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Titel: Vertrauenskrise der Medien – Die Kritik an den Medien ist unberechtigt? Alles in Ordnung??

Datum: 25. März 2015 um 16:53 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache, Veröffentlichungen der Herausgeber
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Im Münchner Gewerkschaftshaus fand am 19. März eine Podiumsdiskussion über die Glaubwürdigkeitskrise der Medien statt. Mit dabei waren Professor Wolfgang Donsbach, Kommunikationswissenschaftler aus Dresden, Detlef Esslinger, Ressortleiter Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung und Albrecht Müller/NachDenkSeiten. – Bei meiner Einführung zu dieser Podiumsdiskussion war ich noch davon ausgegangen, es gebe eine gewisse Einsicht bei Medien und Medienwissenschaftlern in die Problematik. Das war blauäugig. Die Kritisierten glauben wirklich, dass die Medienordnung Deutschlands und die Praxis der Medien im Großen und Ganzen in Ordnung seien und den Bedürfnissen einer lebendigen Demokratie entsprächen. – Im Folgenden finden Sie eine Langfassung meiner Einführung zur Diskussion. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zwölf Anmerkungen und Beobachtungen zur Glaubwürdigkeitskrise der Medien

Medien in der Vertrauenskrise? So lautet das gestellte Thema. Es ist mit einem Fragezeichen versehen. Wenn sich die Medien eines Landes über Tage mit einem Stinkefinger beschäftigen und zugleich mehrheitlich eine bemerkenswerte Kampagne gegen eine kleines europäisches Volk forcieren und sich und ihre Leser und Zuschauer an dieser ausgedehnten Demütigung Griechenlands ergötzen, dann ist das Fragezeichen wohl unangebracht. Der Vertrauensverlust ist da und er ist berechtigt. Ich will trotzdem artig konstruktiv sein und 12 Beobachtungen zum gestellten Thema vortragen:

Erste Beobachtung:

Immer wieder, auch in der letzten Zeit, begegnen wir hervorragenden Medienprodukten. Es gibt wahre Sternstunden der Aufklärung durch Journalistinnen und Journalisten.

Zweite Beobachtung:

Es fällt auf, dass Artikel und Sendungen, die man als Sternstunden betrachten kann, häufig nicht lange im Gespräch bleiben, oft gar nicht. Komischerweise finden diese Medienereignisse keine große Verbreitung und geraten schnell in Vergessenheit. Mal sehen, ob ich richtig liege mit meiner Vermutung: ich teste bei Ihnen, sehr verehrtes Publikum, ob Ihnen einige markante Medienprodukte aufgefallen und in Erinnerung geblieben sind:

  1. Zum ersten: Eine Analyse des stellvertretenden Chefredakteurs des Berliner Tagesspiegel zum Verkauf der ostdeutschen Banken an die westdeutschen Banken – verkauft weit unter Wert und mit gravierenden Folgen für die Betriebe in der ehemaligen DDR. „Schulden ohne Sühne“ war dieser Artikel im Berliner Tagesspiegel überschrieben. „Eines der extremsten Kapitel der Währungsunion ist der Ausverkauf der ostdeutschen Banken“, heißt es bei Google. Immerhin. Es war ein grotesker Vorgang. – Noch in Erinnerung? Die Journalisten haben damals und auch später nicht nach dem zugrunde liegenden Bundesrechnungshof-Gutachten gefahndet. Sie haben einfach akzeptiert, dass dieses Gutachten geheim ist, obwohl klar sein musste, warum es Gutachten geheim gehalten wurde
  2. Zum zweiten: Wer erinnert sich noch an den ebenfalls im Tagesspiegel erschienenen Beitrag „Die Geretteten“ vom 13. September 2009? „Hypo Real Estate: Die Geretteten“ hieß es damals im Tagesspiegel und weiter „… aber für wen, das sollen Sie nicht wissen. Wir dokumentieren die Liste der Geretteten – die bisher keinen Cent zur Rettung beitragen müssen.“ So ist es bis heute. München war 2008, sowie davor und danach die Drehscheibe eines außerordentlichen Betrugsvorgangs zulasten der Steuerzahler. HRE.
  3. Zum dritten: „Rentenangst“ – ein Film der ARD von Ingo Blank und Dietrich Krauss mit einer herausragenden Konfrontation des sogenannten Rentenexperten Professor Raffelhüschen in einem Interview mit seinen widersprüchlichen eigenen Aussagen vor einer Versammlung von Versicherungsvertretern.
  4. Zum vierten: Frank Schirrmacher in der FAZ vom 15.8.2011: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“. Daran erinnern Sie sich vielleicht noch. Aber aus der öffentlichen Debatte ist die Erkenntnis Schirrmacher verschwunden. Übrigens: Kein Wunder, dass Frank Schirrmacher ein Freund der NachDenkSeiten geworden war.
  5. Zum fünften: In der „Zeit“ Ausgabe 44 vom 23.10.2014 erschien ein Artikel mit der Überschrift: „Sanktionen: Die Superwaffe des Mr. Glaser“. „Sanktionen gegen Russland und den Iran: Wie amerikanische Finanzbeamte zu Wirtschaftskriegern werden.“

