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Titel: Exit aus Grexit: Griechenland im Eurosystem aufbauen
Datum: 21. Januar 2015 um 9:08 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Europäische Union, Griechenland, Schulden - Sparen
Verantwortlich: Jens Berger
Die Entwicklung Griechenlands gleicht einer Tragödie. Im Zentrum dieser Inszenierung stehen Schuld und Sühne. In der modernen Sprache der Fiskalisten heißt das Konditionalität. Griechenland, so die Retter aus dem Euroland und von der Europäischen Zentralbank sowie vom Internationalen Währungsfonds, habe immer schon durch eine verschwenderische Schuldenpolitik „über seine Verhältnisse gelebt“. Die Konklusion erhält, wie es der kritische Nobelpreisökonom Paul Krugman zusammengefasst hat, geradezu moralisierende Qualität: Sünden müssen gesühnt werden. Von Rudolf Hickel
1. Szenen der griechischen Tragödie
Finanzielle Hilfen gibt es also nur, wenn Reue erkennbar ist und die aufgeladene Schuld abgebaut wird. Maßnahmen sind der massive Abbau von Lohnansprüchen, die Demontage des Sozialstaats, massenhafte Entlassungen im öffentlichen Sektor und im privaten Wirtschaftssektor sowie die Verbannung politischer Gestaltung durch die Privatisierung der öffentlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Der damit programmierte Absturz der Gesamtwirtschaft, die explodierende Arbeitslosigkeit sowie die sich bis in die Mittelschichten ausbreitende soziale Armut müssen zwangsläufig politischen Widerstand der Betroffenen auslösen. Über diese Verarmung der Gesellschaft hinaus erfährt die griechische Bevölkerung mit diesem Diktat von außen den Verlust der parlamentarisch-demokratischen Entscheidungssouveränität. Bis in die operativen Details hinein kontrolliert vor Ort die Troika der drei großen öffentlichen Finanziers die Finanzpolitik. Frank Schirrmacher, ehemaliger Herausgeber der FAZ, und Jürgen Habermas haben auf die gefährliche Demontage der griechischen Demokratie hingewiesen. Diese politische Entmachtung ist sehr gefährlich, weil für die Demokratie schädlich.
Auf diesem Hintergrund und gemessen an der ökonomischen Lage erweisen sich die Versuche der vorherrschenden politischen Klasse, erste Erfolge einer Erholung zu melden, als lächerlich. Anzeichen für Wirtschaftswachstum sowie leichte Überschüsse im Primärhaushalt (öffentlicher Haushalt ohne Zinszahlungen) zu preisen, dient eher der Anbiederung bei den Geldgebern. Derartige Durchhalteparolen verstärken gegenüber der faktisch katastrophalen Lage den innenpolitischen Widerstand. Die Forderung nach einer alternativen, sozial und ökonomisch verantwortlichen Politik mit unkonventionellen Mitteln vor allem gegen die soziale Armut und Ausgrenzung sind die Kernforderungen des Aufstands gegen die Diktate der Geldgeber. Sie bestimmen die künftige Innenpolitik Griechenlands. Die wachsende Bedeutung des Linksbündnisses um die Syriza-Partei mit ihrem charismatisch wirkenden Vorsitzenden Alexis Tsipras ist Ausdruck des Widerstands gegen die exogen verordnete Schrumpfpolitik. Die wichtigsten Forderungen dieser Bewegung gegen die „Ausplünderung des Volkes“ sind: Gegen die durch die Geldgeber erzwungene sozial-ökonomische Schrumpfpolitik steht ein Programm zum Aufbau der Wirtschaft und der Sozialsysteme sowie der öffentlichen Infrastruktur. Dazu gehören auch innere Reformen, die sich auf die Bekämpfung der Macht der Oligarchen sowie der Steuerhinterziehung und der Korruption konzentrieren. Hinzu kommt ein massiver Schuldenschnitt zu Lasten der Gläubiger. Die dadurch frei werdenden Finanzhilfen der Geldgeber, die bisher nur dem Gläubigerschutz, also dem Schutz der Eigentümer griechischer Bonds dienten, können jetzt endlich für den Aufbau Griechenlands genutzt werden. Die Kündigung der Konditionalität Finanzhilfen gegen Austeritätspolitik ruft jedoch die bisherigen Geldgeber auf den Plan. Die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds sowie der Rettungsfonds für das Euroland sehen die Geschäftsgrundlage für die bisherigen Finanzhilfen mit über 220 Mrd. € seit Anfang 2010 nicht mehr als gegeben. Eine weitere Tranche für 2015 im Umfang von 22,5 Mrd. € für die Abwicklung von auszuzahlenden Staatsanleihen wird nicht mehr gewährleistet. Die Bundesregierung hat mit ihrem vergleichsweise hohen Anteil an Finanzhilfen bei der Erpressung Griechenlands die Führungsrolle übernommen. Gedroht wird mit einer gestuften Vorgehensweise: Zuerst wird Druck auf die griechische Bevölkerung ausgeübt, die Parteien zu unterstützen, die als Garanten für den Vollzug dieser katastrophalen Strategie sozial-ökonomischen Schrumpfens gelten. Falls jedoch diese Erpressung zugunsten einer den Finanzgebern wohlgefälligen Regierung nicht verfangen sollte, wird mit dem Grexit, einem wie auch immer gestalteten Ausscheidens Griechenlands im Zweifelsfall auch aus der EU gedroht.
