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Titel: Fragen zur „Wertschöpfung“ des Finanzsektors

Datum: 20. August 2007 um 9:01 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, USA
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In den Hinweisen vom 17.8. findet sich ein Verweis auf einen Artikel von Egon W. Kreutzer: „Das Beben der Märkte“. Dort steht neben vielem Interessanten eine fragwürdige Passage. (Siehe Anhang unten.) Kreutzer befürchtet, dass durch die Krise auf dem US-Hypothekenmarkt die Baubranche nahezu zum Erliegen kommt und dies immerhin 4,9% des Bruttoinlandsprodukts der USA betreffe. 20,9% des Bruttoinlandsprodukts mache der ebenfalls betroffene Bereich „Immobilien und Finanzierung“ aus. Dort sei zwar in Relation zur hohen Wertschöpfung eine geringere Zahl von Arbeitsplätzen betroffen. „Dabei handelt es sich um gute Jobs aus dem Kernbereich der Erwerbstätigkeit“, meint Kreutzer.
Ich bezweifle, dass es sich beim Sektor Finanzierung um einen Kernbereich der Erwerbstätigkeit handelt. Jedenfalls soweit in diesen Bereichen die neuen Finanzprodukte entwickelt werden, die dem Casinobetrieb oder der Verschleierung fauler Hypothekenkredite dienen (siehe auch NachDenkSeiten vom 17.8.), kann man wahrlich nicht von einem Kernbereich sprechen. Meine Gegenthese: Im Bereich Finanzdienstleistungen findet eine riesige Verschwendung von volkswirtschaftlichen Ressourcen statt. Albrecht Müller.

Vorweg: Sie finden zu diesem Thema schon einige Beiträge in den NachDenkSeiten (siehe unter anderem die Rubrik Sachfragen Unterrubrik Kapitalmarkt.)
Und nun zur Begründung meiner Gegenthese einige stichwortartige Hinweise und Fragen. Dabei gilt meine Kritik nicht speziell dem Beitrag von Kreutzer. Er ist nur der Anstoß zu einer Diskussion, die angesichts der Blase auf den Finanzmärkten, der Folgen und der Rettungsaktionen zulasten der Allgemeinheit geführt werden muss:

  1. Der Kapitalmarkt hat wie der Markt für Güter und andere Dienstleistungen (zum Beispiel Transportleistungen) eine wichtige Funktion: Personen, Unternehmen und andere Einrichtungen, die sparen, werden mit jenen zusammengebracht, die Kredite brauchen. Der Betrieb von Wettspielen und der Betrieb eines weltweiten Casinos gehören nicht zu den notwendigen Leistungen des Kapitalmarkts. Die Erfindung von Wertpapieren, mit denen man faule Hypotheken mit anderen Krediten bündeln kann, gehört auch nicht zu den produktiven Leistungen des Kapitalmarkts.
  2. Wenn es wirklich stimmt, dass 20,9% des amerikanischen Bruttoinlandproduktes im Segment Immobilien und Finanzierung „erarbeitet“ werden, so Kreutzer (ich kann es kaum glauben – das ist etwas mehr als ein Fünftel), dann zeigt das schon, wie aufgeblasen dieser Sektor ist.
  3. Es wäre interessant zu untersuchen, inwieweit der mit glänzenden Augen immer wieder gefeierte hohe Dienstleistungsanteil am Bruttoinlandprodukt in Großbritannien und in den USA ein Signal für die Größe dieses unproduktiven Sektors dieser Volkswirtschaften ist. Dann wäre das allerdings kein Grund zum Feiern, sondern zum Beklagen. – Es ist zugleich die Frage, ob wir gut daran tun, diesen Sektor auch bei uns zu fördern und auszuweiten. Dass wir schon mittendrin sind, zeigen die Beteiligungen an der Finanzierung der amerikanischen Hypothekenblase und die hohen Verluste beteiligter deutscher Banken.
  4. Die damit verbundene Ressourcenverschwendung hat obendrein, wenn die Blase platzt, negative Rückwirkungen für andere Bereiche.
  5. In dem Artikel von Kreutzer findet sich auch noch ein Hinweis auf eine besondere Struktur dieses Sektors der Ökonomie: Hohe angebliche Wertschöpfung bei niedriger Beschäftigungszahl. Ich sage „angebliche“ Wertschöpfung, weil diese an der Höhe der Gewinne und der Einkommen gemessen wird. Ein anderes Maß gibt es nicht. Das heißt konkret: die unglaublichen Gehälter der Londoner Investmentbanker, die mehreren Hunderte von Millionen für die jährliche Entlohnung des Eigners von Blackstone, die völlig unverhältnismäßigen Gewinne der Deutschen Bank, die riesigen Beratungshonorare für Privatisierungen und Teilprivatisierungen über PPP – im Falle der Teilprivatisierung der Londoner U-Bahn betrugen diese Honorare über 700 Millionen € – , die Beratungshonorare für Friedrich Merz und Rudolf Scharping und all die vielen andern (siehe NachDenkSeiten) gehen alle in die Berechnungen der „Wertschöpfung“ ein. Das ist aber keine Wertschöpfung, das ist schlicht Verschwendung, die Folge eines aufgeblasenen Kapitalmarkts und einer ideologisch angefeuerten Privatisierungswelle.

