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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Piloten- und Lokführerstreiks
- Merkel will der GDL ihre Existenzgrundlage entziehen
Die Streiks bei Bahn und Lufthansa rufen die Kanzlerin auf den Plan. Sie möchte das Prinzip “ein Betrieb, ein Tarifvertrag” per Gesetz durchsetzen. Das hätte nicht nur für Lokführer extreme Folgen.
Quelle: WELT
Anmerkung JK: Hoch lebe die markkonforme Demokratie! Vielleicht sollte man Merkel empfehlen, sich das Grundgesetz noch einmal durchlesen, insbesondere den Artikel 9 Absatz 3. Dort ist das Streikrecht zwar nicht explizit erwähnt, aber das Recht, von spezifischen Kampfmitteln (Streik) Gebrauch zu machen, ist der Koalitionsfreiheit immanent. Dass kann sich die Mainstreamjournaille, von den öffentlich-rechtlichen, über die „Qualitätszeitungen“ bis zu Springers Hetzblättern, die auf die streikenden Lokführer einschlägt, als würden diese illegal handeln, ebenfalls gerne ins Stammbuch schreiben. Gerade in der Berichterstattung über den Streik der GdL manifestiert sich wie verkommen die demokratische Kultur unter dem Einfluss der neoliberalen Ideologie in Deutschland inzwischen ist. Es wäre doch einmal eine journalistische Aufgabe den Menschen den Hintergrund des Streiks auseianderszusetzen und nicht Meinungsmache zu betreiben, sondern etwa die Frage nach den politisch Verantwortlichen für die beständige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seit der Privatisierung der Bahn und deren desaströsen Zustand überhaupt zustellen.
Anmerkung unseres Lesers J.A.: Kriegt eigentlich niemand mit, daß es hier um angekündigten *Verfassungsbruch* geht? Nicht einmal die staatstragende WELT, die bei jeder Forderung der Linkspartei nach Steuererhöhungen gleich “Verfassungsfeinde” am Werk sieht? Zuletzt wurden Gewerkschaften in der DDR und in der Nazizeit die Existenzgrundlage entzogen. Sind wir wieder im Faschismus oder in einer realsozialistischen Diktatur angekommen, weil eine Lokführergewerkschaft konsequent Arbeitnehmerinteressen vertritt und sich nicht mit Niedriglöhnen abfinden will?
- „Wir sind verwundbar”
Für Hans Michelbach haben die Spartengewerkschaften Cockpit und GDL das “rechte Maß verloren”. Unter den Piloten- und Lokführerstreiks leide auch die Wirtschaftsnation Deutschland, sagte der Vorsitzende der CSU-Mittelstandsunion im DLF. […]
Armbrüster: Und solche Streiks müssten eigentlich verboten werden?
Michelbach: Das sind Streiks, die mit dem einzelnen Interesse des Gewerkschaftsmitglieds eigentlich nichts zu tun haben.
Armbrüster: Das heißt konkret, die müssten verboten werden?
Michelbach: Das muss verboten werden, und es ist die Gratwanderung dieses Gesetzesvorhabens, auf der einen Seite verfassungskonform zu sein, auf der anderen Seite solche gewissen niederen Beweggründe auch zu verhindern.
Quelle: Deutschlandfunk
Anmerkung unseres Lesers G.A.: Was sind „niedrige Beweggründe?“ Die Wikipedia gibt Auskunft.
„Niedrige Beweggründe
Der Täter handelt aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus einem anderen niedrigen Beweggrund heraus. […]
Die herrschende Meinung versteht unter diesem Begriff solche Motive, die nach allgemeiner sittlicher Anschauung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich, ja verachtenswert sind.[25] Dies ist anhand der Wertmaßstäbe der deutschen Rechtsgemeinschaft zu bestimmen. Dabei wird oft auf ein krasses Missverhältnis zwischen dem Anlass der Tat und der Tat selbst Bezug genommen (besonders verwerfliche Zweck-Mittel-Relation).“
- Alle Räder stehen still
Ausgerechnet Andrea Nahles führt – den GDL-Streik vor Augen – wirtschaftlichen Schaden als Begründung für ein Streikverbot an. Das würde auch die letzten Arbeitnehmerinteressen unter wirtschaftliches Diktat zwingen und käme einer Zwangsauflöung der Gewerkschaften gleich. […]
Letztendlich haben die Arbeitnehmer in den letzten zwanzig Jahren viele Rechte verloren – alle zum Wohle eines höheren wirtschaftlichen Interesses. Auch die geforderte Herabsenkung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden ist nichts mehr als der Wunsch, jenen Status wieder zu erreichen, der unter falschen Versprechungen seitens der Bahn nur vorrübergehend aufgegeben werden sollte.
De facto ist der Streik der Piloten und Lokführer endlich mal einer, der den Namen Streik auch verdient. Denn er tut dem Arbeitgeber weh und kann damit etwas erzwingen, was der nicht will. Alle, die sich derzeit über die Unbequemlichkeiten als Folge der Streiks aufregen, sollten bedenken, dass auch sie Arbeitnehmer sind. Vielen würde es besser gehen, wenn auch sie von einer Gewerkschaft vertreten würden, die tatsächlich das Wort Arbeitskampf mit Leben erfüllt.
