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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 19. Dezember 2014 um 8:29 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JW/WL/RS)

Hier die Übersicht. Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert.

  1. Mitte-Studie der FES zeigt Rückgang rechtsextremer Einstellungen
  2. Freier Handel oder freie Menschen?
  3. Prof. Bofinger wundert sich über die positive Beschäftigungslage in Deutschland
  4. Umsturz per Krise
  5. Friedenswinter: Linksfraktion geht auf Distanz
  6. PEGIDA
  7. Gregor Gysi: Ängste ernst und Verantwortung wahrnehmen
  8. Russland / Ukraine-Konflikt
  9. Junckers Investitionspaket
  10. Korruption und Mafia: Renzi mit Samthandschuhen
  11. Wie CETA Standards abbaut, bevor es in Kraft tritt
  12. Edathy beschuldigt Ex-BKA-Chef Ziercke
  13. CIA-Praktiken: Generalbundesanwalt will ungeschwärzten Folterbericht anfordern
  14. Drohnenkrieg in Afghanistan: Zu Taliban umdeklariert
  15. Gehaltsrunde für Erzieher: Schlecht bezahlt, gut gefordert
  16. Größeres Finanzierungsdefizit der Kommunen im 1. bis 3. Quartal 2014
  17. Urteil zur Erbschaftssteuer: Eine Steuer nur für Dumme
  18. Die goldene Lohnregel reicht nicht mehr
  19. Marcuse für Dummies

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Mitte-Studie der FES zeigt Rückgang rechtsextremer Einstellungen
    Gleichzeitig Verlagerung in subtile Formen rechtsextremen und menschenfeindlichen Denkens
    Deutlicher Anstieg des Antisemitismus zwischen Juni und September 2014
    Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland sind im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen. Die Zustimmung zum Gesamtindex rechtsextreme Orientierung liegt 2014 bei 2,4% (Gesamt) bzw. bei 2,5% (Ost) und 2,3% (West). Allerdings sind die Befragten, die national-chauvinistischen (12%) oder ausländerfeindlichen (7,5%) Meinungen zustimmen, noch fest in der Mitte der Gesellschaft verankert. Ferner äußern immerhin 10% Zustimmung zu der Aussage, der Nationalsozialismus hätte auch seine guten Seiten gehabt. Befragte aus den neuen Bundesländern stimmen 25 Jahre nach Mauerfall stärker rechtsextremen Ideologieelementen zu als Befragte der alten Bundesländer. Jüngere (16 – 30jährige) und ältere Befragte (über 60jährige) zeigen tendenziell stärker rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen als die mittlere Altersgruppe. Dass die Befürwortung rechtsextremer Einstellungen deutlich mit einer höheren Gewaltbilligung und –bereitschaft einhergeht, kann auch 2014 nachgewiesen werden.
    Gruppenbezogene Menschenfeindfeindlichkeit ist ebenfalls rückläufig, bleibt aber in allen Teilen der Gesellschaft weit verbreitet. Dies drückt sich auch in abweisenden Orientierungen gegenüber sozialen Gruppen aus. Sehr stark verbreitet sind die Zustimmungen zu vorurteilsgeleiteten Auffassungen gegenüber asylsuchenden Menschen (44%), Sinti und Roma (27%) sowie Muslimen (18%). Die Befürwortung von Etabliertenvorrechten nimmt gegenläufig zum Gesamttrend zu. Antisemitismus ist tendenziell rückläufig, allerdings ist er in Form des sekundären und des israelbezogenen Antisemitismus sowie in Gestalt NS-relativierender Israelkritik stark verbreitet. Klassischer Antisemitismus steigt zwischen Juni und September 2014 signifikant an.
    Rechtsextreme und menschenfeindliche Orientierungen gehen mit Zweifeln an Demokratie und negativen Haltungen gegenüber der EU einher. Ebenso auffällig verbreitet ist ein marktförmiger Extremismus, der Wettbewerb und Fortschritt höher bewertet als Solidarität und Gleichwertigkeit. Insbesondere Sympathisantinnen und Sympathisanten der AfD zeigen auffällig hohe Zustimmungen zu diesem marktförmigen Extremismus…
    Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung, Institut für indisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung IKG

    Anmerkung WL: Musterbeispiele dieser subtilen Formen rechtsextremen und
    menschenfeindlichen Denkens finden Sie in den Mitschriften der Reden auf mehreren Pegida-Demonstrationen in Dresden unseres Lesers W.-D. H. [PDF – 102 KB].
    Man möge sich hier ein eigenes Bild machen, wie hier subtil, mit vorgeschobenen sachlichen Argumenten versucht wird rechte Gesinnung zu einerseits zu tarnen und andererseits gleichzeitig zu verbreiten.

  2. Freier Handel oder freie Menschen?
    Die Mächtigen werden noch mächtiger und die Armen noch ärmer
    Mit zahlreichen Freihandelsabkommen wollen die Großinvestoren, also Milliardäre oder milliardenschwere Fonds, aus EU und USA ihre Regierungen hinter sich bringen und ihre Reihen dichter schließen. Es ist schon kurios: Gerade die sogenannten reichsten Regionen der Erde zeichnen sich dadurch aus, dass sie die größte soziale Ungleichheit und Armut hervorgebracht haben und durch ihre Art zu wirtschaften immer noch weiter verschärfen. Vier Millionen Bürger/innen im reichen Großbritannien sind darauf angewiesen, an den Food Banks der Kirchen Lebensmittel zu ergattern. Immer mehr Suppenküchen und “Tafeln” sind nötig in den USA, in Deutschland und dem rest­lichen freien Westen, damit Niedriglohn-Familien, Arbeitslose, Rentner und Migranten nicht verhungern. Was soll dabei herauskommen, wenn solche Staaten und Regionen sich durch sogenannte Freihandelsabkommen noch enger zusammenschließen?
    Denn eine wesentliche Absicht dieser Abkommen ist es, einseitig die Rechte der Kapitaleigner noch weiter zu stärken. Vor privaten Schiedsgerichten sollen Investoren klagen können, wenn ihnen durch staatliche Maßnahmen die erwarteten Gewinne eingeschränkt werden könnten, sei es durch Mindestlöhne, Tarifver­träge, Steuern, Lebensmittelkontrollen oder Umweltauflagen. Die Schiedsgerichte tagen im Geheimen. Anwälte aus internationalen Wirtschaftskanzleien, die ohnehin als Unternehmenslobby agieren, spielen Richter. Staaten, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen dürfen gar nicht klagen, denn in den Abkommen spielen ihre Rechte keinerlei verteidigenswerte Rolle.
