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Titel: Hintergründiges zur Bahnprivatisierung

Datum: 29. Juni 2007 um 16:07 Uhr
Rubrik: Globalisierung, Privatisierung, Verkehrspolitik
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Über die Hintergründe der Verlängerung des Vertrages von Vorstandschef Mehdorn, über die Geschäfte der Bahn und über die Geschäfte mit der Bahn und über die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zwischen den Ressorts und der Bahn über das vorliegende Privatisierungsgesetz hat Christine Wicht einige Informationen zusammengetragen.

Hartmut Mehdorn bleibt bis 2011 im Amt und will die Bahn an die Börse bringen

Von Christine Wicht

Hartmut Mehdorn bleibt Vorstandschef der Deutsche Bahn AG. Der Aufsichtsrat verlängerte am Mittwoch seinen Vertrag bis zum Jahr 2011. Nach Auskunft der Bahn sei mit der Entscheidung des Aufsichtsrates sichergestellt, dass auch nach einer Teilprivatisierung die Deutsche Bahn Kurs halten werde. Bis zum zweiten Quartal 2008 sollen Anteile der Bahn an private Investoren verkauft werden. Der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Müller betonte, dass es wichtig sei, dass der Zeitplan der Teilprivatisierung eingehalten werde: “Wir freuen uns, dass das Gesetzgebungsverfahren offensichtlich gut vorankommt.” Müller sagte:” “Unter Mehdorns Führung hat sich das Unternehmen äußerst erfolgreich entwickelt. In der Phase der Teilprivatisierung ist die Kontinuität an der Führungsspitze unerlässlich für die Entwicklung des Unternehmens.”

Der Aufsichtsrat befürwortete des Weiteren den Verkauf der Ostsee-Fährgesellschaft Scandlines, deren Verkauf der Bahn rund 800
Millionen Euro bringen soll, die Übernahme des britischen Schienengütertransporteurs EWS (English Welsh & Scottish Railway) und eine Mehrheitsbeteiligung an dem spanischen Transport-Anbieter Transfesa mit 51%, womit die Bahn ihre Logistiksparte weiter ausbauen kann. Meldungen zufolge sollen der Kauf der EWS 460 Millionen Euro und die Beteiligung an der Transfesa 130 Millionen kosten. EWS hat einen Marktanteil von 60% auf der Schiene, ist die größte britische Güterbahn und mit einem Tochterunternehmen auf dem französischen Markt aktiv. Nach der Privatisierung der britischen Bahn hatte die US-amerikanische Eisenbahngesellschaft Wisconsin Central Railway gemeinsam mit Kapitalgebern den Frachtbetrieb von British Rail. Wisconsin Central wurde 2001 von der Canadian National übernommen, die mit 31,6 % der größte Anteilseigner des Unternehmens war. Weitere Anteilseigner waren die Finanzinvestoren Berkshire Partners 16,8%, Fay Richwhite 16,6% und Goldmann Sachs 5,8% (Quelle: Wikipedia). Der spanische Anbieter Transfesa (Transportes Ferroviarios Especiales) hat sich auf Schienentransporte für die Autoindustrie spezialisiert, rund 1000 Mitarbeiter erwirtschafteten im Jahr 2006 einen Umsatz von 290 Millionen Euro.

Vor wenigen Tagen gründete die Deutsche Bahn eine gemeinsame Logistik-Tochter mit der russischen Bahn. Mehdorn und der Chef der
russischen Staatsbahn RZD, Wladimir Jakunin, unterzeichneten Verträge zur Gründung des Unternehmens. Gemeinsam mit DB-Logistics-Chef Norbert Bensel treibt Mehdorn den Ausbau der Güterverkehre auf dem Paneuropäischen Korridor II bis Moskau und auf der nachfolgenden Transsib-Route nach China voran. Im Gegensatz zu Westeuropa bildet die Eisenbahn vor allem beim Binnengüterverkehr das Rückgrat des russischen Fracht- und Transportgeschäfts: 84,3 Prozent der Güterverkehrsmengen gehen heute im Modalsplit über die Schiene, der Lkw-Anteil beträgt 8,6 und die Binnenschifffahrt 4,4 Prozent. Für den Personenverkehr sind 106 Fernzüge unterwegs (davon drei verspätet), 168 Schnellzüge (davon acht verspätet) sowie 146 Eilzüge (ebenfalls acht verspätet) und weitere 5.500 regionale Vorortzüge. Bensel sagte: “Als Europas größter Güterverkehrscarrier wollen wir neue Märkte erschließen und der Korridor II sowie die Transsib-Route bieten ein erhebliches Potenzial zur Güterverkehrssteigerung”. (Quelle: DB Logistics [PDF – 1.8 MB]).

