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Titel: Hinweise des Tages II

Datum: 23. Dezember 2014 um 16:26 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (OP/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Pegida
  2. Warum foltern Demokratien?
  3. Ukraine/Russland
  4. Der Kampf gegen Ebola an allen Fronten
  5. Freihandel
  6. Norbert Häring: Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen: Teil 6 – Gegen den Mindestlohn
  7. Reallohnentwicklung: Größeres Plus im dritten Quartal ausschließlich niedrigerer Inflation geschuldet
  8. Zehn Jahre Hartz IV: AWO mahnt grundlegende Reformen an
  9. Detlef Hensche: Hände weg von Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht!
  10. Zwangspause für Seitenwechsler
  11. Man sollte die EnBW filetieren
  12. Wir wissen was gut für dich ist. Wie uns Politiker und Wissenschaftler in ein besseres Leben schubsen wollen
  13. Türkei: Korankonforme Geografie
  14. Die Jugend ist ohne jede Hoffnung!
  15. Tatort Osnabrück
  16. Wolf Reiser – Freiwild
  17. Versöhnung im Ersten Weltkrieg: Der «Weihnachtsfrieden» war keiner
  18. Ein Aufruf an die europäische Politik

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Pegida
    1. Widerstand gegen Pegida wächst
      Das islamfeindliche Bündnis “Pegida” bringt erneut Tausende auf die Straße – aber auch die Gegendemonstrationen haben starken Zulauf. So versammeln sich in München 12.000, bundesweit um die 20.000 Menschen.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    2. 12 000 Münchner setzen ein Zeichen
      Ein breites Bündnis aus kirchlichen Gruppen, Künstlern, Politikern und Flüchtlingsorganisationen ist am Montagabend in München gegen antiislamische “Pegida”-Kundgebungen auf die Straße gegangen.
      Etwa 12 000 Menschen demonstrierten vor dem Nationaltheater. Womöglich waren es noch viele mehr, doch die Polizei musste das Gelände abriegeln. Die Veranstalter hatten offiziell “nur” 1500 Teilnehmer erwartet.
      Auf dem Promenadeplatz 500 Meter weiter versammelten sich drei Dutzend Anhänger einer Gruppierung namens “Mügida”. Doch sie verschwanden völlig hinter Transparenten von Gegnern, die skandierten: “Haut ab, haut ab!”
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Dazu auch: Anti-Pegida-Demo in München – “Ich gehe gegen Pegida demonstrieren, weil …”
      Mehmet Scholl geht gegen Pegida auf die Straße. Er ist nicht allein. Mit bis zu 6000 Demonstranten rechnet die Stadt München. Wir haben bei Prominenten und Bürgern nachgefragt, warum sie sich am Montagabend versammeln.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

    3. Pegida und die Verlockung der Komplexitätsreduktion
      In Dresden waren die Anti-Pegida-Demonstranten zahlenmäßig unterlegen, ganz anders war es in München
      […] Aber, mon Dieu, man kann auch den Medienrummel über die paar tausend Pegida-Mitlatscher kaum nachvollziehen. Wenn in einer Stadt mit einer halben Million Einwohner nicht mal 20.000 auf die Straße gehen, um ihre Unzufriedenheit zu äußern, mag das ja angesichts derer, die ähnlich denken, aber zuhause bleiben, tatsächlich bedenklich sein. Aber jeder Artikel verstärkt die Aufmerksamkeit und die vermeintliche Bedeutung dieser diffusen außerparlamentarischen “Bewegung”, die dadurch attraktiver wird, um einfach gegen das, was ist, zu protestieren – allerdings mit einem einfachen Feindbild.
      Der Fremde ist schuld. Würde man ihn eliminieren, wäre alles gut. Das ist grotesk, erschreckend ist freilich, dass diese rechtspopulistische Strategie funktioniert. Sie ist auch einfacher, als die Probleme eines politischen und wirtschaftlichen Systems zu benennen und nach Lösungen zu suchen. Das Problem ist, dass es keine Alternativen zu der gegenwärtig besten Welt zu geben scheint, weil sonst nur Chaos, Krieg und Dschihadismus auf uns wartet. Die deutschen Parteien bieten keine Alternative, weil sie, abgesehen von der Linken, in der Mitte sein wollen und damit die Bewegungslosigkeit auch im Denken zementieren.
      Quelle: Telepolis

      Anmerkung JB: Man darf bei all der Zahlenhuberei nicht vergessen, dass Dresden mittlerweile auch ein Ziel für Demotouristen ist, die durch die massive mediale Berichterstattung mobilisiert werden. Wie viele Dresdner unter den 20.000 Demonstranten waren, ist daher auch kaum seriös zu beziffern.

  2. Warum foltern Demokratien?
    Wir UN-Spezialisten kennen die schlimmen Fakten seit Jahren. Immerhin weiß nun auch die US-Öffentlichkeit: Durch Folter erpresste Information bringt wenig. Doch weltweit fühlen sich Folterer bestätigt.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Leider kapriziert sich Manfred Nowak allzu sehr darauf, dass die UN bereits früher auf die Folterpraxis der CIA hingewiesen hätten. Der Artikel gibt leider kaum Auskunft über das selbst gewählte Thema: “Warum foltern Demokratien?” Tatsache ist doch, dass auch nicht folternde (?) Demokratien wie z.B. die Bundesrepublik über die Folterpraxis nicht nur Syriens, Ägyptens u.a., sondern auch der USA informiert war (Regierung, Presse und Bevölkerung). Mir ist nicht bekannt, dass Frau Merkel oder andere Regierungsmitglieder dieses Thema als Verletzung der Menschrechte jemals bei der US-Regierung thematisiert hätten. Im Gegenteil, wir haben sogar mit dem Folterstaat Syrien kooperiert. Vielleicht stören sich einige an dem “wir”, aber ist es nicht so, dass wir gegen den “Afghanistankrieg”, gegen “Folter” sind, aber immer Gründe finden, Regierungsparteien aus diesen Gründen nicht abzuwählen.

