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Titel: 25 Jahre Mauerfall – Einige Anregungen zum Nachdenken
Datum: 11. November 2014 um 9:59 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Ökonomie, Banken, Börse, Spekulation, Gedenktage/Jahrestage
Verantwortlich: Jens Berger
Angesichts des oft selbstgerechten Tonfalls in den Jubelfeiern des 25. Jahrestages des Mauerfalls, einige Anregungen zum Nachdenken, die zeigen, dass viele, die die persönliche politische Freiheit der Menschen in der DDR angeblich so am Herzen lag ganz, ganz anderes im Sinn hatten. Von JK.
Die folgenden Beiträge verweisen darauf, wie brutal nach der Wiedervereinigung vielen Menschen der ehemaligen DDR die Existenzgrundlage durch Vernichtung der industriellen Basis der nun neuen Bundesländer entzogen wurde. Und dies auch aus ideologischen Gründen, da alles daran gesetzt wurde, das einst volkseigene Vermögen zu jedem Preis zu privatisieren, um der Marktwirtschaft freien Lauf zu lassen. Der Zorn der Menschen angesichts der sich massiv verschlechternden wirtschaftlichen Situation machte sich daraufhin in den wieder auflebenden Montagsdemonstrationen Luft. Diese gingen partiell sogar so weit, dass zum Beispiel in Schwerin aufgebrachte Werftarbeiter im Februar 1991 den Landtag besetzten. Der massive Protest war nach dem bis heute unaufgeklärten Attentat auf den damaligen Treuhand-Chef Rohwedder das sofort der Linksterroristischen RAF in die Schuhe geschoben wurde, in der veröffentlichten Meinung sofort delegitimiert. Alles in allem ein Vorbild für Freiheit und Demokratie?
Vor diesen Hintergrund bedürfte gerade auch das Wirken der Treuhand sicher noch weiterer Aufarbeitung; auch hinsichtlich der Frage in wie weit es hinter Kulissen um die Durchsetzung der neoliberalen Agenda auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ging. Zwei Hauptakteure dabei: Thilo Sarrazin und der spätere Bundespräsident Horst Köhler.
Es gäbe vor dem Hintergrund des Mauerfalls und der Wiedervereinigung und der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Deutschlands in den vergangenen 25 Jahren viele Fragen zu diskutieren. Stattdessen ist es der ehemaligen DDR-Bürgerin Merkel auch unter tatkräftiger Mithilfe der Sozialdemokraten gelungen, Deutschland mit “Uns-geht-es-allen-gut-” und “Es-gibt-keine-Alternative”-Rhetorik, in einen Zustand des politischen Biedermeiers zu versetzen.
Wie es um Deutschland steht zeigt auch die Berichterstattung über den Streik der Lokführer, in der dieselben Medien, die vor 25 Jahren und jetzt die wiedergewonnene Freiheit der Menschen in der DDR frenetisch feiern, nun die Inanspruchnahme dieser Freiheitsrechte mit einer Hasskampagne ohnegleichen überziehen.
Westdeutsche Geldhäuser wie die DG Bank haben sich zu günstigsten Konditionen Banken der vergangenen DDR einverleibt, mitsamt deren Kreditforderungen gegenüber der alten sozialistischen Kundschaft in Milliardenhöhe. Es geht um Forderungen zwischen 150 und 200 Milliarden Mark, schätzen Finanzexperten.
Diese Kredite treiben die Banken nun ein oder lassen sie, noch lieber, zu marktüblichen Zinsen weiterlaufen. 150 Milliarden Mark Altschulden, zu zehn Prozent verliehen, mit sechs bis sieben Prozent refinanziert, bringen einen – im Bankenjargon – “Zinsüberschuß” von mehr als fünf Milliarden Mark im Jahr. Staatlich, vom Bundesfinanzminister garantiert, ist der Zins hier nicht Risikoprämie, sondern sicheres Bankeinkommen – wie eine Lizenz zum Gelddrucken.
Das Einigungsvertragswerk erweist sich als mangelhaft. Die Regierung Kohl hat entweder schwerwiegende Fehler gemacht. Oder sie hat mit politischem Vorsatz westdeutsche Banken so begünstigt wie die ostdeutschen Bauern und Betriebe benachteiligt.
Die Ost-Schulden hätten nicht wie West-Schulden behandelt werden dürfen. Denn Kredite im real existierenden Sozialismus hatten mit Krediten der westlichen Marktwirtschaft außer dem Namen wenig gemein. Die Kredite Ost waren Steuerungsinstrumente der Planwirtschaft Ost-Berlins.
Solange die SED herrschte, konnten die kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen ihre Schulden – zuletzt 72 Milliarden DDR-Mark – “mehr oder weniger vergessen”, so Thies Bünning, Altschuldenspezialist im Bonner Finanzministerium.
Nach der Währungsumstellung standen sie plötzlich mit 36 Milliarden Mark bei der Deutschen Kreditbank und der Berliner Stadtbank im Soll. Die hatten die Forderungen aus der DDR-Konkursmasse übernommen und verlangten nun Marktzinsen, damals über zehn Prozent.