Der Verlust der Arbeitnehmerrechte – vom Reallohnverzicht über verlorenen Kündigungsschutz bis zur Anhebung der Wochenarbeitszeit um 5 Stunden innerhalb der letzten zwanzig Jahre – konnte auch deshalb geschehen, weil in diesem Land viel zu wenig und viel zu halbherzig gestreikt wurde.
Quelle: Le Bohémien
- Ukraine
- Amnesty International: Illegale Hinrichtungen in der Ostukraine
Unser neuer Bericht “Summary killings during the conflict in eastern Ukraine” dokumentiert illegale Hinrichtungen in der Ostukraine sowohl durch pro-russische Separatisten als auch durch regierungstreue Kräfte und wirft beiden Seiten falsche Angaben und Übertreibungen vor. Am 23. September 2014 hatten russische Medien über die Entdeckung von Massengräbern in Komunar und Nyzhna Krynka (Donetzker Gebiet) berichtet. Dieses Gebiet war kurz zuvor noch von ukrainischen Milizen kontrolliert worden. Der russische Außenminister Sergei Lavrov berichtete später von 400 Leichen in diesen Massengräbern.
Eine Delegation von Amnesty International war am 26. September 2014 vor Ort und fand unter anderem Beweise, dass vier Männer von ukrainischen Milizen außergerichtlich hingerichtet wurden. Die Leichen wurden in zwei Gräbern in der Nähe des Dorfes Komunar gefunden. “Viele der schockierenden Fälle, die insbesondere von russischen Medien veröffentlicht wurden, sind enorm übertrieben”, sagt Worner. “Es gibt keine überzeugenden Beweise für Massentötungen oder Gräber. Wir haben in einzelnen Fällen Hinrichtungen gesehen, die Kriegsverbrechen sein könnten.” Amnesty fordert, dass beide Seiten Untersuchungen einleiten und die Verbrechen aufklären.
Quelle 1: Amnesty International
Quelle 2: Summary killings during the conflict in eastern Ukraine [PDF – 533 KB]
- Angriff auf Donezk: Ukrainische Armee soll Streubomben eingesetzt haben
Schwerer Vorwurf gegen das ukrainische Militär: Laut Human Rights Watch haben Regierungstruppen die ostukrainische Stadt Donezk mit Streubomben bombardiert. Man habe Überreste der Geschosse gefunden.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, kurz HRW, wirft der ukrainischen Armee vor, beim Kampf um die Stadt Donezk Streubomben eingesetzt zu haben. Der Einsatz dieser als besonders heimtückisch geltenden Waffen ist international geächtet.
Überreste von Raketeneinschlägen in der Stadt hätten gezeigt, dass bei Angriffen am 2. und am 5. Oktober Streubomben aus der Richtung der ukrainischen Truppen abgefeuert worden seien, so die Menschenrechtler. Zudem hätten Bauern auf den Feldern Reste von Querschlägern gefunden. Laut der “New York Times” bestätigen auch mehrere Ärzte, dass sie Opfer behandelt haben, deren Verletzungen eindeutig von Streubomben stammen.
Bei den beiden Angriffen Anfang Oktober waren mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen, darunter ein Schweizer, der für das Rote Kreuz vor Ort war.
Streubomben zerlegen sich noch vor dem Aufprall selbst, so dass sie in vielen kleinen Sprengsätzen (“Bomblets”) auf dem Boden ankommen. Damit werden praktisch ganze Landstriche für viele Jahre vermint. Von Kindern werden die faustgroßen Blindgänger vielfach für Spielzeug gehalten. 114 Staaten haben ein internationales Abkommen zum Verbot von Streumunition unterzeichnet, die Ukraine und Russland gehören nicht dazu.
Die Menschenrechtler hatten der ukrainischen Armee schon im Juli vorgeworfen, bei ihren Attacken zielungenaue Raketen vom Typ “Grad” eingesetzt zu haben – was als Kriegsverbrechen gilt.
Laut der Menschenrechtsorganisation setzen auch die Gegner der Kiewer Regierung, die prorussischen Separatisten, Streubomben ein.
Quelle: Spiegel Online
- Kleinrechnerei als Großbetrug
Der Regelsatz für Hartz IV seit Anfang 2011 verstößt vielfach gegen das Grundgesetz. Wie hätte ein Regelsatz auszusehen, der die Würde des Menschen ernstnimmt? Bei diesem Artikel von Holdger Platta handelt es sich um die gekürzte Version eines Beitrags aus dem Buch von Rudolph Bauer/Holdger Platta (Hrg.): “Kaltes Land. Gegen die Verrohung der Bundesrepublik. Für eine humane Demokratie. Hamburg 2012″. In diesem Buch hat auch Volker Wulle bereits eigene Texte unter dem Titel “Aus meinem Hartz-IV-Tagebuch” veröffentlicht. Erlöse aus dem Verkauf dieses Buches kommen ausschließlich ALG-II-BezieherInnen und ArmutsrentnerInnen zugute; alle ‘etablierten’ AutorInnen wie u.a. Rudolph Bauer, Stéphane Hessel, Friedhelm Hengsbach und Christoph Butterwegge haben dankenswerterweise zugunsten der bedürftigen Co-AutorInnen auf ihre Honoraranteile verzichtet. Volker Wulle unterhält unter frei-blog.blogspot.com eine eigene Website im Internet, auf der er fortlaufend über seinen Hartz-IV-Alltag und andere soziale Themen berichtet. Empfehlenswert.
