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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 23. Februar 2015 um 9:20 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CR/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Griechenland
  2. Pokern ohne Verluste
  3. Zwang die EZB Zypern zu einem Milliarden-Minus-Geschäft?
  4. Macht ohne Kontrolle – Die Troika
  5. Fünfmal schlimmer als die Griechen
  6. Freihandelsabkommen
  7. Armut
  8. dbb kritisiert offensichtliche Verschleppungstaktik der Deutschen Bahn
  9. Arm auf dem Papier
  10. Der Autobahnraub von Allianz und Co. ist Teil einer europaweiten Ausplünderungsstrategie
  11. Kalter Krieg: CIA finanzierte Sabotage und Anschläge in der DDR
  12. Orwell 2.0
  13. Migration
  14. Weglassen, vertuschen und manipulieren – Wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft die Nakba-Ausstellung ins Zwielicht rücken will
  15. Handschlag der Hoffnung
  16. Der SPD laufen die Mitglieder davon
  17. Zu guter Letzt: Mit Kabarett in die Fastenzeit
  18. Das Allerletzte: Goldene Generation von Rentnern: “Am Ende droht die Diktatur der Alten”

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Griechenland
    1. Greece deal is first step on the road back to austerity
      The rightwing orthodoxy that dominates thinking in Brussels has asserted itself over the hapless Greeks. A deal that allows the eurozone policymakers, the International Monetary Fund and the government of Athens to keep talking next week is the first stage in a clampdown on anti-austerity sentiment.
      That much was clear from the statements coming out of Brussels, not least those from Wolfgang Schäuble, Germany’s veteran finance minister, who indulged himself with some patronising comments to show where the power lies. “Being in government is a date with reality, and reality is often not as nice as a dream,” was the quip he delivered with a smile, one that is usually omitted from diplomacy school.
      Greece has many enemies inside the eurozone. The countries that have suffered Brussels-inspired austerity – Portugal and Ireland – and those that have played a role in enforcing it – the Germans, Dutch and Finns – all want the radical leftwing Syriza-led government in Athens to stick with the programme. France and Italy might have been courted by the Greeks and proved reliable allies, but they stand meekly on the sidelines offering warm words and little else.
      For the right-of-centre parties that control Portugal, Ireland and probably more importantly Spain, which is also under serious threat from an anti-austerity party, the need to keep Greece in check is driven by domestic politics. Any sense that austerity was ever wrong or that it delayed the recovery, as Greek finance minister Yanis Varoufakis argues, would undermine their authority and hand the intellectual higher ground to rival parties.
      So Varoufakis’s first demand for a debt writedown was dismissed. Then his attempt to win a bridging loan, separate from the existing bailout deal, was trashed. Decisions to suspend privatisations were frowned on. Now he must use what money is available to shore up Greek banks.
      Where have we heard before that the banks must come first? Varoufakis wants to boost demand by handing some cash to workers and pensioners in the form of a higher minimum wage and modestly larger pensions. It makes perfect sense to some economists, but they are not running the show.
      Quelle: The Guardian
    2. Die Erklärung des Sondertreffens der Eurogruppe vom Freitag im Original
      The Eurogroup reiterates its appreciation for the remarkable adjustment efforts undertaken by Greece and the Greek people over the last years. During the last few weeks, we have, together with the institutions, engaged in an intensive and constructive dialogue with the new Greek authorities and reached common ground today….
      Quelle: ND
    3. Den Horizont verbaut
      Die Einigung über das Rettungsprogramm ist ein Diktat. Athen wird die Bedingungen, mit denen hier ein Exempel statuiert wird, kaum erfüllen können.
      Die gute Nachricht zuerst: Griechenland bleibt im Euro, der drohende „Grexit” wurde bei der Krisensitzung der Eurogruppe in Brüssel abgewendet. Nun die schlechte Nachricht: Griechenland muss den gescheiterten und bei der Parlamentswahl mit großer Mehrheit abgewählten Austeritätskurs fortsetzen. Die neue Regierung in Athen kommt sogar unter noch strengere Kuratel.
      Dies ist ein Sieg für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der an Griechenland ein Exempel statuieren wollte. Es gehe nicht nur um einzelnes Land, sondern um ganz Europa, sagte Schäuble bei seiner Ankunft in Brüssel. Die Botschaft ist so klar wie brutal: Auch Frankreich, Italien und alle anderen, die die Regeln verletzen, müssen sich warm anziehen.
      Denn darum geht es im Kern: Um Verträge und Regeln – und um die deutsche Anmaßung, allein über diese Regeln zu bestimmen. Weil Schäuble kein Vertrauen in seinen neuen Amtskollegen Jannis Varoufakis hat, muss der nun am Wochenende nachsitzen und bis Montag eine Liste der geplanten Reformen vorlegen. Berlin kann dann in aller Ruhe prüfen, ob sie den Vorgaben des „Programms” entspricht.
      Quelle: taz
    4. Greece’s fate: In Angela Merkel’s hands?
      Economist James Galbraith recently spent a week with Greek finance minister Yanis Varoufakis. He shares with Fortune what he learned while looking at the nation’s fiscal crisis from the inside.
      Is Greece’s fate in the hands of Angela Merkel? One leading economist with close ties to Greek finance minister Yanis Varoufakis says that the primary obstacle to compromise is a dramatic division within the German government, with one faction demanding that Greece fully adhere to its previous commitments, and another powerful group advocating compromise.
      “It’s all up to Merkel,” says James Galbraith, who spent seven days in mid-February at Varoufakis’ side in Brussels and Athens. “We’ve heard from her finance minister, who takes a negative stance, and from her vice chancellor, who wants to talk. The person we haven’t heard from is Merkel. We know she does not talk until needed. They are as tough as possible, then make one concession at the last minute so they don’t have to make two.”
      Galbraith summarizes Merkel’s dilemma—and the best hope for an agreement—with one fundamental question: “Does Merkel want to be the person who presides over the fragmentation of the Eurozone?”
      Quelle: Fortune
    5. Europa gewinnt Zeit
      Hinter dem Streit um das Reformprogramm für Griechenland steht ein Kampf zwischen gemäßigten und radikalen Kräften in Europa.
      Populistische Parteien wie in der Rechts-Links-Koalition Griechenlands haben auch in anderen europäischen Ländern Auftrieb. Sie stellen die Währungsunion und die EU insgesamt infrage.
      Deswegen konnte der griechische Ministerpräsident Tsipras auch keine Verbündeten in den linken Regierungen Italiens und Frankreichs gewinnen. (…)
      Es geht um die Glaubwürdigkeit der Währungsunion
      Durch die Machtübernahme radikal-populistischer Linker und Rechter steht Europas Währungsunion in der größten Krise ihrer Geschichte. Die Regierung von Premier Alexis Tsipras hat ihr Schicksal an das Versprechen geknüpft, der Euro-Politik eine neue Richtung zu geben.
      Die Euro-Partner, regiert von Parteien der gemäßigten Mitte, lehnten dies ab. Das grundsätzliche Problem: Die gemäßigten Parteien in Europa können den radikalen Parteien, die seit 2011 immer mehr Zuspruch erhalten, keine Zugeständnisse machen, ohne die EU in ihrer jetzigen Form zu riskieren. Man ringe nicht um Zahlen oder Reformen, sagt ein hoher EU-Diplomat, sondern “darum, dass die Regeln der Währungsunion eingehalten werden”. Also um Glaubwürdigkeit.
      Quelle: Süddeutsche.de

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: Der erste Satz ist richtig: “Hinter dem Streit um das Reformprogramm für Griechenland steht ein Kampf zwischen gemäßigten und radikalen Kräften in Europa.” Der Rest des Textes ist von vorne bis hinten falsch und zeigt nur, wie weit ins neoliberal-wirtschaftsliberale Lager die SZ abgedriftet ist. Die regierenden sogenannten “Mitte-Parteien”, die sogenannten Christdemokraten und die sogenannten Sozialdemokraten, sind in Wahrheit die Extremisten, die mit radikaler Lohnsenkungs-, Sozialabbau- und Austeritätspolitik die Volkswirtschaften der EU und damit die gesamte EU zerstören, während die angeblichen Radikalen die wirtschaftspolitisch vernünftigen Vorschläge machen, die die EU vielleicht noch retten können. Verkehrte Welt.