    Quelle: Werner Rügemer in ver.di publik
  3. Prof. Bofinger wundert sich über die positive Beschäftigungslage in Deutschland
    Die mit über 43 Millionen Beschäftigten außergewöhnlich gute Beschäftigungslage in Deutschland verwundert selbst einen Wirtschaftsweisen wie Prof. Dr. Peter Bofinger. Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin ‘Capital’ (Ausgabe 1/2015) sagte das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: “Und dann ist da noch ein kleines Wunder, das ich mir nicht erklären kann: Obwohl wir kaum wachsen, haben wir irre Beschäftigungseffekte.” Auch wenn “Deutschland insgesamt sehr gut aufgestellt” sei “mit starken, stabilen Strukturen”, “haben wir heute kaum mehr Arbeitsstunden als im Jahr 2000, aber zweieinhalb Millionen Menschen mehr arbeiten”.
    Quelle: Capital

    Anmerkung WL: Wenn die Meldung so zutrifft, wie sie Capital hämisch zitiert, dann könnte man Prof. Bofinger einfach auf die Langzeitstatistik des Arbeitsvolumens des Statistischen Bundesamtes verweisen, da klärt sich das Wunder auf. Es zeigt sich nämlich, dass sich das Arbeitsvolumen der beschäftigten Arbeitnehmer (also der nicht selbstständigen Erwerbstätigen) seit 1991 von 51.768 Millionen Stunden auf 48.779 Millionen Stunden im Jahre im Jahre 2012 verringert hat (und das Volumen dürfte auch 2014) nicht wesentlich höher liegen.
    Das Arbeitsvolumen der Vollzeitbeschäftigten hat sich im gleichen Zeitraum von 47.635 Millionen Stunden auf 39.974 Millionen Stunden verringert, während sich das Arbeitsvolumen der Beschäftigten in Teilzeit von 3.818 auf 8.093 Millionen Stunden erhöht hat. Das heißt in der Tendenz, dass sich das Arbeitsvolumen auf mehr Köpfe verteilt hat und vor allem die Teilzeitarbeit erheblich angestiegen ist. Das steckt hinter dem Wunder der positiven Beschäftigungslage. Siehe I AB – Excel Tabelle zum Download am Schluss der Mitteilung.

  4. Umsturz per Krise
    Die Zuspitzung der Wirtschaftskrise in Russland treibt im Westen die Debatte über einen möglichen Umsturz in Moskau voran. Im Zentrum der Planungen stehen dabei die russischen Mittelschichten; Hintergrund ist, dass der Umsturz in der Ukraine, der als mögliches Modell für einen “Regime Change” auch in Russland gilt, maßgeblich von den Mittelschichten des Landes herbeigeführt wurde. Könne Moskau deren Einkommen und deren Lebensniveau nicht mehr garantieren, könnten sie der Regierung womöglich die Unterstützung entziehen, vermutet eine Expertin von der “European Foundation for Democracy” aus Brüssel. Allerdings sei keinesfalls klar, ob ein Umsturz ein prowestliches Regime an die Macht bringen werde. Beobachter weisen darauf hin, dass Putin zur Zeit nicht nur außergewöhnlich hohe Zustimmungswerte hat, sondern dass außerhalb der Metropolen auch in den Mittelschichten nationalistische, antiwestliche Vorstellungen dominierten. Ein Umsturz biete keine Erfolgsgarantie für den Westen. Der russische Ex-Oligarch Michail Chodorkowski hat vor kurzem “revolutionäre” Schritte in Aussicht gestellt – unter Abkehr von einem Machtwechsel “auf demokratischem, sanftem Weg”. Weil der Westen den ökonomischen Druck auf Moskau aber inzwischen so stark erhöht, dass selbst eine Staatspleite nicht mehr völlig ausgeschlossen wird, drohen die Umsturzpläne sich gegen ihre Erfinder zu wenden: Russlands Kollaps träfe europäische Banken, die in Moskau Außenstände in dreistelliger Milliardenhöhe haben, und könnte die Wirtschaft der EU mit in die Krise reißen.
    Quelle: German Foreign Policy
  5. Friedenswinter: Linksfraktion geht auf Distanz
    Ralf Krämer, Kosprecher der innerparteilichen Strömung »Sozialistische Linke«, brachte seine Einschätzung der »Friedenswinter«-Demo in Berlin auf den Punkt: »Die Bewegung ist alles andere als rechts, sie ist ihnen (Lederer und Co., jW) zu links in dem Sinne, dass sie antimilitaristisch und in der Sache (also ohne die harten Worte zu verwenden) antiimperialistisch und antikapitalistisch ist. Eine solche Haltung stört bei einer Politik, Die Linke als in schlechtem Sinne ganz normale Partei neben den anderen und störungsfrei koalitionsfähig zu etablieren, letztlich auch auf Bundesebene, da darf man dann die Staatsräson nicht in Frage stellen. Das Parteiprogramm der Linken dagegen ist 100prozentig kompatibel mit den von der Friedensbewegung vertretenen Positionen, und ich finde es beschämend, dass die Partei da nicht aktiv dabei ist.«
    Quelle: junge Welt
  6. PEGIDA
    1. Folgen des “Anti-Terror-Kriegs”
      Die Debatte über die rassistische “Pegida”-Mobilisierung in der Bundesrepublik hält an. Nach der jüngsten Dresdner Großdemonstration “gegen Islamisierung”, an der sich rund 15.000 Personen beteiligten, empfehlen Teile des deutschen Polit-Establishments, die Demonstranten “ernst zu nehmen” und ihre Forderungen zumindest teilweise zu erfüllen. Konkrete Folgen der Agitation bekommen inzwischen deutsche Muslime zu spüren, die zunehmend verbal angegriffen werden. Bereits seit Monaten werden verstärkt auch physische Attacken verübt, etwa Brandanschläge auf Moscheen. Muslime stehen in Deutschland unter massivem Druck, seit parallel zum “Anti-Terror-Krieg” nach dem 11. September 2001 die Inlandspropaganda gegen sie deutlich verschärft wurde, staatliche Maßnahmen wie die wahllose Rasterfahndung gegen Menschen islamischen Glaubens inklusive. Dies hat nicht nur dazu geführt, dass Organisationen der extremen Rechten ihre rassistischen Positionen oft modisch-antiislamisch kleiden, sondern auch dazu, dass antiislamische Haltungen in der deutschen Bevölkerung tief verankert sind. Wie es in einer aktuellen Untersuchung heißt, die solche Haltungen analysiert, verbinden sich diese in jüngster Zeit mit einer stärkeren “Handlungsbereitschaft”.