    Der Hinweis Nowaks, dass einzelne Politiker, Militärs und CIA-Agenten glaubten, dass die Folter zahlreiche brauchbare Ergebnisse produzieren würden, ist ein wenig läppisch. Seit dem Milgram-Experiment wissen wir, unter bestimmten Umständen die meisten Menschen zu folternde Sadisten werden können. Dass sich viele folternde “Staaten durch die Praktiken der Bush-Regierung in der Sinnhaftigkeit und Legitimität der Anwendung von Folter bestätigt” sehen, ist ein unnützer, antiamerikanischer Hinweis. Folterländer brauchten weder in der Vergangenheit, noch brauchen sie in Gegenwart eine Bestätigung durch die Praxis der US-Regierung. Im Gegenteil, beachtlich und eine Wende signalisierend bleibt trotz allem die Fähigkeit der USA, die eigene Folterpraxis öffentlich zu machen und damit die Lügen von Politikern wie George W. Bush und Dick Cheney aufzudecken. – Hinweisen möchte ich noch auf den sehr informativen Artikel des schweizerischen Tages-Anzeigers: “Für nichts gefoltert“.

  3. Ukraine/Russland
    1. Putin erstaunt über gewachsenen Handelsumsatz Russlands mit USA
      […] Mit einigen EU-Ländern sei ein Rückgang um sieben, acht oder zehn Prozent registriert worden. „Aber es gibt auch positive Momente, darunter eine siebenprozentige Zunahme des Warenumsatzes mit den USA. Die Importe aus den Vereinigten Staaten wuchsen sogar um 23 Prozent… Von Ländern der asiatisch-pazifischen Region ganz zu schweigen: der Handel steigt ebenfalls. Aber in den Beziehungen zu unserem wichtigsten Partner Deutschland ist eine Degradierung zu verzeichnen: der Warenumsatz verringerte sich um 3,9 Prozent, die Importe aus Deutschland gingen ebenfalls zurück“, sagte der russische Präsident.
      Quelle: Ria Novosti

      Anmerkung JB: Mit anderen Worten (vorbehaltlich, das diese Zahlen auch stimmen) – Deutschland zahlt den Preis, die USA profitieren. Was braucht es noch, um der Bundesregierung zu zeigen, dass die Sanktionen eine einzige Eselei sind?

      Passend dazu: Sanktionen gegen Russland
      Eigentor auf wackeligen juristischen und wirtschaftlichen Beinen und warum Russland kein Ölstaat ist
      Mit den Sanktionen gegen Russland hat sich Europa, allen voran Angela Merkel, von den USA in eine Sackgasse manövrieren lassen, die für Deutschland und für Europa insgesamt sehr teuer werden könnte. Geostrategisch, wirtschaftlich und juristisch drohen Kollateralschäden, die am stärksten Europa treffen, Russland dagegen weit weniger stark, als von den USA beabsichtigt. Nutznießer dürfte am Ende China sein.
      Juristisch ruhen die Sanktionen in der EU auf einem bröckeligen Fundament. Anders als in den USA steht hier den Sanktionsopfern ein Klageweg mit guten Erfolgsaussichten offen, so zeigen es jedenfalls die entsprechenden Urteile des EuGH in den letzten Jahren.
      Wirtschaftlich droht der Verlust des russischen Marktes für die europäischen Exporteure, während der Schaden für Russland begrenzt bleibt, auch wenn der spektakuläre Absturz des Rubel für gegenteilige Schlagzeilen sorgt.
      Geostrategisch treibt die Sanktionspolitik Russland in die Arme Chinas und China hält seine Arme weit geöffnet.
      Quelle: Telepolis

    2. Der Westen & Russland – zum Diskurs
      Unlängst hat der frühere SPD-Politiker und heutige Publizist Walther Stützle, einer der Mitinitiatoren und Erstunterzeichner des Appells der 60, in der Zeitschrift Publik Forum sechs Vorschläge für eine neue Entspannungspolitik vorgelegt. Gewicht hat dieser Beitrag nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Stützles beruflicher Vita – er arbeitete unter anderem als Leiter des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium/BMVg (1977-82) als SIPRI-Direktor (1986-91), Chefredakteur des Tagesspiegel (1994-98) und Staatssekretär im BMVg (1998-2002).
      Nachfolgend Stützles sechs Punkte. Dazu Fragen, die sich daraus ergeben, und einige weiterführenden Überlegungen, zu denen Stützles Vorschläge anregen.