  2. Pokern ohne Verluste
    Die Ukraine ist ein Exerzierfeld für private Investoren. »Schocktherapie« des IWF führt Bevölkerung in Armut
    »Ein gutes Rezept für eine Katastrophe.« So beschreibt Josh Cohen, Experte für postsowjetische Wirtschaften, die »Schocktherapie«, die der Internationale Währungsfonds (IWF) mit der Unterstützung des Westens zur Zeit in der Ukraine durchführt.
    Er erläutert: »Die Ukraine befindet sich wirtschaftlich momentan im freien Fall. Das hat in erster Linie mit dem Krieg und den Problemen, die das Janukowitsch-Regime und 25 Jahre miserable Regierungsführung hinterlassen haben, zu tun.« Das Land habe 2014 ungefähr 7,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verloren. »Das ist deutlich mehr, als ursprünglich vom IWF vorhergesagt«, so Cohen weiter, der als Kenner der Situation in der Ukraine häufig in The Moscow Times und Foreign Policy schreibt.
    Die Regierung in Kiew hat schon eine Reihe von Steuern erhöht und die bereits niedrigen Renten und Gehälter von Regierungsangestellten gekürzt. Darüber hinaus wurde der Mindestlohn eingefroren. Gassubventionen für Verbraucher werden vollständig im Verlauf der nächsten zwei Jahre abgeschafft. Als Bedingung für ein Kreditpaket des IWF mit einem Wert von 17 Milliarden Dollar über zwei Jahre, verpflichtete sich das neue, prowestliche Regime in Kiew im April 2014 zu einem umfassenden Sozialabbau. Wenn aber die einfache Bevölkerung der Ukraine, die bereits in einem der ärmsten Länder Europas lebt, den Gürtel enger schnallen muss, wem kommt dann dieses Geld zugute?
    Nach einem Artikel des Wall Street Journal (WSJ) benutzte die US-Investmentfirma Franklin Templeton die politischen Unruhen, die im November 2013 in der Ukraine ausbrachen, um auf das Land zu »wetten«. Das Unternehmen kaufte billige ukrainische Staatsanleihen, die bei einer schnellen Lösung der Krise im Wert steigen würden. Dem WSJ zufolge hat Franklin Templeton für mehr als sieben Milliarden Dollar ukrainische Staatsanleihen gekauft.
    Quelle: junge Welt
  3. Zwang die EZB Zypern zu einem Milliarden-Minus-Geschäft?
    Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Eurofinanzminister sollen die drei Großbanken Zyperns im März 2013 gezwungen haben, ihren Besitz in Griechenland an die griechische Bank Priraeus so weit unter Preis zu verkaufen, dass sie dabei 3,4 Milliarden Euro Verlust machten, die später von den Kunden der Banken in Zypern aufgebracht werden mussten. Diesen Vorwurf erheben zyprische Politiker, Notenbanker und Geschädigte und klagen daher vor dem Europäischen Gerichtshof auf Entschädigung, berichten der Tagesspiegel und der Fernsehsender Arte.
    Diese “unfreiwillige” Abspaltung des Griechenlandgeschäfts der Bank of Cyprus, der Laiki- und Hellenic Bank sei bei der EZB schon Monate im Voraus geplant worden, heißt es in dem Bericht unter Berufung auf ein geheimes Memo der damit beauftragten EZB-Beamten.
    Quelle: Harald Schumann im Tagesspiegel
  4. Macht ohne Kontrolle – Die Troika
    Nach seinem preisgekrönten Film „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ geht der Wirtschaftsjournalist und Bestseller-Autor Harald Schumann erneut einer brisanten Frage auf den Grund: Was passiert mit Europa im Namen der Troika?
    Beamte aus den drei Institutionen IWF, EZB und Europäischer Kommission – der Troika – agieren ohne parlamentarische Kontrolle. Sie zwingen Staaten zu Sparmaßnahmen, die das soziale Gefüge gefährden und tief in das Leben von Millionen Menschen eingreifen. Harald Schumann reist nach Irland, Griechenland, Portugal, Zypern, Brüssel und in die USA, und befragt Minister, Ökonomen, Anwälte, Bänker, Betroffene.
    Quelle: Arte
  5. Fünfmal schlimmer als die Griechen
    Von der Rekordverschuldung in nur sieben Jahren zur Erholung: Island kann Griechenland durchaus als Inspiration dienen.
    Donnerstag vorletzter Woche fällte Islands oberster Gerichtshof ein historisches Urteil. Vier Bankmanager wurden zu Haftstrafen zwischen vier und fünfeinhalb Jahren wegen betrügerischer Marktmanipulationen und Untreue verurteilt.
    Die härtesten Strafen im Bereich der Wirtschaftskriminalität, die in Islands Justizgeschichte bislang verhängt worden sind. Und historisch war das Verfahren unter dem Aktenzeichen 145/2014 auch deshalb, weil sich Bankdirektoren selbst für die von ihnen veranlassten Betrügereien verantworten mussten, mit denen sie Gläubiger, Investoren, Sparer, aber auch die Regierung geschädigt hatten.
    Staatsanwalt Ólafur Hauksson arbeitet sich seit 2009 als Leiter einer speziellen Anklagebehörde durch die Hinterlassenschaften des Finanzcrashs, der Island ein Jahr zuvor an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hatte. Hauksson hofft, dass Islands Umgang mit betrügerischen Bänkern „ein starkes Signal an andere Länder“ sendet: „Tut es unserem Beispiel gleich!“
    Island könne auch noch in anderer Beziehung zur Inspiration dienen, meint Thórólfur Geir Matthíasson, Ökonomieprofessor an der Háskóli Íslands, der Universität von Island. Nämlich für die Eurozone und was die Abschreibung von Schulden angeht. Griechenland mit Staatsschulden in Höhe von 175 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts? Peanuts! Island stand 2008 vor einem Schuldenberg, der dem Zehnfachen des BIPs entsprach. Hätte, ja, hätte der Staat sich die aufhalsen lassen, wie „die Märkte“, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU es damals von Reykjavík verlangten. (…)
    Schuldenschnitt bei Immobilienkrediten
    Klagen vor internationalen Gerichten musste Reykjavík notgedrungen riskieren. Nachdem alle Erpressungsversuche der vereinten Front der EU-Staaten nichts genutzt hatten, gingen London und Den Haag auch diesen Weg. Doch wegen Lücken in der EU-Bankendirektive wurde 2013 vom Gerichtshof der Europäischen Freihandelszone eine isländische Staatshaftung endgültig abgelehnt.
    Mit der Abwehr der drohenden immensen Staatsverschuldung war es für Island allerdings nicht getan. Im Gefolge der Finanzkrise war der Wert der isländischen Krone wie ein Stein gefallen. Die Inflationsrate schnellte in die Höhe, die Reallöhne sanken und der Immobilienmarkt kollabierte. Die rot-rot-grüne Regierung versuchte, die Lasten gerechter zu verteilen, führte eine Reichensteuer ein und verschärfte die Progression bei der Einkommensteuer. Firmen bekamen spezielle Umschuldungsprogramme, und später gab es noch einen Schuldenschnitt bei Immobilienkrediten: Die Banken wurden verpflichtet, alle Kredite abzuschreiben, die über 110 Prozent des Immobilienverkehrswerts lagen.
    „Man kann sagen, dass Island den Weltrekord im Schuldenerlass hält“, sagt Lars Christensen, Chefanalytiker der Danske Bank in Kopenhagen: „Island folgte den akademischen Lehrbüchern zur Überwindung einer solchen Krise auf Punkt und Komma.“ Wirtschaftsprofessor Matthíasson stimmt ihm zu: „Wenn es in anderen Ländern um die Abschreibung von Schulden geht: Von Islands Krise können sie eine Lektion lernen.“
    Quelle: taz

    Anmerkung JB: Ein interessanter Artikel, der jedoch mehrere grobe Schnitzer enthält:

    „Griechenland mit Staatsschulden in Höhe von 175 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts? Peanuts! Island stand 2008 vor einem Schuldenberg, der dem Zehnfachen des BIPs entsprach.“

    Das ist natürlich Unfug. Zum Höhepunkt der Krise betrug die isländische Staatsschuldenquote gerade einmal rund 130%. „Rund dem Zehnfachen des BIP“ entsprach vielmehr die gesamte Schuldenquote des Landes, die zum allergrößten Teil den drei großen Banken des Landes zuzurechnen war. Bei den im Artikel nicht näher definierten „isländischen Schulden“ ging es ja gerade eben nicht um Staatsschulden, sondern um Verluste der einheimischen Banken, die – anders als in anderen Staaten – nicht verstaatlicht wurden.
    Als „Inspiration“ kann Island dem Eurostaat Griechenland natürlich auch nicht gelten. Mitglieder der Eurozone können den isländischen Weg gar nicht gehen, da sie ihre Währung nicht abwerten und keine souveräne Notenbankpolitik betreiben können – dies waren die Kernpunkte des isländischen Krisenbewältigungsprogramms. Ich möchte auch gerne mal die Kommentare der hiesigen Medien und(!) unserer lieben Mitbürger hören, wenn ein EU-Staat von heute auf morgen die Einlagensicherung abschafft. Das Beispiel „Island“ ist nun einmal nicht mit anderen Ländern vergleichbar.