      Quelle: german-foreign-policy.com
    2. “Unsere Medien” in Zeiten innerukrainischer und antirussischer Kriegshetze: Wer Hass säht, wird PEGIDA ernten
      Vergleicht man die Berichterstattung über die sog. Montagsmahnwachen für den Frieden und die sog. Montagsdemonstrationen von PEGIDA & Co., dann fällt auf, dass bei aller Kritik an rechtslastigen Tendenzen die einen absolut verteufelt und dämonisiert, die anderen jedoch als zumindest teilweise legitimer Protest eingestuft werden.
      Während man im Fall der Friedensmahnwachen jeden Rechtsextremen oder anderen Spinner, der dort auftaucht, als Kennzeichen für die gesamte Bewegung interpretiert, ist man in Sachen PEGIDA doch auffallend wohlwollender in der Kommentierung. Zwar wird auf die dubiose Karriere des Begründers Bachmann hingewiesen, aber gerne betont, dass dort Wutbürger aus der Mitte der Gesellschaft ihre Sorgen zum Ausdruck brächten – und denen müsse man zuhören. Schließlich seien „Islamismus“ und „Islamisierung“ sowie „Asylmissbrauch“ und „Flüchtlings. ströme“ relevante Probleme – so werden gleichzeitig diese Begriffe mit ihren intendierten Behauptungen festgeschrieben.
      Im Gegensatz dazu vermisst man derlei verständnisvolle Töne in Bezug auf diejenigen, die sich um den Frieden sorgen und Krieg fürchten. Bei aller berechtigten Kritik an einer möglichen Offenheit für das rechte Spektrum auch der Friedensmahnwachen, wird diese dazu missbraucht, deren Legitimität und Relevanz in Zeiten innerukrainischer und antirussischer Kriegshetze grundsätzlich in Frage zu stellen. So lösten die Aufrufe zum “Friedenswinter” für den 13. Dezember Abwehrreaktionen bei vielen Redaktionen hervor und die Diffamierung der Unterstützer übertüncht das Ausblenden von Inhalten und Anliegen. Wer in unseren Medien Raum und Recht für seine Äußerungen bekommt, wird an diesem Vergleich nur allzu deutlich.
      Quelle: NRhZ
    3. „Islamophobe Demonstranten mit Fakten konfrontieren“
      Eine offene Auseinandersetzung mit den Behauptungen der islamophoben Demonstranten in Dresden und anderen Städten fordert der Inhaber des bislang einzigen philosophischen Lehrstuhls für Völkerverständigung in Deutschland, Michael Reder. „Die Politiker müssen die überwiegend irrealen Ängste vor einer angeblichen ‚Islamisierung des Abendlandes‘ mit rationalen Argumenten entkräften“, sagt der an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München lehrende Professor. Wenn bei den Kundgebungen etwa von „Massenzuwanderung“ und „radikal-religiöser Unterwanderung“ die Rede sei, müsse man dem Fakten entgegenhalten, betont er.
      Quelle: Informationsdienst Wissenschaft (idw)

      Anmerkung: Siehe dazu die gestrigen Beiträge von Götz Eisenberg und Albrecht Müller

    4. Die Schuld der politischen Mitte
      Als der Reichskanzler Joseph Wirth anlässlich der Ermordung Walther Rathenaus, die sich bald zum 100. Male jährt, die Probleme und Widersacher der jungen Demokratie in der Weimarer Republik herausstellte, brachte er zum Schluss seiner Rede die Worte hervor: „Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“.
      Und tatsächlich erkannte er damit frühzeitig die Hauptverursacher für den späteren Fall der ersten deutschen Demokratie. Wirth war Kanzler der sogenannten Weimarer Koalition, also getragen von den Parteien der Mitte, nämlich SPD, Zentrum und DDP, denen es aus mehreren Gründen nicht gelang ihre demokratische Gesinnung in den Köpfen der Mehrheit zu verankern. In der Folge der Wirtschaftskrise entschieden sich dann immer mehr Deutsche mit bekannten Folgen für die Politik der NSDAP.
      In der nachträglichen historischen Betrachtung ergibt sich, dass auch die politische Mitte – allen voran die SPD – mit Fehleinschätzungen, Versäumnissen und verfehlten Zugeständnissen an die alten Eliten in der Anfangsphase der Weimarer Republik, die Demokratie auf tönerne Füße stellte.
      Quelle: der Freitag
    5. Nichts sehen, nichts hören, viel sagen
      Pegida ist eines der bisher wenigen Politphänomene in Deutschland, die Online wie Offline funktionieren. Zum Zeitpunkt des “9. Abendspaziergangs” in Dresden am 15. Dezember mit rund 15.000 Teilnehmern hatte die Facebook-Seite mehr als 50.000 Fans, sie wächst derzeit täglich um rund 10.000 Anhänger und hat erstaunlich hohe Interaktionsraten.
      Mit den sozialen Medien ist eine neue Beobachtungsperspektive entstanden. Es lassen sich Gespräche, Kommentare, Meinungen nachvollziehen, die zuvor zwischen Kantinen, Stammtischen und Hausfluren undokumentiert verhallten. Obwohl inzwischen fast 30 Millionen Personen in Deutschland auf Facebook aktiv sind, ergibt sich natürlich nicht automatisch ein repräsentatives Bild. Aber es lassen sich wiederkehrende Denkmuster erkennen. Das ist hier auch notwendig, denn durch Politik und Medien zieht sich ein verzerrtes Bild von Pegida.
      Der zuverlässig wirr redende SPD-Innenminister Ralf Jäger erklärte zum Beispiel, die Organisatoren seien “Neonazis in Nadelstreifen”. Der Kopf von Pegida, der gelernte Koch Lutz Bachmann, ist vor einer Haftstrafe nach Südafrika geflohen, saß wegen Einbruch zwei Jahre im Gefängnis und verbüßt aktuell eine Bewährungsstrafe wegen eines Drogendelikts. Weniger Nadelstreifen geht gar nicht. Weil sich aber die Quatsch-Alliteration so geschmeidig anhört wie ein Bestsellerbuchtitel, hat die Wendung “Neonazis in Nadelstreifen” sogar international Karriere gemacht, der “Guardian” schrieb in nochmaliger, noch falscherer Verdichtung über “pinstriped nazis”.