Die Bahn AG geht in großem Stil auf Einkaufstour, speist aber ihre Mitarbeiter mit Almosen ab. Das von der Konzernführung vorgelegte
Angebot über zwei Prozent Gehaltserhöhung im Januar 2008 und weitere zwei Prozent im Juli 2009 bezeichneten die Gewerkschaften Transnet und GDBA als “Almosen”. Die Gewerkschaften fordern sieben Prozent mehr Gehalt für 12 Monate. Die Lokführergewerkschaft GDL erneuerte ihre Drohung Anfang Juli in Warnstreik zu gehen. Die Zukäufe zeigen deutlich in welche Richtung sich künftig die Bahn bewegen wird, ein Ausbau des Transportnetzes auf Kosten des Personenverkehrs. Mit dem Börsengang der Bahn und dem Einstieg internationaler Investoren wird diese lukrative Sparte sicher noch weiter ausgebaut werden.

Der Börsengang der Bahn – wiederholt sich die Geschichte?

Der Börsengang der Bahn wird durch die Bestätigung des Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn in seinem Amt künftig erste Priorität erhalten. Die Große Koalition im Bundestag wird nächste Woche darüber beraten, ob und wie das heftig umstrittene Bahnprivatisierungsgesetz vom Bundestag akzeptiert wird. Das Verkehrsministerium sieht vor, dass der Bund seinen Einfluss auf die Schieneninfrastruktur faktisch aufgibt.

Das Gesetz zur Bahnprivatisierung weist bei genauerem Hinsehen Ähnlichkeiten mit dem Dawes-Plan von 1924 auf, mit dem die Reichsbahn und ihre Kunden fünf Milliarden Reichsmark für im Versailler-Vertrag vereinbarte Kriegs-Reparationen aufbrachten. Damals leistete die Regierung des Deutschen Reiches mit Beginn der Inflation keine Zahlungen mehr für die hohen Kriegsschulden. Woraufhin das Rheinland von belgischen und französischen Truppen besetzt wurde. Die deutsche Regierung verpfändete seinerzeit die Reichsbahn, um die Reparationszahlungen leisten zu können. Aus dem Staatsunternehmen Reichsbahn wurde die Deutsche-Reichsbahn-Gesellschaft, die das “unsichtbare Eigentum” (das Betriebsrecht an den Anlagewerten) an der Infrastruktur erhielt und Milliardenbeträge aus dem Unternehmen zog, um die Reparationen bedienen zu können.

In den 1920er- Jahren erhielten die Dividende aus dem Bahnbetrieb Privatunternehmen, wie das heute mit dem Börsengang wieder angestrebt wird. 1924 wurde die finanzielle Verwaltung der Eisenbahn aus dem Staatsbetrieb ausgegliedert. Der deutsche Staat blieb nur noch formell Eigentümer des gesamten Sachvermögens. Als Vertreter der Gläubiger wurde ein Treuhänder bestimmt. Es folgte ein enormer Kapitalabzug. So musste die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft für Zins und Tilgung der deutschen Kriegsschuld bis 1932 rund 660 Millionen Goldmark an die Alliierten leisten. Im Zeitraum von 1925 bis 1930 zahlte die Reichsbahn unter Einschluss der ihr aufgebürdeten Pensionsleistungen und der an die deutsche Industrie abgeführten Dividenden für deren Reichsbahn-Vorzugsaktien 5,5 Milliarden Mark. Mit der Beteiligung von Vorzugsaktien profitierte die deutsche Industrie von dieser Sonderkonstruktion. Denn die Vorzugsaktien erhielten Sitz und Stimme im neu geschaffenen Verwaltungsrat, wodurch die Wirtschaft eine Verbilligung der Transportpreise durchsetzen konnte, die realen Preise hingegen zahlten die Fahrgäste, die Steuerzahler und spätere Generationen. (Quelle: DeineBahn.de [PDF – 100 KB])