    Dazu auf den NachDenkSeiten: Jens Berger – Island – ein Fanal der Hoffnung in Zeiten der Krise

  6. Freihandelsabkommen
    1. Erst Demokratie, dann Freihandel!
      Das TTIP-Abkommen droht den Primat der Politik über die Märkte aufzuheben und benachteiligt arme Länder. TTIP wird vermutlich weit mehr als ein klassisches Freihandelsabkommen sein.
      Im Sommer 2014 hat die Grundwertekommission der SPD sich für den Anfang einer neuen Themenreihe das anstehende Abkommen zu TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) vorgenommen, weil es im Zeitalter der ökonomischen Globalisierung ein neues Kapitel der Gestaltung globaler Handelspolitik aufschlägt. Daraus ist eine Stellungnahme zu TTIP erwachsen.
      TTIP wird vermutlich weit mehr als ein klassisches Freihandelsabkommen sein. Es geht vielmehr um ein transatlantisches Vorbild für eine letztlich globale Handelsarchitektur. Unsere entscheidende Frage lautet: Soll die transatlantische und künftig die globale Handelsarchitektur eine res publica sein, eine öffentliche Angelegenheit, die der öffentlichen Regulierung und demokratischen Kontrolle durch die Politik bedarf und dafür offen bleibt? Oder soll die transatlantische Handelsarchitektur eine res privata sein, die dem Marktprozess anheimgestellt ist und im wesentlichen von den privaten Marktakteuren selbst normiert wird? Bisher zeichnet sich die Tendenz ab, die künftige Handelsarchitektur als res privata zu behandeln.
      Die Grundwertekommission schätzt die Vorzüge und Chancen des Freihandels hoch ein. Er kann zu einer Win-win-Situation zwischen Volkswirtschaften führen, weil er ihnen in der globalen Arbeitsteilung ermöglicht, ihre wirtschaftlichen Stärken einzusetzen und allein durch die Vergrößerung der Märkte Vorteile für Kosten und Absatzchancen zu nutzen.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    2. Gabriel legt Kompromiss zu Ceta vor
      Der Wirtschaftsminister hat eine Überarbeitung des Freihandelsabkommens mit Kanada präsentiert. Das Konzept sieht auch eine Alternative zu privaten Schiedsgerichten vor.
      Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat zusammen mit sozialdemokratischen EU-Amtskollegen einen Kompromiss für das Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta, vorgeschlagen. Demnach soll es sehr strenge Regeln für den Investitionsschutz geben – Kritiker fürchten, dass vor privaten Schiedsgerichten nationale Gesetzesentscheidungen ausgehebelt werden könnten.
      In einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Beschlusspapier der sozialdemokratischen Handelsminister werden mehrere rote Linien gezogen.
      Unter anderem soll das Ändern von Gesetzen, auch wenn dies die Gewinnmargen deutlich senkt, keinen Klagegrund mehr darstellen. Zudem soll eine Berufungsoption eingeräumt werden, wenn Investoren in solchen Verfahren Recht bekommen. Und Investoren müssen sich entscheiden, ob sie vor einem nationalen Gericht klagen oder vor einem Schiedsgericht. Um die Zahl der Verfahren zu minimieren, soll das Prinzip “Der Verlierer zahlt” gelten. Dies liegt auf einer Linie mit Überlegungen der EU-Kommission.
      “Wir fordern einen neuen Ansatz zur Durchsetzung des Rechts auf Regulierung und des Investitionsschutzes”, betonten die Minister mit Blick auf einen neuen Investitionsgerichtshof, der anstelle von privaten Schiedsgerichten vorgesehen ist. Die Richter für solche Verfahren sollen zudem aus einem festgelegten Pool von hochqualifizierten, von der EU, Kanada und den EU-Mitgliedstaaten benannten Schiedsrichtern ausgewählt werden “und soweit möglich qualifizierte Berufsrichter und Wissenschaftler umfassen”.
      Gabriel hatte bereits im September angekündigt, er wolle versuchen, den umstrittenen Investorenschutz im Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada noch zu verhindern. Der Minister hatte aber auch wiederholt deutlich gemacht, dass Deutschland den Freihandelsvertrag unterschreiben müsse und sich “Unwohlsein” nicht erlauben könne.
      Quelle: Zeit Online

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: Was soll das alles? Es mag sein, dass Gabriels “Kompromissvorschlag” weniger schlimm ist als das ursprüngliche Vorhaben, aber es gibt immer noch keine Begründung, warum es eine solche parallele Gerichtsbarkeit überhaupt geben soll, in der ausschließlich Unternehmen Staaten verklagen dürfen. Und zu dem Satz, “Deutschland [muss] den Freihandelsvertrag unterschreiben” sei der Hinweis auf das Grundgesetz erlaubt, auf das Gabriel seinen Amtseid geschworen hat: nicht die Regierung beschließt Gesetze, sondern der Bundestag aus frei gewählten Abgeordneten, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. Anderenfalls könnte man den Bundestag nämlich “Volkskammer” nennen.

    3. Wirtschaft und SPD wollen Handelsabkommen TTIP retten
      Wirtschaft und SPD-Spitze stemmen sich gegen ein Scheitern des EU-Handelsabkommens TTIP mit den USA. An diesem Montag veranstalten der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie die Sozialdemokraten zwei große Kongresse zum Thema.
      Daran nehmen in Berlin der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, US-Botschafter John B. Emerson, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und DGB-Chef Reiner Hoffmann teil.
      Industriepräsident Ulrich Grillo mahnte angesichts großer Widerstände in der Bevölkerung mehr Einsatz von Bundesregierung und Brüssel an, um TTIP zu retten. «Die Weltwirtschaft ist im ständigen Wandel, die Welt wartet nicht auf Europa», sagte der BDI-Chef am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Die Verhandlungen der Kommission mit Washington müssten für die Bürger noch besser zu durchschauen seien, die Vorteile sichtbarer werden.
      Quelle: Borkener Zeitung

      Anmerkung unseres Lesers E.V.: “Die Verhandlungen der Kommission mit Washington müssten für die Bürger noch besser zu durchschauen seien, die Vorteile sichtbarer werden.”, sagte der BDI-Chef Grillo und er sagte auch: “«Politik, aber auch die Wirtschaft, müssen noch viel mehr Aufklärungsarbeit leisten.»
      Da stellt sich doch die Frage: Wie wollen sie denn die Bürger aufklären die Verhandlungen durchschaubarer machen, wenn eben diese Verhandlungen streng geheim sind, wenn noch nicht einmal unsere demokratisch gewählten Abgeordneten im Bundestag und im EU-Parlament Einsicht in die Verhandlungen bekommen. Wie will man die Bürger, die ja auch allesamt Verbraucher sind, aufklären, wenn Verbraucherschützer, Gewerkschaften, Umweltverbände usw. so gut wie gar nicht beteiligt werden, während die Lobbyverbände der europäischen und US-amerikanischen Konzerne ständig ihre Interessen in den Verhandlungen vertreten können?
      Wie will man den Bürgern erklären, dass wir in Europa und den USA zwar rechtsstaatliche Systeme haben, dass wir aber für den Investorenschutz Geheimgerichte benötigen, die von wenigen Anwaltskanzleien personell besetzt werden, gegen deren Urteile keine Revision eingelegt werden kann, vor denen nur Konzerne Staaten verklagen können, nicht etwa auch Staaten die Konzerne?
      Und wie will man den Bürgern erklären, dass das größte Handelshemmnis, die Wechselkursschwankungen zwischen Euro und Dollar, gar nicht behandelt wird, um die gewinnträchtigen Geschäfte der Finanzmärkte nicht zu beeinträchtigen?
      Auf diese Erklärungen, vor allem durch den Wirtschaftsminister Gabriel, darf man sehr gespannt sein!

