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Titel: Streiken macht sich bezahlt
Datum: 5. Dezember 2014 um 11:52 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Gewerkschaften, Neoliberalismus und Monetarismus
Verantwortlich: Jens Berger
Kaum nutzen die Lokführer und die Piloten mal ihr Streikrecht, schon ist Deutschland in heller Aufregung. „Wird Deutschland zum Streikland?“ fragt die ARD und liefert die Antwort gleich tendenziös mit. Um das zaghafte Aufflammen des Kampfwillens der Arbeitnehmer im Keim zu ersticken, bastelt die Bundesregierung derweil bereits am „Tarifeinheitsgesetz“. Wenn man sich jedoch einmal die Zahlen anschaut, stellt man schnell fest, dass in kaum einem anderen Industrieland so wenig gestreikt wird, wie in Deutschland. Und dies ist volkswirtschaftlich kein Segen, sondern ein Fluch. Von Jens Berger
Deutschland ist kein Streikland und war dies auch nie. Ein Blick auf die Zahlen zeigt jedoch auch, dass die Streiklust der deutschen Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten stark rückläufig ist. Die letzten wirklich großen Streiks fanden Mitte der 1980er statt, als die IG Metall für die 35-Stunden-Woche streikte. Doch selbst in den streikfreudigeren 1970ern und 1980ern belegte Deutschland im internationalen Vergleich einen der letzten Plätze – nur die japanischen Arbeitnehmer waren in den 1980ern noch friedlicher als ihre deutschen Kollegen.
Die vergleichsweise geringer Streiklust der deutschen Arbeitnehmer in diesen Jahren lässt sich jedoch auch mit der damals durchaus funktionierenden Tarifpartnerschaft und dem, im Vergleich zu heute geradezu arbeitnehmerfreundlichen politischen Umfeld erklären. Wenn man seine Ziele auch ohne Streiks erreicht – umso besser. Dieser ungeschriebene Pakt wurde jedoch in den 1990ern von Seiten der Arbeitgeber und der Politik aufgekündigt. Nullrunden, Agenda 2010, Leiharbeit, Outsourcing, Arbeitsverdichtung … all dies wären eigentlich Gründe genug, um auf die Straße zu gehen. Doch anstatt für die eigenen Rechte zu kämpfen, nahm die Streiklust der deutschen Arbeitnehmer in diesen Jahren sogar ab. Und dieser Trend setzt sich bis heute fort.
Damit steht Deutschland übrigens nicht alleine. In allen beobachteten Ländern – mit Ausnahme von Frankreich, wo politische Streiks den Trend in den letzten Jahren brechen – ging die Streiklust der Arbeitnehmer seit den 1970ern massiv zurück. Der zeitliche Zusammenhang mit dem globalen Siegeszug des Neoliberalismus ist offensichtlich und weit mehr als eine Koinzidenz. Dazu lohnt ein Blick auf Großbritannien. Nachdem Margareth Thatcher ihren politischen Kampf gegen die streikenden Bergarbeiter 1985 gewinnen konnte, ging die Streiklust der Briten massiv zurück. Thatcher brach den Gewerkschaften das Rückgrat, der Neoliberalismus konnte seinen Siegeszug fortsetzen. Seitdem haben die Gewerkschaften in allen Industrieländern offenbar ihre Kampfeslust verloren.
Es gibt jedoch nach wie vor sehr große Unterschiede bei der Streiklust der Arbeitnehmer. Nicht die in diesem Kontext immer gerne genannten Länder Italien, Spanien und Frankreich, sondern Länder wie Finnland, Dänemark und Kanada sind es, die sich auch im letzten Jahrzehnt durch vergleichsweise hohe Streikbereitschaft auszeichneten. Und ist kein Zufall, dass gerade in diesen Ländern auch die höchsten Reallohnsteigerungen beobachtet werden konnten. Während die Reallöhne in streikfaulen Staaten wie Japan oder Deutschland kaum von der Stelle kommen, konnten streikfreudigere Volkswirtschaften auch hohe Reallohnsteigerungen verbuchen. Streiken macht sich also nach wie vor bezahlt und ist volkswirtschaftlich sinnvoll.
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