Die griechische Tragödie mit Trauer, Tränen, Frust, Sühne und Rache muss am Ende nicht in der Ausweglosigkeit landen. Die Erinnerung an Aristoteles Katharsis, der Umkehr aus Einsicht, wird wach. Die wichtigsten Inhalte dieser Katharsis sind: Der durch die Geldgeber erzwungenen sozial-ökonomischen Schrumpfpolitik mit Massenarbeitslosigkeit wird ein Programm zum Aufbau der Wirtschaft sowie der öffentlichen Infrastruktur und dem Abbau sozialer Armut entgegengesetzt. Dazu gehören auch innere Reformen, die sich auf die Bekämpfung der Macht der Oligarchen sowie gegen Steuerhinterziehung und Korruption richten. Hinzu kommen muss ein tief greifender Schuldenschnitt gegenüber den Gläubigern. Dadurch werden die öffentlichen Haushalte von erdrückenden Zinsen entlastet. Darüber hinaus lassen sich frei werdende Finanzhilfen der Geldgeber, mit denen bisher nur die Eigentümer griechischer Bonds geschützt wurden, endlich für den Aufbau Griechenlands nutzen.
2. Die Herausforderungen: Der sozio-ökonomische und fiskalische Absturz Griechenlands
Schon Jahre bevor der Vorhang sich öffnete, nahm die Tragödie Griechenland ihren Lauf. Es war die Aufnahme des Landes 2001 in das Eurosystem. Dabei traf die Fehlkonstruktion des Maastrichter Vertrags zur Aufnahme von Ländern in das Eurosystem Griechenland besonders hart. Fiskalisch bezogen sich die zu erfüllenden Kriterien auf ein Minimum an Angleichung, die Konvergenzkriterien, ausschließlich auf das Ziel einer maximalen Neuverschuldung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt von 3% und der Gesamtschulden von 60%. Fragen der Angleichung der realen Ökonomie im Bereich der Wirtschaftskraft sowie der Beschäftigung wurden ausgeschlossen. Damit wurde die Notwendigkeit des Anpassungsbedarfs durch eine unterstützende Wirtschaftspolitik etwa im Bereich der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ausgeblendet.
Es sollte noch schlimmer kommen: Der zu unterstützende Modernisierungsbedarf der griechischen Wirtschaft wurde tabuisiert. Griechenland hatte bei der Aufnahme in das Euroland selbst dieses fiskalisch reduzierte Schuldenziel nicht erfüllt. Das galt etwa auch für Italien, das trotz seiner gegenüber dem Konvergenzkriterium doppelt so hohen Staatschuldenquote mit 120% in den Gründerkreis aufgenommen worden ist. Schnell wurde offiziell bekannt, dass Griechenland die Staatsschuldenquote in Richtung 60% herunter manipuliert hatte. Dabei war die Megainvestmentbank „Goldman Sachs“ behilflich. Mit dubiosen Derivateswaps wurden 2,8 Mrd. € an Staatsschulden erst einmal weggetrickst. Nach Ablauf dieser manipulativen Geschäfte erhöhten sich jedoch die Staatsschulden um 5,1 Mrd. €. Die Investmentbank kassierte, ohne jemals juristisch für die Anstiftung zu einer strafbaren Tat belangt worden zu sein, 600 Mio. €.
