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Titel: Vom blauen Himmel über der Ruhr zur vergifteten Luft über NRW

Datum: 1. Juni 2007 um 8:18 Uhr
Rubrik: Drehtür Politik und Wirtschaft, Lobbyismus und politische Korruption, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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NRW das Land von Kohle und Stahl, dessen Industriegeschichte sprichwörtlich für eine geschundene Umwelt wurde, erlebt einen Strukturwandel: Vom Land der Kokereien und Hochöfen zum Land der Abfallverbrennungsanlagen. Mit 480 Anlagen zur thermischen Verbrennung gibt es in keinem anderen Land eine solche Dichte von Verbrennungsanlagen. NRW ist mit 2,4 Mio. Tonnen Abfall aus dem Ausland – darunter über 600.000 Tonnen gefährlicher Sondermüll (Daten aus dem Jahr 2005) – vom Kohleexportland zum Müllimportland aus der ganzen Welt geworden. Der Müll aus 52 Ländern von Italien bis nach Australien, das demnächst 22.000 Tonnen Hexachlorbenzol (HCB), eines der zwölf gefährlichsten Gifte nach Deutschland liefern will, wird in NRW „entsorgt“ [PDF – 120 KB].
Für die Müllentsorgungsunternehmen sind die Verbrennungsöfen „eine Lizenz zum Gelddrucken“. Und die NRW- Kommunal- und Landespolitiker von SPD und CDU haben dazu nicht nur die Lizenz erteilt, sondern teilweise auch kräftig kassiert. Wolfgang Lieb.

Zur Geschichte der wie Pilze aus dem nordrhein-westfälischen Boden schießenden Müllverbrennungsanlagen ein Bericht aus dem (auf diesem Feld keineswegs besonders kritischen) Kölner Stadt-Anzeigers aus dem Jahre 2003 unter der Überschrift „Das Netz der schmutzigen Geschäfte“:
„Das „System Trienekens“: Politfilz und Korruption waren nicht allein eine Kölner Angelegenheit. Einflussnahme gehört zum Geschäft. Das zumindest legt der gestern durch Innenminister Fritz Behrens vorgestellte Bericht der Anti-Korruptionsstelle Task Force nahe. Das Ergebnis der Untersuchung ist ein Paradebeispiel für Politfilz, Müllschiebereien, verdeckte Schmiergeldzahlungen beim Bau von Müllverbrennungsanlagen (MVA) mittels Scheinrechnungen oder Beraterverträgen. Minister Behrens nannte es „unangemessene Einflussnahme auf oder durch politisch Verantwortliche“.
Dabei war es sein verstorbener Kabinettskollege, Umweltminister Klaus Matthiesen, der die einst mittelständischen Entsorgungsfirmen in die kommunalen Abfallgesellschaften locken wollte, allen voran den Konzern des Viersener Müll-Multis Hellmut Trienekens. Tenor: Ohne das Know-how der Privaten werde man der steigenden Müllmengen nicht mehr Herr.
Flächendeckend sollten Müllverbrennungsanlagen bis zum Jahr 2005 die Deponien ersetzen. Unter den Entsorgern setzte ein Kampf um Marktanteile ein. Jeder wollte möglichst nahe ran an die kommunalen Politikspitzen in der Hoffnung auf lukrative Beteiligungen. Als in Krefeld eine MVA gebaut werden sollte, lud ein Bauunternehmer Politiker zu Jagdausflügen in die Eifel, Baumaterialien wurden nicht im MVA-Projekt verbaut, sondern in Privathäusern der Entscheidungsträger.
Vor diesem Hintergrund hob Behrens am Mittwoch insbesondere das System „Trienekens“ hervor. Wie kein Zweiter verstand es der Konzernchef, im Rheinland die mächtigen Kommunalfürsten auf seine Seite zu ziehen. In Köln etwa umgarnte er jahrelang die einst vorherrschende SPD unter deren Fraktionschef Klaus Heugel und Geschäftsführer Norbert Rüther. Wann immer die Genossen um Spenden baten; Trienekens öffnete seine Privatschatulle. Der Lohn: Der Konzern stieg Anfang der 90er Jahre in die neu gegründete Kölner Müllofenbetreibergesellschaft AVG ein. Und nun kassierte er gleich zweimal ab. Trienekens-Töchter wurden an der Planung des Baus der Müllverbrennungsanlage beteiligt. Trienekens lieferte den Abfall an und war gleichzeitig maßgeblich an der Preisgestaltung der Abfallentsorgung beteiligt. Am Ende ging auch der Millionenauftrag für die Wartung der MVA an eine Trienekens-Tochter. Das Geschäft mit den Müllöfen glich einer Lizenz zum Gelddrucken.
Die Politik versorgte Trienekens mit lukrativen Posten in seinen Unternehmen. Dabei vergaß das CDU-Mitglied auch seine Parteifreunde nicht. Der ehemalige Volksschullehrer und Kölner Ratsherr Egbert Bischoff (CDU) wurde in den Vorstand der Kölner Trienekens-Niederlassung gehievt. Geschätztes Jahreseinkommen: über 115 000 Euro. Als 1999 die CDU an die Macht kam und ein Jahr später der Teilverkauf der Kölner Müllabfuhr auf dem Plan stand, schloss die Trienekens-Gruppe üppige Beraterverträge und Honorarvereinbarungen mit CDU-Ratspolitikern.
Aus dem Erftkreis holte sich der Konzernchef den Frechener SPD-Landtagsabgeordneten Hardy Fuß in die Firmenleitung seiner Tochterfirma UTG, später Isis. Auch hier hält man die Schlüsselfelder der Müllentsorgung in der Hand. Fuß soll zudem laut Kölner Staatsanwaltschaft über Scheinrechnungen Schwarzgeld in Millionenhöhe auf die Konten der Briefkastenfirma Stenna Umwelttechnik geschleust haben. Die Ermittler vermuten, dass aus dieser „Kriegskasse“ des Konzernchefs Trienekens die Schmiergelder für die Müllprojekte nach Deutschland zurückflossen.“