      • „Erstens: Der Versuch, Russland aus Europa hinauszudrängen, muss aufgegeben werden.“…
      • „Zweitens: Das Sicherheitsbedürfnis Russlands ist so legitim und ausgeprägt wie das Deutschlands oder Polens oder der Ukraine. […] Nur eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Nordamerika, EU und Russland bietet die Chance, den neu aufgebrochenen Ordnungskonflikt in Europa friedlich zu lösen […] Russlands Mitgliedschaft in der Nato, die auch für Georgien und die Ukraine die Bündnistür öffnete, könnte eine Station auf diesem Weg sein.“…
      • „Drittens: Russland muss erneut auf Gewaltverzicht und auf unbedingten Respekt für die politische und territoriale Integrität der Staaten in Europa verpflichtet werden.“…
      • „Viertens: Deutschland hat eine herausragende Verantwortung für den Versuch, Nato und Europäische Union für die Rückkehr zu einer neu aufgelegten Politik der Entspannung zu gewinnen. Ohne Michail Gorbatschow und Eduard Schewardnadse gäbe es die deutsche Einheit nicht; […] Modernisierungspartnerschaft zu entwickeln, ist […] nicht hinreichend. Erdbebensicher kann eine Modernisierungspartnerschaft nur unter dem Dach einer Sicherheitspartnerschaft funktionieren.“…
      • „Fünftens: Rüstungsbegrenzung und Rüstungsverminderung in Europa müssen wieder auf die Tagesordnung einer aktiven Sicherheitspolitik […] gesetzt werden. Anders ist das Ziel gemeinsamer Sicherheit nicht zu erreichen.“…
      • „Sechstens: Vehement aufgebrochene globale Sicherheitsprobleme verlangen, die Autorität der Vereinten Nationen wiederzubeleben.“…

      Quelle: Wolfgang Schwarz in Das Blättchen

    3. Ukraine: Lustration, Lynchjustiz, Krawalle
      Lustration – Der rechte Straßenterror in der Ukraine ist seit dem Herbst spürbar angestiegen. Neueste Kampagne: sogenannte Müll-Lustrationen. Das Echo im Westen: Augen zu und durch.
      Es kann mit einer alltäglichen Straßenszene beginnen. Wie in diesem Video – aufgenommen Anfang September dieses Jahres in Odessa: Ein Mann geht in ein Gebäude, wird am Portal von einer Gruppe Jugendlicher abgepasst. Die Szene wirkt ebenso bedrohlich wie beiläufig. Das Opfer wird von den Tätern zu einer nahegelegenen Bank abgeführt und dort einem »Verhör« unterzogen. Die Täter filmen die Prozedur mit zwei Kameras. Ihr Opfer: Oleg Rudenko. Rudenkos Job – oder Verbrechen, je nach Sichtweise: Er ist Beamter, angestellt bei der Sozialversicherung. Der Vorwurf, belegt durch einige Fotokopien, welche die Jugendlichen ihm vorhalten: Korruption. Das erpresste Straßenverhör ist nur das Vorspiel.
      Quelle: der Freitag
    4. Neue Ukraine-Friedensgespräche an Weihnachten geplant
      • Neue Runde von Friedensgesprächen im Ukraine-Konflikt geplant: Am 24. und 26. Dezember sollen Vertreter der Ukraine, Russlands und der OSZE im weißrussischen Minsk zusammenkommen.
      • Auch die prorussischen Separatisten sagten ihre Teilnahme zu.
      • Zuletzt hatte sich die Kontaktgruppe Anfang September in Minsk getroffen.

      Die Bundesregierung teilte nach der Telefonkonferenz Merkels mit Poroschenko, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Frankreichs Staatsoberhaupt François Hollande mit, die Gesprächspartner seien sich einig, dass die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen dringend vorangebracht werden muss. In diesem Zusammenhang besprachen sie demnach konkrete Lösungsvorschläge, insbesondere zum Thema Gefangenenaustausch.
      Die Aussichten auf eine rasche Einigung waren aber ungewiss…
      Quelle: SZ

  4. Der Kampf gegen Ebola an allen Fronten
    Angesichts der medialen Berichterstattung in den Vereinigten Staaten und Europa über den Ausbruch der Ebola in Westafrika könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich die Umstände in den betroffenen Ländern nach und nach verbessern. Aber unabhängig davon, dass die Epidemie nicht mehr auf den Titelseiten steht, ist das Virus noch lange nicht besiegt. Er bleibt weiterhin eine ernste Bedrohung für die weltweite Gesundheit.
    Kürzlich bin ich gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande nach Conakry, der Hauptstadt von Guinea, gereist und dann nach Macenta gefahren, einen ländlichen Bezirk im Waldgebiet des Landes, nahe dem Ort, wo der Ausbruch begann. In beiden Orten habe ich den zerstörerischen Einfluss des Virus aus erster Hand erfahren: Leiden, Angst, Verzweiflung und letztlich Tod. Sogar triviale Dinge bekamen plötzlich Bedeutung: Es wurden keine Hände mehr geschüttelt.
    Die Wahrheit ist, dass sich der Ebola-Virus weiter ausbreitet – mit großer Geschwindigkeit. Zwar ist er in Liberia unter Kontrolle, aber nur in Liberia – und sogar dort gibt es keine Garantie dafür, dass es nicht zu einem neuen Ausbruch kommt.
    Quelle: Project Syndicate