Als an diesem Sonntag vor gut vier Jahren – es war der 26. September 2010 – die Sache in der Öffentlichkeit durchzusickern begann, mochte es zunächst keiner glauben: der neue Regelsatz für Erwerbslose und Armutsrentner sollte lediglich um 5 Euro angehoben werden. Doch der Reihe nach:
Quelle: Hinter den Schlagzeilen
Dazu auch: Kleinrechnerei als Großbetrug, Teil 2/2
- Würde statt Härte – Hartz-IV-Sanktionen sind verfassungswidrig
Sozialleistungen gemäß Hartz IV müssen ein “menschenwürdiges Existenzminimum” gewährleisten – das hat das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Wochen bekräftigt. Leider hatte das Gericht auch diesmal nicht zu prüfen, was ständig übersehen und politisch totgeschwiegen wird: Nicht der Hartz-IV-Regelsatz ist das verfassungsrechtliche Problem. Es sind die Sanktionen, die das Jobcenter verhängen kann. Diese Sanktionspraxis verletzt das Gebot zum Schutz der Menschenwürde.
Nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) führen bereits kleinere Regelverstöße, etwa ein verpasster Termin im Jobcenter, stufenweise zu einer Absenkung des Regelsatzes (derzeit 391 Euro). Wenn ein Hartz-IV-Empfänger nicht die geforderte Anzahl an Bewerbungen schreibt oder einen Ein-Euro-Job ablehnt, gilt das bereits als schwere Pflichtverletzung. Bei Wiederholung kann dann der komplette Regelsatz gestrichen werden. Unter-25-Jährige trifft es noch härter: Ein einmaliger Regelverstoß genügt, um die Zahlungen einzufrieren. Dann werden nur noch die Kosten für Unterkunft und Krankenkasse übernommen ‑ und selbst die können im Fall einer weiteren Pflichtwidrigkeit für drei Monate auf null gesetzt werden. 10.800 Menschen waren im Jahr 2012 von dieser Auf-null-Setzung betroffen; insgesamt wurden 1.024.620 Sanktionen verhängt.
Abgesehen davon, dass diese Sanktionen fast immer kontraproduktiv sind: Durch sie wird hunderttausendfach ein Versprechen gebrochen, das sich die Sozialgesetzgebung selbst auferlegt hat. “Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht”, heißt es im SGB II. Die Sanktionen konterkarieren diesen Grundsatz: Wenn die in voller Höhe gezahlte Leistung ein Leben in Würde ermöglichen soll, dann senkt jede Reduktion des Regelsatzes das Lebensniveau in Richtung “nackten Überlebens”. Und werden die Bezüge auf null gesetzt, so scheint nicht einmal mehr nacktes Überleben möglich. Eine solche Sanktionspraxis verträgt sich nicht mit dem als “absolut” zu verstehenden Anspruch aus Artikel 1 des Grundgesetzes – die Würde des Menschen ist unantastbar.
Quelle: ZEIT
- TTIP – Kampf gegen die transnationale Verfassung der Konzerne
Investor-Staat-Klagerechte im TTIP wären auch eine Gefahr für die Demokratie. Weltweit gibt es Beispiele von geplanten Regulierungen, die allein aufgrund der Androhung einer teuren Klage verwässert wurden oder ganz in der Schublade verschwanden. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, Kanada und den USA (NAFTA) beschrieb ein kanadischer Regierungsbeamter dessen Auswirkungen wie folgt: „Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen Maßnahme gab es von Kanzleien aus New York und Washington Briefe an die kanadische Regierung. Tatsächlich nutzen Unternehmen Investitionsrecht heute immer häufiger als Waffe in politischen Auseinandersetzungen, um striktere Regulierungen zu verhindern.
Entsprechend fokussiert sich der Protest gegen die Konzern-Klagerechte im TTIP auf ihre Gefahr für die Demokratie, öffentliche Haushalte, Politik zum Schutz des Gemeinwohls und laufende Klagen, die diese Gefahren veranschaulichen. In der Folge hat sich das niederländische Parlament gegen die Konzern-Klagerechte ausgesprochen. Im französischen Senat kommt Kritik aus allen Lagern. Der deutsche Wirtschaftsminister und Österreichs Bundeskanzler halten die Klagerechte ob des starken Rechtsschutzes auf beiden Seiten des Atlantiks für überflüssig. Das Cato Institut, ein einflussreicher libertärer Washingtoner Think Tank, hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, sie von der TTIP-Agenda zu streichen – um das Projekt als Ganzes zu retten. Das zeigt, wie sehr traditionelle AnhängerInnen des Investitionsschutzes in Zugzwang geraten. In Ländern wie Deutschland und Österreich, wo der TTIP-Widerstand stark ist, schießt sich aktuell politisch ins Abseits, wer sich ohne wenn und aber hinter die Sonderklagerechte für Konzerne stellt. Der Widerstand trägt also Früchte.
