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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Griechenland vs. Deutschland – Ping-Pong zwischen BILD und Kammenos
Datum: 18. März 2015 um 9:17 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Griechenland, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medien und Medienanalyse
Verantwortlich: Jens Berger
Im zweiten Teil seiner dreiteiligen Miniserie zu den aktuellen deutsch-griechischen Beziehungen analysiert unser Griechenland-Korrespondent Niels Kadritzke die Äußerungen des griechischen Verteidigungsministers Panos Kammenos, der in Personalunion auch Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei ANEL (Unabhängige Griechen) ist, mit der Syriza koaliert. Einen besonderen Blick wirft Niels Kadritzke dabei auf ein jüngst erschienenes Interview, das Kammenos ausgerechnet mit der BILD geführt hat.
Der erste Teil der Miniserie „Griechenland vs. Deutschland – Das Klima ist vergiftet“ ist am Montag auf den NachDenkSeiten erschienen.
Welche Motive die BILD-Redaktion auf die Idee brachten, den rechtspopulistischen Koalitionspartner der Linkspartei Syriza zu interviewen, können wir nicht wissen. Um so durchsichtiger ist die Absicht bei dem Interview, mit dem das Springer-Blatt gestern nachgelegt hat: Zu Wort kam der Ökonomie-Professor und Syriza-Parlamentsabgeordnete Costas Lapavitsas, der als „einer der wichtigsten Berater von Griechen-Regierungschef Alexis Tsipras“ vorgestellt wird. Das aber ist nicht nur falsch, sondern eine bewusste Lüge, denn natürlich weiß die Bild-Redaktion, dass Lapavitsas eben kein Berater von Tsipras, sondern im Gegenteil der prominenteste Kontrahent des wichtigsten Tsipras-Beraters ist, nämlich des Finanzministers Yianis Varoufakis. Und genau wegen dieser Rolle ist Lapavitsas für BILD ein willkommener Interviewpartner: als schärfsten Kritiker der eigenen Regierung, der innerhalb der Syriza der prominenteste Befürworter eines Ausscheidens aus der Euro-Zone ist. Jenes Grexit also, den Varoufakis und Tsipras unbedingt verhindern wollen, den die Bild-Zeitung hingegen seit Jahren im Namen ihrer über Griechenland erzürnten Leser herbeischreiben will.
Ich werde auf das Interview mit Lapavitsas im Zusammenhang mit den Kontroversen innerhalb der Syriza zurück kommen, die ich im dritten Teil meines Berichts darstellen will.
Was lernen wir aus der BILD-Zeitung über Kammenos?
Zurück zu Kammenos. Das Interview mit dem rechtspopulistischen Vorsitzenden der Anel, das in der BILD vom letzten Samstag (14. März) abgedruckt wurde, ist ein probater Anschauungsunterricht für die Art und Weise, wie der Verteidigungsminister der Regierung Tsipras mit der Wirklichkeit, also mit der Wahrheit umgeht. Ich zitiere in der Folge einige zentrale Aussagen, die ich anschließend der tatsächlichen Faktenlage konfrontiere.
BILD: Herr Minister, Sie haben die Deutschen erschreckt: Sie drohen, Europa mit Hundertausenden von Flüchtlingen zu überschwemmen…
Panos Kammenos: „Ich habe lediglich deutlich gemacht, was es bedeuten kann, wenn Griechenland aus der Euro-Zone gedrängt wird. Es geht nicht nur um eine wirtschaftliche Krise, sondern auch um eine humanitäre. Dann gelten keine Absprachen mehr, keine Abkommen, nichts.