Schließlich wurde Ende 2009 erstmals einerseits die gegenüber den Haushaltsplanungen unvermeidbare Korrektur der Staatsschulden nach oben sichtbar. Andererseits war wegen der hohen Renditen Griechenland nicht mehr in der Lage, sich über die privaten Kapitalmärkte zu refinanzieren. Durch die erstmalige Abstufung der Bonität Griechenlands von der Ratingagentur Fitch auf BBB+ ist die Zugangssperre zu den Kapitalmärkten erhöht worden. Im weiteren Verlauf der Schuldenkrise Griechenlands haben die großen Ratingagenturen immer wieder durch Bonitätsverluste Öl ins Feuer gegossen und Spekulationsgeschäfte verstärkt. Das übliche Geschäft, fällige gewordene Staatsanleihen durch die Neuaufnahme am Kapitalmarkt den Gläubigern auszuzahlen, funktionierte wegen der extrem hohen Zinszahlungen bei rückläufigen Kursen nicht mehr. Gegenüber diesem Boykott der Kapitalmärkte wurden die Finanzhilfen seit Anfang 2010 eingesetzt. Insgesamt summieren sich bis heute die beiden großen Hilfspakete durch die EZB, den Internationalen Währungsfonds sowie den Euro-Rettungsschirm (erst EFSF dann ESM) bis Ende letzten Jahres auf knapp 230 Mrd. €. Da der Weg zum Kapitalmarkt nach einer kurzen Phase wieder versperrt ist, werden in diesem Jahr zur Umschuldung zugunsten der Gläubiger insgesamt 22,5 Mrd. € fällig, davon allein im ersten Quartal 4,5 Mrd. €. Sollte diese Tranche als Reaktion selbst wegen der Forderung nach einer deutlichen Lockerung der Einsparpolitik nicht mehr geleistet werden, wäre Griechenland gegenüber seinen auf Auszahlung hoffenden Gläubigern insolvent. Die mit den Finanzhilfen getätigten Geschäfte zeigen, wer da eigentlich gerettet wird. Es sind Gläubiger griechischer Anleihen, denen nach deren Fälligkeit die Auszahlung garantiert wird. Kein einziger Euro fließt zugunsten der Griechen in Sozialsysteme oder in die Wirtschaftsförderung. Hier setzt die Idee eines massiven Schuldenschnitts an. Die öffentlichen Haushalte in Griechenland würden von der Zinslast mit einem derzeit durchschnittlichen Zinssatz von 2,4% und den Tilgungsaufwendungen befreit. Finanzhilfen könnten endlich für den sozialen und ökonomischen Aufbau genutzt werden.
Der derzeitigen Rettung der Gläubiger stehen durch den Zwang zur Schrumpfpolitik der Abbau staatlicher Leistungen und Löhne sowie der gesamtwirtschaftliche Absturz gegenüber. Durch diese Demontagepolitik wird die Rechnung für die sozio-ökonomische Stabilisierung Griechenlands nach oben getrieben. Einige wenige Kennziffern machen den Absturz Griechenlands deutlich:
3. Raus aus dem Grexit
Also, empirisch und analytisch ist belegbar: Diese Sanierungspolitik durch Finanzhilfen zur Rettung der Gläubiger griechischer Anleihen zusammen mit sinkenden Löhnen, schrumpfenden Staatsausgaben und Privatisierungen mussten scheitern. Zu dieser Erkenntnis sind die Rettungsideologen trotz harter Fakten immer noch nicht bereit. Das Schuld-Sühne-Muster, egal, was es sozial und ökonomisch kostet, soll fortgeschrieben werden. Da kann nur ein Ignorant von den wachsenden Widerständen der griechischen Bevölkerung gegen diese Diktate überrascht werden. Nicht einmal eine Lockerung der Austeritätspolitik kommt den Geberländern in den Sinn. Erpresserische Drohungen werden durch diejenigen, die über die Finanzhilfen verfügen, eingesetzt. Sollte dieser Widerstand Erfolg haben, dann muss klar sein, dass der Ausschluss Griechenlands aus dem Eurosystem, der Grexit, auf die Tagesordnung gesetzt wird. Es gibt trotz der vielen Dementis ernsthafte Hinweise, dass sich das Bundeskanzleramt mit derartigen Szenarien befasst.
Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe gegenüber den Vernebelungsaktionen die rechtlichen Schwierigkeiten und bitteren Folgen eines Austritts aus dem Eurosystem nicht nur für Griechenland kenntlich zu machen [1].
Der grundlegende Denkfehler der naiven Drachme-Protagonisten ist die Erwartung, auf dieser Basis könne sich Griechenland mit ausreichender, sich selbst regulierender Eigendynamik aus dem tiefen Krisensumpf ziehen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wiedereinführung der Drachme würde Griechenland ökonomisch ins Abseits drängen. Eine dauerhafte Armutsökonomie wäre nicht auszuschließen. Schließlich droht die Gefahr, dass Griechenland als „Failed State“ demokratisch unregierbar wird. Außenpolitische Risiken vor allem gegenüber der Türkei könnten an Bedeutung gewinnen. Wenn die EU diese Fehlentwicklung verhindern will, müsste sie über ihre Budgets künftig verstärkt Mittel aus den Strukturfonds zur Verfügung stellen. Alle Argumente zeigen, zum Grexit durch die Wiedereinführung der Drachme darf es nicht kommen.
4. Elemente einer Stärkung Griechenlands im Eurosystem
Die unbestreitbaren Erfahrungen mit den katastrophalen Folgen der bisherigen finanziellen Rettung der Gläubiger durch eine umfassende Schrumpfpolitik sowie die absehbaren Belastungen durch einen Grexit erzwingen ein Konzept zur Stärkung der griechischen Wirtschaft und damit auch der demokratischen Strukturen.
Die wichtigsten Elemente sind:
Parteien, die dieses Aufbauprogramm nach innen und außen forcieren, verhindern einerseits die weitere Verarmung und Spaltung der Gesellschaft und andererseits die politisch gefährliche Isolierung Griechenlands.
[«1] Ausführliche Analyse; Rudolf Hickel / Johann-G. König, Euro stabilisieren – EU demokratisieren – Aus den Krisen lernen, Bremen 2013
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