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Titel: Keine Demokratie ohne Demokratisierung der Medien!
Datum: 30. März 2015 um 12:42 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Interviews, Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Dass den Medien in bürgerlichen Demokratien auch und vor allem die Aufgabe der „Gedankenkontrolle“ der Bürgerinnen und Bürger zukommt, hat Noam Chomsky, der meistzitierte Intellektuelle der Welt, in etlichen Publikationen herausgearbeitet und belegt. Diese Funktion der Medien wird – vor allem wohl aufgrund der Zunahme an Kriegen und gesellschaftlicher Segregation – für immer größere Bevölkerungsteile aktuell evident. Sie betiteln die Medien daher als „Lügenpresse“, legen Programmbeschwerden ein und „basteln“ sich ihre Informationen mehr und mehr aus den wenigen unabhängigen Medien und im Netz selbst zusammen. Wie aber ist es nun um „unsere“ Medien bestellt? Lügen sie oder lügen sie nicht? Und welche Rolle spielen die Journalisten hierbei? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit dem Journalisten und Medienkritiker Eckart Spoo, der hierzu einen klaren Standpunkt vertritt.
Herr Spoo, spätestens seit der Medienschelte von PEGIDA und dem neuen „Unwort des Jahres“ ist Medienkritik im Verdacht, irgendwie „rechts“, „undifferenziert“ oder sogar „Verschwörungstheorie“ zu sein… Was halten Sie davon?
Medienschelte, Medienkritik – sind das Synonyme? Medienkritik sollten die Kinder frühzeitig in der Schule, am besten schon in der Vorschule lernen. An Medienschelte würde ich mich nicht beteiligen. Hilft Schelte dem Gescholtenen? Als Journalist bin ich selber jahrzehntelang Teil der Medien gewesen. Selbstschelte ist in der deutschen Sprache nicht vorgesehen. Medienschelte und Medienkritik sind nach meinem Verständnis so unterschiedlich, ja gegensätzlich wie rechts und links.
Aber auch rechts und links, undifferenziert, Verschwörungstheorie – all diese Wörter sind erklärungsbedürftig. Es kommt immer darauf an, wer welches Wort verwendet und wofür und an wen man es richtet. Die Bedeutung und Wirkung jedes Wortes hängen vom Vorverständnis im jeweiligen Milieu ab, und immer sind Interessen beteiligt.
Bei der Wortwahl befinden sich Journalisten allemal – zumeist unbewusst – im Spannungsfeld zwischen Propaganda und Aufklärung. Sie entscheiden sich im einen Fall für dieses und im anderen für jenes Wort. Warum schreiben sie zum Beispiel, dass Obama warnt und Putin droht, wenn beide das Gleiche sagen, nämlich: Tu das nicht, sonst wirst Du selber davon den Schaden haben?
Aber stimmt es überhaupt, dass der einzelne Journalist die Freiheit zu dieser Entscheidung hat? Darf er wirklich eine andere Wortwahl treffen? In den großen deutschen Medienkonzernen wissen die zuständigen Redakteure, wer als gut und wer als böse zu gelten hat. Der Gute stellt fest oder erklärt, der Böse behauptet, und wer droht und behauptet, beweist damit, dass er der Böse ist. Wenn sich alle großen, tonangebenden Medien über die Rollenverteilung auf der politischen Bühne einig sind, wird kaum noch jemand daran zweifeln.
Wie meinen Sie das mit dem „Spannungsfeld zwischen Propaganda und Aufklärung“?
Das Wort Propaganda kommt ursprünglich von der Kirche; sie meinte damit ihre Aktivitäten zur Verbreitung des Glaubens. Philosophen wie Voltaire und Diderot wollten hingegen aufklären, also Wissen verbreiten und zu selbständigem Denken anregen. Sie bereiteten die Französische Revolution vor, indem sie wahrheitsgemäß über Missstände berichteten. Die Herrschenden reagierten mit Zensur, die Aufklärer wiederum mit der Forderung nach Pressefreiheit, die sie brauchten, um über bestehende Herrschaftsverhältnisse aufklären zu können.