Wir sind dann nicht mehr verpflichtet, als Ankunftsland die Flüchtlinge auch aufzunehmen. Wer Griechenland aus der Euro-Zone drängen will, sollte das wissen. Und Europa muss verstehen, dass wir hier derzeit mit einer Bombe allein gelassen werden. Wie kann ein Krisenland allein mit 1,5 Millionen Flüchtlingen klarkommen?“
Kommentar: Kammenos schwindelt. Er hat sich in seiner Rede vom 8. März keinesfalls auf den Fall bezogen, dass Griechenland aus der Eurozone gedrängt werden könnte (siehe das wörtliche Zitat im ersten Teil dieses Berichts vom Montag), sondern seine Drohung sehr viel allgemeiner formuliert.
Die Zahl von 1,5 Millionen Flüchtlingen auf griechischem Boden ist spekulativ und auf jeden Fall zu hoch. Laut amtlichen Statistiken sind letztes Jahr 77 000 Flüchtlinge ohne Papiere ins Land gekommen (v.a. über die Türkei), aber die Dunkelziffer ist wesentlich höher. NGOs schätzen, dass im Lauf der letzten Jahre eine halbe Million „Illegaler“ in Griechenland hängen geblieben sind, was für die Betroffenen eine humanitäre Katastrophe und für das Krisenland eine unzumutbare Belastung darstellt.
Die von Kammenos phantasierte Abschiebe-Aktion ist eine völlig absurde Idee schon deshalb, weil sie nur dazu führen würde, dass die anderen EU-Länder verschärfte Grenzkontrollen für Einreisende aus Griechenland einführen würden – zu Lasten der griechischen Bürger.
Im Übrigen hat die zuständige Vize-Ministerin für Einwanderungsfragen unverzüglich erklärt, dass die Äußerungen von Kammenos „nicht die Position der griechischen Regierung darstellen“. Und Finanzminister Varoufakis hat sich, in der ARD-Diskussionsrunde vom Sonntag-Abend, explizit von Kammenos distanziert.
Kammenos: „Es ist unmöglich für uns, aus dem Euro auszusteigen, das ist illegal, dafür gibt es keine Möglichkeit. Wenn Griechenland explodiert, dann als nächstes Spanien, Italien. Und irgendwann Deutschland. Wir müssen deshalb einen Weg innerhalb des Euro finden. Aber dieser Weg darf nicht sein, dass die Griechen immer weiter zahlen müssen.
Ganz unabhängig davon: Es kann nicht sein, dass bei uns ein Espresso 3 Euro kostet und in Wien 1,20 Euro. Warum sollten die Touristen da zu uns kommen? Deswegen müssen wir unsere Steuern senken, um für Touristen attraktiver zu werden.“
Kommentar: Ein klassisches Beispiel für viele andere Prophezeihungen des Freizeit-Ökonomen Kammenos auf rein spekulativer Basis. Zugleich aber auch ein Beleg dafür, dass sich seine Partei ANEL auf klassisch rechtspopulistische Weise als Steuersenkungs-Partei positioniert. Dabei kommt Kammenos gar nicht auf die Idee, dass der 3-Euro-Espresso vor allem von den Mietforderungen an die Café-Betreiber herrührt und nach einer Mehrwertsteuer-Senkung immer noch 2, 90 Euro kosten würde.
BILD: Griechenland ist Mitglied der Nato. Trotzdem wollen Sie sich an Russland wenden, um an Hilfe zu kommen. Meinen Sie das ernst?
Kammenos: „Wir haben viel Geld durch die EU-Sanktionen gegen Russland verloren. Fast 70 Prozent unserer landwirtschaftlichen Exporte gehen dorthin. Auch der Tourismus ist extrem wichtig, 25 Prozent unserer Touristen kommen aus Russland.
