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Titel: Gauck: “Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz” – ein Widerspruch in sich
Datum: 28. Januar 2015 um 9:39 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundespräsident, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Gedenktage/Jahrestage
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Nach der Nachkriegsdebatte um die deutsche („Kollektiv“-) „Schuld“ am Holocaust, die zuerst Bundespräsident Theodor Heuss in eine „Kollektivscham“ und später Richard von Weizsäcker in eine „Kollektivhaftung“ umdeuteten, will sich nun Gauck mit dem umstrittenen Begriff der „deutschen Identität“ zu der Ausschwitz gehöre, in die Geschichtsbücher eintragen lassen.
„Aus dem Erinnern ergibt sich ein Auftrag“, sagt Gauck zum Schluss seiner Gedenkrede. Erinnert er sich denn gar nicht, dass schon der Rückgriff auf eine sogenannte „nationale Identität“ den Keim der Ab- und der Ausgrenzung in sich trägt, die ja der Anfang von Fremdenfeindlichkeit meist verbunden mit Rassismus sind? Wer eine „nationale Identität“ postuliert – und das noch ohne konkrete Definition – widerspricht sich selbst, wenn er ein paar Sätze später fordert, dass „wir uns jeder Art von Ausgrenzung und Gewalt entgegenstellen“. Von Wolfgang Lieb.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Anmerkungen zur Rede von Bundespräsident Gauck im Deutschen Bundestag am 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung.
Gauck wird nachgesagt, er sei ein guter Redner, warum aber gelingen ihm vor allem auch seine Reden über die Deutschen und den Nationalsozialismus nicht?
Misslungen, ja geradezu teilnahmslos ist schon der Einleitungssatz:
„Heute vor 70 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee befreit.“
Warum diese Passivkonstruktion? Will Gauck den Akt und der Befreiung und die Opfer, die dabei von den Befreiern gebracht wurden, als ein passives Geschehen abtun, nur weil es die Rote Armee getan hat? Gauck hätte in Anerkennung der Befreiungstat sagen müssen: „Heute vor 70 Jahren haben Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Ausschwitz befreit.“
Gauck nennt die Dinge nicht beim Namen, wenn er von den „sogenannten ´Herrenmenschen`“ oder von „angeblich ´unwertem` Leben“ spricht. Nein, es waren selbsternannte „Herrenmenschen“ und diese haben nicht „angeblich“ unwertes Leben vernichtet, sondern diese „Herrenmenschen“ haben sich angemaßt millionenfach über den Wert eines Lebens zu entscheiden.
Wie oberflächlich Gauck die West- und Ostdeutsche Aufarbeitungsgeschichte des Nationalsozialismus sieht, zeigt sich in den folgenden Sätzen: „Eine der wichtigsten Lehren aus dem Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit lautet zweifellos, dass Verschweigen offenkundiges Verbrechen und offenkundige Schuld nicht tilgt. Das erlebten West- und Ostdeutsche in einem ganz unterschiedlichen Umfeld, im Kern jedoch auf ganz ähnliche Weise.“
In Ostdeutschland wurden die Verbrechen und die Schuld doch nicht verschwiegen, sondern der „Antifaschismus“ gehörte doch geradezu zum Gründungsmythos der DDR. Dass der Faschismusvorwurf auch als Ausgrenzungsinstrument und zur Legitimation der Einschränkung von Freiheitsrechten instrumentalisiert wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Ich empfinde es – zumal am Jahrestag der Befreiung der Opfer von Ausschwitz – geradezu als ein Verharmlosung des Holocaust, wenn Gauck Auschwitz mit Kambodscha, Ruanda, Dafur oder gar Srebrenica und schließlich noch in zweideutiger Weise mit Syrien und Irak in einem Atemzug nennt. Bei aller Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Pol Pot-Regimes, des Kampfes der Volksgruppen im Sudan und in den Kriegen in Bosnien, in Syrien oder im Irak, eine Linie mit Ausschwitz zu ziehen, grenzt an Geschichtsrevisionismus und Relativierung des Holocaust.
Völlig ambivalent wird die Rede, wenn Gauck rhetorisch fragt:
„Sind wir denn bereit und fähig zur Prävention, damit es gar nicht erst zu Massenmorden kommt? Sind wir überhaupt imstande, derartige Verbrechen zu beenden und sie zu ahnden? Fehlt manchmal nicht auch der Wille, sich einzusetzen gegen solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit?“
Was meint Gauck konkret mit „Prävention“? Spricht er damit sein Lieblingsthema der letzten Zeit, nämlich die „Übernahme von Verantwortung“ durch militärische Intervention an? Apropos Prävention: Sind die Alliierten etwa wegen des Holocausts einmarschiert? Hätten sie doch wenigstens die Eisenbahnlinien zu den Konzentrationslagern bombardiert!
Was soll die Frage nach dem fehlenden Willen, sich gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzusetzen? Das ist doch billige Rhetorik, die es scheut, solche Verbrechen konkret zu benennen und zwar egal, wo sie stattfinden, ob durch die Folterungen durch amerikanische Armee- oder Geheimdienstangehörige oder durch vergewaltigende Freischärler in Afrika.
Warum fallen unserem Bundespräsidenten zur Verhütung von Menschenrechtsverletzungen und Völkermord nicht Vorschläge ein, wie man ohne Militär oder Bestrafung Entmenschlichung entgegen wirken könnte, etwa indem man soziale und wirtschaftliche Ursachen von Rassenhass und in dessen Folge die Ausrottung von vermeintlichen Sündenböcken beseitigt oder auch nur indem man keine Waffen an Diktatoren oder in Krisengebiete liefert. Und wenn der Bundespräsident schon die Internationalen Strafgerichtshöfe lobt, warum setzt er sich nicht dafür ein, dass sich alle Staaten – also auch die USA oder Israel – der internationalen Strafgerichtsbarkeit unterwerfen?
Schließlich sagt Gauck noch:
„Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz.“
Nach der Nachkriegsdebatte um die deutsche („Kollektiv“-) „Schuld“ am Holocaust, die zuerst Bundespräsident Theodor Heuss in eine „Kollektivscham“ und später Richard von Weizsäcker in eine „Kollektivhaftung“ umdeuteten, will sich nun Gauck mit dem umstrittenen Begriff der „deutschen Identität“ zu der Ausschwitz gehöre, in die Geschichtsbücher eintragen lassen.
„Aus dem Erinnern ergibt sich ein Auftrag“ sagt Gauck zum Schluss seiner Gedenkrede; erinnert er – oder sein Umfeld – sich denn gar nicht, dass schon der Begriff „nationale Identität“ den Keim der Ab- und der Ausgrenzung in sich trägt, die ja der Anfang von Fremdenfeindlichkeit meist verbunden mit Rassismus sind? Wer eine „nationale Identität“ postuliert und das noch ohne konkrete Definition, widerspricht sich selbst, wenn er ein paar Sätze später fordert, dass „wir uns jeder Art von Ausgrenzung und Gewalt entgegenstellen“.
Reichen die ersten zwanzig Artikel des Grundgesetzes und ein darauf bezogener Verfassungspatriotismus als Antwort auf das NS-Regime nicht aus? Warum muss Gauck in dem trüben Wasser „unserer nationalen Identität“ fischen, die doch immer mit der Gefahr eines neu aufkommenden Nationalismus verbunden ist und schon heute von Rechtspopulisten und Rechtsextremen propagandistisch genutzt wird?
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