Quelle: Arbeit & Wirtschaft
- Wirtschaftsminister Gabriel, das Konjunktureinmaleins und der Mindestlohn
Dass Sigmar Gabriel bemüht ist, die schlechten Konjunkturaussichten klein zu reden, wussten wir schon und ist für ein Regierungsmitglied auch nicht überraschend. Dass er sie aber rundherum bestreitet, ist doch neu. Der Bild-Zeitung sagte er im Interview, es ginge bergauf, nicht bergab mit der deutschen Wirtschaft. Wörtlich, auf die Frage, ob Deutschland ein Konjunkturprogramm braucht: „Nein, Deutschland befindet sich nicht im Abschwung. In diesem Jahr wächst unsere Wirtschaft um 1,2, nächstes Jahr um 1,3 Prozent. Das ist weniger als die Wirtschaftsinstitute zu Beginn des Jahres gedacht haben, aber es geht bergauf und nicht bergab.“
Lieber Herr Bundeswirtschaftsminister: Die 1,2 Prozent Zuwachs, die Deutschland in diesem Jahr vielleicht erreichen wird, sind ein Durchschnittswert für dieses Jahr! Der aber setzt sich zusammen aus Werten der Vergangenheit (in der Tat solchen aus dem vorigen Jahr, nämlich dem sogenannten statistischen Überhang, der immerhin satte 0,7 Prozent beträgt) und aus den Werten von Quartal zu Quartal, der sogenannten Verlaufsrate. Das letzte Quartal, für das amtlich bekannt gegebene Werte vorliegen, ist das zweite dieses Jahres, und da ging es klar bergab: Nach +0,7 Prozent im ersten -0,2 Prozent im zweiten. Es ist viel hineingedeutet worden in diese -0,2 Prozent, vor allem wurde der milde Winter angeführt, der das erste Quartal überzeichnet und das zweite Quartal auf diese Weise schlechter aussehen ließ, als es der Grundtendenz der Wirtschaft entspräche. Wie dem auch sei: Die Statistiken, die bereits für die Monate des dritten Quartals vorliegen, sehen so, um es vorsichtig auszudrücken, verhalten aus, dass selbst die Bundesbank eine Stagnation für den Rest des Jahres für möglich hält.
Quelle: flasssbecks-economics
- Piketty – Die Empirie als Waffe
Wenn jetzt Thomas Pikettys Buch über das Kapital im 21. Jahrhundert – 2013 auf Französisch, 2014 auf Englisch erschienen – auch in deutscher Übersetzung herauskommt, ist zu hoffen, dass es endlich hierzulande auch gelesen und nicht nur diskutiert wird. Bisher gibt es schon viele Meinungen über dieses Werk, von seinem Inhalt ist aber erst der politische Schlussteil referiert worden. Piketty selbst suchte in zahlreichen Interviews die Öffentlichkeit, und das scheint angebracht angesichts der Tatsache, dass er sofort in Kontroversen geriet. Die Keynesianer Paul Krugman und Joseph
Stiglitz, beide Nobelpreisträger, riefen sein Buch zum wichtigsten ökonomischen Werk des Jahrzehnts aus. Zu Recht sehen sie in Piketty einen wirtschaftspolitischen Bundesgenossen. Neoliberales Gegenfeuer ließ nicht auf sich warten: die Financial Times zweifelte die Seriosität von Pikettys Zahlenmaterial an, kam aber damit nicht durch, und zwar schon deshalb nicht, weil er seine Kurven und Zahlen im Internet kontrollierbar offengelegt hat, während ihre eigenen Angaben weniger transparent sind. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kam Piketty mit einem langen Interview zu Wort, in deren Meinungsteil aber wurde er gleich von mehreren marktliberalen Wirtschaftsprofessoren abgeurteilt.
Sehr merkwürdig verhielten sich die deutschen Keynesianerinnen und Keynesianer. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker gaben bekannt, das Buch erst gar nicht lesen zu wollen, da seine wirtschaftstheoretische Basis ungenügend sei. Wenn er behaupte, schwaches Wachstum erhöhe den Quotienten aus Kapital und Einkommen, versäume er zu fragen, ob es nicht auch umgekehrt sein könne: dass also ein Überhang an nicht investiertem Kapital das Wachstum beeinträchtige. Damit haben sie sogar Recht. Wenn sie aber Piketty vorwerfen, er sei ein Anhänger der Switch-Theorie, die eine beliebige Ersetzbarkeit von Arbeit durch Kapital und umgekehrt behauptet, dann werden sie Opfer ihrer genügsamen Lektüre, die sich eben auf den einen von ihnen herangezogenen Aufsatz beschränkt. Im Buch liest man es anders, zwar nicht in seinem theoretischen, aber in seinem – tatsächlich wichtigeren – historischen Teil.