      Quelle: Spiegel Online
    6. Byung-Chul Han: Psychologie von Pegida – Sehnsucht nach dem Feind
      Viele sind heute von diffusen Ängsten geplagt, Angst zu versagen, Angst zu scheitern, Angst, abgehängt zu werden, Angst, einen Fehler zu machen oder eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Wir leben längst in einer Gesellschaft der Angst. Viele haben Angst, den eigenen Ansprüchen nicht genügen zu können. Sie befinden sich in einem Dauerzwist mit sich selbst. Sie beschuldigen aber nur sich selbst für ihr Versagen. Sie schämen sich für die eigene Unzulänglichkeit. Diese Angst ist keine Angst vor dem bedrohlichen Anderen, vor dem Feind oder vor dem Fremden, sondern Angst um sich. … Aus Menschen, die sich selbst beschuldigen und sich schämen für ihr Versagen, lässt sich keine Protestmasse formen, die die Gesellschaft, das System infrage stellen würde. Der Andere als Feind entlastet auch das neoliberale Leistungssubjekt, das den Feind bei sich selbst ausmacht und mit sich selbst Krieg führt. … Aus der lähmenden Angst, abgehängt zu werden oder nicht mehr dazuzugehören, befreien sich Menschen, indem sie einen imaginären Feind konstruieren. Pegida – “Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes” – eröffnet einen solchen imaginären Raum, in dem die Angst, die jeder für sich oder um sich hat, externalisiert wird und mit einem anderen Objekt, hier mit dem Islam, besetzt wird.
      Die externalisierte Angst entlastet die Seele. Das Objekt der Angst ist nun benenn- und bekämpfbar, selbst wenn es im Imaginären situiert ist. Vermittels des imaginären Feindes erlangen Menschen wieder den Zutritt ins System. Über das Imaginäre finden sie ins System zurück, von dem sie sich abgehängt fühlen. Der Ausschluss des imaginären Fremden befreit sie von dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Er erzwingt das Gefühl der Zugehörigkeit ins System. Auffallend für die Beteiligten ist, dass sie schweigend marschieren. Sie formulieren keine Ziele, stellen keine konkreten Forderungen auf. Sie weigern sich zu reden. Der Grund ist offenbar: Sie wollen sich nicht aus dem imaginären Raum hinausdrängen lassen.
      Quelle: SZ
  7. Gregor Gysi: Ängste ernst und Verantwortung wahrnehmen
    Die Ängste der Menschen nehmen in unserem Land zu – und artikulieren sich immer mehr rechts. Das müssen wir ernst nehmen, diese Bürgerinnen und Bürger dürfen wir nicht aufgeben. Gründe für diese Ängste sind vielfältig: soziale und finanzielle Unsicherheit, fehlende Strukturen, fehlendes Bemühen um Lösung internationaler Krisen – in Deutschland, Europa, weltweit.
    Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich zu dem Bericht über die Folter der CIA in Gefängnissen überhaupt nicht geäußert. Warum nicht? Geben Sie dieses Duckmäusertum auf! — Der Vorteil der EU ist, dass Staaten miteinander so verflochten sind, dass Kriege unvorstellbar sind. Das müssen wir auch in den Beziehungen zu Russland hinbekommen. Die Sanktionen sind ein großer Fehler. Wir brauchen Frieden, wir brauchen die EU und wir brauchen den sozialen Ausgleich – in Deutschland und Europa.
    Quelle: Linksfraktion via YouTube
  8. Russland / Ukraine-Konflikt
    1. Putin: Westen will Russland an den Rand drängen
      Der Kreml-Chef wirft dem Westen vor, die russische Souveränität verletzen zu wollen. Er räumt ein, dass die Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts mitschuldig an der Wirtschaftskrise seines Landes seien.
      Der russische Präsident Wladimir Putin hat bei seiner Jahrespressekonferenz am Donnerstag gegen den Westen ausgeteilt. Er warf ihm vor, die russische Souveränität verletzen zu wollen. Putin sagte in Moskau, die Sanktionen gegen sein Land wegen des Ukraine-Konflikts seien mitschuldig an der Wirtschaftskrise. Ein wesentlicher Faktor sei aber das Versagen der Nation gewesen, ihre starke Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten zu verringern. Er rechne damit, dass sich die Wirtschaft in etwa zwei Jahren wieder erholt habe.
      Ukraine-Krise nur ein Vorwand
      Die Ukraine-Krise sei nur ein Vorwand für westliches Vorgehen gewesen, sagte Putin weiter. Der Grund für das Handeln des Westens sei nicht die Halbinsel Krim gewesen, die Russland im März von der Ukraine annektiert hatte. “Das Problem ist nicht die Krim, das Problem ist, dass wir unsere Souveränität und unser Existenzrecht beschützen”, sagte er. Die Sanktionen der EU und der USA seien Teil einer historischen Kampagne, um Russland zu schwächen, sagte Putin. “Manchmal denke ich, vielleicht werden sie den Bär im Wald Beeren und Honig essen lassen, vielleicht werden sie ihn in Ruhe lassen”, sagte Putin unter Verweis auf das berühmte Symbol seines Landes. Aber sie würden dies nicht tun. “Weil sie immer versuchen werden, ihn an eine Kette zu hängen, und sobald sie dabei Erfolg haben, reißen sie seine Fangzähne und seine Klauen aus.” Putin erklärte, dass er damit die russischen Atomwaffen meine. “Sobald sie seine Klauen und seine Fangzähne herausgenommen haben, ist der Bär nicht mehr länger nötig. Er wird zu einem Stofftier werden», fügte der Präsident hinzu.
      Trotz seiner scharfen antiwestlichen Rhetorik äußerte Putin Unterstützung für eine politische Lösung des Krise in der Ukraine, wo prorussische Aufständische im Osten seit April gegen ukrainische Regierungssoldaten kämpfen. Dabei kamen bisher 4700 Menschen ums Leben. Die Ukraine müsse eine politische Einheit bleiben, sagte Putin. Zudem rief er die ukrainische Regierung und die prorussischen Separatisten auf, vor Weihnachten einen Gefangenenaustausch durchzuführen. Putin drängte die ukrainische Regierung, die Bedingungen aus dem im September erzielten Friedensabkommen zu erfüllen. Den Rebellen müsse Amnestie gewährt werden. Zudem müssten den Einwohnern im Osten des Landes umfassende Rechte zugestanden werden.