    Dazu auch: Die Unberührbaren
    Einige Fälle scheinen darauf hinzuweisen, dass auch geheilte Patienten weiterhin ansteckend sind
    Als sich der Ebola-Sonderbeauftragte Walter Lindner kürzlich auf das Podium des Bündnisses „Entwicklung hilft“ gesellte, mied er sichtlich jeglichen Körperkontakt. Kein Hand–Shaking, kein vertrautes Schulterklopfen. No-touch policy nennt sich diese vorsichtige Verhaltensweise im Helferenglisch. Die vom Virus auferlegte Meidung von Nähe ist in den von Ebola betroffenen westafrikanischen Ländern, wo körperbetonte Höflichkeitskulturen und religiöse Bestattungsrituale eine große Rolle spielen, vielleicht die größte Herausforderung. Durch die Ignoranz gegenüber heimischen Gebräuchen, räumt Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg ein, sei – als die Seuche ausbrach – bei der einheimischen Bevölkerung Vertrauen verspielt worden. […]
    Über Fälle sexueller Übertragbarkeit ist derzeit wenig bekannt. Aus Liberia wird ein Fall berichtet, bei dem ein von Ebola genesener Mann seine Freundin angesteckt habe, die später gestorben sei. Ein ebenfalls in Liberia an Ebola erkrankter Mann, der nach Indien zurückgekehrt ist, wurde in Quarantäne gebracht, weil sich in seinem Sperma noch Erreger fanden. Da es sich bei den nachgewiesenen Viren jedoch um relativ geringe Konzentrationen handelt, kann es sein, so US-Wissenschaftler, dass sich die Krankheit nur schwach ausprägt und deshalb „unterm Radar“ bleibt. Oder aber es wird zwischen sexueller Übertragung und Ausbruch überhaupt kein Zusammenhang hergestellt, weil die Krankheit erst Jahre nach der Ansteckung auftritt. Das ist keineswegs abwegig und erinnert an den Weg, den Aids vor einigen Jahrzehnten genommen hat. Eine besorgniserregende Vorstellung.
    Quelle: Der Freitag

  5. Freihandel
    1. Studie zeigt: TTIP-Abkommen mit USA nimmt Kommunen und Bundesländer in Würgegriff
      Bundesländer und Kommunen werden in ihrem politischen Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt, wenn das Handels- und Investitionsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA in Kraft tritt. Das zeigt eine aktuelle Studie des Handelsexperten Thomas Fritz für Campact. Die Studie stützt sich auf durchgesickerte TTIP-Dokumente, darunter das Verhandlungsmandat der EU-Kommission sowie Textentwürfe verschiedener Kapitel des Abkommens. Zudem wurde der bereits fertig verhandelte Text des EU-Kanada-Abkommens CETA herangezogen, das als Blaupause für TTIP gilt. Ob Krankenhäuser, Sparkassen oder die Vergabe öffentlicher Aufträge: TTIP schränkt die Möglichkeit von Ländern und Kommunen drastisch ein, Politik im Sinne der Bürger zu gestalten. Deshalb muss Wirtschaftsminister Gabriel jetzt für einen Stopp der TTIP-Verhandlungen eintreten, forderte Maritta Strasser von Campact.
      Durch TTIP und CETA entsteht ein Sonderrecht, das internationalen Konzernen offen steht, nicht aber einfachen Bürgern, lokalen Unternehmen und Vereinen. In den Schiedsverfahren stellen kommerzielle Anwaltkanzleien Kläger, Verteidiger und Richter. Eine Berufung ist ausgeschlossen. Solche Investor-Staat-Schiedsverfahren wurden schon in der Vergangenheit des Öfteren angerufen, um gegen kommunale Entscheidungen vorzugehen. Dies betrifft vor allem Umweltauflagen, Konzessionsbedingungen oder verweigerte Betriebsgenehmigungen. Aufgrund des sehr hohen Bestands an Investitionen mit amerikanischer Beteiligung dürfte die Zahl derartiger Klagen deutlich steigen, sollten TTIP und CETA verabschiedet werden.
      Zudem ist mit TTIP eine weitere Privatisierung kommunaler Leistungen zu befürchten. Schlupflöcher in der Ausnahmeklausel können dazu führen, dass internationale Konzerne gegen den Wettbewerb durch kommunale oder private Unternehmen vorgehen, die im öffentlichen Auftrag tätig sind. Nehmen Kommunen einmal erfolgte Privatisierungen wieder zurück, kann dies als Vertragsverstoß geahndet werden. Für die Steuerzahler würde dies teuer.
      Quelle 1: Campact
      Quelle 2: TTIP vor Ort [PDF – 2.9 MB]
      Quelle 3: Zusammenfassung [PDF – 107 KB]

      Anmerkung Orlando Pascheit: Leider werden bestimmte Aspekte von TTIP, so z.B. die Auswirkungen auf weniger gut aufgestellten EU-Volkswirtschaften oder auch auf die Länder und Kommunen, kaum diskutiert. Im Sommer dieses Jahres äußerten sich die Bundesländer gegen Schutzklauseln für Konzerne bei TTIP. In einem vom Bundesrat beschlossenen Antrag wird gewarnt, ein Investitionsschutz könne zu einer Absenkung hoher europäischer Standards bei Gesundheit, Sicherheit, Arbeit, Verbrauchern, Umwelt und Kulturförderung führen. Baden-Württembergs Europa-Minister Peter Friedrich schränkte leider ein, dass die Kritik der Länder keine Drohung, sondern der konstruktive Hinweis an die EU-Kommission sei, wo die Schmerzgrenzen der EU-Staaten verliefen. Eine Diskussion u.a. darüber, ob die Bundesländer tatsächlich noch die Verhandlungen beeinflussen können fand Ende November im Deutschlandfunk statt.