Im Geiste der Aufklärung sollte das Volk befähigt werden, unter der revolutionären Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ die grausige Bourbonen- und Kirchen-Herrschaft abzuschütteln. Politische Entscheidungen sollten nicht mehr im Geheimkabinett des Monarchen getroffen werden, sondern in der Öffentlichkeit. Daher auch der Name Republik; denn publik bedeutet öffentlich.
Im August 1789, wenige Wochen nach der Erstürmung der Bastille, garantierten die Revolutionäre in ihrer Erklärung der Bürger- und Menschenrechte dann auch die Pressefreiheit.
Und aus dieser Zeit stammt auch die politische Einordung nach rechts oder links. In der Nationalversammlung waren die Plätze auf der rechten Seite des Saales den Aristokraten, also den von Geburt an Reichen und Mächtigen vorbehalten. Die Besitzlosen dagegen saßen – weit unterrepräsentiert – links und in der Mitte breiteten sich die mehr oder weniger liberalen Neureichen aus.
So oder ähnlich ist es in Frankreich und vielen anderen Ländern bis heute geblieben: Die Rechte und die Mitte verbünden sich, um die Besitzlosen an jeglichen Aktivitäten zur Änderung der Besitzverhältnisse zu hindern. Das geschieht bisweilen mit brutaler Gewalt, hauptsächlich aber mit den Mitteln der Propaganda, also durch Lügen, Ablenken, Verwirren, Einschüchtern, nationalistisches, rassistisches oder religiöses Spalten und Aufwiegeln, durch Dämonisieren oder Verharmlosen und Beschönigen… Die Besitzlosen bedürfen daher, um sich befreien zu können, nach wie vor der Aufklärung über bestehende Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse sowie Herrschaftsmethoden.
…die aber wiederum mittels Propaganda bekämpft wird, nehme ich an?
Ja, wo Linke sich zum Zwecke des Verstehens und der Aufklärung etwa mit den Erkenntnissen von Marx und Engels vertraut machen und beispielsweise von Klassengegensätzen zu sprechen beginnen, werden die Rechten dies allemal als „undifferenziert“, „unwissenschaftlich“, „überholt“, „verstaubt“ und „ideologisch“ zurückweisen und ihrerseits den Vorwurf der Propaganda erheben; was die Linken auch nicht verwundern darf, da die Interessen nun einmal gegensätzlich sind.
Ähnlich die Unterstellung von „Verschwörungstheorie“. Dieselbe ist in der heutigen Propagandasprache eines der verbreitetsten Wörter, mit denen die Reichen und Mächtigen von Tatsachen ablenken und die Wahrheit verleugnen. Dieser verbale Knüppel wird seit Jahren so heftig geschwungen, dass inzwischen jeder weiß: Bloß nicht in Verdacht geraten, ein Verschwörungstheoretiker zu sein!
Das Wort kam 2001 unmittelbar nach dem bis heute nicht gründlich aufgeklärten Anschlag auf das World Trade Center auf, den Präsident Bush II. zum Anlaß für seinen weltweiten „Krieg gegen Terror“ nahm. Tatverdächtige und Zeugen wurden getötet oder so schwer gefoltert, daß ihre Aussagen nicht gerichtlich verwertbar sind. Die offizielle, von Ungereimtheiten strotzende Version von einer Al-Kaida-Verschwörung gegen die USA wird sich daher vielleicht niemals in allen Einzelheiten widerlegen oder bestätigen lassen.
Die politischen und publizistischen Herren der USA und ihre Verbündeten in Deutschland – die Beschäftigten des Springer-Konzerns zum Beispiel, die sogar arbeitsvertraglich auf eine freundschaftliche Haltung zu den USA verpflichtet sind – wünschen, daß keinerlei Zweifel an der offiziellen Version laut werden. Darum drehen sie den Spieß um und beschuldigen jeden Zweifler, ein „Verschwörungstheoretiker“ zu sein. Inzwischen richtet sich dieser Vorwurf allerdings gegen eigentlich jeden, der der Propaganda für Sozial- und Demokratieabbau, für Aufrüstung und Krieg noch zu widersprechen wagt.