Wenn diese und ähnliche Medienprodukte das Bild der deutschen Medien bestimmen würden, wir bräuchten uns heute hier nicht zu treffen. Aber das ist nicht so. Die große Zahl der Medienprodukte haben eine ganz andere Stoßrichtung. Deshalb ist das Vertrauen in sie verloren gegangen. Die in der Einführung zu unserer Veranstaltung genannten Zahlen entsprechen vermutlich der Wirklichkeit. Viele Menschen, nach der zitierten Erhebung 69%, vertrauen den Medien nicht oder wenig. Damit bin ich bei der

Dritten Beobachtung:

Vielen Menschen stößt auf, dass ihre eigenen Erfahrungen im Leben, bei ihrer Arbeit, dass ihre Berufschancen und wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht dem entsprechen, was von den Medien mehrheitlich als schöne Wirklichkeit verkündet wird. Da ist in der Regel zu hören: „Es geht uns gut.“ „Wir haben ein Wirtschaftswunder“. „Deutschland ist spitze“ usw. diese verbreiteten Parolen werden von der Lebenswirklichkeit vieler Menschen nicht bestätigt. Gehen Sie mal nach Sachsen-Anhalt oder ins nördliche Ruhrgebiet oder in die Westpfalz oder nach Brandenburg. Selbst Menschen im blühenden München, die nicht wirklich viel verdienen, bekommen täglich vorgeführt, dass sie Versager sind. Sie können die Mieten in der Stadt nicht mehr bezahlen und müssen nach draußen ziehen. Jedenfalls merken sie, dass zum Beispiel auch die allabendlichen Parolen der Börsensendung der ARD über den immer weiter steigenden DAX und das damit insinuierte Blühen und Wachsen des Wohlstands nicht dem entspricht, was sie an wirtschaftlichen Zuwächsen für sich und ihre Kinder vermerken können.

Zu ihren eigenen Erfahrungen kommen dann noch Informationsquellen und kritische Stimmen im Internet hinzu. Diese säen Zweifel. Sie bieten Fakten. Aber: wenn diese kritischen Anmerkungen im Netz nicht der selbst erfahrenen Wirklichkeit vieler Menschen entsprächen, würden sie nicht geglaubt und die Glaubwürdigkeit der Medien würde nicht von so vielen Menschen infrage gestellt.

Beides zusammen, die eigene Erfahrung, die den verbreiteten Meldungen vom allgegenwärtigen Wohlstand wiedersprechen, und die kritischen Impulse aus dem Internet erschüttern immer wieder die Glaubwürdigkeit der involvierten Medien.

Vierte Anmerkung:

Die Medien insgesamt haben als kritische Instanz versagt. Viele Menschen merken nämlich, dass sie von der Politik nicht wahrheitsgemäß unterrichtet werden, dass Politiker nicht das Richtige tun, dass sie schwadronieren, zum Beispiel über die angeblich notwendige Reformpolitik und über die Notwendigkeit zum Beispiel der Privatvorsorge und die Notwendigkeit von TTIP und der Privatisierung öffentlicher Unternehmen einschließlich jener der Daseinsvorsorge. Sie haben aber auf mehreren Feldern eigene Vorstellungen, die den politischen Lösungsansätzen der maßgeblichen Politiker widersprechen. Ihre kritische Einstellung bekommt von den Medien keine Unterstützung – so ist es in der Mehrheit der Fälle. Im Gegenteil und damit bin ich bei der fünften Anmerkung:

Fünfte Anmerkung:

Wo man hinschaut: Kampagnenjournalismus. Was ich damit meine, muss ich wohl erklären: Wer heute über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen maßgeblich mitbestimmen, wenn er oder sie sich an Meinungsmache beteiligt bzw. sie organisiert. Das haben die finanzstarken Gruppen und Oberschichten gemerkt und sie handeln danach. Zur Durchsetzung ihrer Interessen planen sie die notwendige Meinungsbildung. Strategisch. Langfristig angelegt.