Offenbar hat gegenwärtig niemand so recht Lust, die Spezifik des Buchs wahrzunehmen. Es ist theoretisch tatsächlich recht wenig ambitioniert, seine politischen Gebrauchsanweisungen sind das bei der sozialdemokratischen Linken Übliche. Aber als eine statistische Geschichte der Verteilungsverhältnisse im 20. Jahrhundert ist es kolossal.
Quelle: Junge Welt
- Aufstand der Facebook-Fahrer
Jeden Tag bringen sie mit ihren Bussen gut verdienende Facebook-Mitarbeiter von San Francisco ins Silicon Valley – und sind frustriert: Die Fahrer der Tech-Shuttles fordern bessere Arbeitsbedingungen und wollen sich gewerkschaftlich organisieren. Doch sie stoßen auf Hindernisse.
Aus Jimmy Maerina, so viel lässt sich prognostizieren, wird in diesem Leben kein Diplomat mehr. “Was für eine Scheiße ist das denn? Sie locken gerade neue Fahrer mit 500 Dollar Prämie an, und wir kriegen als Jahresbonus einen 25-Dollar-Einkaufsgutschein”, redet sich der 54-Jährige in Rage.
Maerina ist Facebook-Busfahrer – und sauer. Von montags bis freitags befördert er gutbezahlte Mitarbeiter des sozialen Netzwerks aus San Francisco und den umliegenden Gemeinden in das Hauptquartier des Milliardenkonzerns nach Menlo Park, am Abend bringt er sie wieder zurück. Doch die Arbeitsbedingungen frustrieren ihn und viele seiner Fahrerkollegen.
Da wäre die Sache mit den Dienstzeiten: Die Chauffeure machen sich in der Regel zwischen fünf und sechs Uhr morgens auf den Weg zur Arbeit, um die ersten Tech-Arbeiter in San Francisco aufzulesen und durch die quälende Rush-Hour ins Silicon Valley zu transportieren.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
- Gegen die Schere
Zehntausende Menschen haben am Sonnabend in London für höhere Gehälter demonstriert. Unter der Losung »Britannien braucht eine Lohnerhöhung« protestierten nach Angaben des Gewerkschaftsbundes TUC rund 90.000 Menschen gegen die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen den Einkommen der obersten Manager und denen von Normalverdienern. »Seit 2010 haben die Beschäftigten nur Reallohnverluste hinnehmen müssen«, rief TUC-Präsident Leslie Manasseh von der Hauptbühne im Hyde Park aus: »Wir sind wütend!« Trotzdem freute sich die Londoner Polizei über einen »sehr friedlichen und gut organisierten« Protestmarsch.
»Seit den Zeiten von Königin Victoria (1819–1901) waren die Einkommen nicht so ungleich verteilt«, kritisierte TUC-Generalsekretärin Frances O’Grady. Praktisch seit 2008 hätten die Beschäftigten keine wirkliche Gehaltserhöhung mehr erhalten, das sei das längste »Einfrieren« der Löhne in der Geschichte Großbritanniens. Inzwischen verdienten Topmanager 175mal soviel wie durchschnittliche Arbeiter. Fünf Millionen Beschäftigte müssten mit einem Verdienst auskommen, der unterhalb der Lebenshaltungskosten liege.
Quelle: junge welt
- Lohnenswerte Anlage – Gut verdienen an der Auto-Maut
Während in Deutschland noch über die Einführung der PKW-Maut gestritten wird, sind Mautfirmen bereits auf der ganzen Welt börsennotiert. Für Anleger sind sie attraktiv. Solange der Verkehr fließt.
Seit Wochen wird in Deutschland über die Pkw-Maut gestritten. Und über kaputte Brücken und fehlende Milliarden für die Instandhaltung der Straßen. Privates Kapital soll irgendwann helfen. Im Ausland ist man schon viel weiter. Dort betreiben private Unternehmen Autobahnen und Tunnel. Sie sind auch an der Börse zu kaufen.
Für die Anleger sind das interessante Aktien. „Sie zahlen hohe Dividenden, und die Kurse schwanken in der Regel nicht so stark wie bei anderen Aktien“, sagt Manoj Patel aus Chicago, Fondsmanager des Fonds DWS Global Infrastructure. Denn die Betreiber der Mautstraßen haben ein risikoarmes Geschäftsmodell: Die Preise sind in Verträgen mit dem Staat festgelegt und beinhalten teilweise sogar einen Inflationsausgleich. Sie wurden bisher fast nie zu Lasten der Betreiber verändert. Die Umsätze entwickeln sich kalkulierbar wie das Verkehrsaufkommen, das ähnlich wie das Wirtschaftswachstum um bis zu drei Prozent jährlich steigt. Auch die Instandhaltungskosten sind gut abzuschätzen.
Die Gewinne schwanken daher wenig. „Sie wachsen jährlich zwischen 5 und 7 Prozent, in schlechten Zeiten auch einmal nur um 4 Prozent“, sagt Daniele Patti, Infrastrukturanalyst der Fondsgesellschaft AGI. Die Margen sind hoch und betragen bis zu 50 Prozent.