    2. Von wegen Segen
      Die Befürworter des Freihandelsabkommens TTIP behaupten, der Menschheit damit einen Gefallen zu tun. Die Gegner sehen das ganz anders.
      ver.di schließt sich der Europäischen Bürgerinitiative gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA an. Das hat der Gewerkschaftsrat, höchstes ver.di-Gremium zwischen den Bundeskongressen, Ende November einstimmig beschlossen. Überdies will ver.di, so der Beschluss, die Aufklärung über die beabsichtigten Abkommen in Betrieben und Dienststellen sowie auf Veranstaltungen und an Infoständen abermals verstärken. Denn es geht um viel.
      Quelle: ver.di publik
  6. Norbert Häring: Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen: Teil 6 – Gegen den Mindestlohn
    Die Ausführungen der Wirtschaftsweisen zum Mindestlohn machen besonders deutlich, wie hartnäckig und absichtsvoll diese sachkundigen Wirtschaftsprofessoren den wissenschaftlichen Erkenntnisstand verdrehen um zu ihren arbeitgeberfreundlichen Schlussfolgerungen zu kommen. Der Sachverständigenrat, der Mindestlohn und ich haben eine gemeinsame Geschichte, die ins Jahr 2006 zurückreicht. … Allmählich wird der Rat vorsichtiger, zeigt das Gutachten 2014, aber nicht ehrlicher. Zwar findet sich die Behauptung, die Wissenschaft sei sich sicher, dass Mindestlöhne Beschäftigung kosten, nicht im Gutachten 2014. Dafür zieht sie sich aber unausgesprochen oder nebenher bemerkt durch das ganze Kapitel, so als sei es eine Selbstverständlichkeit, die man nicht weiter belegen müsse. In Anbetracht dessen, was der Rat 2006 über den Stand der Wissenschaft eingeräumt hat, ist das ziemlich unseriös.
    Quelle: Geld und mehr

    Anmerkung Orlando Pascheit: Norbert Häring schreibt zwar: “Ich will die Geduld der Leser nicht überstrapazieren. Dieses Kapitel des Rats schreit an so vielen Stellen nach kritischer Beleuchtung, dass man nicht fertig wird, alles aufzuspießen. Und irgendwann will man im Urlaub ja auch an anderes tun.” Aber die diesen erfahrungsgesätigten Beitrag sollten Sie lesen.

  7. Reallohnentwicklung: Größeres Plus im dritten Quartal ausschließlich niedrigerer Inflation geschuldet
    Dass die Reallöhne im dritten Quartal stärker gestiegen sind als im Vorquartal ist ausschließlich der niedrigeren Inflationsrate geschuldet. Die jährliche Inflationsrate betrug im dritten Quartal 0,8 Prozent. Sie ist damit gegenüber der im Vorquartal (1,1%) weiter gesunken. Die nominale Lohnsteigerung betrug demgegenüber unverändert 2,6 Prozent. Diese Zahlen hat das Statistische Bundesamt gestern veröffentlicht.
    Der Verbraucherpreisindex ist laut Angaben des Statistischen Bundesamts das dritte Quartal in Folge gesunken. Die Inflationsrate liegt weit unter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von “unter, aber nahe zwei Prozent”. WuG hat sehr frühzeitig auf die Probleme hingewiesen, die sich damit für die Interpretation von Lohnsteigerungen und schließlich auch Lohnverhandlungen ergeben und auf die Bedeutung des Inflationsziels gegenüber der tatsächlichen Preissteigerungsrate (siehe dazu hier).
    Positiv ist, dass die “Neuen Länder” bei der Lohnentwicklung weiter aufgeschlossen haben, wie die Statistik des Bundesamts ebenfalls ausweist. Die Löhne in den östlichen Bundesländern steigen stärker als in den westlichen Bundesländern.
    Negativ ist, dass die Lohnsteigerungen zwischen den Einkommensbeziehern sehr unterschiedlich verteilt sind. So fielen die Lohnsteigerungen für “Arbeitnehmer in leitender Stellung” spürbar höher aus als in darunter liegenden Berufsgruppen. Selbst “herausgehobene Fachkräfte” verzeichneten spürbar niedrigere Lohnzuwächse als “Arbeitnehmer in leitender Stellung”.
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
  8. Zehn Jahre Hartz IV: AWO mahnt grundlegende Reformen an
    „Es ist Zeit für eine grundlegende Überarbeitung“, fordert der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler anlässlich des zum Jahreswechsel anstehenden zehnten Jahrestags des Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, dem sog. Hartz IV-Gesetz. Da derzeit sein neuntes Änderungsgesetz diskutiert wird, erklärt Stadler: „Anstelle weiterer kleinteiliger Änderungen müssen endlich die grundlegenden Probleme gelöst werden.“ Neben einer Erhöhung der Regelsätze fordert die AWO u.a. eine bessere Betreuung der Hartz-IV-Bezieher.
    Grundsätzlich sieht es die AWO als problematisch an, dass zwei Drittel aller Arbeitslosen im Hartz-IV-System stecken. „Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung dürfen nicht immer weiter abgewertet werden, zumal viele Betroffene über Jahre hinweg Beiträge geleistet haben. Wir dürfen uns nicht schleichend vom Sozialversicherungsprinzip verabschieden und in Richtung einer Armutsvermeidung á la Großbritannien bewegen, in der nur das absolute Minimum geleistet wird. Der Zugang zum Arbeitslosengeld I muss erleichtert und die Bezugsdauer verlängert werden“, betont Stadler.
    Das SGB II werde viel zu stark makroökonomisch betrachtet und der geringe Stand an Arbeitslosigkeit hervorgehoben. Aber, moniert der AWO Bundesvorsitzende: „Hartz-IV wurde zu einem Leistungssystem der gesellschaftlichen Mitte.“ Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) errechnete, das bis 2011 bundesweit 9,6 Millionen verschiedene Bedarfsgemeinschaften mit 14,6 Millionen Menschen SGBII-Leistungen bezogen. „Hier kann nicht mehr von einem gesellschaftlichen Randphänomen gesprochen werden“, kritisiert Stadler.
    Gleichzeitig mahnt die AWO einen zielgerichteteren Umgang mit den Betroffenen an. Für die AWO heißt das, die Betreuung durch die Fachkräfte der Arbeitsagenturen zu verbessern und zu stärken…
    Quelle: AWO Bundesverband
  9. Detlef Hensche: Hände weg von Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht!
    Über das Gesetz der Bundesregierung zur Tarifeinheit.
    Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und mehrfach angekündigt, hat die Bundesregierung am 11. Dezember 2014 den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit vorgelegt. Das Gesetz soll verhindern, dass in den Betrieben unterschiedliche Tarifverträge mit – ganz oder zum Teil – gleichem Geltungsbereich anzuwenden sind. Konkret: Haben mehrere Gewerkschaften Tarifverträge mit divergierendem Inhalt abgeschlossen, die die gleichen Gruppen von Arbeitnehmern erfassen, soll im Interesse einheitlicher und gleicher Arbeitsbedingungen betrieblich nur ein Tarifvertrag anwendbar sein. Der Gesetzentwurf entscheidet sich nach dem Mehrheitsprinzip für den Tarifvertrag der im Betrieb mitgliederstärksten Gewerkschaft. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft soll ohne rechtliche Wirkung bleiben.
    Das Gesetz verletzt die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag die rechtliche Geltung versagt wird. Der Gesetzgeber entzieht der Gewerkschaft das Recht, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder nach eigenen Vorstellungen mit dem Arbeitgeber auszuhandeln und in verbindlichen, nicht unterschreitbaren Tarifverträgen festzulegen. Die Mitglieder verlieren den Schutz des Tarifvertrags. Damit wird eine der wichtigsten gewerkschaftlichen Funktionen, die Tarifautonomie, beseitigt. Überdies zielt der Gesetzentwurf auf das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaft.
    Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung Analysen
  10. Zwangspause für Seitenwechsler
    • Immer wieder gibt es Ärger, wenn Politiker ohne Karenzzeit einen lukrativen Posten in der Wirtschaft annehmen. Ein Gesetzentwurf sieht nun Zwangspausen vor.
    • Die Karenzzeit soll in der Regel ein Jahr betragen. In Ausnahmefällen kann auch eine Zwangspause von 18 Monaten verhängt werden.
    • Die Verabschiedung des Gesetzes im Kabinett ist für Februar 2015 geplant.