Bestes Beispiel ist die Eroberung eines neuen Geschäftsfeldes durch Versicherungen und Banken. Sie haben sich eine subtile Strategie ausgedacht: die Dramatisierung des demographischen Wandels, die Erosion der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente und dann auch noch die Nötigung des Staates zur Zahlung einer Subvention für die Privatvorsorge, genannt Förderrente. Ein ungeheuerlicher Vorgang.

Auch die Behauptung, es gebe keine Alternative zur sogenannten Reformpolitik – there is no alternative: TINA – ist das Ergebnis strategischen Planens. Genauso die Feiern zum Exportweltmeister oder die Behauptung, nur sparen sparen sparen brächte in jeder Lebenslage einen wirtschaftspolitischen und finanziellen Erfolg. „Sparabsicht gleich Sparerfolg“ – das ist makroökonomisch betrachtet ein wahres Meisterstück der Indoktrination eines Denkfehlers. – Entstaatlichung und Schuldenbremse sind ähnlich gute Beispiele für erfolgreiche Strategien der Meinungsmache. Die seit 2010 laufende Kampagne gegen Griechenland gründet in weitem Maße auf diesen Denkfehlern und war und ist bis heute massiv.

Wo war und ist der Einspruch unserer Medien und die Korrektur solchen Wahnsinns interessengeleiteter Kampagnen? Fehlanzeige. Viele Medien waren und sind handfest eingebunden und damit bin ich bei der sechsten Beobachtung:

Sechste Beobachtung:

Die Macht der Public Relations ist gewachsen. Public Relations sind ein wichtiger Teil der Lobbyarbeit und der Lobby

Siebte Anmerkung:

Guter Journalismus und Kampagnen-Journalismus leben in einer merkwürdigen Parallelwelt zusammen im eigenen Haus. Das ist auch wörtlich so gemeint. In den Medienhäusern sitzen beide Typen von Journalistinnen und Journalisten, die publizistisch arbeitenden Journalisten und die PR Journalisten und Mischformen. Viele Journalisten können sich nicht mehr ökonomisch über Wasser halten, ohne Public-Relations-Arbeit zu leisten. Das ist kein neues Phänomen. Schon als ich 1968 von München nach Bonn wechselte, begegneten mir leibhaftige Belege für sechsstellig bezahlten PR-Journalismus. Wer diese Erfahrungen eine Verschwörungstheorie nennen wollte, dem kann ich zur besseren Beobachtung verhelfen. Schon damals waren die Verhältnisse schlimmer als sich Verschwörungstheoretiker dies ausdenken könnten.

Achte Beobachtung:

Dass es gute Medienprodukte gibt – siehe die erste Beobachtung – , erhöht die Glaubwürdigkeit der Medien, auch für den PR-Journalismus, auch für die von den Medien mit betriebenen Kampagnen zugunsten von großen Finanzinteressen. So bitter dies für die guten Journalisten ist. Ingo blank und Dietrich Krauss, die Autoren und Produzenten des erwähnten Films, haben mit ihrem Film Rentenangst zum einen gute Aufklärungsarbeit geleistet und zum anderen die Glaubwürdigkeit des Ersten Deutschen Fernsehens gefördert. Dort liefen dann parallel reihenweise Kampagnenjournalismus-Stücke zum gleichen Thema wie zum Beispiel Sendewochen zum angeblich dramatischen demographischen Wandel und zu seiner angeblich großen Gefahr, derentwegen man privat vorsorgen müsse, also Riesterverträge abschließen müsse.