      Quelle: phoenix
    2. Günstlingswirtschaft in der Ukraine: Die Macht der Oligarchen
      Dubiose Firmenübernahmen, fragwürdige Karrieren, fehlende Reformen in wichtigen Bereichen: Die Zustände in der Ukraine sind auch unter der neuen Regierung weit entfernt vom Idealzustand. Und Nutznießer sind meist die Oligarchen.
      Die Ukraine hätte neue Finanzhilfen aus dem Westen “schon gestern” gebraucht, sagte Premierminister Arseni Jazenjuk dieser Tage. In der EU aber wachsen die Zweifel daran, ob die bereits gezahlten Hilfen überhaupt dort ankommen, wo sie hingehören. (..)
      Vor allem aber erlebt die Ukraine derzeit eine ganze Kette höchst dubioser Firmenübernahmen, die ohne Korruption kaum möglich wären. Traditionell läuft das über eine käufliche Justiz und korrupte Behördenleiter, die verkaufsunwillige Unternehmer drangsalieren. Darüber hinaus kommen aber jetzt auch die Privatbataillone der Oligarchen zum Einsatz, die eigentlich für den Krieg im Osten gebildet wurden, sagt Andri Semiritschko vom Verein “Geschäftsleute gegen räuberische Übernahmen”. Oligarchen rissen sich derzeit um die Überbleibsel aus dem Firmenimperium rund um den nach Russland geflohenen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch und verklärten ihre Raubzüge als Fortführung der Revolution. “Das ist jetzt ganz modern, von Patriotismus zu reden”, sagt Semiritschko, “und revolutionäre Losungen zu verkünden wie ‘Wir holen nur zurück, was diese Verbrecher gestohlen haben.'”
      Ein Name taucht bei diesen Vorgängen immer wieder auf, der des Dnjepopetrowsker Oligarchen Igor Kolomojski. Milliardär Kolomojski ist als Hauptfinanzier des Kriegs im Osten und wichtigster Verbündeter der neuen Regierung außerhalb Kiews. Viele unterstellen den pro-westlichen Parteien im Kiewer Parlament, selbst Vehikel von Oligarchen wie Kolomojski zu sein wie auch die einzige Oppositionspartei “Block der Oppositon”.
      Politologin Podgornaja glaubt, nur jeder zehnte Abgeordnete sei wirklich ausschließlich seinem Gewissen verpflichtet. Und: “Auch unser Präsident gehört zur oligarchischen Klasse. Diese Leute wollen keine Änderungen.” Auch westliche Experten kommen zu interessanten Schlussfolgerungen. Dass nämlich echte Reformen gerade dort nicht stattfinden, wo sie die Oligarchen betreffen. Im Bereich Energie, bei den Steuern – die großen Konzerne zahlen keine.
      Überall da, wo die Großaktionäre bereit stehen, die Oligarchen, finden Änderungen nicht statt. Auf Staatspräsident und Milliardär Poroschenko wird derweil die Gründung des neuen Informationsministeriums zurückgeführt, das angeblich gegen russische Propaganda vorgehen soll, selbst von Wohlmeinenden hingegen als potenzielle Zensurbehörde kritisiert wird. Dabei kontrollieren Poroschenko und seine Oligarchen-Kollegen schon jetzt alle wesentlichen ukrainischen Medienkanäle, was auch dazu führt, dass eine kritische Diskussion der hier beschriebenen Zustände im Land selbst kaum noch stattfindet
      Quelle: Tagesschau
    3. Putins Pressekonferenz: „Wir schützen unser Recht auf Existenz“
      In seiner großen Pressekonferenz zum Jahresende in Moskau verteidigt der russische Präsident Wladimir Putin abermals die Krim-Annexion und das Vorgehen im Ukraine-Konflikt. Dem Westen unterstellt er, neue Mauern zu bauen.
      Quelle: FAZ
    4. Interview: Russischer Wirtschaftsminister gibt Russland die Schuld an der Krise
      Ausländische Spekulanten seien für den Rubel-Crash verantwortlich: Das sagt Wladimir Putin. Sein Wirtschaftsminister widerspricht – und erklärt öffentlich seine Sicht der Dinge.
      Russlands Wirtschaftsminister hat den Kurs der eigenen Regierung scharf angegriffen. Mit Blick auf die Turbulenzen in der russischen Wirtschaft sagte Alexej Uljukajew: “Wir haben diesen Sturm selbst verursacht.” In einem Interview mit Tageszeitung “Wedomosti”, einem Schwesterblatt der britischen “Financial Times”, machte Uljukajew verschleppte Reformen für die Wirtschaftskrise verantwortlich – und “alles, was wir nicht getan haben”.
      Uljukajews Interpretation unterscheidet sich deutlich von der Art und Weise, wie die russische Führung bislang die wirtschaftliche Lage kommentiert hatte: Ausländische Spekulanten seien für den Rubel-Absturz verantwortlich, hatte Präsident Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation Anfang Dezember behauptet – und wiederholte diese Argumentation am Donnerstag vor rund 1200 Journalisten.
      Auch ohne die Krim-Krise hätte der Westen früher oder später einen Vorwand gefunden, um “Russlands wachsende Möglichkeiten” zu beschränken, so Putin weiter. Hinter dem Verfall des Ölpreises, von dem die russische Wirtschaft stark abhängt, wittern viele Hardliner eine “Spezialoperation westlicher Geheimdienste”, wie die Tageszeitung “Iswestija” schreibt.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung JW: Aha, der Wirtschaftsweise meint also, Reformen wären das Mittel der Wahl.. Na wenn das mal kein Zufall ist.

  9. Junckers Investitionspaket
    Langsam wachsen die Zweifel am geplanten Investitionspaket von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Nicht nur DIE LINKE, sondern auch immer mehr Ökonomen misstrauen den Versprechungen der EU-Kommission. Die Tageszeitung Neues Deutschland berichtet in ihrer Ausgabe vom 18.12.2014 über die Kritik am Investitionspaket.