Quelle: Spiegel (1994)
Alles muss raus: Wie die Treuhandanstalt das DDR-Volksvermögen verschleuderte. Die Abwicklung Ostdeutschlands wurde vor allem eine Abwicklung der Arbeitsplätze.
Langfristig fatal war die Tätigkeit der Treuhand auch deshalb, weil sie nicht darauf achtete, große, selbständige Unternehmen zu erhalten. Die westdeutschen Konzerne sahen keinen Anlass, in ihren ostdeutschen Ablegern Abteilungen für Forschung und Entwicklung einzurichten. Die Zerstückelung der DDR-Industrie führte dazu, dass die neuen Bundesländer bis heute als “verlängerte Werkbank” des Westens bezeichnet werden.
Einige gelungene Sanierungen hat es gegeben. Im Großen und Ganzen haben die Ostdeutschen aber das Nachsehen gehabt. Die Profiteure waren andere, dazu zählt auch die damalige Bundesregierung. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel schreibt: Die Treuhand hat als Blitzableiter funktioniert. Verzweiflung und Unmut der Menschen im Osten richteten sich gegen die Treuhand. Die Regierung, die dahinterstand, kam ungeschoren davon. Und die Wahlen im Herbst 1994 gewann abermals Kanzler Kohl.
Quelle: SZ (2010)
Wenn diese Versuche der Aufarbeitung einer düsteren Geschichte auch spät kommen, es ist besser als gar nicht. Nach meinem Eindruck liegt so viel im Dunkel, dass es dringend geboten wäre, die Vorgänge um die Abwicklung der fast 8000 Betriebe der DDR, um den Verkauf der ostdeutschen Banken an die westdeutschen Banken und um die Währungsunion vom 1.7.1990 neu aufzuarbeiten. Ein neuer Untersuchungsausschuss zur Abwicklung von Betrieben durch die Treuhand wäre dringend geboten. Den Historikern allein kann man diese Untersuchung des Raubs am Vermögen der Mehrheit der Menschen in Mittel- und Ostdeutschland nicht überlassen.
Quelle: NachDenkSeiten (2010)
In “Goldrausch” wird die Geschichte der Treuhandanstalt dokumentiert. Sie ist geprägt durch Bestechung, Betrug, Bereicherung.
Als die DDR verkauft wurde, konnte der Thyssen-Konzern alles kriegen, was er haben wollte. Daran erinnert sich Christoph Partsch, zu Beginn der neunziger Jahre Vertragsmanager bei der Treuhandanstalt. Mehr als zweihundert ostdeutsche Betriebe seien in den Besitz der Essener übergegangen. Mindestens ein Kauf endete in einem Riesenskandal. Thyssen soll, als der Konzern gemeinsam mit seinem Vertragspartner Elf Aquitaine die große Raffinerie in Leuna baute, die öffentliche Hand um Hunderte Millionen Mark Subventionen betrogen haben.
Es ist nur ein spektakulärer Fall von vielen, die der Film Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand schildert. Immer wieder geht es um Bestechung, Betrug, Bereicherung, die Gier einiger auf die schnell gemachte Million und die tiefe Angst vieler um ihre nackte Existenz. Diese Geschichte hat alles, was ein guter Wirtschaftskrimi braucht. Nur dass sie in der Realität spielte, in der am Ende Tausende Betriebe geschlossen, mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze vernichtet und Millionen ihrer Existenz beraubt waren, während die Betrüger teils straffrei ausgingen. Mehr als zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung zeichnet die Dokumentation, deren Regisseur ungenannt bleiben will, nach, wie es dazu kommen konnte.
Quelle: Zeit (2012)
Hauptproblem für Regierung und Treuhand war jedoch nunmehr, daß sich die soziale und politische Lage in den neuen Bundesländern dramatisch zuzuspitzen begann und Politiker von rechts und links nach einem Sündenbock für das sich anbahnende Desaster suchten. Nach den kohlschen Wahlversprechungen, niemandem werde es nach der Wende schlechter gehen, zeigte nun die Realität ihr Gesicht – der Arbeitsmarkt im Osten brach nahezu restlos zusammen. Die Bundesanstalt für Arbeit erwartete eine Arbeitslosenquote von dreißig bis fünfzig Prozent für die neuen Bundesländer, das sind bis zu vier Millionen Arbeitslose. Die Regierung Kohl stand vor dem Offenbarungseid.
Quelle: Wolfgang Schorlau
Otto Köhlers Standardwerk zum Thema Treuhandanstalt aus dem Jahr 1994 hat in seinen Kernaussagen nichts an Substanz verloren, doch der renommierte kritische Journalist hat seinen
Erkenntnissen heute Wichtiges hinzuzufügen: Möglich gemacht haben den Ausverkauf der DDR-Wirtschaft nicht zuletzt die Politgrößen Horst Köhler und Thilo Sarrazin, die mit der schnellen
Wirtschafts- und Währungsunion die DDR-Betriebe in die Zahlungsunfähigkeit trieben und so den Spekulanten Tür und Tor öffneten.
Otto Köhler
Die große Enteignung – Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte
ISBN 978-3-360-02127-4
352 Seiten
Verlag: Das Neue Berlin
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=23902