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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Unsere Kampfpresse lässt das Mausen nicht: Strategien zur Meinungsmache in Sachen Ukraine und Konjunkturlokomotive
Datum: 16. Februar 2015 um 9:25 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Wir loben unsere Medien, wir weisen auch heute wieder auf ihre guten journalistischen Leistungen hin. Siehe die Hinweise des Tages. Aber oft gelingt das beim besten Willen nicht. So stolperte ich am Samstag gleich über mehrere Manipulationsversuche und wirkliche Fälle der Selbstgleichschaltung. Ein Erlebnisbericht von einer „Medienreise“ von Köln nach Pleisweiler. Albrecht Müller.
Am Bahnhofskiosk von Köln-Süd springt mich ein Leitartikel von Bernd Ulrich in der „Zeit“ an:
„Bangen um die Ukraine. Merkel, geh voran! In der Front gegen Putin dominieren nicht mehr die USA, sondern die Europäer. Diese neue Aufgabe erfordert Mut“.
Im Text heißt es dann weiter, dieser Konflikt mit Russland werde nicht von den Amerikanern geführt, sondern von Europäern und von Angela Merkel. Und ansonsten wird wie so oft in unseren Medien personalisiert: „Front gegen Putin“.
Da ich für diese erkennbare Tendenzberichterstattung keine 4,50 € ausgeben will, gehe ich im Zug ins Netz und finde prompt eine geballte Ladung von Zeit-Artikeln mit einseitiger Schuldzuweisung an Russland und Putin.
Auch im Leitartikel von Bernd Ulrich geht es nicht um die Aufforderung an Angela Merkel, mit der De-eskalation voranzugehen. Ulrich lobt die Kanzlerin über den grünen Klee, weil sie angeblich mit der notwendigen Eskalation der Sanktionen den Hebel an der richtigen Stelle, nämlich an der schwachen Stelle Putins ansetze: bei der Ökonomie. Die USA setzten, so der Leitartikler, mit der Drohung mit Waffenlieferungen an der falschen Stelle an.
Die eigentliche Botschaft dieses Artikels ist die Behauptung, die USA spiele jetzt bei der Auseinandersetzung um die Ukraine kaum mehr eine Rolle. Jetzt sei Europa am Zug.
Die Süddeutsche Zeitung bläst ins gleiche Horn
Ich war noch im Zug, als eine unserer Leserinnen, die uns täglich Hinweise auf interessante und bemerkenswerte Medienprodukte schicken, auf einen Kommentar von Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Februar, also vom gleichen Samstag, aufmerksam machte. Dort heißt es neben einem Foto mit der Bildunterschrift „Angela Merkel im Zentrum der Macht“:
„Deutschlands Rolle in der Ukraine-Krise
Merkel zeigt, wie Führung geht
Niemand hat sich im Ukraine-Konflikt so intensiv um Russlands Präsident Putin bemüht wie Kanzlerin Merkel. Der Krieg im Donbass macht klar, wie gering der Einfluss der USA auf Europa geworden ist.
Im ukrainischen Krieg wäre schon eine wirkliche Waffenruhe ein großer Erfolg. Ob sie eintreten wird, ist ungewiss, sogar unwahrscheinlich. Wie das Schicksal des zweiten Minsker Abkommens auch aussehen wird, es wäre ohne die Bundeskanzlerin nicht zustande gekommen. Dies hängt mit Angela Merkel als Person zusammen, aber auch damit, dass Wladimir Putin ohne die aktive Vermittlung aus Berlin und Paris an keinen Verhandlungstisch kommen würde. Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre ein solcher Prozess ohne die USA undenkbar gewesen. Heute spielen die Amerikaner dabei – und auch sonst in Europa – kaum mehr eine Rolle.“
In beiden Artikeln, in der „Zeit“ und in der „Süddeutschen Zeitung“, wird also der Versuch gemacht, zu streuen, die USA spielten kaum mehr eine Rolle in Europa.
Einen solchen Unsinn zu streuen kann nur eine Auftragsarbeit sein. Hier soll vergessen gemacht werden, dass der Konflikt in der Ukraine vor allem eine Folge der geostrategischen Überlegungen einflussreicher Kräfte in den USA ist und die USA in die Destabilisierung und die Trennung der Ukraine aus den engen Bindungen zu Russland über viele Jahre investiert haben. Ihre Rolle beim unrühmlichen Ende und der Perversion des Maidan, ihr entscheidender Einfluss bei der Auswahl des Präsidenten und Ministerpräsidenten der Ukraine soll vergessen werden, die entscheidende Rolle der USA bei der Intensivierung der Sanktionen und bei den verschiedenen Maßnahmen des ökonomischen Kampfes gegen Russland, mit Ölpreissenkungen und der Beeinflussung der Kapitalmärkte, soll verdrängt werden. Es soll zugetüncht werden, dass das getrennte Vorgehen und der Streit um die Waffenlieferungen ein abgekartetes Spiel sein kann, wie es auf den NachDenkSeiten am 10. Februar vermutet und begründet wurde.
Auch die Behauptung von der Einheit und einheitlichen Handlungsfähigkeit Europas ist ja mehr als abenteuerlich. Sowohl in den Regierungen der verschiedenen europäischen Länder als auch in den Völkern selbst gibt es gravierende Meinungsverschiedenheiten zum Umgang mit Russland und zur entscheidenden Frage, ob Europa einschließlich Russlands einig oder getrennt sein sollen, ob man eskalieren oder entspannen und sich versöhnen soll, ob den Frieden und die Zusammenarbeit man zum Kalten Krieg zurückkehren will oder endlich gemeinsam nutzen soll.