      Ergänzende Anmerkung C.R.: Dass Lobbyverbände TTIP in Schutz nehmen und mit solchen Veranstaltungen die Bevölkerung irritieren möchten, ist nachvollziehbar. Dass die älteste deutsche Partei, die sozialdemokratisch sein möchte, in das gleiche Horn bläst, ist weniger verständlich und offenbart wie weit sich insbesondere die SPD-Spitze von der Arbeitnehmerschaft, die keine Vorteile aus den sog. Freihandelsabkommen ziehen kann, entfernt hat.

    4. Da braut sich für die Schweiz etwas zusammen
      An einem Schiedsgericht in Washington kommt ein Millionen-Prozess auf die Schweiz zu – der Erste seiner Art. Wer der Angreifer ist und wofür er Schadenersatz fordert, hält der Bund geheim.
      Am 21. Januar 2015 sandte die Eidgenossenschaft einen Notruf aus. Man suche eine Anwaltskanzlei, lautete die Nachricht. Die Schweiz müsse damit rechnen, in einen komplizierten Prozess verwickelt zu werden. Man brauche mindestens vier Anwälte, davon zwei auf Stufe Partner. Maximaler Aufwand ab April 2015 bis 2020, wenn alle Schlichtungsversuche scheitern sollten: 17’810 Stunden. Bei einem vorsichtig geschätzten Stundenansatz von 400 Franken ergibt das total 7’124’000 Franken.
      Der Chefanwalt und sein Stellvertreter müssen fliessend Deutsch, Französisch und Englisch sprechen. Die gewünschten juristischen Qualifikationen füllen drei Seiten. Wer den Auftrag will, muss sich zuerst vom VBS durchleuchten lassen. Und offenlegen, wie gut die Informatik der Kanzlei gegen Hackerangriffe geschützt ist. So lauten die Bedingungen, welche die Schweiz auf der Vergabeplattform Simap.ch publiziert hat. […]
      Die Besonderheit: Das Verfahren fand nicht vor einem staatlichen Gericht statt, sondern vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington, dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID). Das Tribunal kommt ins Spiel, wenn spezielle Staatsverträge es vorsehen, sogenannte Investitionsschutzabkommen.
      Die Schweiz hat mit rund 120 Staaten solche Verträge geschlossen. Die Idee dahinter: Ein Land gibt einen Teil seiner Gerichtsbarkeit ab – und wird dadurch für Investoren attraktiver.
      Quelle: Tagesanzeiger
    5. Montag ist TTIP-Tag in Berlin – Antiamerikanismus, Filmförderung, UNESCO
      Quelle: Politik & Kultur, Deutscher Kulturrat [PDF]
  7. Armut
    1. Wie Rentner vor dem Absturz bewahren?
      In NRW nimmt die Zahl der Menschen, die in Armut leben, rasant zu. Die Unterschiede zwischen einzelnen Wohnquartieren sind enorm. Wie kann Armut sinnvoll bekämpft werden? Ein Interview mit dem Armutsforscher Ernst-Ulrich Huster.
      “Der tatsächlich erarbeitete Wohlstand für die ganze Gesellschaft ist ungleicher denn je verteilt”, sagte Ernst-Ulrich Huster im WDR 5-Morgenecho. Bis zu 60 Prozent der Vermögen befänden sich im Besitz von nur 10 Prozent der Gesellschaft.
      Zwar könne Deutschland derzeit einen Spitzenwert an Beschäftigten von über 42 Millionen aufweisen, der Zuwachs resultiere aber im Wesentlichen aus prekärer Beschäftigung im Teilzeit- und Niedriglohnbereich. “Man wird sehen müssen, inwieweit der Mindestlohn da Abhilfe schaffen kann – aber es werden ja auch schon beachtliche Umgehungsstrategien diskutiert.”
      Eine kurzfristige Lösung der Armutsprobleme sei nur möglich, wenn die Grundsicherung angehoben werde, sagte Huster. “Mittel- und langfristig muss es dann aber darum gehen, dass mehr Erwerbsarbeit zu Konditionen angeboten wird, aus denen eine nachhaltige soziale Sicherung entsteht. 8,50 Euro Mindestlohn reichen keinesfalls, um Altersarmut zu bekämpfen.”
      Passend dazu:
      Audio: Armutsforscher Hustler: Wie Rentner vor Armut schützen? (21.02.2015)
      Quelle: WDR 5
    2. Wie arm ist arm?
      Auf der ganzen Welt leben nach Angaben der Weltbank mehr als eine Milliarde Menschen in Armut. In Deutschland gelten fast 13 Millionen Menschen als armutsgefährdet.
      Doch was heißt das eigentlich, arm sein?
      Fast 13 Millionen Menschen gelten in Deutschland als armutsgefährdet. Das ist immerhin fast jeder Sechste. Nun gibt es Menschen, die behaupten in einer Industrienation wie Deutschland gebe es keine Armut mehr. Von vier Euro am Tag könne man schließlich gut essen und gegen die Kälte in der Wohnung einen Pullover überziehen. Was also heißt das überhaupt, arm sein? Ist nur der arm, dessen Geld kaum reicht, um jeden Tag ausreichend auf dem Teller zu haben? Der, der sich keine eigene Wohnung mehr leisten kann? Oder auch der, der kein Internet hat, keinen Fernseher und kein Telefon?
      Die entscheidende Grenze liegt in Europa bei 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung, das sind hierzulande momentan 979 Euro netto im Monat. Wer weniger hat, gilt als von Armut bedroht, ihm bleiben am Tag also etwas mehr als 30 Euro. Im Verhältnis zur Armutsgrenze der Weltbank von 1,25 US-Dollar, also etwa einem Euro, ist das viel. Die beiden Definitionen von Armut, die den beiden Beträgen zugrunde liegen, unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt: Die deutsche und europäische Armutsgrenze ist relativ, arm ist man im Verhältnis zu den anderen. Die internationale Armutsschwelle nach Definition der Weltbank dagegen ist absolut. Sie besagt, wer so wenig hat, kann kaum richtig leben, egal in welchem Land, egal wie viel die anderen in einer Gesellschaft besitzen. Das Argument, die Armen würden sich doch nicht arm fühlen, solange sie nicht wüssten, dass es Menschen mit mehr Vermögen gebe, verliert in einer vernetzten, globalisierten Welt an Bedeutung.
      Schon in 15 Jahren soll, wenn es nach dem Präsidenten der Weltbank Jim Yong Kim geht, niemand mehr unter extremer Armut leiden müssen. Erst im vergangenen Jahr machte er in einer Rede deutlich, dass dieses Ziel durchaus zu erreichen sei. Schließlich habe man bereits in der Vergangenheit “Millionen Menschen jährlich von absoluter Armut befreit”. Ob die Zahlen der Weltbank die globale Armut wirklich fassen können, daran gibt es jedoch trotzdem Zweifel. Zwar wird bei den Berechnungen die Kaufkraft miteinbezogen: Arm ist also der, der in seinem Land nicht die Dinge erwerben kann, die umgerechnet 1,25 US-Dollar kosten würden.
      Quelle: Süddeutsche.de
    3. Falsch berechnet
      Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht den Nordosten Deutschlands als Armenhaus. Doch die Realität sieht anders aus, als es die Zahlen vermuten lassen. (…)
      Übertrieben? Total. Die Zahlen des Paritätischen widersprechen jeder gefühlten Realität. Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land, in dem die Radwege besser in Schuss sind als manche Autobahn-Brücke in Westdeutschland. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung glänzen die Innenstädte, sind die Dörfer rausgeputzt, die Vorgärten gepflegt. Vor den Häusern stehen Mittelklassewagen. Das Land hat seit langem einen ausgeglichenen Haushalt. So mancher von der Studie zum Armen erklärte Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns würde den Autoren des Papiers wohl einen Vogel zeigen. (…)
      Im Modell des Wohlfahrtsverbands wird angenommen, dass die Armut bei Menschen anfängt, die weniger als 60 Prozent des mittleren Netto-Einkommens zur Verfügung haben. Dieser Ansatz ist geläufig, aber so derartig grob, dass er völlig in die Irre führt. Angenommen, alle Menschen in Deutschland würden auf einen Schlag 100 Mal so viel verdienen wie bisher. Der Wohlstand würde explodieren. Das Land und seine Einwohner wären reicher als jeder andere Staat der Welt. Doch nach den Zahlen des Paritätischen ginge es uns kein bisschen besser. Noch immer läge die rechnerische Armutsquote bei 15,5 Prozent. Der Grund: Am 60-Prozent-Verhältnis zwischen arm und reich hätte sich nichts verändert.
      Auch unterscheiden sich die Lebensumstände der angeblich von Armut betroffenen Menschen erheblich. So gelten neben Hartz-IV-Empfängern auch Studenten als arm. In der Tat verdienen Hochschüler wenig, sie werden aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nach ihrem Studium zu den Gutverdienern der Gesellschaft gehören. Es gibt viel zu beklagen an deutschen Unis. Aber niemand würde ernsthaft behaupten, sie würden nur von Armen besucht.
      Quelle: Süddeutsche.de