    “[…] Dass wieder mehr investiert werden muss, darüber ist man sich überall einig. Im Vergleich zum Boomjahr 2007 waren die Gesamtinvestitionen im zweiten Quartal 2014 um rund 15 Prozent niedriger, schätzt die EU-Kommission. Dies entspricht einer Lücke von rund 430 Milliarden Euro. Der Europaabgeordnete Fabio De Masi (LINKE) beziffert die jährliche Investitionslücke sogar auf etwa 800 Milliarden Euro.
    […] Deswegen stammen nur 21 der angepeilten 315 Milliarden Euro des Investitionsfonds aus EU-Mitteln. Fünf Milliarden Euro steuert die Europäische Investitionsbank (EIB) bei, 16 Milliarden Euro kommen aus dem EU-Haushalt. »Das ist kein Cent frisches öffentliches Geld«, kritisiert der Europaabgeordnete De Masi. Junckers Idee, wie daraus eine dreistellige Milliardensumme werden soll, hält der Wirtschaftspolitiker für »Voodoo-Ökonomie«. Schließlich dienen die 21 Milliarden Euro der EU lediglich als Garantien für einen Fonds, der privates Kapital anlocken soll, mit dem dann die Investitionen getätigt werden. »Damit verbrennt Juncker höchstens Geld, weil Investitionen in die Infrastruktur private Renditehaie befriedigen müssen«, so De Masi.
    Quelle: Fabio De Masi
  10. Korruption und Mafia: Renzi mit Samthandschuhen
    Vor zwei Wochen ist in der italienischen Hauptstadt ein schockierender Korruptionsskandal aufgeflogen. Seither vergeht kein Tag, an dem die Öffentlichkeit nicht neue haarsträubende Details über die Machenschaften der «Mafia Capitale» erfährt. Die Gruppe um den früheren rechtsextremen Terroristen Massimo Carminati hatte hinter den Kulissen in Rom offenbar über ein Jahrzehnt lang die Fäden gezogen. «Mafia Capitale» bestach einflussreiche Politiker und Beamte und verschaffte befreundeten Firmen und Organisationen dadurch lukrative Aufträge zum Beispiel im Bereich der Abfallentsorgung oder der Unterbringung von Flüchtlingen. Nicht selten wurde auch kassiert, ohne dass entsprechende Leistungen erbracht wurden. Der 56-jährige Carminati und 36 weitere Personen wurden am 2. Dezember verhaftet. Gegen Dutzende weitere wird ermittelt. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht vor allem der frühere rechtskonservative Bürgermeister Roms, Gianni Alemanno, unter dem die Mafia 2008 bis 2013 freie Hand gehabt zu haben scheint. Die Ermittler haben warnend darauf hingewiesen, dass man erst am Anfang einer langen Untersuchung stehe. Die römische Mafia agierte zwar weitgehend unabhängig von den bekannten süditalienischen Clans. Ende letzter Woche wurde aber bekannt, dass es Berührungspunkte zwischen Carminati und der ‘Ndrangheta gab. Letztere soll der Römer Organisation Schutz bei kriminellen Aktivitäten im Geschäft mit Flüchtlingen zugesagt haben. Im Gegenzug wurde ihr das «Management» eines Marktes in der Hauptstadt überlassen.
    Carminati etwa genoss in Rom nicht nur die Unterstützung des rechtskonservativen Bürgermeisters, sondern hatte Politiker aus allen politischen Lagern gekauft. In einem abgehörten Telefonat soll er geprahlt haben, dass öffentliche Aufträge seiner Organisation heute mehr Geld einbrächten als die traditionellen Geschäfte der Unterwelt. Ein grosses Problem ist, dass korrupte Politiker wegen der kurzen Verjährungsfristen in Italien kaum je bestraft werden. Der frühere Ministerpräsident Berlusconi hat in einer Gesetzrevision 2005 die Fristen deutlich heruntergesetzt; sie sind heute maximal so lang wie die Höchststrafe für die eingeklagte Straftat. Fälle von Korruption werden aber oft erst nach Jahren entdeckt, und Verfahren über mehrere Stufen ziehen sich jahrelang dahin. Zehntausende von Korruptionsverfahren werden jedes Jahr eingestellt, bevor es zu einer Verurteilung kommt. – Laut der Wirtschaftszeitung «Il Sole 24 Ore» kostet die Korruption Italien jedes Jahr rund 60 Milliarden Euro. Die EU und die OECD haben Rom wiederholt aufgefordert, die Strafverfolgung effektiver zu machen. Das Thema ist in politischen Kreisen jedoch umstritten; es stand deshalb auch nicht auf Renzis Reformagenda. Die Welle öffentlicher Empörung hat den Regierungschef nun zum Handeln gezwungen. An eine grundsätzliche Neuregelung der Verjährungsfristen wird Renzi sich aber nicht heranwagen, denn dafür bekäme er mit seiner knappen Mehrheit im Parlament kaum die nötige Unterstützung.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Anscheinend ist es sehr viel einfacher, unter Beifall der Opposition und der Arbeitgeberverbände über den sogenannten “Job Act” (die USA lassen grüßen) den Arbeitsmarkt zu “reformieren” als die unter Berlusconi verkürzten Verjährungsfristen für Wirtschaftskriminelle aufzuheben. Renzi meint dazu, ohne Berlusconi ginge halt nichts in der römischen Politik. Renzi hat vor allem die Reform des Senats und die Wahlrechtsreform vor Augen, die quasi die zweite Kammer, den Senat, zur Bedeutungslosigkeit degradiert und die Sperrklausel für Parteien von vier auf acht Prozent erhöht. Künftig soll diejenige Partei mithilfe einer “Siegerprämie” die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten, die mit mehr als 40 Prozent der Stimmen die Wahl gewonnen hat. Sowohl Renzi und Berlusconi wie auch Grillo Künftig wollen künftig diejenige Partei mithilfe einer “Siegerprämie” die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten, die mit mehr als 40 Prozent der Stimmen die Wahl gewonnen hat. Das dürfte ganz den Wünschen den herrschaftlich auftretenden Protagonisten der Politischen Szen Italiens dienen, endlich einmal durchregieren zu können.