    Es hat lange gedauert, sehr lange. Mehr als 15 Jahre wurde im Bundestag über Karenzzeiten für Regierungsmitglieder diskutiert, ohne dass etwas geschehen ist. 1999 verursachte der Wechsel des deutschen EU-Kommissars Martin Bangemann zu einem Telefonkonzern erheblichen Unmut. Spätestens seit damals gibt es die Debatte über Zwangsauszeiten für Amtsträger beim Wechsel in die Wirtschaft.
    Quelle: SZ

  11. Man sollte die EnBW filetieren
    Die Stromrebellen aus Schönau ziehen sich zurück. Ursula und Michael Sladek sitzen im kommenden Jahr nicht mehr im Vorstand der Netzkauf Schönau EWS. Doch Rosenzüchten und Klappe halten steht nicht in ihrem Lebensplan. Ein Gipfelgespräch auf dem Belchen, dem Hausberg der Sladeks, über die Stuttgarter Stadtwerke, konkrete Utopien und Sehnsuchtsorte.
    Frau Sladek, Herr Sladek, Sie sind für viele die Garanten für Unabhängigkeit von Energiekonzernen und für sauberen Strom. Nun ziehen Sie sich zurück. Stuttgarter, die zu den hiesigen Stadtwerken gewechselt haben, fürchten nun, dass es aus ist mit dem sauberen Strom…
    Quelle: Kontext:Wochenzeitung

    Hinweis: Auch diese Woche wieder eine Reihe interessanter Artikel in Kontext: Wochenzeitung u.a.:

    • In der Konsumzone: Demnächst eröffnen in Stuttgart mit Gerber und Milaneo zwei neue Mega-Konsumtempel. Entwickeln sich Innenstädte zu reinen Einkaufsbereichen, wo schon das Aufenthaltsrecht an Konsumzwang gebunden ist? Wo bleibt noch Platz für öffentliche Räume als Orte der Begegnung und Austragung von Meinungsverschiedenheiten?
    • Gerber gegen Kiosk: Immobilienhaie, Propaganda-Politiker, Stadtzerstörer – wenn Joe Bauer durch Stuttgart geht, findet er Zuflucht beim Kiosk Gegenheimer oder beim Seifen-Lenz im Bohnenviertel. Den Rest betrachtet der Kontext-Gastautor mit Grausen.
    • Orgien in Stein: Wie gehen Abscheu und Feierlaune eigentlich zusammen? Stuttgarts OB Fritz Kuhn hat sein Kommen bei der Eröffnung des “Gerber” angekündigt. Dabei hatte er sich bei seinem Wahlkampf eindeutig von dem Projekt distanziert.
    • Tausend Mann und kein Befehl: Könnte gut sein, dass der Wasserwerfer-Prozess länger dauern wird als angenommen. Und dass noch manches mehr über die Geschehnisse am Schwarzen Donnerstag ans Licht kommt, was unter der schützenden Hand der Stuttgarter Staatsanwaltschaft ungeahndet geblieben wäre.
    • FDP mit Fahrrad: Die Grünen wollen nicht zu spät kommen beim Ausweiden der abgeschossenen FDP. Von der breiten Öffentlichkeit bisher weitgehend unbeachtet, leistet sich die Partei seit Monaten eine ausufernde Freiheitsdebatte. Und Baden-Württemberger mischen mächtig mit.
    • Trommelfeuer der Erinnerung: Das neue Kontext-Buch “Der König weint” ist eines von vielen, das hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschienen ist. Warum es ein besonderes ist, erklärt Herausgeber Wilhelm Reschl in seiner Einleitung, die wir heute als Leseprobe abdrucken.
    • Monster: Solidarität mit Flüchtlingen, wettert Peter Grohmann, ist selbst für die progressive Intelligenz eine Zumutung.

