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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ohne Satire keine Freiheit
Datum: 25. Februar 2015 um 8:29 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Liebe Nachdenkseiten-Redaktion,
ehrlich gesagt, mir haben sich die Nackenhaare gesträubt, als ich den Text‚ Grenzen der Freiheit, auch der Satire‘ gelesen habe. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch so etwas Merkwürdiges lesen zu müssen, spricht allen europäisch-aufklärerischen Traditionen Hohn.
Die „Würde der Religionen“ sollen wir achten, genauer die der monotheistischen Religionen? Und deshalb eine Beschneidung der freien Meinungsäußerung hinnehmen? Warum soll ich archaische Weltanschauungen wie Religionen mit Ausschließlichkeitsansprüchen auch nur tolerieren? Warum soll ich jemanden respektieren, der die Evolution leugnet, Homosexuelle am liebsten in Umerziehungslager stecken möchte, die Frau zum Menschen zweiter Klasse degradiert? Warum soll ich Religionen achten, die stets dazu dienten, die Ausbeutung vieler durch wenige zu bemänteln, deren Vertreter seit weit über 1000 Jahren Mord und Totschlag entweder angezettelt oder gerechtfertigt haben, sich um das menschliche Wohlergehen einen Dreck scherend? Wodurch, wie Voltaire in ‚Das Diner beim Grafen Boulainvilliers‘ schrieb, „erwiesen ist, daß der Mißbrauch in der Sache selbst liegt“.
Wer Andersgläubige als Gottlose diffamiert und stigmatisiert, wie dies alle monotheistischen Religionen tun, trägt den Keim des Terrors bereits in sich. Anstatt den klerikalfaschistischen Tätern – religiösen Fundamentalisten jedweder Couleur – in den eigenen Reihen in den Arm zu fallen, werden die Opfer gescholten, in ihrer Kritik zu weit gegangen zu sein. Das ist nicht hinnehmbar, denn es klingt nach ‚Ihr seid selbst schuld‘! Vergessen sind offenbar die jahrhundertelangen im Namen der Religionen begangenen Verfolgungen und Ermordungen von Freigeistern, Humanisten, Aufklärern, Intellektuellen, Wissenschaftlern und eben auch Satirikern, in deren Tradition die heimtückisch Getöteten von Charlie Hebdo stehen. Die europäische Kultur, die bürgerlichen Demokratien haben sich stets gegen die christlichen Kirchen entwickelt und durchgesetzt. Den jammernden Papst zu zitieren, der ein allzu durchsichtiges Interesse daran hat, mühsam erkämpfte Freiheiten wieder einzuschränken, ist kein guter Zug. Ebenso wenig christlich-reaktionären Dunkelmännern in CDU und CSU, die bereits tolldreist ins gleiche Horn blasen, damit eine Steilvorlage zu liefern.
Hätten die Intellektuellen und Künstler in den zurückliegenden Jahrhunderten nicht den Mut zu Grenzüberschreitungen und Tabubrüchen gehabt, die Geistesfreiheit würde noch heute in den Kellern der Inquisition gefangen gehalten. Trotz aller Verfolgung und Unterdrückung und brennender Scheiterhaufen durch die Religionen bzw. ihre institutionellen Träger hat sich die Satire schließlich freigekämpft, und ist zu einem Standard geworden, hinter den es kein Zurück mehr geben darf. Ebenso wie die Funktion der Satire, die „der Kritik im Handgemenge“ gleicht, wie Marx 1844 in der Einleitung ‚Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie‘ schrieb. „Im Handgemenge handelt es sich nicht darum, ob der Gegner ein edler, ebenbürtiger, ein interessanter Gegner ist, es handelt sich darum, ihn zu treffen.“ Sie wäre keine Satire mehr, wenn sie fragen müsste: Darf ich? Nein, Satire fragt nicht, sie nimmt sie sich einfach, die Freiheit: Entschuldigung, aber ich bin so frei! Satire ist ein zutiefst aufklärerischer Prozess, soll er doch Menschen die „Selbsttäuschung nehmen“ (Marx).
Den Religionsvertretern und allen Gläubigen, die jetzt fordern, der Satire, der Karikatur, überhaupt der Kritik wieder einen Maulkorb anzulegen, sei geraten, sich die unselige Rolle ihrer Religion bzw. religiösen Institutionen im historischen Kontext zu vergegenwärtigen und Schlüsse daraus zu ziehen. Christen lege ich zum Einstieg die ‚Kriminalgeschichte des Christentums‘ von Karlheinz Deschner ans Herz. Und wer als erwachsener Mensch dann noch immer den religiösen Märchen anhängt, muss sich auch manchmal gefallen lassen, dass man sich über ihn/sie lustig macht. Gleiches gilt für den Islam, dessen Protagonisten – allesamt keine Kinder von Traurigkeit – von Anfang an auf militärische Expansion gesetzt haben. Die monotheistischen Religionen haben ihre Würde, falls sie eine solche je besessen haben, schon lange verspielt. Ich achte lieber die Würde des Menschen und jene Freiheit, die sich die Satire nimmt.
Hans-Jürgen Mülln, Journalist, Wetzlar
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