    Selbst wenn diese Herren dies könnten, würde allerdings sehr schnell klar werden, dass sie kein Konzept haben, um Italiens Wirtschaft auf Wachstumskurs zu bringen. Neoliberale Strukturpolitik kann überhaupt nichts daran ändern, dass in Italien pro Tag tausend Unternehmen den Konkurs anmelden und die industrielle Basis des Landes weg bricht. Das müsste eigentlich auch Giorgio Squinzi, Präsident des Arbeitgeber- und Industrieverbandes Confindustria, wissen, der dies im Mai verkündete. Inzwischen ist die italienische Wirtschaftsleistung ist auf den tiefsten Stand seit 14 Jahren gesunken. Die Arbeitslosenrate stieg auf fast 13 Prozent. Die geplante Minderung des Kündigungsschutzes hat auf die Bewältigung dieses Desasters nicht den geringsten Einfuß.

  11. Wie CETA Standards abbaut, bevor es in Kraft tritt
    EU-Kommission und kanadische Regierung betonen unablässig: Mit dem EU-Kanada-Abkommen CETA würden Umweltstandards nicht gesenkt. Sollte das Abkommen irgendwann tatsächlich in Kraft treten, ist das aber vielleicht auch gar nicht mehr nötig. Denn schon vor dem Inkrafttreten schleift CETA Umweltregularien. Wie kann das sein?
    Wie die taz berichtete, hat die EU-Kommission sich darauf verständigt, Öl aus kanadischen Teersanden nicht anders zu behandeln als das aus anderen Quellen. Dabei sind Teersande eine unkonventionelle Form von Erdöl-Vorkommen. Das Öl sprudelt nicht einfach so aus dem Boden, sondern liegt als sogenanntes Bitumen vor, eine zähflüssige, dunkle und übel riechende Masse, die überdies noch mit Sand, Ton und Schlick vermischt ist.
    Quelle: Politik im Spiegel
  12. Edathy beschuldigt Ex-BKA-Chef Ziercke
    Der frühere SPD-Politiker erhebt schwere Vorwürfe gegen den einstigen BKA-Präsidenten. Er soll einen Weggefährten über die Kinderporno-Ermittlungen informiert haben.
    (..) Auch dem heutigen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann machte er Vorwürfe. Dieser habe versucht, ihn zum Verzicht auf sein Bundestagsmandat zu bewegen. Dafür habe er den Innenpolitiker Hartmann benutzt, der laut Edathys Darstellung über die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn informiert war. Er sollte ihn demnach zum Rückzug bewegen. “Thomas Oppermann wusste sehr wohl, dass Michael Hartmann im Bilde war”, sagte Edathy. “Er wollte ihn instrumentalisieren, um mich zur Aufgabe meines Bundestagsmandates zu bewegen.” Es habe eine entsprechende Ansprache gegeben.
    Quelle: Zeit
  13. CIA-Praktiken: Generalbundesanwalt will ungeschwärzten Folterbericht anfordern
    Generalbundesanwalt Range will die ungekürzte Version des US-Senatsberichts über die CIA-Folter sehen – und ein mögliches Ermittlungsverfahren prüfen. Zuvor hatte Linken-Fraktionschef Gysi Strafanzeige gestellt.
    Quelle: Spiegel Online
  14. Drohnenkrieg in Afghanistan: Zu Taliban umdeklariert
    Der Lebensmittelstand ist völlig zerstört. Daneben liegen zerfetze Körperteile des Besitzers, des 21-jährigen Sadiq Rahim Jan. Das Leben des jungen Afghanen nahm im Juli 2012 durch einen Drohnenangriff ein jähes Ende.
    Seine Familie verlor nicht nur ihren Hauptversorger – Sadiq kümmerte sich um seine Eltern wie um seine drei Geschwister, sondern musste auch erleben, wie er von mehreren afghanischen Medien posthum zum „Taliban-Kommandeur“ erklärt wurde.
    Sadiq Rahim Jan führte den einzigen Lebensmittelstand im Ort Gardda Zarrai in der ostafghanischen Provinz Paktia. Viele dort kannten ihn, vor allem Kinder, denen er gern Süßigkeiten zusteckte.
    Warum er zum Ziel eines Drohnen-Piloten wurde, der vielleicht im amerikanischen Langley oder im deutschen Ramstein saß, weiß niemand. In Gardda Zarrai gab es an jenem Tag nur einen Drohnenangriff und ein einziges Opfer.
    Quelle: taz
  15. Gehaltsrunde für Erzieher: Schlecht bezahlt, gut gefordert
    Deutschlands Erzieher wollen mehr Geld und Ansehen. Sie fordern durchschnittlich zehn Prozent mehr Lohn. Die Kommunen halten das für ungerechtfertigt. Aber was sollten die Fachkräfte verdienen? Und was ist uns die Betreuung unserer Kinder wert?
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Der Kostenpunkt dieser m. E. immer noch viel zu niedrigen Lohnerhöhung läge bei unter 1 Milliarde Euro im Jahr; darüber wird jetzt die ganzen nächsten Monate verhandelt und gestreikt werden. Gleichzeitig verzichtet Schäuble gestern mit einem Federstrich freiwillig und ohne Not auf mindestens 5 Milliarden Euro Mehreinnahmen aus einer reformierten Erbschaftsteuer, die auch Unternehmensübergänge angemessener belasten würde, mal ganz abgesehen von dem Verzicht auf eine angemessene Besteuerung von Unternehmensgewinnen und der konsequenten Verfolgung von Steuertricks und -hinterziehung von Unternehmen und Privatpersonen. Die Zusammenhänge sind ganz einfach und die Politik gewollt.

  16. Größeres Finanzierungsdefizit der Kommunen im 1. bis 3. Quartal 2014
    Die Kern- und Extrahaushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände in Deutschland (ohne Stadtstaaten) wiesen in den ersten drei Quartalen 2014 in der Abgrenzung der Finanzstatistik ein Defizit in Höhe von 2,6 Milliarden Euro aus. Das aktuelle Defizit überstieg somit das Defizit des ersten bis dritten Quartals 2013 um 1,5 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt
    (Destatis) weiter mitteilt, haben die Gemeinden und Gemeindeverbände mit 156,5 Milliarden Euro in den ersten drei Quartalen 2014 rund 5,7 % oder 8,4 Milliarden Euro mehr ausgegeben als im Vorjahreszeitraum. Diesen Ausgaben standen Einnahmen in Höhe von 153,9 Milliarden Euro gegenüber, das waren 4,7 % oder 6,9 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr.