    Kontext:Wochenzeitung erscheint mittwochs online auf kontextwochenzeitung.de und samstags als Beilage zur taz.

  12. Wir wissen was gut für dich ist. Wie uns Politiker und Wissenschaftler in ein besseres Leben schubsen wollen
    Niemand lässt sich gerne was verbieten. Ein sanfter Schubs in die richtige Richtung? Den nimmt man schon eher in Kauf. “Nudging” heißt das Schubsen auf Englisch und ist inzwischen nicht nur im Kanzleramt sehr gefragt.
    Quelle: ZÜNDFUNK – Generator – Bayern 2
  13. Türkei: Korankonforme Geografie
    Präsident Recep Tayyip Erdogans AKP treibt den Umbau der säkulären Republik in einen religiösen Staat weiter voran. Immer mehr türkische Gymnasien werden in muslimische Paukschulen umgewandelt, an denen Präsident Erdogans “neue religiöse Generation” erzogen wird. Stellen Sie sich vor, ihr Kind kommt aus den Sommerferien – und findet eine völlig veränderte Schule vor. Das passiert in der Türkei in diesem Herbst andauernd: Ohne dass Schüler, Eltern oder Lehrer vorab informiert werden, wandelt die Schulbehörde vormals normale staatliche Schulen in Fachgymnasien für die Ausbildung zum Vorbeter und Prediger (“Imam”) um. Auf sogenannten Imam-Hatip-Schulen macht der Koranunterricht den Schwerpunkt der Ausbildung aus, die anderen Fächer müssen sich anpassen. Wo bisher Naturwissenschaften oder Fremdsprachen im Mittelpunkt standen, dreht sich nun alles um Religion. Dabei werden Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet, für Erstere ist das Kopftuch quasi obligatorisch.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, dürfte sich auch für Türkei bald bestätigen, was bereits der dritte “Arab Human Development Report” der arabischen Welt attestierte und in den folgenden Jahren nicht korrigiert werden konnte: Eine wachsende Wissenslücke nicht nur gegenüber den alten Industriestaaten des Westens, sondern auch gegenüber den aufholenden Schwellenländern Lateinamerikas und Ostasiens. Die Rückwendung zu autoritären Erziehungsstilen, die unabhängiges Denken und Selbstvertrauen und intellektuelle Neugierde verhindern, die kritisches Erforschen, Hinterfragen und individuelle Initiative zerstören, wird sich alsbald auch in der Türkei auf die Produktivitätsentwicklung der Volkswirtschaft auswirken und den minimalen Aufholprozess der letzten Jahre zunichte machen. Das ist allerdings nur die ökonomische Seite, zu betrauern ist der Verlust an Freiheitspotentialen eines jeden Individuums, der Verlust an Phantasie, Neugierde und Drang nach gesellschaftlicher Erneuerung, welche nur im Vertrauen auf die eigene Urteilskraft gedeihen können. Zu befürchten ist, dass Erdogans AKP ganz bewusst, die Scheinsicherheit tradierter, religiöser Regeln und die Anerkennung des Urteils älterer und höher gestellter Personen in die jugendlichen Köpfe einpflanzen will. So lässt sich natürlich leichter und wenig hinterfragt regieren.

  14. Die Jugend ist ohne jede Hoffnung!
    Tunesien wählt zum ersten Mal seit fast 60 Jahren seinen Präsidenten direkt. Zur Auswahl: ein 88-Jähriger, der schon unter dem Staatsgründer diente, und ein 69-Jähriger, dem Nähe zu Islamisten nachgesagt wird. Ein Fortschritt? Drei wichtige junge Stimmen des Landes erzählen.
    Quelle: jetzt.de

    Anmerkung JB: Eine Linguistin und Politbloggerin, ein Rapper und eine bloggende Mitarbeiterin des Goethe-Instituts … eine solche Mischung wäre noch nicht einmal in einer deutschen Universitätsstadt repräsentativ. Der Ansatz von jetzt.de, progressive Stimmen des arabischen Frühlings einzufangen, mag für Aktivisten sicher interessant sein. Er sollte jedoch den Blick davor versperren, dass in einer Demokratie nun einmal alle Menschen ihre Stimme abgegeben dürfen – egal, ob sie nun progressiv oder reaktionär sind. Und dass das Ergebnis dann progressiven Geistern nicht schmeckt, ist verständlich, wenn man sich einmal die Strukturdaten von Staaten wie Tunesien, Ägypten oder auch der Türkei anschaut. Man sollte sich jedoch davor hüten, diesen Ländern dann ihre „Demokratiefähigkeit“ abzusprechen. Hätte man in Deutschland drei junge, gebildete Politaktivisten interviewt, käme man auch nie auf die Idee, dass eine Mehrheit unserer Mitbürger Angela Merkel wählt.