Medienkritik ist also nicht nur Kür, sondern sozusagen erste Bürgerpflicht? Was macht gute Medienkritik für Sie denn aus?
Ja, denn ohne Medienkritik sind wir der Propaganda der Mächtigen ohnmächtig ausgeliefert. Gute, demokratische Medienkritik hat die Aufgabe, die von den Medien vermittelten Informationen daraufhin zu prüfen, ob sie der Wahrheit entsprechen. Die Rezipienten der Konzernmedien sollen erkennen lernen, wie sie irregeführt werden.
Darum muss Medienkritik den Blick für Einseitigkeiten der Berichterstattung schärfen. Sie muß darauf bedacht sein, dass immer auch die jeweilige Gegenseite zu Wort kommen muß, weil wir sonst nicht zu gerechten Urteilen und richtigen Entscheidungen gelangen können. Und sie muss die Mediensprache – auch die Sprache der Bilder – untersuchen und Alarm schlagen, wenn Vorurteile gezüchtet und Menschen und Völker gegeneinander aufgehetzt werden.
Dass solche Medienkritik möglich ist und wie man sie wirkungsvoll machen kann, zeigt besonders erfrischend die Sendereihe „Die Anstalt“ des Zweiten Deutschen Fernsehens. In den Konzernmedien wird man schwerlich Derartiges finden.
Würden Sie das bitte ein wenig verdeutlichen?
Gern. Selten, sehr selten sogar, laufen im Fernsehen Reportagen über die Arbeitsbedingungen etwa bei Lidl oder Amazon. Das ist erfreulich. Wenn es überhaupt vorkommt. Besonders unkritisch werden hingegen die Produktionsverhältnisse in den Medien selbst behandelt. Dabei wäre es fürs Publikum sehr nützlich, wenn ihm gezeigt würde, wie zum Beispiel Lügen über Kriegsursachen, Kriegsgräuel und Kriegsopfer zustande kommen und warum solche Lügen in der Regel nicht korrigiert werden. Aber eben weil die typischen deutschen Medien äußerst ungern um Entschuldigung bitten, lassen sie uns gar nicht erst in ihre Küche schauen. Daß der Westdeutsche Rundfunk 1990 mehr als ein Jahr nach dem NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien in der Sendung „Es begann mit einer Lüge“ eine ganze Reihe schmutzigster Lügen aufdeckte, stellte hier eine seltene Ausnahme dar.
Und auch über andere Teile der Welt bekommen wir aus den Konzernmedien wenig Information – obwohl die Chefredakteure wie die regierenden Politiker immer wieder gern von „Globalisierung“ und „weltweiter Verantwortung“ reden. Verantwortung ohne Wissen aber – welch Unsinn ist das?! Oder wollen wir uns wirklich mit Reiseberichten aus fernen Sehnsuchtsländern begnügen, mit vielen bunten Bildern von der Pflanzen- und Tierwelt dort, gleich neben entsprechenden Anzeigen der heimischen Tourismusindustrie? Die Ausbeutung der Menschen in Bangladesh findet nur dann Erwähnung, wenn wieder einmal hunderte Näherinnen beim Brand einer Fabrikhalle zu Tode gekommen sind. Und selbst die Fernseh-Berichterstattung aus den USA beschränkt sich in aller Regel auf das Oval Office sowie – bei sonnigem Wetter – den Garten hinter dem Weißen Haus.
Infolge der Militarisierung der Politik nehmen solche weißen Flecken in der Berichterstattung weiter zu. Ein Beispiel dafür ist das „Kommando Spezialkräfte“. Die Bundeswehr nennt sich nach wie vor brav „Parlamentsarmee“, über das KSK aber, seine Taten wie Untaten wird eisern geschwiegen, der Bundestag erfährt nichts davon, nicht einmal der Verteidigungsausschuss wird informiert, und unseren Medien scheinen diesbezüglich die Augen und Ohren verbunden zu sein. Informations- und Meinungsfreiheit sind hier regelrecht ausgehebelt, was demokratische Kontrolle unmöglich macht. Ein Zustand, den ich als verfassungswidrig ansehe.