    Quelle: PRESSEMITTEILUNG des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) Nr. 459 vom 17.12.2014
  17. Urteil zur Erbschaftssteuer: Eine Steuer nur für Dumme
    Die Erbschaftssteuer muss nach dem Karlsruher Urteil gerechter gestaltet werden. Das bedeutet nicht den Untergang für Familienbetriebe. Ein großes Vermögen allein oder der Erhalt einer Dynastie kann eine Steuerbefreiung nicht rechtfertigen. […]
    Das gibt Anlass für ganz große Fragen, die nun die große Koalition bewegen dürften: Ist das Vermögen in Deutschland gerecht verteilt? Muss unverdienter Reichtum nicht höher besteuert werden? Was tun gegen das Auseinanderdriften von Arm und Reich, gegen die offenbar größer werdende Kluft in der Gesellschaft? Ist das noch ein sozialer Rechtsstaat? [….]
    Auf eben den Gleichheitssatz hat sich die Senatsmehrheit gestützt; sie wollte ausdrücklich nicht auf das Sozialstaatsprinzip und politische Erwägungen zurückgreifen. Natürlich geht es um zentrale Fragen der Gerechtigkeit. So sind allein im Jahr 2012 Befreiungsmöglichkeiten in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro in Anspruch genommen worden. Gleichzeitig nahm der Staat nur gut ein Zehntel dieser Summe durch die Erbschaftssteuer ein.
    Die große Koalition kann nun an den bemängelten Stellen herumbasteln – was sie schon angekündigt hat – oder ein ganz neues Konzept entwerfen. Immerhin fordern traditionell nicht nur Sozialisten, sondern durchaus auch Liberale eher eine wirksame, breite Besteuerung von Erbschaften und zum Ausgleich eine niedrige Besteuerung von Einkommen. Denn das beruht auf eigener Leistung – in einer freien Marktwirtschaft kein schlechtes Argument. Deshalb ist in Amerika, wo Steuern generell eher als Teufelszeug gelten, die Erbschaftssteuer vergleichsweise hoch.
    Bedeutet nun eine gleichheitsgerechte Besteuerung von Familienunternehmen deren Untergang? Wohl kaum. Dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums war es 2012 nicht möglich, auch nur einen einzigen Fall zu benennen, in dem ein Betrieb aufgrund der Erbschaftssteuer aufgegeben oder zahlungsunfähig wurde. Entscheidend muss in der Tat der Erhalt von Arbeitsplätzen sein.
    Ein großes Vermögen allein oder der Erhalt einer Dynastie kann eine Steuerbefreiung nicht rechtfertigen. Der Kampf gegen eine Konzentration von Kapital ist freilich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts – das passt aber in das Bild, das die Politik sich von Karlsruhe macht: Das Gericht als dem politischen Klein-Klein enthobener Weihnachtsmann, der weise mahnt und Geschenke verteilt. Aber der kommt nur einmal im Jahr. Die Politik aber sollte ständig darauf achten, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet.
    Quelle: FAZ
  18. Die goldene Lohnregel reicht nicht mehr
    Alle beklagen sich über die zunehmend einseitige Einkommensverteilung und alle reden über das Problem der Verschuldung. Doch (fast) niemand erkennt den Zusammenhang und benennt die Täter: Die Unternehmen verteilen ihre Wertschöpfung so einseitig, dass Angebot und Nachfrage nur in Übereinstimmung gebracht werden können, wenn laufend Konsum mit Krediten finanziert wird. Das hält ein Finanzsystem nicht lange aus. Die Unternehmen müssen deshalb endlich die volkswirtschaftliche Verantwortung für ihre Verteilungspolitik wahrnehmen – oder dazu gezwungen werden. Ein erster Schritt dazu wäre die Offenlegung der Verteilung auf Ebene der Unternehmen.
    Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird immer zweimal beansprucht – physisch und rechtlich. Am Ende jeder Periode ist immer das ganze BIP physisch verwendet worden, nämlich entweder konsumiert oder investiert worden. Parallel dazu haben alle Wirtschaftssubjekte (in Geld denominierte) rechtliche Ansprüche auf Teile des BIP erworben. Übertrifft bei einem Wirtschaftssubjekt der rechtliche Anspruch die physische Beanspruchung, bleibt am Ende der Periode ein Gutschein für künftigen Konsum dieses Wirtschaftssubjekts. Im umgekehrten Falle bleibt eine rechtliche Verpflichtung, später auf Konsum zu verzichten. In der Summe über alle Wirtschaftssubjekte entspricht die physische Beanspruchung der rechtlichen und umgekehrt.
    Quelle: flassbeck-economics.de
  19. Marcuse für Dummies
    Ich suchte nach einem Zitat von Marcuse. Eines mit Freiheit, das ein »mächtiges Herrschaftsinstrument« sei oder so ähnlich. Also blätterte ich seit langem mal wieder im »eindimensionalen Menschen« herum. Dort glaubte ich es vor Jahren gelesen zu haben. Auf Anhieb fand ich es nicht. Was ich aber fand, das waren ganze Passagen, die wie aus der heutigen Zeit geschnitten schienen. Es war, als hätte ich die Zustandsbeschreibung der heutigen Bundesrepublik vor mir ausgebreitet. Geschrieben von einem, der schon vor langer Zeit starb.
    Es ging darum, dass der »Kampf gegen die Befreiung« mit materieller Bedürfnisbefriedigung erstickt wird; dass die Medien die Menschen für »langjährig präparierte Empfänger« von Losungen und Parolen halten, die gar nicht mehr objektiv zwischen »dem Gegebenen und dem Möglichen« unterscheiden könnten, weil medial eine »Einebnung des Gegensatzes (oder Konflikts)« stattfinde. Alternativlosigkeit nennt man das heute. Das wiederum führe zur klassenlosen Gesellschaft, die natürlich nicht wirklich die Aufhebung der Klassen bedeute, sondern lediglich darauf hindeute, dass »die unterworfene Bevölkerung [nur soweit] an den Bedürfnissen und Befriedigungen teil hat, [dass sie zur] Erhaltung des Bestehenden« dient. Alles würde zur Warenwelt, in der sich die Menschen wiedererkennen würden und »unter diesem repressiven Ganzen, lässt Freiheit sich in ein mächtiges Herrschaftsinstrument verwandeln«. Da war es ja, das gesuchte Zitat. Bei diesem letzten Satz dachte ich an den Bundespräsidenten, dem Prediger einer Freiheit, die man nur als repressives Mittel verstehen kann.
    Quelle: Neues Deutschland


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