Quelle: FAZ
Anmerkung unseres Lesers J.A.: Selbst der dümmste FAZ-Leser müßte doch angesichts der hier erwähnten exorbitanten Renditen der Betreiber von Mautstrecken erkennen, daß er als Autofahrer auf bemauteten Strecken ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans und eine Kostendeckung über das Steuersystem für alle insgesamt billiger kommt. Eine winzige Minderheit (weniger als 10%) hätte genug Geld für den Kauf von solchen Aktien und würde an den Aktien mehr verdienen, als sie an Maut zahlt – der Rest zahlt richtig drauf. Trotzdem preist die FAZ wieder mal “privat vor Staat”. So unverständig können doch die FAZ-Leser nicht sein?
- Das absurd-drakonische Strafsystem Amerikas
Kein Land der Erde hat so viele Strafgefangene wie die USA. 80 Milliarden Dollar zahlt der Staat für ein drakonisches System, in dem die Rückfallquote dennoch steigt. Jetzt formiert sich der Protest. (…)
Der Unmut über das so drakonische Rechtssystem in den USA wächst – es füllt die Knäste und belastet den Steuerzahler mit unvorstellbaren 80 Milliarden Dollar jährlich. Denn die Amerikaner stellen nur rund fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber zugleich 25 Prozent aller Gefängnisinsassen. 2,4 Millionen Amerikaner saßen Ende 2011 nach Berechnungen der Organisation Prison Policy Initative hinter Gittern. Das als repressiv bekannte China, das viermal so viele Einwohner wie die USA zählt, folgt mit 1,5 Millionen Strafgefangenen deutlich abgeschlagen.
Quelle: Die Welt
Anmerkung H.R.: Das sind beeindruckende und zugleich erschütternde Zahlen, hinter denen sich persönliche Schicksale verbergen.
Leider sagt der Artikel nichts über das Gerichtswesen aus. Wäre Kritik wie sie z.B. Norbert Blüm und Thomas Darnstädt über Gerichte und Richter hierzulande formulieren, auch berechtigt?
- Flüchtlinge in den Zentralen des braunen Sumpfs
In Güstrow fahren Polizeiautos vor, weil die Rechtsradikalen einen Fackelmarsch angemeldet haben gegen das, was sie Asylmissbrauch nennen. Gleichzeitig sitzen Abdoulaye Mbodji und Sherif Barry in der Begegnungsstätte Villa Kunterbündnis am Pferdemarkt und wundern sich über die Atmosphäre in dieser Stadt, in die sie nach ihrer Flucht aus Mauretanien hineingeraten sind. “Wenn wir rausgehen, zeigen uns die Leute den Mittelfinger oder machen uns sonstwie an”, sagt Mbodji. “Mir haben die Leute mal ‘Ebola’ zugerufen”, sagt Barry. Sie haben auch schon freundliche Orte in Deutschland erlebt, aber hier in Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern, wo sie im Flüchtlingsheim wohnen, schlagen ihnen Wellen der Ablehnung entgegen.
“Wenn man alleine rausgeht, vor allem nachts, kann man schon Angst bekommen”, sagt Barry. Und auch Mbodji kann seinen Zuhörern nicht den Gefallen tun, den Güstrower Alltagsrassismus kleinzuspielen. Jedes Mal, wenn sie rausgehen, gibt es Anfeindungen? “Jedes Mal.” Es ist nirgendwo einfach, ein Flüchtling zu sein. Aber an manchen Orten in Deutschland ist es besonders schwer, darauf hat die Amadeu-Antonio-Stiftung für demokratische Kultur aufmerksam machen wollen, als sie am Samstag Politiker und Presse durch Mecklenburg-Vorpommerns Hinterland führte.
Quelle: SZ
- Anhörung und Einreiseverbote: Doppelschlag gegen Orbán
Nach dem Umbau von Verfassung und Staatswesen rüttelt Viktor Orbán weiter an den Grundfesten der ungarischen Demokratie. Überall sitzen Orbáns Leute. Sie kontrollieren Bildung und Kunst, Großunternehmen und Kommunen, Medien und Justiz. Die Ökonomie wird Schritt um Schritt renationalisiert, ausländische Unternehmen verlieren an Einfluss oder werden ganz zum Rückzug gezwungen, Nichtregierungsorganisationen mundtot gemacht. Und weil in den kommenden dreieinhalb Jahren keine Wahlen anstehen in Ungarn, könnte das auch so weitergehen. Aber nun gibt es einen Doppelschlag samt neuem diplomatischen Krieg. Die USA haben ein Einreiseverbot gegen eine Reihe hoher Beamter und Personen aus dem engsten Umfeld von Orbán erlassen. Der Vorwurf: Korruption. Und in Brüssel ist für Dienstag eine Anhörung angesetzt. Thema: Ungarns neues Bodengesetz. Dieses erklärt alle vor Mai 2014 abgeschlossenen Nutzungsrechte ausländischer Landpächter rückwirkend für nichtig; die Inhaber von Nießbrauchsrechten werden aus den Grundbüchern gestrichen. Selbst langfristige Verträge, die vor dem EU-Beitritt Ungarns nach damaligem Recht völlig legal abgeschlossen wurden, können nunmehr einseitig gekündigt werden. Ausländische Bauern und Investoren fühlen sich hinterrücks enteignet, die EU-Kommission beklagt einen Angriff auf die Freizügigkeitsregeln im Binnenmarkt.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Anmerkung Orlando Pascheit: Die USA mögen ihre eigenen Gründe haben, traurig ist vor allem, dass es sich wieder einmal erweist, dass die EU eigentlich nur als Wirtschaftsgemeinschaft funktioniert. Gemeinsam geregelt sind vor allem die Gesetze, nach denen der Binnenmarkt funktionieren soll. Ob Viktor Orbán über Verfassungsänderungen die Justiz entmachtet, die Meinungsfreiheit einschränkt, wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft mit seinen Parteigängen besetzt, Demokratie mit nationalistischen Parolen aushöhlt, darauf hat die EU-Gesetzgebung keine Antwort. Es ist schon erstaunlich, wie einer der größten Netto-Empfänger der EU gleichzeitig die Geber als Profiteure und Ausbeuter denunzieren kann. Es ist erstaunlich, wie langmütig sich die EU gegenüber dem ständigen Machtmissbrauch Orbáns und seines Anhangs zeigt.