      Anmerkung unseres Lesers M.S.: Hier versucht sich ein Kommentator in der SZ an seiner eigenen Definition von Armut und “widerlegt” die Aussage des paritätischen Gesamtverbandes. Wenn alle 1000x mal mehr verdienen würden, wären ja immer noch genau so viele “arm” wie vorher… das könne ja nicht sein, so seine Auffassung.
      Er übersieht, dass es bei Armut um gesellschaftliche Teilhabe geht und dass das Preisniveau sich dem verfügbaren (Gesamt-)Einkommen anpasst…

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: An diesem übel manipulierenden Artikel ist tatsächlich fast alles falsch – und er bietet nicht einmal einen Gegenvorschlag zur Berechnung oder Definition von Armut. Natürlich sollte man die regional unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zur bundesweit einheitlichen Armutsgrenze in Beziehung setzen – aber egal, ob man 40, 50 oder 60 Prozent des Medianeinkommens als Grenze ansetzt, wächst die Armut Jahr für Jahr. Wahrscheinlich kann eine vierköpfige Familie auch mit 1.873 Euro in MeckPomm halbwegs vernünftig leben, aber in jeder Großstadt ist sie mit dem Gehalt bettelarm – also was soll die Diskussion?
      Auch das fiktive Beispiel, in dem alle Einwohner plötzlich 100 Mal so viel verdienen, ist Blödsinn: natürlich gibt es dann weiterhin relative Armut und ist auch der gutverdienende Manager unter Multimillionären arm. Es gibt zwei Auflösungen: Entweder wachsen die Preise um den Faktor 100 mit, dann wird in dem Beispiel nur das Phänomen Inflation beschrieben und ist die Armut weiterhin real. Oder aber man hat ein Beispiel wie Saudi-Arabien, wo tatsächlich alle Bürger reich sind. Aber wer macht dann die ganze Drecksarbeit? Genau, Arbeitssklaven aus anderen Ländern, und dann sind die die Bettelarmen in der Gesellschaft. Gäbe es die Drecksarbeiter nicht, dann könnte der Milliardär nicht für eine Million Dollar ein Brötchen kaufen. Aber vielleicht findet die SZ auch hier noch einen Dreh, die Armut wegzuleugnen…

    4. Debatte über Hartz-IV-Leistungskürzungen
      Die Bremische Bürgerschaft hat über Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger debattiert. Die Parlamentarier sind uneins darüber, ob es gerecht oder sinnvoll ist, diesen immer öfter die Leistungen zu kürzen. Die Abgeordnete der Linken, Claudia Bernhard, kritisierte die Leistungskürzungen für Hartz-IV-Empfängern als “armutsverschärfend”.
      Das Jobcenter trage so dazu bei, Armut zu verschlimmern. Auch Susanne Wendland (Grüne) hält die Sanktionen für “demütigend, unnötig und kontraproduktiv”. Ihre Partei trete für ein “Sanktionsmoratorium” ein, so Wendland. (…)
      Die CDU-Parlamentarierin Sigrid Grönert sagte in der Debatte: Sanktionen seien die einzige Möglichkeit, die das Jobcenter habe, um Kunden zu zeigen, dass Absprachen eingehalten werden müssen. Der SPD-Politiker Dieter Reinken sagte: Die Unterstellung, Bremen sei eine “Hochburg des Quälens und Geißelns von Arbeitslosen”, stimme nicht.
      Quelle: Radio Bremen

      Anmerkung C.R.: Die Armut in diesem Lande nimmt zu und ausgerechnet Vertreter der „christ- und sozialdemokratischen“ Parteien nehmen diese Sanktionen, die zu noch mehr Armut führen, in Schutz. Es ist unglaublich.

  8. dbb kritisiert offensichtliche Verschleppungstaktik der Deutschen Bahn
    Mit Empörung haben die dbb-Gremien darauf reagiert, dass einer der Verhandlungsführer der Deutschen Bahn, der Hauptgeschäftsführer des Agv MoVe Werner Bayreuther, für das Schweizer Schranner Negotiations Institute seit 2013 mehrfach Seminare zu Verhandlungstaktik abgehalten hat, deren Schwerpunkte offensichtlich die Prinzipien und Methoden der bisherigen Verhandlungsführung der Deutschen Bahn gegenüber der GDL geprägt haben: […]
    Der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt erklärt hierzu: “Eine Verhandlungsführung der Deutschen Bahn, die solchen Prinzipien folgt, führt zwangsläufig dazu, dass die Verhandlungen mit der GDL immer wieder scheitern müssen und ist verantwortlich für Eskalation und Streiks. Dadurch verschleudert das bundeseigene Unternehmen hunderte von Millionen Euro. Das Wehklagen um das Wohl der Fahrgäste erscheint vor diesem Hintergrund völlig unglaubwürdig. Ich kann die Arbeitgeber der Deutschen Bahn nur nochmals auffordern, endlich konstruktiv und ergebnisorientiert mit der GDL zu verhandeln.”
    Quelle: Presseportal
  9. Arm auf dem Papier
    Die Löhne steigen, der private Konsum kennt kaum noch Grenzen. Trotzdem soll die Armut in Deutschland so groß sein wie noch nie. Möglich macht das ein statistischer Trick.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung André Tautenhahn: Arm auf dem Papier, die Überschrift trifft es ganz gut, denn die Argumente, mit denen der Autor versucht, die Schlüsse aus dem Armutsbericht zu widerlegen, sind wirklich armselig. Das fängt schon damit an, dass von einem privaten Konsum geredet wird, der kaum noch Grenzen kenne. Da ist wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens. Zwar ist es richtig, dass der private Konsum infolge der schwachen Preisentwicklung in 2014 um mehr als 1 Prozent zugenommen hat (übrigens das erste Mal seit drei Jahren). Ein Grund, die Realität nun rosarot zu malen, ist das aber nicht, wenn man den Blick auf die langfristige Entwicklung wagt, wo sich seit den 1990er Jahren kaum etwas bewegt hat.