Das „System Trienekens“ hat flächendeckend funktioniert: In NRW gibt es inzwischen 480 Anlagen zur thermischen Verbrennung und unzählige „Ersatzbrennstoffkraftwerke“, die meist auch nur getarnte Müllöfen sind.
Laut Entsorgungsanlagenkatasters des Landesumweltamtes (LUA) Nordrhein-Westfalen gibt es in diesem Land

  • Über 3000 Anlagen, die in ihrem Haupt- oder Nebenzweck der Abfallentsorgung dienen.
  • Über 100 Mio. Tonnen Anlagenkapazität werden in NRW vorgehalten, um Abfälle aus NRW und anderen Regionen zu behandeln.
  • Über 40 Mio. Tonnen Abfälle wurden in diesen Anlagen behandelt.

Da die thermischen Anlagen viel zu groß dimensioniert und (mit Hilfe des Systems Trineken) auch genehmigt wurden, bleibt jetzt zur Ausnutzung der Kapazitäten und zur Amortisation der investierten Milliarden nur der Müllimport. Die Lizenz zum Gelddrucken muss schließlich aufrecht eingehalten werden. Nach Spiegel-Angaben hätten die deutschen Betreiber ohne Müllimporte Überkapazitäten von 20 Prozent zu beklagen.

Weil es im „weiten Land“ Australien keine Anlage gibt, die das Pflanzenschutzmittel HCB „schadstofffrei“ entsorgen kann – obwohl es dort teilweise schon über ein Jahrzehnt lagert – hat die Regierung in Canberra sicher nicht ohne Zutun hiesiger Anlagenbetreiber beschlossen, die im Hafen von Sydney lagernden 60.000 Giftfässer auf dem kürzesten Weg über 16.000 Kilometer nach Deutschland zu verschiffen.

Hexachlorbenzol gehört zum so genannten dreckigen Dutzend der Umweltgifte, die 2001 in der Stockholmer Konvention als besonders gefährlich verboten wurden. Die Hälfte der Menge soll in Herten, Dormagen und Leverkusen „entsorgt werden“. Nach Angaben der Betreiber absolut unschädlich, nach Erkenntnis von Wissenschaftlern mit einem „Giftcocktail“ als Rückstände (so ein Kieler Wissenschaftler in den Tagesthemen vom 31. Mai 2007).

Da angeblich weder die Bundesregierung noch der EU-Umweltkommissar Stavros Dimas dagegen etwas unternehmen können, weil der Müllexport in einer globalisierten Welt durch internationales Recht gedeckt sei, liegt es nun u.a. am NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg die Einfuhr noch zu verhindern.
Und was macht der Minister? Er gibt ein Rechtsgutachten in Auftrag. Na großartig!

Anweisen kann er oder will er die Müllentsorgungsunternehmen nicht – sie besitzen ja ihre Lizenz zum Gelddrucken – wie sie diese auch immer „erworben“ haben mögen. Aber danach fragt heute offenbar keiner mehr.


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