- Regierungsbildung: Ganz falsches Zeichen aus Bagdad
Alles schaut auf Kobane. US-Flugzeuge haben dort Waffen und Munition abgeworfen, und die Türkei lässt kurdische Kämpfer endlich über die Grenze. So die neuesten Erfolgsmeldungen im Krieg gegen die Milizen des Islamischen Staates (IS). Fast könnte man glauben, der Krieg wäre mit dem Halten von Kobane, wochenlang zur Entscheidungsschlacht hochstilisiert, fast gewonnen.
Unterdessen wird der viel wichtigere Kampf, der politische, derzeit in Bagdad verloren. Denn dort wurde soeben ein neuer Innenminister ernannt. Muhammad Gabban, sein Name ist kaum bekannt. Viel wichtiger ist, dass der Mann, der nun für die innere Sicherheit des Landes zuständig sein soll, von den schiitischen Badr-Milizen stammt, die im irakischen Bürgerkrieg 2009 für den Tod und die Verschleppung von Tausenden Sunniten verantwortlich waren. Zu Grabe getragen wird damit die Idee, in Bagdad eine Einheitsregierung zu bilden, die die Sunniten mit an Bord nimmt, um so einen politischen Keil zwischen sie und die IS-Milizen zu treiben. Eine Strategie, die mehr erreichen würde als hundert US-Kampfjets zusammen. Denn letztlich können nur die Sunniten selbst die IS nachhaltig loswerden.
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: So oft wurde uns in letzter Zeit vorgebetet, dass man im Kampf gegen den sogenannten IS sofort handeln müsse und dies ginge bedauerlicherweise nur militärisch. Hier hat man eine realistische, nicht-militärische Möglichkeit verpasst, den Sunniten im Irak zu signalisieren, dass man ihre Bedürfnisse, ihre Interessen ernst nehme. Oder glauben die gegenwärtigen schiitischen Machthaber des Iraks, des Irans (?) allen Ernstes, dass sich Kurden und Sunniten des Iraks gegenseitig aufreiben würden, um dann mit den Resten locker aufräumen zu können?
- What ‘Democracy’ Really Means in U.S. and New York Times Jargon: Latin America Edition
One of the most accidentally revealing media accounts highlighting the real meaning of “democracy” in U.S. discourse is a still-remarkable 2002 New York Times Editorial on the U.S.-backed military coup in Venezuela, which temporarily removed that country’s democratically elected (and very popular) president, Hugo Chávez. Rather than describe that coup as what it was by definition – a direct attack on democracy by a foreign power and domestic military which disliked the popularly elected president – the Times, in the most Orwellian fashion imaginable, literally celebrated the coup as a victory for democracy.
Thankfully, said the NYT, democracy in Venezuela was no longer in danger . . . because the democratically-elected leader was forcibly removed by the military and replaced by an unelected, pro-U.S. “business leader.” The Champions of Democracy at the NYT then demanded a ruler more to their liking: “Venezuela urgently needs a leader with a strong democratic mandate to clean up the mess, encourage entrepreneurial freedom and slim down and professionalize the bureaucracy.”
More amazingly still, the Times editors told their readers that Chávez’s “removal was a purely Venezuelan affair,” even though it was quickly and predictably revealed that neocon officials in the Bush administration played a central role. Eleven years later, upon Chávez’s death, the Times editors admitted that “the Bush administration badly damaged Washington’s reputation throughout Latin America when it unwisely blessed a failed 2002 military coup attempt against Mr. Chávez” [the paper forgot to mention that it, too, blessed (and misled its readers about) that coup]. The editors then also acknowledged the rather significant facts that Chávez’s “redistributionist policies brought better living conditions to millions of poor Venezuelans” and “there is no denying his popularity among Venezuela’s impoverished majority.”