Inwiefern denn das?
Wegen der vielzitierten Pressefreiheit. Von dieser ist in Deutschland zwar oft die Rede, beispielsweise wenn die Zeitungsverleger gegen den Mindestlohn für Zustellerinnen wettern. Tatsächlich nehmen sich große Medienunternehmen auch unendliche Freiheiten heraus. Man denke nur an Fernseh-Serien wie das „Dschungelcamp“ oder an das tägliche Horoskop der „Bild“-Zeitung.
An die revolutionäre Vergangenheit der Pressefreiheit wird dabei jedoch gewöhnlich nicht erinnert. Damals, als die Revolutionäre die Pressefreiheit als allgemeines Menschenrecht garantierten, erblühte in Paris eine bunte Pracht vieler hunderter Blätter, anfangs sogar ohne Anzeigen – ein krasser Gegensatz zur heutigen Ödnis der regionalen Monopolblätter, die zumeist den zehn großen Medienkonzernen gehören.
Diese Entwicklung zur publizistischen Einfalt muß als tödliche Gefahr für Freiheit und Demokratie verstanden werden. Denn die im Grundgesetz verbürgte Pressefreiheit wäre kein Grundrecht, wenn sie nur den Eigentümern der Medien zustünde. Sie ist aber auch kein Privileg der Journalistinnen und Journalisten, sondern als Grundrecht unser aller Recht, das Recht der Leser, Hörer und Zuschauer also. Wir alle haben Anspruch auf die Informationen, die wir brauchen, um in einer demokratischen Gesellschaft mitreden und mitentscheiden zu können.
Wie weit wir davon jedoch entfernt sind, offenbarte sich exemplarisch im Dezember 2014, als die Wochenzeitung „Die Zeit“ das Ergebnis einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage bekannt gab. 47 Prozent der Befragten klagten über Einseitigkeit der Berichterstattung. Am größten war die Unzufriedenheit bei Befragten mit höheren Bildungsabschlüssen. Eine Umfrage des Fernsehmagazins „Zapp“ ergab sogar noch größere Unzufriedenheit – gerade am aktuellen Beispiel der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt. Gar zu forsch, zu unbekümmert klangen die Hassgesänge der Konzern- wie auch der öffentlich-rechtlichen Medien gegen Russland und gar zu anmaßend die Spötteleien über jedes Bemühen um Verständnis für den russischen Präsidenten Putin, womit diese Medien ihren Vermittlungsauftrag preisgaben und infolge hiervon zurecht an Glaubwürdigkeit verloren.
Mich erschreckte dabei vor allem, wie sie die offen faschistischen Kräfte in der westlichen Ukraine leugneten, ohne die nach einer Feststellung der „New York Times“ der Kiewer Putsch im Februar 2014 niemals stattgefunden hätte.
Nahezu unisono beteiligten sich unsere Medien alsbald an der Kriegspropaganda. Im Nu setzten sich Sprachregelungen durch. Rußland mußte als „Aggressor“ gelten, die friedliche Sezession der Krim als „Annexion“. Und wo alles derart klar zu sein schien, brauchte auf Seiten der Journalisten selbstverständlich auch nicht mehr extra kostspielig recherchiert zu werden.
Ist in diesem Sinne am prägnanten Vorwurf der „Lügenpresse“ also doch etwas dran? Ich meine: Wenn die Medien so einseitig aufgestellt sind, dass sie in aller Regel – und so verstehe ich Sie – nicht umfassend, sondern vor allem den Interessen ihrer Eigentümer sowie der Mächtigen im Lande verpflichtet berichten?
Wenn Zeitungen, Rundfunksender, auch öffentlich-rechtliche, fast ausnahmslos das Weltgeschehen so einseitig, also falsch darstellen, wenn sie in solcher Weise und solchem Ausmaß auf unserem Anspruch auf zutreffende Information herumtrampeln, dann sollten sie sich über scharfe Reaktionen nicht wundern.