Es gab und gibt in Europa auch deutlich verschiedene Stimmen zur militärischen Konfrontation. Man muss nur an die Raketen in Polen denken. Oder an die Stimmen im Baltikum und in Polen für Waffenlieferungen und an die faktischen Aktivitäten zur Befriedigung des Wunsches nach Waffenlieferungen. Und es gibt Militärberater der USA in der Ukraine. – Alles zusammen sind sichere Anzeichen dafür, dass die USA in Europa und den Konflikten mit Russland keine Rolle spielen! Dieses Ammenmärchen ist zum Totlachen, aber Realität in deutschen „Qualitätszeitungen“.
Kontrapunkt Obdachlosen-Zeitung fiftyfifty
Bei der Reiseunterbrechung in Bonn erwarb ich die neueste Ausgabe von fiftyfifty, einer in Düsseldorf erscheinenden Obdachlosen-Zeitung. Der Titel: ein Interview mit Udo Lindenberg. Im Innern viel Interessantes. Und auf Seite vier und fünf der Appell zum Dialog mit Russland von über 60 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“. (Wir waren auf die Reaktion der Medien und den Aufruf eingegangen)
Im Aufruf heißt es:
„Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen.
Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.“
Übrigens: Der Aufruf war zunächst bei „zeit online“ erschienen. Das bleibt zur Ehrenrettung der Tante „Zeit“ anzumerken. Aber ihre Gesamttendenz ist so, dass man Reste ihrer früheren guten Rolle als mediale Begleiterin der Entspannungspolitik in Europa nur noch mit der Lupe findet.
„Deutschland schiebt Europa an“
So lautete die Schlagzeile des Hauptartikels im Wirtschaftsteil des Kölner Stadtanzeigers, die ich dann bei der Weiterfahrt zwischen Bonn und Koblenz vorfand. Das stolze Organ der stolzen Domstadt Köln ist so dünn, dass der Vorgänger auf meinem Sitzplatz das Blatt zwischen Köln und Bonn (20 Minuten mit dem IC) schon ausgelesen und achtlos zurückgelassen hatte.
In der Unterzeile zum Titel hieß es: „Wirtschaftsleistung – Überraschend gute Konjunkturdaten – Prognosen für 2015 erhöht“. Im Text konnte man dann lesen, dass das Bruttoinlandsprodukt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in den drei Monaten Oktober, November und Dezember 2014 um 0,7 % gestiegen war. „Gerechnet hatten Experten mit 0,5 %. Auch das wäre schon ein guter Wert gewesen. Dank des Endspurts korrigierten die Statistiker ihre Angaben zum Wachstum im Gesamtjahr 2014 leicht von 1,5 % auf 1,6 % nach oben.“
In einer Extraspalte hieß ist dann unter der Überschrift „Ungleiches Wachstum“, die Wirtschaftsleistung der 19 Länder mit der Euro Währung sei zum Jahresende „stärker als erwartet“ gewachsen: um 0,3 % zum Vorquartal. „Bankvolkswirte hatten 0,2 % erwartet.“
Weil das Wachstum im Euro Raum insgesamt bei 0,3 % im letzten Quartal des Jahres 2014 lag und bei uns in Deutschland bei 0,7 %, schließt ein Blatt wie der Kölner Stadtanzeiger, Deutschland schiebe Europa an.
Merken Sie, für wie dumm man Sie hält?
Der Wahnsinn solcher Berichte und Kommentierungen ist nicht mehr zu fassen. Aber er hat eine Funktion: die Hauptbotschaft, die mit diesen manipulierenden Botschaften, nennen wir sie B, transportiert werden soll, ist die Botschaft A: „Uns geht es gut. Wir haben keine wirtschaftlichen Probleme.“ Damit soll auch übertüncht werden, dass Menschen in Deutschland oft über 100 Bewerbungen schreiben müssen, dass sie mit Minilöhnen abgespeist werden und mit ungesicherten Arbeitsverhältnissen usw.
Selbstgleichschaltung?
Für alle, die glauben, meine Bemerkung zur Selbstgleichschaltung sei wieder eine typische Übertreibung, muss ich noch vom Ende meiner Heimreise berichten. Zuhause fand ich meine Regionalzeitung von eben jenem Samstag, dem 14. Februar. Dort stand, nicht im Wirtschaftsteil, sondern auf dem Titel auf der ersten Seite zu lesen:
„Aufschwung in Deutschland belebt Europa“.
Und dann hieß es im Vortext:
„Im letzten Viertel des Jahres 2014 ist die deutsche Wirtschaft mit 0,7 % stärker gewachsen als erwartet.“
Und im Aufmacher des Wirtschaftsteils hieß es dann:
„Deutsche Konjunktur brummt“.
Vermutlich lauteten die Überschriften und Texte in Ihren Regional- und Lokalblättern ähnlich. Die Medien übernehmen einfach, was die Agenturen melden und diese wiederum zitieren kritiklos das, was ihnen das Statistische Bundesamt serviert. Und das ganze passt in das Schema: Die neoliberale Ideologie soll bestätigt werden, die Regierung Merkel und Angela Merkel persönlich werden über den grünen Klee gelobt. Bei der Kommentierung der wirtschaftlichen Entwicklung genauso wie beim Umgang mit dem Konflikt um die Ukraine.
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