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Titel: Kann nur Deutschland den Euro retten? Fragen an Heiner Flassbeck
Datum: 23. Februar 2015 um 10:28 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Interviews, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Heiner Flassbeck hat wieder ein sehr lehrreiches Buch geschrieben. Letzte Woche erschien sein neustes Werk mit dem Titel „Nur Deutschland kann den Euro retten. Der letzte Akt beginnt“, das er zusammen mit dem griechischen Ökonomen Costas Lapavitsas verfasst hat, in den Buchhandlungen. Die NachDenkSeiten haben diese gute Gelegenheit genutzt, um ihm ein paar Fragen zur aktuellen Entwicklung der Eurozone und natürlich auch seinem neuen Buch zu stellen. Von Jens Berger
Herr Flassbeck, Sie haben gerade zusammen mit Costas Lapavitsas ein Buch veröffentlicht, in dem Sie erneut und ausführlich die Rolle Deutschlands im Zusammenhang mit der sogenannten „Eurokrise“ darlegen. Sie kennen die handelnden Personen der neuen griechischen Regierung, die Sie im Vorfeld der Wahl auch beraten haben. Tsipras und seine Mitstreiter zeigen nun offensiv und konsequent einen anderen Politikstil. Wie bewerten Sie den aktuellen Verhandlungsansatz der neuen griechischen Regierung?
Der ist natürlich weniger revolutionär als in den ersten Tagen dieser Regierung, aber immer noch vernünftig. Was heißt, ganz andere Konditionen für neue Kredite als vorher.
Der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen sagte einmal, man müsse die Schlinge um den Hals der Schuldner stets so locker lassen, dass man sie nicht stranguliert. Diese zynische Lektion scheinen die Verhandlungsführer der Troika vergessen zu haben. Momentan scheint es eher so, dass die griechischen Angebote in Brüssel, Frankfurt und vor allem in Berlin auf eine Mauer der Ignoranz stoßen. Halten Sie dies für eine Verhandlungstaktik oder trauen Sie der Troika tatsächlich zu, an Griechenland ein weiteres Exempel zu statuieren … als Botschaft an die Wähler anderer Länder, dass es sich nicht lohnt, Parteien zu wählen, die sich nicht dem Diktat der Troika unterwerfen?
Letzteres ist durchaus möglich. Zutrauen tue ich es den meisten der dort handelnden Personen auf jeden Fall. Es ist die Frage, ob bei einigen anderen die Vernunft Einzug hält, vor allem bei Frankreich und Italien. Die müssten ja langsam mal kapieren, was Sache ist. Die Frage von Schuld und Schuldner ist zwischen Ländern noch viel komplizierter als zwischen Privatpersonen. Wenn bei denen schon die Herrhausen-Regel gilt, dann darf man zwischen Ländern nicht einmal in den Kategorien von Schuld und Sühne denken.
In diesem Zusammenhang argumentieren die Vertreter der Troika ja stets, jeder Schritt, den man den Griechen entgegenkäme, würde den Druck auf die anderen Länder, die unter der Austeritätsknute der Troika ächzen, untergraben. Der konservative spanische Ministerpräsident Rajoy zählt ebenfalls zu den schärfsten Kritikern jeglicher Kompromisse gegenüber Griechenland, fürchtet er doch, dass jeder noch so kleine Erfolg von Syriza von seinem politischen Konkurrenten, der spanischen Linkspartei Podemos, ausgeschlachtet werden könnte. Hat die Eurokrise nun endgültig einen Punkt erreicht, an dem volkswirtschaftliche Fragen ideologischen Konflikten und parteipolitischen Erwägungen geopfert werden?
Es war immer klar, ich habe das seit vielem Jahren gesagt, dass am Ende die Belastungsfähigkeit unserer Demokratien über das Schicksal des Euro entscheidet. Wir werden noch viel schlimmere Kämpfe in Frankreich und Italien sehen. So weit hätte es nicht kommen dürfen. Die Dummheit der Leute, die die europäische Politik dahin gefahren haben, ist mit Händen zu greifen, aber gerade in Deutschland ist das intellektuelle Niveau der parteipolitischen Debatte auf einem historischen Tiefpunkt.
Kommen wir nun noch einmal zu ihrem neuen Buch zurück. Der Titel heißt „Nur Deutschland kann den Euro retten“. Wie meinen Sie das?
