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Titel: Flexible Arbeitsmärkte senken die Produktivität und verhindern Arbeitsplätze
Datum: 24. Februar 2015 um 9:11 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Denkfehler Wirtschaftsdebatte
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Angeführt von der deutschen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat die Eurogruppe auf ihrer Position beharrt, auch die neue griechische Regierung unter Alexis Tsipras (SYRIZA) müsse sich zu “Strukturreformen” bekennen und diese weiterführen. Zu solchen “Reformen” gehört regelmäßig auch die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Die dümmlich-neoliberale Halsstarrigkeit von Schäuble und Co. ist deshalb Anlass genug, auf einen wesentlichen Zusammenhang hinzuweisen: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts erhöht nicht die Produktivität (und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit) von Unternehmen und Volkswirtschaften, sondern senkt sie sogar. Und sie verhindert die Schaffung von Arbeitsplätzen. Von Patrick Schreiner.
Auf den ersten Blick mag es einleuchtend erscheinen: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, so die neoliberale Erzählung, senke die Arbeitslosigkeit. Dafür werden regelmäßig verschiedene Gründe angeführt, die wohl wichtigsten sind:
Kurzum: Neoliberale Strukturreformen sollen Arbeit billiger und flexibler machen und hierdurch dazu führen, dass Unternehmen investieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Allerdings: Mit der Realität haben diese Erzählungen aus dem neoliberalen Elfenbeinturm nichts zu tun. Zahlen und Daten sprechen eine andere Sprache. Dafür zwei Beispiele:
(1) Schon 2013 hat der italienische Wirtschaftswissenschaftler Paolo Pini darauf hingewiesen, dass eine höhere Flexibilität des Arbeitsmarkts zu einer geringeren Produktivität und damit zu einer geringeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft führt. Pini hat Kennziffern zur Messung der Regulierung/Rigidität von Arbeitsmärkten in verschiedenen Ländern und Ländergruppen, wie sie die (flexibilisierungsfreundliche) OECD als “Employment Protection Legislation Index” zur Verfügung stellt, mit der Stundenproduktivität der gleichen Länder/Ländergruppen in Beziehung gesetzt. Seine Ergebnisse sind eindeutig und für fast alle Länder, Ländergruppen und Zeiträume nachweisbar: Je größer die Flexibilität der Arbeitsmärkte, desto geringer fällt die Produktivität aus. Das gleiche gilt auch für die jeweilige jährliche Wachstumsrate der Produktivität, sodass anzunehmen ist, dass ein flexiblerer Arbeitsmarkt sich auch auf die Investitionstätigkeit in einer Volkswirtschaft negativ auswirkt. Pini:
Eine negative Beziehung zwischen der Entwicklung der Kennziffer für die Regulierung des Arbeitsmarktes und die Dynamik der Arbeitsproduktivität lässt sich nicht bestätigen – weshalb ein Abbau von Schutzregelungen am Arbeitsmarkt auch nicht mit einem Wachstum der Produktivität einhergeht. Der Zusammenhang scheint sogar umgekehrt zu sein: Die Länder, die in besonders großem Umfang Schutzregelungen am Arbeitsmarkt abgebaut haben, sind zugleich die Länder, deren Dynamik der Produktivität weniger günstig ausfällt. Zu diesen gehören insbesondere auch die europäischen Länder, die im letzten Jahrzehnt und auch zuvor Politiken der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts umgesetzt haben – mit weniger stabilen Arbeitsverträgen am Beginn eines Arbeitsverhältnisses sowie leichteren und kostengünstigeren Entlassungen an seinem Ende.
(2) Auf ähnliche Zusammenhänge hat ebenfalls 2013 der niederländische Wirtschaftswissenschaftler Alfred Kleinknecht mit einigen Kollegen hingewiesen. Sie zeigten überdies, dass die Arbeitslosigkeit in Ländern mit höherer Flexibilität des Arbeitsmarkts höher ist und die Arbeitgeber weniger in die Kompetenzen ihrer MitarbeiterInnen investieren. Die Gründe, die sie für den positiven Zusammenhang zwischen einer hohen Arbeitsmarkt-Regulierung und Investitionen sowie der Schaffung von Arbeitsplätzen nennen, sind vielfältig – sie widersprechen allesamt dem oben skizzierten, simplifizierenden neoliberalen Arbeitsmarktmodell.
Wer die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Griechenland durch neoliberale “Strukturreformen” wieder in Schwung bringen möchte, geht vor diesem Hintergrund ganz offensichtlich fehl. Investitionen und Arbeit schafft man auf diese Weise nicht. Da erscheint es geradezu makaber und ironisch, wenn ausgerechnet der Unions-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, auf die Einigung zwischen Griechenland und der Eurogruppe mit den Worten reagierte:
Griechenland hat endlich eingesehen, dass es nicht länger die Augen vor der Wirklichkeit verschließen kann.
Das Zitat belegt einmal mehr beispielhaft: Die deutschen und die europäischen Eliten galoppieren weiter in die gleiche, altbekannte Richtung. Wer dabei übrigens glaubt, nur konservative Neoliberale wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Unions-Fraktionschef Kauder und ihre Parteien CDU und CSU pochten auf neoliberale “Strukturreformen”, sieht sich getäuscht. So wird der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, mit den Worten zitiert:
Die Vernunft hat sich durchgesetzt. Es ist gut, dass Griechenland jetzt doch zu Strukturreformen bereit ist.
Es wäre zu wünschen, dass durch den Regierungswechsel in Griechenland nicht nur eine Debatte über die Kürzungs- und Austeritätspolitik in Europa, sondern auch über die angeblich so notwendigen „Strukturreformen“ angestoßen wird. Denn zum Kernbestand dieser „Strukturreformen“ gehört eben auch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Eine solche Debatte wäre ein echter Beitrag zum Öffnen der Augen vor der Wirklichkeit. Allerdings steht zu befürchten, dass die neoliberalen Betonköpfe in Brüssel und Berlin bei den Verhandlungen mit der SYRIZA-Regierung auch in diesem Punkt den demokratisch erklärten Willen des griechischen Volkes ignorieren werden.
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