Und dass es hierzulande eine Lügenpresse gibt, sollte spätestens nach Günter Wallraffs Recherchen bei der „Bild“-Zeitung allgemein bekannt sein. Diese Zeitung, die auflagenstärkste im Lande, steht allerdings nicht allein so hässlich auf grüner Flur. Denn ihre Tendenz ist die aller Blätter des Springer-Konzerns, und die publizistischen Interessen der zehn größten Pressekonzerne, denen weit mehr als die Hälfte aller Zeitungen, Zeitschriften und Kommerzsender in Deutschland gehören, unterscheiden sich, wenn überhaupt, auch nur gering voneinander.
Was für Alternativen zu dieser Entwicklung und Strategien hiergegen sehen Sie denn? Was können wir tun – gegen Einseitigkeit, Propaganda etc.?
Die Konzentration und Monopolisierung der Medien schreitet immer weiter voran und niemand hält sie auf. Jüngstes Beispiel: Das „Darmstädter Echo“ wird verkauft. Vorher wurden Lokalblätter in Dortmund, Münster und Mönchengladbach eingestellt, sodass die in diesen drei nordrhein-westfälischen Städten verbliebenen Blätter nun de facto über publizistische Monopolmacht verfügen.
Oder nehmen wir als Beispiel die Funke-Gruppe in Essen, deren „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ die zweitgrößte deutsche Tageszeitung ist. Im Laufe der Jahre hat dieser Verlag im Ruhrgebiet ein konkurrierendes Blatt nach dem anderen geschluckt und ist inzwischen weit über das ursprüngliche Verbreitungsgebiet hinausgewachsen. Jetzt gehören ihm unter anderen auch das ostniedersächsische Monopolblatt „Braunschweiger Zeitung“ und drei der vier im Bundesland Thüringen erscheinenden Zeitungen. Paragraph 27 der nordrhein-westfälischen Verfassung gebietet aber: „Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum übergeführt werden.“ Dieses Problem gehört daher auf die Agenda aller aktiven Demokraten und entstandene Medienmonopole gehören meines Erachtens unbedingt in öffentlich-rechtliche Trägerschaft. Allerdings nicht nach dem Muster von ARD und ZDF, bei denen die großen Parteien bestimmen, sondern wirklich in Bürgerhand.
Kommt in Bezug auf diese Auseinandersetzung denn auch den Gewerkschaften eine spezifische Rolle zu?
Schon seit Jahrzehnten liegen wissenschaftliche Untersuchungen vor, die eindeutig belegen, daß namentlich der Springer-Konzern seine publizistische Macht einseitig für die Interessen des Kapitals und gegen die Rechte der Lohnabhängigen einsetzt. Es wird Zeit, daß sich die Gewerkschaften dagegen gemeinsam wehren.
Dringend notwendig erscheint mir auch eine Novellierung des Mitbestimmungs- und des Betriebsverfassungsgesetzes, damit endlich der Tendenzparagraph fällt und die Journalisten arbeitsrechtlich gegenüber den Unternehmern nicht länger schlechter gestellt sind als beispielsweise die Beschäftigten in der Chemie- oder Metallindustrie.
Schon vor vielen Jahren gab es Pläne für ein neues deutsches Presserecht, das nicht nur die äußere Pressefreiheit regeln sollte, also die Unabhängigkeit vom Staat, sondern auch die innere Pressefreiheit, also die Unabhängigkeit der Journalisten gegenüber dem Verlag. Gemeinsam mit der arbeitsrechtlichen Stellung sollte auch die publizistische Verantwortung der einzelnen Redakteure gestärkt werden.
Die Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt kündigten ein dementsprechendes Bundespresserechtsrahmengesetz an, hielten ihr Versprechen aber nicht ein – woran man auch sieht, wie mächtig die Herren der Medienkonzerne sind. Und diese ist seitdem immer noch größer geworden. Einige Konzerne haben sich ins Ausland ausgedehnt, Springer hat viel ins Internet investiert. Wir müssen inzwischen achtgeben, dass die Freiheit im Netz weiter erhalten bleibt.