Nur eine fundamentale Kehrtwende der Wirtschaftspolitik in Deutschland kann die europäische Wirtschaft wieder auf einen vernünftigen Kurs bringen. Das Gläubiger-Schuldnermodell, das in riesigen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen seinen sichtbaren Ausdruck findet, hat endgültig ausgedient. Deutschland muss sich schon selbst verschulden, sonst geht es nicht.
Ein Kernkritikpunkt von Ihnen ist ja auch die viel zu schlechte Lohnentwicklung in Deutschland. Diese Entwicklung soll ja revidiert werden. Aber wie soll Deutschland die Lohnentwicklung pushen? Die Lohnfindung ist doch die originäre Aufgabe der Tarifpartner und der Staat hat da kaum einen Hebel, wenn man einmal von flankierenden Maßnahmen absieht.
Das staatliche Lohndrücken zu Anfang der 2000er Jahre hat ja auch funktioniert trotz Tarifautonomie. Die deutschen Gewerkschaften muss man ja inzwischen zum Jagen tragen, da kann ohnehin nur eine kompetente Regierung durch Druck auf die Arbeitgeber dafür sorgen, dass tief verängstigte Gewerkschaftsführer wieder Mut fassen.
Länder wie Griechenland konkurrieren auf den internationalen Märkten aber doch gar nicht direkt mit Deutschland. Deutschland baut – lassen Sie mich es ein wenig zugespitzt formulieren – Autos und Maschinen, Griechenland erzielt seine Außenhandelsüberschüsse in den Bereichen Schifffahrt und Tourismus. Wie hilft es der griechischen Volkswirtschaft weiter, wenn Deutschland seine Wettbewerbsvorteile in Sektoren abbaut, in denen gar kein Wettbewerb mit Griechenland besteht?
Ob direkt oder indirekt ist nicht entscheidend. Wenn Die italienische Wirtschaft gegenüber Deutschland wettbewerbsfähiger wird, entstehen vielleicht dort Produktionen, von denen griechische Hersteller profitieren ohne dass wir das heute vorhersehen könnten. Es geht ja primär nicht um Griechenland, sondern um Deutschland im Verhältnis zu Frankreich und Italien. Wir müssen aber über all für einen Ausgleich der globalen Wettbewerbspositionen sorgen, weil sonst auch die gesamte Idee des Freihandels grandioser Mumpitz ist.
James Galbraith sagte mir mal, dass in Deutschland niemand auf die Idee käme, die Wettbewerbsfähigkeit von Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg für die chemische Industrie oder den Automobilbau zu vergleichen und dann zu dem Schluss zu kommen, in Mecklenburg-Vorpommern müsse die Wettbewerbsfähigkeit durch niedrigere Löhne und sinkende Sozialleistungen herzustellen. In diesem Sinne wäre Griechenland dann wohl das europäische Mecklenburg-Vorpommern. Sollten wir uns nicht endlich von dem Gedanken verabschieden, jede Land oder jede Region müsse ausgerechnet in den Sektoren um Wettbewerbsfähigkeit wetteifern, die in Deutschland als Kernsektoren der Industrie gelten?
Ich schätze James sehr und ich glaube, das ist nicht die Schlussfolgerung aus seiner Analyse. Es geht nicht darum, für jede Region etwas auszusuchen und dann zu sagen, dabei bleibt es jetzt, passt euch gefälligst an. Dann hat Deutschland mit Sektoren mit hoher Industriedichte einfach Glück gehabt und die anderen Pech. Nein, ein internationales System kann nur funktionieren, wenn der sogenannte reale Wechselkurs zwischen den Ländern gleich bleibt, also die gesamtwirtschaftlich gemessene Wettbewerbsfähigkeit. Darunter muss es dann Austauschprozesse geben können, wo der eine gewinnt und der andere verliert, aus welchen Gründen auch immer. Wenn aber wie im Euroraum die erste Voraussetzung schon nicht geblieben ist, ist alles andere sinnlos.
Wenn man den Titel ihres Buches wörtlich nimmt, dann kann ja nur Deutschland den Euro retten. Hat die griechische Regierung dann überhaupt eine Chance, unilateral eine andere, eine bessere Politik umzusetzen?
Nein.
Also nutz schlussendlich alles nichts, wenn Deutschland sich nicht neu erfindet und seine bisherige Politik in die Schublade für ausgemusterte Ideologien steckt?
So ist es!
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