  15. Tatort Osnabrück
    Ein Richter als Strohmann und verdeckter Spieler in einem riesigen Monopoly? Bei einem Millionengeschacher um lukrative Immobilien in Osnabrück spielt ein Amtsrichter eine undurchsichtige Rolle. Der Staatsanwalt ermittelt.
    Der Neumarkt bildet aber auch die Kulisse für ein trickreiches Monopoly-Spiel, bei dem ein Amtsrichter eine ebenso ungewöhnliche wie undurchsichtige Rolle spielt. Hartmut W., 62, betreibt seit Jahren neben seinem Richteramt noch Millionengeschäfte mit Immobilien. Woher das Geld dafür kommt ist unklar. Er selbst machte dazu auf Anfrage keine Angaben. Zur Begründung verwies sein Anwalt auf ein Ermittlungsverfahren, das die Osnabrücker Staatsanwaltschaft gegen W. führt. Sie prüft den Vorwurf, dass der Richter einen Geschäftspartner getäuscht und versucht hat, ihn zum Betrug anzustiften.
    Zudem steht der Jurist im Verdacht, als Strohmann die Kreise eines der wichtigsten Planer am Neumarkt gestört zu haben. Und es steht die Frage im Raum, ob Richter W. sein Insiderwissen aus dem Amtsgericht womöglich jahrelang für private Geschäfte genutzt hat.
    Der Fall ist beispiellos, die Justiz in Niedersachsen ist alarmiert. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen wurde ein Disziplinarverfahren gegen Hartmut W. eingeleitet. Das Präsidium des Osnabrücker Amtsgerichtes hat ihn intern versetzt. Seine Vorgesetzten sagen, sie hätten von seinen Nebengeschäften nichts gewusst.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  16. Wolf Reiser – Freiwild
    Über Zähmung, Verwahrlosung und Niedergang des Journalismus
    […] Das Sommermärchen hat Deutschland seither in lähmendem Würgegriff und gipfelt Ende 2014 in einer großen Koalition aus Aschenputteln, Dornröschen, Einhörnern und Zwergen. Letztere tummeln sich mit Vorliebe in medialen Tätigkeiten und führen einen Presseausweis bei sich. Womit wir wieder beim Thema wären. […]
    Im Zuge der karnevalisierten Selbstzerstörung präsentieren die Leitmedien ihre im Minutentakt aktualisierten Netzprodukte wie einen Kessel Buntes: schlampig recherchierte, vorschnell auf den Weg verschickte und albern tendenziöse Politnews mit Bild-affinen Appetizer-Aufmachern wechseln sich mit Lottozahlen, Diättips, Fußballgossip, Modelsex, Börsenlatein, Wetterkapriolen und Wallfahrtsreisen in die Mitte des Ichs ab. Längst haben wir uns daran gewöhnt, morgens im Bademantel im High-Speed-Verfahren die kostenlosen Pamphletbotschaften zu verschlingen. Längst haben wir uns daran gewöhnt, daß sich die Inhalte gegenseitig auslöschen, daß uns das Nach-Denken ausgetrieben wird, daß sich eine Eiseskälte in uns einstellt gegenüber Tragik und Schicksal und sich ein Zynismus entfaltet, bei dem sonst nur Henker oder Totengräber Zuflucht suchen. Der durch den Online-Journalismus bedingte schleichende kollektive Abbau von Mitgefühl und Reflexion bestimmt indessen den aktuellen Diskurs, und so schlägt die Stunde der Trolle auf allen Ebenen. […]
    Es kann aber gut sein, daß die Rollkommandos des Weltennetzes eines fernen Tages wirklich dazu beitragen, als versöhnende Kraft der Dialektik zwischen müden Print-Fat-Cats und übermütigen rat packs des Lobo-Rudels zu dienen … Immerhin haben wir es ihren katalysatorischen Kräften zu verdanken, daß sich die Hinfälligkeit unseres journalistischen Edelpersonals, der immergleichen Talkshow-Historiker und stiftungseigenen Osteuropaexperten vor uns offenbart.
    Quelle: Lettre International
  17. Versöhnung im Ersten Weltkrieg: Der «Weihnachtsfrieden» war keiner
    In dieser Woche wird vielfach an die Verbrüderung von deutschen und alliierten Soldaten während der Weihnachtstage 1914 an der Westfront erinnert. Die Geschichte hat eine bemerkenswerte Resistenz bewiesen. Sie hat in der europäischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg soweit es eine solche überhaupt gibt ihren festen Platz. Soldaten, die sich über die Gräben hinweg die Hände reichen, sind ein starkes Bild. Tatsächlich taugen die Ereignisse vom Dezember 1914 aber nur wenig als Beispiel für die Rückbesinnung auf Menschlichkeit und Verständigung. Um das zu verstehen, muss man allerdings den Blick auf die Realitäten des Kampfes im Stellungskrieg werfen: Warum verliessen die Soldaten überhaupt ihre Gräben?
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: In der Tat, kaum eine Zeitung ließ die Gelegenheit aus, diese Ereignisse als einen Sieg der Humanität zu feiern. Mir kommt das einwenig wie in dem jetzt veröffentlichten Bericht über die Folterpraxis der CIA vor, in dem geschildert wird, dass viele Agenten die Misshandlungen kaum ertragen konnten und beim Zusehen geweint und geschluchzt hätten. – Sie habe dennoch weiter gemacht.

  18. Ein Aufruf an die europäische Politik
    Die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste fordert eine “Neugestaltung der europäischen Politik”. le Bohémien dokumentiert das Memorandum.
    In dem von mehreren Wissenschaftlern verfassten Memorandum wird Europa die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg attestiert. Gefordert wird die Schaffung einer europäischen Identität, als auch grundlegende Reflexionen in der Wirtschafts-, Finanz-, und Familienpolitik. Kritisiert wird eine Politik der “wirtschaftlichen Stärke” ohne Visionen. Stattdessen, so unter anderem der EASA-Präsident Felix Unger, solle die Besserung der sozialen Lage, eine Bekämpfung der Ungleichheit sowie eine Rückbesinnung auf Demokratie und humanistische Werte Ziel der EU sein. Auf dem Spiel stünden nicht zuletzt die “Errungenschaften der europäischen Wissenschaft und Kultur”.
    Quelle: le Bohémien


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