine substantielle Schuldenentlastung gegeben?
Ja.
Die Gläubiger haben, auf wenig elegante Weise, Ihre Degradierung innerhalb des Verhandlungsteams gefordert. Werden sie durch die Ernennung von Tsakalotos (zum Koordinator des Teams (NK)) unter Aufsicht gestellt?
Die Gläubiger würden gerne die ganze Regierung degradieren, jedenfalls wenn sie nicht kapituliert. Der Ministerpräsident, alle Minister, und die Gesellschaft insgesamt, wir alle weigern uns, diesem Ansinnen zu entsprechen. Was das politische Verhandlungsteam betrifft, das von Anfang an funktioniert hat und jetzt offiziell installiert wurde, so arbeitet es unter meiner Verantwortung, und mein Freund und Genosse Evkleidis Tsakalotos ist für die Koordierung mit anderen Institutionen verantwortlich (also etwa mit der Partei, der Parlamentsfraktion, dem Kabinett, den Arbeitsgruppen auf technischer Ebene). Es handelt sich eher um eine Aufwertung – von uns allen. Das Gerücht, das ich degradiert und innerhalb der Verhandlungsführung ersetzt wurde, wird dem Licht der Wahrheit nicht standhalten.
Werden Sie mit Tsakalotos ein gutes Tandem bilden?
Das sind wir schon seit langer Zeit. Ich erinnere mich an meine erste Reise als Finanzminister, die ich zusammen mit Evkleidis unternommen habe. Und ich muss Ihnen sagen, dass bei unseren Treffen mit meinen Ministerkollegen sein Beitrag sehr wichtig war; und dass wir beide mit Freude festgestellt haben, wie gut wir uns gegenseitig ergänzen. Um es einfach zu sagen: Nichts hat sich geändert. Wie sehr die Kräfte, die die Regierung zu Fall bringen wollen, sich auch bemühen, einen inneren Zwiespalt oder Auflösungserscheinungen (der Regierung) herbeizuführen, es wird ihnen nicht gelingen.
Wenn Sie zwischen einem „Kreditereignis“, also der Zahlungsunfähigkeit, und einem „politischen Ereignis“, also der Nichtauszahlung von Löhnen und Renten wählen müssten, was wäre Ihre Wahl?
Wir streben eine Vereinbarung an, die uns dieses katastrophale Dilemma erspart.
Wenn wir eine neue Vereinbarung eingehen, werden wir dann weitere Gelder auf der Basis eines neuen Memorandums (also neuer Spardiktate (NK)) bekommen? Und wie könnte man das vermeiden?
Unser Ziel ist eine Übereinkunft, die die griechische Schuldenlast tragbar macht und die griechische Gesellschaft und Wirtschaft wieder nachhaltig belebt. Mit diesem Ziel vor Augen arbeiten wir an unserem Neuen Plan für die Entwicklung und Erholung Griechenlands: eine vollständige und realistische Vision für eine dauerhafte Überwindung der Krise und einen gesamteuropäischen Aufschwung. Wir werden diesen neuen Plan innerhalb sehr kurzer Zeit vorstellen.
Wenn Sie mit den Partnern diskutierten, haben Sie den Eindruck, dass sie Partner, Freunde und Bundesgenossen sind – oder aber Gegner?
Konfliktpartner. Partner, die in einem Zustand der Angst agieren, einerseits wegen der Krise, andererseits wegen einer Krisen“lösung“, von der alle im Grunde wissen, dass sie keine Stabilität bringt und ohne weiteres zu neuen „Abenteuern“ führen kann.
Nach unserer Meinung bietet die europäische Sozialdemokratie ein betrübliches Bild.
Warum hat die Sozialdemokratie so bedingungslos vor dem Neoliberalismus kapituliert? Vor den 1990er-Jahren hat die europäische Sozialdemokratie tatsächlich eine Umverteilungspolitik versucht, durch Stärkung der sozialen Institutionen, über Tarifverträge und durch Mindestlöhne. Aber seit den 1990-Jahren hat sie sich „modernisiert“. Neue Repräsentanten, die zu Bewunderern – oder sogar Götzendienern – der globalen Finanzmärkte wurden, adoptierten die neue Praxis, die heute alle Sozialdemokraten pflegen: Sozialstaat finanziert mit toxischen Geldern, das heißt: mit einem Teil der Superprofite jener Finanzmärkte, zu deren unkontrolliertem Funktionieren die Sozialdemokraten selbst beigetragen haben. Die unentwegt fließenden Geldströme führten dazu, dass die Sozialdemokraten den kritischen Blick verloren, mit dem sie früher erkannt hatten, dass unregulierte Geld-, Arbeits- und Immobilienmärkte ungeheuer problematisch sind.
Und dann kam der Krach von 2008 …
Als dieser Krach kam, wurde die Sozialdemokratie von der explodierenden Blase hinweggefegt, ohne sich der Forderung zu widersetzen, dass das zerrüttete internationale Finanzsystem, dessen Wertesystem sie so innig umarmt hatte, unbedingt gerettet werden müsse. Nachdem sie sowohl ihre analytische Fähigkeit als auch ihr Ethos verloren hatte, hat sie sich auf die „Logik der Sparprogramme“ eingelassen. Und seitdem geht es ihr jeden Tag mieser.
Uns hat ihre Meinung beeindruckt, dass Herr Schäuble ein Intellektueller sei. Uns kommt er eher vor wie ein zynischer Buchhalter ohne soziale Sensibilität, also wie ein fanatischer Neoliberaler.
Aus Sicht der Wirtschaftstheorie kann man Schäuble nur als „Ordoliberalen“ bezeichnen. Das ist eine klassisch deutsche Schule ökonomischen Denkens, die den Liberalismus mit der Respektierung festgelegter „Regeln“ und der Idee einer sozial verantwortlichen Wirtschaft verbindet, und das alles innerhalb des politischen Rahmens der Christdemokraten. Und ich schätze die Qualität dieses Menschen anders ein als Sie. Herr Schäuble hat gründlich nachgedacht und er selbst hat sich leidenschaftlich im Kampf für den Aufbau Europas engagiert. Ich habe mit ihm große Differenzen, aber ich werde nie bereit sein, einen so wichtigen politischen Gegner herabzusetzen.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=25929