    Siehe auch: Falsch berechnet
    Wer mit dem Rad auf der beliebten Strecke von Berlin nach Kopenhagen fährt, kommt auch durch Mecklenburg-Vorpommern. Glaubt man dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, ist die Tour eine ziemlich traurige Angelegenheit. Demnach durchquert man das Armenhaus der Republik, eine Art großflächigen Ostküsten-Slum. Wie die Organisation in ihrem Armutsbericht feststellt, sind nämlich 24 Prozent der Menschen im Nordosten arm oder von Armut bedroht – nur Bremen ist ärmer dran. Jeder durch das Land radelnde Mensch müsste also betroffen in sich gehen und fragen, ob er hier nicht Armutstourismus betreibt. Übertrieben? Total. Die Zahlen des Paritätischen widersprechen jeder gefühlten Realität.
    Quelle: Süddeutsche

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: An diesem übel manipulierenden Artikel ist tatsächlich fast alles falsch – und er bietet nicht einmal einen Gegenvorschlag zur Berechnung oder Definition von Armut. Natürlich sollte man die regional unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zur bundesweit einheitlichen Armutsgrenze in Beziehung setzen – aber egal, ob man 40, 50 oder 60 Prozent des Medianeinkommens als Grenze ansetzt, wächst die Armut Jahr für Jahr. Wahrscheinlich kann eine vierköpfige Familie auch mit 1.873 Euro in MeckPomm halbwegs vernünftig leben, aber in jeder Großstadt ist sie mit dem Gehalt bettelarm – also was soll die Diskussion?
    Auch das fiktive Beispiel, in dem alle Einwohner plötzlich 100 Mal so viel verdienen, ist Blödsinn: natürlich gibt es dann weiterhin relative Armut und ist auch der gutverdienende Manager unter Multimillionären arm. Es gibt zwei Auflösungen: Entweder wachsen die Preise um den Faktor 100 mit, dann wird in dem Beispiel nur das Phänomen Inflation beschrieben und ist die Armut weiterhin real. Oder aber man hat ein Beispiel wie Saudi-Arabien, wo tatsächlich alle Bürger reich sind. Aber wer macht dann die ganze Drecksarbeit? Genau, Arbeitssklaven aus anderen Ländern, und dann sind die die Bettelarmen in der Gesellschaft. Gäbe es die Drecksarbeiter nicht, dann könnte der Milliardär nicht für eine Million Dollar ein Brötchen kaufen. Aber vielleicht findet die SZ auch hier noch einen Dreh, die Armut wegzuleugnen…

    Anmerkung André Tautenhahn: Das Problem dieses Kommentators ist, dass er die Realität erfühlen statt begreifen will.

  10. Der Autobahnraub von Allianz und Co. ist Teil einer europaweiten Ausplünderungsstrategie
    Was die „Expertenkommission“ genannte Finanz- und Industrie-Lobbygruppe im Wirtschaftsministerium sich ausgedacht hat, um Allianz, Deutscher Bank, Ergo und anderen auf Kosten der Steuerzahler und Infrastrukturnutzer gute und sichere Finanzanlagen zu schaffen, hat sein europaweites Pendant im „Investitionspaket“ von Jean-Claude Juncker, dem ehemaligen Bürgermeister und Chef-Lobbyisten der großen Finanzkonzerne in der Steueroase Luxemburg und jetzigen EU- Kommissionspräsidenten. „Der Deal ist einfach: Die privaten Investoren übernehmen die Finanzierung von EU-Projekten, die EU haftet bei möglichen Verlusten. Das sogenannte Investitionsprogramm müsste deshalb korrekterweise Investitionsabsicherungsprogramm heißen. Nicht zu Unrecht erinnert das an die Bankenkrise: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“, bringt das Lukas Schulte auf Treffpunkt Europa treffend auf den Punkt…
    Weil der Staat und die EU ja angeblich so sparen müssen, sollen die Privaten gegen Garantien das Geld geben. Dafür bekommen sie entweder über Nutzungsgebühren (mit staatlicher Garantie) von den Nutzern, oder direkt vom Staat (dort wo Nutzer nicht zur Kasse gebeten werden) ihre Rendite. Das belastet zwar den künftigen Staat oder mindestens die Bürger, aber es wird heute nicht als Ausgabe verbucht…
    Quelle: Norbert Häring
  11. Kalter Krieg: CIA finanzierte Sabotage und Anschläge in der DDR
    Der Kalte Krieg ist in Deutschland brutaler geführt worden als bislang bekannt. Das belegt die Studie eines Historikers, die dem SPIEGEL vorliegt: Eine sogenannte Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit verübte in der DDR Anschläge.
    Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit e.V. (KgU) präsentierte sich in Zeiten des Kalten Kriegs als humanitäre Organisation, die Menschenrechtsverletzungen in der DDR dokumentierte und Opfern des SED-Regimes half. Doch laut einer Studie von Enrico Heitzer (Böhlau Verlag), die dem SPIEGEL vorliegt, hatte die 1948 gegründete KgU einen anderen Schwerpunkt, berichtet der Historiker: Sie unterhielt ein Spionagenetz mit mehreren Hundert V-Männern, verübte Sabotageakte in der DDR und betrieb psychologische Kriegsführung. (…)
    KgU-Leute beschädigten Strom- und Telefonleitungen und zerstörten Maschinen. Nach Einschätzung der CIA verursachte der Verein Schäden in Millionenhöhe. Ab 1949 finanzierte der US-Geheimdienst die KgU, ohne diese vollständig kontrollieren zu können. Von der KgU zu verantwortende Todesfälle lassen sich laut Heitzer aus den Unterlagen nicht nachweisen.
    Sicher ist, dass die KgU in Leipzig 1951 Brandanschläge mit Phosphorampullen auf belebte HO-Läden durchführte. Auch die Sprengung von Schleusen und Eisenbahnbrücken wurde vorbereitet, doch die Täter flogen auf. Die Stasi und der sowjetische Geheimdienst verfolgten die KgU mit großer Härte. Insgesamt wurden wenigstens 1072 KgU-Leute verhaftet. Die Sowjets erschossen mindestens 121 von ihnen, die DDR richtete 5 hin.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung C.R.: Anschläge auf belebte Geschäfte und Sprengung der Verkehrsinfrastruktur? Das würde heute vermutlich als „Terror“ bezeichnet. Aber wir und der Westen (auch die CIA) waren ja die Guten, oder?