Anhang:

Auszug aus: Das Beben der Märkte von Egon W. Kreutzer:

„Doch damit ist das Krisenszenario längst nicht vollständig beschrieben. Parallel zu dieser Entwicklung wird die Baubranche nahezu zum Erliegen kommen. Weder neu errichtete Luxusappartements noch nagelneue Fertighäuser aus dem Katalog werden Abnehmer finden. Denn einerseits ist die Zahl der per Zwangsversteigerung zu erwerbenden Billigst-Schnäppchen viel zu groß und andererseits hegt für lange Zeit niemand mehr eine Renditeerwartung, die den Neubausektor aus spekulativen Erwägungen heraus beflügeln könnte. Selbst große staatliche Bauprogramme, wofür auch immer, können den über mehrere Jahre anhaltenden Niedergang der Bau- und Einrichtungsbranche in den USA nicht aufhalten, einerseits, weil der geeignete Startzeitpunkt bereits verpasst ist, andererseits weil auch die Regierung ein Problem haben wird, in Zeiten zusammenbrechender Finanzmärkte die notwendige Liquidität bereitzustellen, ohne mit jedem zusätzlichen Dollar ein massives Ansteigen der Inflation auszulösen.
Doch der Bausektor selbst ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Bruttoinlandsprodukt der USA, im Jahre 2006 immerhin 13,25 Billionen US$, entstand zwar nur zu 4,9 Prozent im Bau, zu 20,9 Prozent jedoch im Bereich Immobilien und Finanzierung – und weil auch diese tief in die Krise verstrickt sind, ist damit rund ein Viertel der statistisch erfassten Wertschöpfung der USA betroffen. Obwohl der Personalbedarf der Bereiche Immobilien und Finanzierung in Relation zur Wertschöpfung sehr gering ist, so kann doch geschätzt werden, dass alleine dadurch, dass den Immobilienmärkten die Luft ausgeht, bis zu 10 Millionen Arbeitsplätze akut bedroht sind – und dass alleine in Folge dieser Entwicklung, ohne die weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, binnen der nächsten 12 Monate mindestens 3 Millionen Jobs verloren gehen. Dabei handelt es sich um gute Jobs aus dem Kernbereich der Erwerbstätigkeit. Da die Statistiker in den USA mit den Begriffen Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit noch weitaus großzügiger umgehen, als wir das in Deutschland allmählich kennenlernen, ist das ein weit größeres Stück vom Kuchen der Erwerbstätigkeit, als es die völlig überzogene Zahl der “per Telefonumfrage im Stichprobenverfahren” festgestellten 142 Millionen Erwerbstätigen vorgaukelt.“


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