Die Ministerien für Wirtschaft, Inneres, Justiz und Verbraucherschutz halten den Gesetzentwurf vorliegenden Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung für verfassungswidrig und haben Einwände formuliert. Die Ministerien haben Zweifel angemeldet, dass der Bund die grundgesetzlich festgeschriebene Infrastrukturverantwortung nach einer Privatisierung nochausüben kann. Das Bundeswirtschaftsministerium verlangt einen neuen Entwurf von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD).

Im Mai legte die Bahn ihrerseits ein Rechtsgutachten (Scholz-Hommelhoff-Gutachten) vor, an dem der Verfassungsrechtler und ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz und Peter Hommelhoff, Professor an der Ruprecht-Karls-Universität beteiligt waren. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Entwurf des Privatisierungsgesetzes uneingeschränkt verfassungsrechtlichen Vorgaben entspreche. Hommelhoff ist Mitverfasser eines grundlegenden Aufsatzes zur Interpretation des Art. 87e Abs. 3 und Abs. 4 Grundgesetzes (GG), und sah die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs erhobenen Einwände als unbegründet an. Scholz erklärte, dass der Gesetzentwurf allen Voraussetzungen des Art. 87e GG entspräche. “Soweit verfassungsrechtliche Einwände gegen das geplante Gesetz geltend gemacht worden sind, sind diese sämtlich unbegründet. Der Gesetzentwurf erfüllt in vollem Umfange den Privatisierungsauftrag des Art. 87e Abs. 3 GG und erfüllt ebenso alle Anforderungen des Infrastrukturauftrages aus Art. 87e Abs. 4 GG.”

Das Hommelhoff-Scholz-Gutachten kommt zu dem Schluss: “Zu den verfassungsrechtlich gebotenen Gewährleistungsmaßnahmen zählt entgegen von in Gutachten für Wirtschaftsverbände geäußerter Ansicht nicht die rechtlich gesicherte Möglichkeit des Bundes, auf das operative Geschäft der Schienenwegunternehmen Einfluss zu nehmen. Eine derartige Forderung läuft auf eine verfassungswidrige Rückkehr zur Staatsbahn und zum Sondervermögen des Bundes hinaus. Dagegen entwickelt das geplante Gesetz eine Konzeption, die ohne Verletzung des Charakters der Eisenbahnunternehmen als Wirtschaftsunternehmen dem öffentlichen Gewährleistungsauftrag gerecht wird”, erklärte Prof. Hommelhoff. (Quelle: DB.de). Scholz ist einfaches Mitglied im Hertha-Aufsichtsrat und fädelte einen Sponsorenvertrag zwischen der Bahn und Hertha BSC ein. Die Bahn zahlt jährlich 8 Millionen Euro an den Fußballverein. Seltsamer Weise sehen die Gutachter der vier kritischen Bundesministerien und der privatisierungsfreundliche Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) das Privatisierungsgesetz als nicht vereinbar mit der Verfassung an.

Das Bündnis “Bahn für Alle” beruft sich darüberhinaus auf eine Repräsentativen Umfrage, nach der sich 71 Prozent der Bevölkerung gegen die Bahnprivatisierung ausgesprochen haben. Von den Befragten werden weitere Streckenstilllegungen, steigende Preise, Massenentlassungen, sinkende Qualität und ein weiteres Fahrplanchaos befürchtet. Das Bündnis “Bahn für Alle” bietet Informationen zur Entwicklung der Bahnprivatisierung und darüber, wie eine bessere Bahn in öffentlicher Hand aussehen könnte. Auf der Website gibt es neben der Unterschriftensammlung auch andere Möglichkeiten, um online aktiv zu werden.


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