  12. Orwell 2.0
    1. BND soll zur Abwehr von “Cyber-Gefahren” Daten absaugen dürfen
      Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll künftig seinen Datenstaubsauger zur “strategischen Fernmeldeaufklärung” auch gegen “Cyber-Gefahren” in Stellung bringen können. Dies sieht ein Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor, den Netzpolitik.org veröffentlicht hat.
      Bisher darf der BND laut “G10-Gesetz” 20 Prozent der Leitungskapazität bei internationaler Telekommunikation einsaugen und nach vorab genehmigten Begriffen durchsuchen. Dabei ist der Auslandsgeheimdienst auf Bereiche beschränkt wie terroristische Anschläge, bewaffnete Angriffe gegen Deutschland, die Verbreitung von Kriegswaffen oder Drogen, Schleuserkriminalität oder Geldwäsche und -fälschung.
      Das Bundesinnenministerium will nun einen Bereich hinzufügen, und zwar in Form des “internationalen kriminellen, terroristischen oder staatlichen Angriffs mittels Schadprogrammen oder vergleichbaren schädlich wirkenden informationstechnischen Mitteln auf die Vertraulichkeit, Integrität oder Verfügbarkeit von IT-Systemen in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland”. Bei “Gefahr im Verzug” dürfte solcherlei das Innenressort anordnen, wenn der Vorsitzende des eigentlich zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums zustimmt.
      Unter Bezug auf das vom Bundesverfassungsgericht 2008 geschaffene “Computer-Grundrecht” will das Innenressort also die internationale Überwachung der Telekommunikation einschließlich von Internetknoten deutlich ausweiten. Noch stimmt das Ministerium seinen Entwurf mit den übrigen Ressorts und den Ländern ab. Einem Beschluss des Bundeskabinetts müsste der Bundestag noch zustimmen.
      Quelle: heise online
    2. Aufgebohrtes Schengener Informationssystem: EU-weite Fahndung nach Fingerabdrücken geplant
      Die EU-Kommission plant die Einrichtung eines automatisierten “Fingerabdruck ldentifizierungssystems” (AFIS), um auf diese Weise nach Fingerabdrücken fahnden zu können. Das teilte das Bundesinnenministerium auf Nachfrage mit. Die Fähigkeit soll demnach in das Schengener Informationssystem (SIS II) integriert werden. So sollen Personen mit gefälschten Ausweisdokumenten leichter erkannt werden. Erfasst würden Personen, zu denen eine schengenweite Ausschreibung existiert.
      Im SIS II werden Personen oder Sachen zur Fahndung, Festnahme oder heimlichen Beobachtung ausgeschrieben. Bislang wurde die Datenbank bei Kontrollen über die von Betroffenen vorgezeigten Ausweisdokumente bzw. Kennzeichen abgefragt. (…)
      Das physisch in Strasbourg befindliche SIS war vor zwei Jahren aufgebohrt und um mehrere Funktionalitäten erweitert worden. Unter anderem ist es in der größten EU-weiten Fahndungsdatenbank nun möglich, Anhänge zu speichern. Hierzu gehören auch Fingerabdruckdaten. Diese können zwar jetzt schon verglichen werden, jedoch lediglich im Einzelfall und nicht über interne Suchmaschinen. Es ist unklar, wie viele Fingerabdrücke derzeit im SIS II gespeichert sind, Schätzungen rangieren zwischen wenigen Tausend und einer sechsstelligen Zahl.
      Daktyloskopische Daten spielen in der grenzpolizeilichen Anwendung eine immer größere Rolle. Erhoben und gespeichert werden sie bereits bei der Beantragung von Visa (Visumsdatenbank) oder bei Anträgen auf Asyl (EURODAC). Im derzeit errichteten System “Intelligente Grenzen” sollen Reisende ebenfalls bis zu zehn Fingerabdrücke abgeben. Dies beträfe alle Einreisenden in die Europäische Union, auch Geschäftsreisende oder TouristInnen. Demnächst beginnt hierzu auch in Frankfurt ein Pilotprojekt.
      Quelle: Netzpolitik.org
  13. Migration
    1. Wer an den Flüchtlingen verdient
      Die Behörden sind überlastet. Sie tun sich schwer, die tausenden Flüchtlinge, die jeden Tag nach Deutschland kommen, unterzubringen. Für viele Geschäftsleute und Unternehmen bedeutet das: die Chance auf ein Millionengeschäft. Denn vom Heimbetreiber über Sicherheitsdienste bis zum Bauunternehmen – viele verdienen an den Asylbewerbern.
      Der Container-Bau stammt noch aus DDR-Zeiten und ist ziemlich heruntergekommen. Zwei Stockwerke. Weiß-blau angestrichen. Die Farbe blättert an vielen Stellen von der metallenen Hauswand. Hier leben rund 130 Flüchtlinge, fast alles Männer.
      Im Erdgeschoß sind die Büros des Unternehmens ITB Dresden untergebracht, das neben diesem Asylbewerberheim in Radebeul bei Dresden noch sechs weitere in Ostdeutschland betreibt – plus diverse Wohnungen zur dezentralen Unterbringung. Das Pikante: Der Geschäftsführer der ITB Dresden, Wilfried Pohl, war früher Offizier bei der Stasi. Das ergaben kürzlich Recherchen der Zeitung “Die Welt”. Tenor des Artikels: Früher verhörte er – ohne Gnade – Republikflüchtlinge. Heute verdient er mit Flüchtlingen sein Geld.
      Quelle: BR

      Anmerkung C.R.: Das verdeutlicht den Zynismus Deutschlands im Umgang mit Flüchtlingen nur noch mehr.

    2. Zahl der Abschiebungen steigen weiter
      Abschiebungen aus Deutschland haben ein Acht-Jahres-Hoch erreicht. Die Bundesregierung ist für weitere Verschärfungen, die Linkspartei ist strikt dagegen. Flüchtlinge aus Kosovo sind ebenfalls weiter Thema.
      Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland ist 2014 so hoch gewesen wie seit acht Jahren nicht mehr. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr 10.884 Menschen abgeschoben. Nahezu die Hälfte der Betroffenen kam dem Dokument zufolge aus Balkanstaaten. 2.177 Serben wurden über den Luft- oder Landweg abgeschoben. Danach folgten Staatsangehörige aus Mazedonien, Kosovo, Albanien und Bosnien-Herzegowina auf den ersten Plätzen der Nationen, deren Bürger am häufigsten abgeschoben wurden.
      Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) kritisierte die Entwicklung scharf. Nach ihren Angaben war die Zahl der Abschiebungen seit 2006 gesunken bis zu einem erneuten Anstieg im Jahr 2013 (10.198). Vor 2006 lag die Zahl der Abschiebungen aber deutlich höher: 1994 wurden mehr als 53.000 Menschen abgeschoben, 2004 mehr als 23.000. Zuletzt höher als 2014 war die Zahl der Abschiebungen 2006 mit 13.894 Fällen gewesen.
      Linke kritisieren Dublin-System
      Jelpke kritisierte, dass mehr als ein Drittel aller Abschiebungen in andere EU-Staaten erfolgt seien. Dies geschieht in der Regel auf Grundlage des Dublin-Systems, nach dem ein Flüchtling in dem Land Asyl beantragen muss, über das er in die EU eingereist ist. Jelpke erneuerte ihre Kritik an dem System: Um es durchzusetzen, “werden jährlich Tausende Menschen inhaftiert und abgeschoben – statt ihre Asylanträge zu prüfen, werden sie wie Verbrecher behandelt”, sagte sie.
      Quelle: Migazin
  14. Weglassen, vertuschen und manipulieren – Wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft die Nakba-Ausstellung ins Zwielicht rücken will
    Wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft die Nakba-Ausstellung ins Zwielicht rücken will
    In Bremen schlagen die politischen Wellen wegen der Nakba-Ausstellung zur Zeit hoch, die am 18. Februar eröffnet wurde. Die Festreden hielten die palästinensische Botschafterin Dr. Khouloud Daibes und Professor Rolf Verleger aus Lübeck. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) und die Jüdische Gemeinde hatten zuvor alles unternommen, die Exposition in der Stadtbibliothek zu verhindern, was aber nicht gelang. Die Nakba-Veranstaltergruppen mussten aber einen Kompromiss hinnehmen, damit die Ausstellung überhaupt gezeigt werden darf: Die DIG darf dort zwei Tafeln mit ihrer „Gegendarstellung“ aufstellen – ein wohl einmaliger Vorgang in Deutschland, dass in einer Ausstellung auch gleich die „Gegenausstellung“ gezeigt werden muss. Aber damit hat die DIG einen Präzedenzfall geschaffen, auf den man bei kommenden Gelegenheiten zurückkommen und gleiches Recht einfordern kann.
    Der Bremer Grünenpolitiker und Vorsitzender der DIG in der Stadt, Dr. Hermann Kuhn, griff anlässlich der Ausstellung selbst zur Feder und verfasste ein Papier, in dem er die „Gegenargumente“ seiner Organisation in Thesen darlegte. Im Folgenden werden seine Ausführungen wiedergegeben und die Antworten darauf. (Die Thesen Hermann Kuhns sind fett gedruckt.)
    Quelle: Palästina Portal

    Ergänzende Anmerkung von Albrecht Müller: Wer einen palästinafreundlichen Beitrag einstellt, wie hier zuvor, tut gut daran, auch noch ein Gegengewicht anzufügen. In meiner Regionalzeitung „Rheinpfalz am Sonntag“ war ein passender abgedruckt: „Europas Juden. Und dann packen wir die Koffer“ von Rafael Seligmann. Dieser Beitrag ist aber online nicht verfügbar. Deshalb suchte ich und fand das folgende Interview mit Seligmann:

    „Fast nichts wird zum Schutz der Juden getan“
    Der Vortext des Deutschlandfunks lautet:
    Wenn nicht schnell etwas gegen die aktuelle Anti-Juden-Hetze unternommen werde, sei der nächste Anschlag gegen Juden in Deutschland nur eine Frage der Zeit, sagte der Publizist Rafael Seligmann im DLF. Insbesondere müsse mehr für die Integration muslimischer Jugendlicher in Europa unternommen werden.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung Albrecht Müller: Eine andere Beobachtung von einem jüdischen Mitbürger in Berlin. Einfach anschauen:

    Ich bin mit einer Kippa durch Berlin gelaufen
    Am 15. Februar veröffentlichte das israelische Online-Magazin NRG ein Video, in dem ein Reporter mit einer Kippa auf dem Kopf schweigend durch Paris lief. Auf dem Spaziergang wurde der Reporter mehrere Male beleidigt, bedroht und angespuckt—offenbar nur, weil er als Jude zu erkennen war.
    Das Video erschien kurz nach den Terroranschlägen auf ein Café und eine Synagoge in Kopenhagen, in deren Folge der israelische Premierminister Netanjahu die Juden Europas aufforderte, den Kontinent zu verlassen und nach Israel zu kommen.
    Wir wollten herausfinden, was in Berlin passieren würde. Obwohl klar ist, dass diese Art Videos in keiner Weise repräsentativ sind, fanden wir das Experiment trotzdem interessant, vor allem im Kontext der aktuellen Debatte und der Tatsache, dass solche Videos gerade ein interessantes Medien-Phänomen darstellen.Also haben wir den israelisch-deutschen Schauspieler Amit Jacobi (den ihr vielleicht noch aus dem AstroTV-Hack kennt) gebeten, für uns mit einer Kippa auf dem Kopf einmal von Schöneweide bis zur Neuen Synagoge in Mitte zu laufen. Das Ergebnis seht ihr im Video.
    Quelle: VICE

  15. Handschlag der Hoffnung
    Zwei interessante Aufsätze zum Kurswechsel der amerikanischen Kuba Politik und zu kubanischen Perspektiven einschließlich eines einführenden Textes
    Eine Publikation [PDF] der Rosa Luxemburg Stiftung, Büro New York und Büro Mexiko-Stadt.

    dazu: Von Hard- zu Soft-Power
    Der Kurswechsel der amerikanischen Kubapolitik: Die Kubanoamerikaner als politischer Faktor und diplomatischer Druck aus Lateinamerika ermöglichten eine historische Wende in der US-Außenpolitik gegenüber Kuba
    In Havanna hat die Ankündigung Barack Obamas und Raúl Castros, die Vereinigten Staaten und Kuba würden zu normalen diplomatischen Beziehungen zurückkehren, Jubel ausgelöst. Die Menschen applaudierten, fielen einander in die Arme, weinten und zogen feiernd durch die Straßen. Überall in der Stadt läuteten die Kirchenglocken. Für die Kubaner war es, als sei ein Krieg vorbei – und in gewisser Weise stimmte das auch. Die Vereinigten Staaten begannen, sich von ihrem 54-jährigen Zermürbungskrieg gegen die kubanische Revolution zu verabschieden und endlich zu akzeptieren, dass Koexistenz vernünftiger ist als ein dauerhaftes Gegeneinander.
    Quelle: amerika21

    Anmerkung Albrecht Müller: Eine lohnende Lektüre, übrigens auch wegen der Parallele zu den Münchner Äußerungen unserer Bundeskanzlerin zur Ukraine.

  16. Der SPD laufen die Mitglieder davon
    Ende 2014 gehörten nur noch 459.902 Männer und Frauen zur SPD. In Thüringen, wo die Partei den linken Regierungschef Ramelow stützt, ist die Austrittsrate dramatisch gestiegen. Zu Beginn der großen Koalition hat die SPD so viele Mitglieder verloren wie zuvor lange nicht mehr. Zum Ende des Jahres 2014 besaßen 459.902 Menschen das Parteibuch der Sozialdemokraten – das sind 13.760 oder 2,9 Prozent weniger als am 31. Dezember 2013. So steht es in einem parteiinternen Papier zum Thema “Mitgliederentwicklung und Strukturdaten 2014”, das der “Welt” vorliegt. […]
    Mit einem Minus von 6,2 Prozent hat die SPD in Thüringen nach Berechnungen der “Welt” die relativ meisten Mitglieder aller 16 Landesverbände verloren. Diese Rate ist somit mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt, und sie dürfte eine Folge der Bildung der rot-rot-grünen Landesregierung unter Führung der Linken sein. Im Dezember 2014 war Bodo Ramelow in Erfurt zum ersten Linke-Ministerpräsidenten gewählt worden. Die Mitglieder der thüringischen SPD hatten zuvor die Bildung der rot-rot-grünen Koalition in einer Abstimmung befürwortet, daneben war jedoch heftige Kritik geäußert worden. […]
    Die Landes-SPD hatte über einen Austrittssaldo von 50 Mitgliedern infolge der Regierungsbildung berichtet. Insgesamt aber sank die Zahl der thüringischen SPD-Mitglieder im vergangenen Jahr um 270 – von 4382 auf 4112 Mitglieder.
    Quelle: Welt

    Anmerkung André Tautenhahn: In Thüringen traten 270 Mitglieder aus, bundesweit waren es 13.760. Ist die rot-rot-grüne Regierungsbildung in Erfurt, die eine Mehrheit der SPD-Mitglieder im Landesverband befürwortete, nun das schlimmste, was der SPD passieren konnte? Vielmehr scheint es doch die Koalition mit der Union auf Bundesebene zu sein, mit der sich viele Sozialdemokraten nicht identifizieren können oder wollen.

  17. Zu guter Letzt: Mit Kabarett in die Fastenzeit
    Aschermittwochs-Reden gibt es viele, Politiker in Bayern waren lange Zeit führend. Doch seit elf Jahren ist die Vorherrschafft gebrochen, dem kabarettistischen Aschermittwoch sei Dank.
    Seit elf Jahren gibt es einen politischen Aschermittwoch, der von dort kommt, wo Politik gemacht werden sollte: aus Berlin. Während in der etablierten Politik die Parteien ihre rhetorischen Dampfplauderer in die Provinz schicken, um dort die Lufthoheit über die Stammtische zu erobern, füllen in Berlin namhafte Kabarettisten und Kabarettistinnen das politische Vakuum.
    Quelle: WDR 5

    Passend dazu: Der 11. Politische Aschermittwoch
    Die Kabarettisten Florian Schröder, Timo Wopp, Sebastian Krämer, Max Uthoff und Georg Schramm hatten am Mittwochabend im Berliner Tempodrom scharfzüngige Auftritte, moderiert von Arnulf Rating und musikalisch untermalt von der IG Blech. Sie ließen kein aktuelles politisches Thema aus. Sollten Sie die Live-Übertragung hier auf inforadio.de verpasst haben – kein Problem: Hier können Sie die ganze Sendung noch bis zum 26. Februar anschauen!
    Quelle: Inforadio

    Anmerkung JB: Sehr sehenswert!

  18. Das Allerletzte: Goldene Generation von Rentnern: “Am Ende droht die Diktatur der Alten”
    Altersarmut in Deutschland? Gibt es nicht. Das hat zumindest der Top-Ökonom Thomas Straubhaar analysiert. Im Gegenteil: Er warnt vor einer Diktatur der Alten. Den Rentnern gehe es heute besser denn je.
    Für den Ökonom Professor Thomas Straubhaar stellt Altersarmut in Deutschland derzeit kein Problem dar. “Altersarmut existiert in Deutschland praktisch nicht”, sagte der ehemalige Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts „Bild am Sonntag“.
    Der heutigen Rentnergeneration geht es besser als jeder Rentnergeneration vor ihr. Der überragende Teil der Über-65-Jährigen braucht jenseits von Rente, betrieblicher und eigener Vorsorge keinen weiteren Cent vom Staat, um über die Runden zu kommen.
    Quelle: Focus Online

    Anmerkung JK: Thomas Straubhaar, Direktor des von der Wirtschaft ausgehaltenen Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) gibt natürlich nicht an auf der Basis welcher Fakten er zu seinen Schlüssen kommt. Ein Blick in die freizugängliche Statisk der Deutschen Rentenversicherung spricht eine andere Sprache. So bekommen 50,6 Prozent der männlichen Rentenbezieher in den alten Bundesländern nicht mehr als 1050 € im Monat. Bei den weiblichen Rentenbeziehern sieht es wesentlich schlechter aus. Nur 3,8 Prozent (!) erhalten eine Rente über 1050 € im Monat. Aber “den Rentner gehe es heute besser denn je.” Und das ist nur noch grotesk: “Ich hätte zwei Empfehlungen an die Politik: Erstens müsste die Regierung ein Familienwahlrecht einführen. Für jedes Kind hätten die Eltern dann eine Stimme zusätzlich. ” Besonders perfide, dass wieder einmal Alt gegen Jung ausgespielt werden soll. Dabei hat der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gezeigt, dass in der marktkonformen Demokratie die gesellschaftlichen Konfliktlinien mehr denn je zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich verlaufen.


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