Neunte Anmerkung:

Journalistinnen und Journalisten lassen sich in Kampagnen einbauen, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Sie sind aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen. Ein aktuelles Beispiel ist die teilweise verleumderische Aggression junger Journalisten im Umgang mit den Ansätzen einer neuen Friedensbewegung. Da wurden ohne jegliche ernsthafte Faktenbasis Parolen über die sogenannte Querfront mit rechts und über angeblichen Antisemitismus verbreitet. Ich war selbst Opfer dieser Kampagne und kann deshalb einigermaßen beurteilen, wer die armen Kerle unter den Journalisten waren und sind, die in diese Kampagnen eingespannt sind: meist jüngere, wenig etablierte Journalisten, denen keine andere Wahl bleibt, als dieses schmutzige Geschäft mit zu betreiben. Herausragendes Beispiel ist ein Christian Jakob bei der TAZ. Dort aber nicht nur dort.

Journalisten lassen sich oft auch freiwillig auf Kampagnen ein, weil sie die notwendigen Fakten zum kritischen Begleiten des Geschehens nicht parat haben.

Ein gutes Beispiel dafür ist, dass so viele Journalisten sich bewundernd an der Agitation zum Sparen und zur Austeritätspolitik beteiligen und dann auch an den Aggressionen gegen Griechenland zum Beispiel.

Ein weiteres gutes Beispiel ist wiederum die Mitwirkung an den Debatten um den demographischen Wandel: wir werden immer weniger, wir werden immer älter, immer weniger arbeitsfähige müssen für immer mehr Alte sorgen; der Generationenvertrag trägt nicht mehr; jetzt hilft nur noch Privatvorsorge.

Diese Glaubenssätze wurden von vielen Kolleginnen und Kollegen heruntergebetet, weil sie es nicht anders wussten, weil sie keine Ahnung davon haben, dass das sogenannte demographische Problem wegen der Produktivitätszuwächse unserer Volkswirtschaft und in Kenntnis der Möglichkeit, die Erwerbsquote erhöhen zu können und die Arbeitslosenzahl zu vermindern, kein bedrängende Problem ist und gelöst werden kann. Hier fehlte es wie auf vielen anderen Feldern aus dem Bereich der Wirtschaft-und Gesellschaftspolitik einfach an Fachwissen.

Zehnte Anmerkung:

Was müsste sich ändern, damit die Menschen Vertrauen in die Medien zurückgewinnen. In Stichworten:

  • Mehr Biss, mehr kritischer Verstand, mehr fachliches und sachliches Wissen.
  • Mehr Interesse für das Leben und die Sorgen der normalen Menschen, der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen, der Betriebe, der Betriebsräte und nicht nur für jene da oben
  • Mehr Unabhängigkeit der Journalisten/innen und d.h. als Voraussetzung mehr Jobs und d.h. notfalls öffentliche Förderung der Unabhängigkeit, entsprechende Gesetzgebung. Redaktionsstatute. Das haben wir uns früher alles an den Schuhsohlen schon abgelaufen. Es ist nichts daraus geworden, weil die Medien hoch konzentriert sind.
  • Deshalb mehr Konzentrationskontrolle
  • Förderung kritischer Medien.

Elfte Anmerkung:

Es ist nicht einzusehen, dass harte Fronten und Feindseligkeit zwischen herkömmlichen Medien und kritischen neuen Medien fortbestehen und aufrecht erhalten werden müssen. An uns liegt das nicht. Ich stoße aber immer wieder auf geradezu bösartige Kommentare zur Arbeit der Internet Medien.

Wir bringen auf den NachDenkSeiten jeden Tag Hinweise auf gute Beiträge in den Medien. Manche Journalistinnen und Journalisten wissen das und nutzen das und genießen das auch. Wir tun einiges für ihre Verbreitung. Allerdings leisten wir eben auch die Vorarbeit für eine kritische Betrachtung der Medien und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund und sind damit vielleicht mitverantwortlich für schwindendes Vertrauen. Das liegt aber nicht an uns

Zwölfte Anmerkung:

Die Medien sollten die Verantwortung für die Vertrauenskrise nicht den Kritikern zuschieben. Sie sollten sich verändern. Nicht die Kritiker.

Nachtrag:

Die Einlassungen der Gesprächspartner zeigten, dass diese letzte Anmerkung keinerlei Grundlage findet. Die Medienschaffenden und die sie begleitende Wissenschaft gehen offensichtlich davon aus, dass an der Vertrauenskrise die Kritiker schuld sind und nicht zum Beispiel der um sich greifende PR- und Kampagnenjournalismus.


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