Wir brauchen deshalb eine Entschädigung der EU für das Geld, das wir dort verlieren. Ansonsten können und wollen wir uns nicht an Sanktionen gegen Russland beteiligen, die allein unserer Wirtschaft schaden.“
Kommentar: Dass 70 Prozent der griechischen Agrarexporte nach Russland gehen, ist entweder eine glatte Lüge oder ein Beleg unfasslicher Ignoranz. Der tatsächliche Anteil der Exporte beträgt höchstens 6 Prozent (Exporte nach Russland im Wert von 200 Mill. Euro, bei Gesamterlösen aus dem Agrarexport von rund 4 Milliarden Euro). Ähnlich phantastisch ist der behauptete Anteil der russischen Touristen von 25 Prozent der ausländischen Besucher. Deren Zahl belief sich in der Saison 2014 auf 19 Millionen, von ihnen kamen 1,1 Millionen aus Russland. Das sind also nicht 25, sondern 5,8 Prozent. Der Anteil der deutschen Touristen lag mit 13 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Dass 2014 weniger russische Touristen einreisten als erwartet, ist eine Folge der russischen Wirtschaftskrise und vor allem der Schwäche des Rubel, was Auslandsreisen verteuert. Beides hat nur zum Teil mit den Sanktionen des Westens zu tun und geht gleichermaßen auf den Einbruch des Ölpreises zurück. Dass die EU Griechenland für ausbleibende russische Touristen entschädigen müsse, ist eine absurde Forderung, die von völliger Unkenntnis der Gemeinschaftsregeln zeugt.
Was die Agrarexporte betrifft, so können griechische Produzenten EU-Kompensationgelder nach denselben Kriterien beantragen wie andere Mitgliedsländer auch. Im übrigen bemüht sich Griechenland derzeit sehr intensiv, in Verhandlungen mit Moskau seine wichtigsten Agrarexporte (Pfirsiche, Erdbeeren) von der russischen Embargoliste zu streichen.
Die Welt nach Panos Kammenos
Was bringt einen Mann wie Kammenos dazu, in einem „strategisch“ wichtigen Interview, das er dem Zentralorgan der deutschen Grexit-Betreiber gewährt, mit Behauptungen und Zahlen aufzutrumpfen, die man selbst ohne Detailkenntnisse sofort als Unwahrheit erkennen kann? Ich bin geneigt, eine bewusste Unwahrhaftigkeit auszuschließen, denn erfolgreiches Lügen setzt immerhin eine gewisse Geschicklichkeit voraus. Die aber fehlt hier völlig. Der griechische Verteidigungsminister gehört offenbar zu den – gar nicht seltenen – Politikern, die sich Argumente und Fakten so zurechtlegen, dass sie bequem zu einer vorgefassten Meinung passen. Und die dabei ihren eigenen Behauptungen – zumindest im Moment des Aussprechen – vollkommen vertrauen. Dieser Eindruck verstärkt sich im Fall Kammenos noch, wenn man ihn sprechen sieht und hört. Deshalb kann ich nur empfehlen, auch ohne Griechisch-Kenntnisse in das einstündige Interview hineinzusehen, das Kammenos am 12. März, kurz vor dem Besuch der BILD-Redakteure in Athen, dem lokalen Sender TV Kosmos in Rhodos gegeben hat. Auch hier behauptet Kammenos mit einer Selbstgewissheit, die an Autosuggestion grenzt, die unglaublichsten Dinge und hat auf jeden Einwand (den der Interviewer selten genug vorbringt) ohne jedes Zögern oder Nachdenken die passende Antwort (abzurufen ist das Interview über die Website der Kammenos-Partei)
Da solche Interviews in entfernten Lokalsendern selten zur Kenntnis genommen werden – und in diesem Fall selbst von der Athener Presse nicht registriert wurde – will ich hier die verblüffendsten Kammenos-Thesen wiedergeben.