Und was würden Sie politisch Aktiven in Bezug auf deren Medienkritik raten? Was wäre Ihrer Meinung nach aktuell vorrangig zu tun?
Beispiel Braunschweig: Die „Braunschweiger Zeitung“, die einzige am Orte, früher eigenständig, gehört seit einigen Jahren der schon erwähnten Funke-Gruppe. Das Unternehmen ist bekannt dafür, daß es kühl Leistungen abbaut, um den Profit zu steigern. Was also tun? Das Abonnement abbestellen? Oder mit Abbestellung drohen? Aber man will doch erfahren, wer in Braunschweig gestorben ist, was es im Theater gibt, welcher Laden im Ausverkauf alles zum halben Preis anbietet, welche Straße gesperrt wird. Außerdem ist zu befürchten, daß die Beschwerde eines oder einer Einzelnen nur wenig ausrichten würde.
Wenn aber ein oder zwei Studenten, ein Pfarrer, ein Aktiver von „Pro Asyl“ oder eine Aktive aus einem Umweltverband, ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann aus einem Großbetrieb und eine Gewerkschaftssekretärin und der eine oder andere rüstige Rentner sich verabreden, jede Woche oder alle 14 Tage oder wenigstens einmal im Monat an einem Abend alles zusammenzutragen, was ihnen beim Lesen des Blattes aufgefallen ist, und wenn dieser Kreis das Ergebnis in knapper Form auf ein Doppelblatt druckt, um es an belebten Plätzen auszulegen – das würde Aufsehen erregen. Und wenn sechs Wochen später ein neues, aktuelles Doppelblatt ähnlichen Inhalts erschiene und nach weiteren sechs Wochen wieder, dann könnte vielleicht ein Dramaturg des Staatstheaters oder der Direktor der Volkshochschule zu einer Diskussion mit dem Chefredakteur unter dem Titel „Wie wir Braunschweiger informiert werden (möchten)“ einladen. Oder so ähnlich … oder auch ganz anders. Die Hauptsache ist, daß selbstbewußte Bürgerinnen und Bürger endlich ihre Rechte geltend machen. Ich bin sicher: Das würde demokratisch gesonnenen Journalisten notwendigen An- und Auftrieb geben. Meine Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen brauchen, um dem ständigen Druck von rechts oben standzuhalten, persönliches Rückgrat, aber auch gesellschaftlichen Rückhalt. Medienkritik, die über einmalige Beschwerden hinausgeht, zwingt zur Diskussion unter den Redakteuren und hilft ihnen, sich auf ihren demokratischen Auftrag zu besinnen, also aufklären und sich nicht für Propagandazwecke einspannen zu lassen.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Eckart Spoo, deutscher Journalist und Publizist, war von 1962 bis 1997 Redakteur der Frankfurter Rundschau (FR), wo er oft gesellschaftskritische Beiträge aus linksliberaler Perspektive veröffentlichte. 1971 entließ ihn FR-Herausgeber Karl Gerold mit den Worten: „Ich mach die Rundschau, du machst die Gewerkschaft“. Spoo war im Jahr zuvor zum Bundesvorsitzenden der Deutschen Journalisten-Union gewählt worden. Er klagte erfolgreich auf Wiedereinstellung. 1997 schied er aus der Redaktion der FR aus und gründete gemeinsam mit anderen Journalisten die Zeitschrift Ossietzky und Von 1970 bis 1986 war Spoo Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union (DJU). Von 2006 bis 2009 war er berufenes Mitglied im Stiftungsrat der Bewegungsstiftung. Er ist Vorstandsmitglied der Stiftung Deutsches Holocaust-Museum und lebt in Berlin.
Weiterschauen:
Daniele Ganser: Medial vermittelte Feindbilder und die Anschläge vom 11. September 2001
Spoos Presseschau: „Lügenpresse“ – ein wahres Wort
Spoos Presseschau: Der freche Wladimir
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