Auch diese Argumentation – in sich schon bemerkenswert – beruht auf nicht existenten Fakten. Laut Volkszählung von 2002 hatte Mariupul (von ihrer Gründung bis Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine überwiegend griechische Stadt) knapp 500 000 Einwohner, von denen 21 000 oder 4,3 Prozent Griechen waren. In der gesamten Krim wurden 2800 Griechen gezählt. Macht insgesamt knapp 24 000 Griechen für Mariupol und die Krim. Wie Kammenos auf mehrere Hunderttausend kommt, bleibt sein Geheimnis. Aber für selbstgewisse Charaktere wie ihn reicht es völlig aus, die Zahl zu behaupten. Damit wird sie zur Wirklichkeit. So schafft man sich eine Welt, in der alle eigenen, eigenwilligen Thesen, Sichtweisen, Vermutungen wie durch Zauberhand plausibel werden, ja bewiesen sind.
Diese Zukunft sieht Kammenos in einem „Europa der Vaterländer“, in dem Griechenland mit allen anderen Ländern wunderbar auskommen kann. Mit allen? Nein, da gibt es ja leider noch die Deutschen. Die macht der griechische Verteidigungsminister als die einzigen Feinde Griechenlands aus, ja als Bedrohung für den ganzen Kontinent, weil sie „Europa seit vierzig Jahren mit der Waffe der Ökonomie unterwerfen wollen“.
Eine „loose canon“ als Verteidigungsminister
Wenn ich Kammenos über seine Welt reden höre, fühle ich mich stark an die – alle großen Probleme der Welt berührenden – Debatten erinnert, die man in griechischen Kafenions erleben kann (wo sich allerdings ein Dorfweiser einschalten würde, der einem Dorf-Kammenos klarmachen würde, dass das mit den griechischen Agrarexporten nach Griechenland kaum stimmen kann!).
Allerdings sitzt unser Mann nicht im Kafenion, sondern in einer griechischen Regierung, die sich gerade in einer sehr delikaten, ja bedrohlichen Phase der Verhandlungen mit ihren europäischen und internationalen Partnern befindet. Zudem äußert sich dieser Kammenos immer wieder so, als spreche er im Namen dieser Regierung. Zum Beispiel, wenn er (in seinem Interview mit dem Sender in Rhodos) den Kauf von weiteren russischen Boden-Luft-Raketen vom Typ S-300 ankündigt, oder noch viel bedeutendere Zukunftspläne schmiedet. Vor einem Wirtschaftsforum in Athen zauberte Kammenos kürzlich folgende Idee aus dem Hut: Griechenland werde steuerlich begünstigte „Sonderwirtschaftszonen“ für ausländische Rüstungsunternehmen schaffen, wobei man Kooperationsverträge mit den drei Rüstungsgroßmächten USA, Russland und China anstrebe (Bericht in Ta Nea vom 14. März). Von dem kolossalen Projekt dürften die Ministerkollegen von Kammenos zum ersten Mal gehört haben. Es ist jedenfalls völlig ausgeschlossen, dass es innerhalb der Regierung diskutiert wurde, schon weil die Syriza solche Sonderwirtschaftszonen als Mittel der Wirtschaftspolitik strikt ablehnt.
Für Politiker vom Typ des Anel-Vorsitzenden hat man im englischen Sprachraum einen schönen Begriff. Man nennt jemanden, der so wild und unbedacht daher redet, eine „loose canon“. Aber kann sich die griechische Regierung eine solche Figur ausgerechnet als Verteidigungsminister leisten?
Diese Frage wird innerhalb der Syriza mit wachsender Besorgnis gestellt. Zwar ist auch Finanzminister Varoufakis innerhalb der Partei nicht mehr unumstritten und wird inzwischen selbst von Tsipras ermahnt, seine Auftritte in den Medien sorgfältiger zu dosieren. Aber so lange sich die Athener Regierung einen Dampfplauderer wie Kammenos leistet, bleibt ein seriöser Kommunikator wie Varoufakis für die griechische Sache absolut unentbehrlich. Das hat der Finanzminister auch am Sonntag Abend in der ARD bewiesen, als er mit seinem Auftritt bei Jauch mit kluger, präziser und zugleich maßvoller Argumentation die hierzulande herrschenden Vorurteile über seine Person und sein Land erfolgreich unterminierte.
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