Quelle: The Intercept
- Mexiko: Die Macht der Kartelle
Die Brutalität der mexikanischen Drogenkartelle kennt keine Grenzen: Erpressung, Entführungen, Ermordungen gehören zum Alltag der Bevölkerung. Der investigative Dokumentarfilm verfolgt die Spur der weltweit agierenden Kartelle und enthüllt ein Business-System, das es den Verbrechersyndikaten ermöglicht, nahezu ungehindert – und straffrei – zu agieren.
Die mexikanische Schattenwirtschaft blüht. Mittlerweile ist die Wirtschaft ganzer Bundesstaaten im Griff der Drogenbosse – wie die wohlhabende ländliche Region Michoacán im westlichen Zentralmexiko, das weltweit größte Avocado-Anbaugebiet. Mit wohlwollender Duldung der ortsansässigen Banken haben sich die Drogenkartelle 20 bis 30 Prozent der Plantagen angeeignet und verkaufen nunmehr direkt an amerikanische Importeure.
Im Bundesstaat Tamaulipas im Nordosten zapfen die Drogenkartelle die Erdölfelder an, die als Haupteinnahmequelle Mexikos mit 38 Prozent zum Staatshaushalt beitragen. Der Erdölraub stieg 2013 um 100 Prozent und richtet inzwischen einen volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von vier Milliarden Dollar pro Jahr an. Mitwisser und Mittäter sind korrupte Beamte, Lokalpolitiker und Manager amerikanischer Konzerne – ein Verbrechen mit garantierter Straffreiheit. Auf 100 Straftaten ergehen in Mexiko nur zwei, bestenfalls drei Urteile.
Die Macht der Kartelle geht längst weit über die Grenzen hinaus. Internationale Großbanken stehen im Verdacht, mexikanische Drogengelder in Höhe von Hunderten Millionen Dollar zu waschen. Auch hier herrscht nahezu Straffreiheit; die Prozesse enden mit lächerlich niedrigen Geldstrafen.
Quelle: arte
“Mexiko: Die Macht der Kartelle” auf arte am Dienstag, 21. Oktober um 20:15 Uhr
passend dazu: Studenten als Staatsfeinde
Ein Aufschrei der Wut geht durch Mexiko, seit 43 Studenten nach einem Polizeieinsatz verschwunden sind. Das Problem: Politiker und Polizisten paktieren mit den Kartellen.
Fast drei Wochen ist es nun her, seit Polizisten in Iguala auf Befehl des Bürgermeisters das Feuer auf drei Busse voller Studenten eröffnetet haben sollen. Sechs Menschen starben, Dutzende wurden verletzt, 43 junge Männer sind spurlos verschwunden. Iguala ist damit zum Symbol geworden für die Komplizenschaft zwischen Politikern, Sicherheitskräften und organisiertem Verbrechen in Mexiko. Die örtlichen Sicherheitskräfte sind von der kriminellen Organisation Guerreros Unidos (Vereinigte Kämpfer) unterwandert.
Die Studenten waren am 26. September mit drei Bussen nach Iguala gefahren, wo sie eine politische Demonstration geplant hatten und Spenden sammeln wollten. Der Protest sollte kurz vor einer Veranstaltung von María de los Ángeles Pineda, der Ehefrau des Bürgermeisters von Iguala, Jose Luis Abarca Velazquez, stattfinden. Sie inszeniert sich gerne auf Wohltätigkeitsbällen und politischen Veranstaltungen, aber ihre Familie hat Verbindungen zum Beltrán-Leyva-Kartell.
Salven aus Sturmgewehren trafen die Busse in Iguala, nach einer Verfolgungsjagd kesselte die Polizei die Studenten ein, schoss weiter. “Alles war voller Blut”, berichtete ein Student, der einem Freund mit Kopfschuss helfen wollte, ihn wegzerrte. Während er den Verletzten wegschleppte, wurden sie weiter beschossen, Kugeln schlugen in die Autos ein, hinter denen sie Deckung suchten. Das Militär, dessen Kaserne in der Nähe liegt, soll untätig zugesehen, flüchtende Studenten sogar verhöhnt haben. “Sie müssen mitbekommen haben, was passiert”, glaubt auch ein anderer junger Mann, der das Massaker überlebt hat.
Die Studenten sind angehende Lehrer und politisch engagiert, sie studieren am linksgerichteten, basisdemokratischen Lehrerkolleg Normal Rural de Ayotzinapa, das auch den Ärmeren Zugang zu Bildung verschaffen will.
Quelle: Zeit
Anmerkung JK: Es sollte einleuchten, dass ohne politische Korruption, die Unterstützung der Finanzindustrie und die Tolerierung durch die herrschenden Eliten, die hier nach dem Grundsatz „Geld stinkt nicht“ handeln, die ungeheure Macht der Drogenkartelle, die faktisch jeder staatlichen Strafverfolgung trotzen, nicht erklärbar ist. Ähnliches gilt für Italien, wo die Mafia mit Berlusconi und Andreotti sogar Ministerpräsidenten des Landes auf ihrer Lohnliste stehen hatte. Zudem können Verbrecherkartelle wie in Mexiko zur Herrschaftssicherung eingesetzt werden, da diese exzessive Gewalt etwa gegen oppositionelle Bewegungen anwenden können, die der Staat, ohne breiten Widerstand zu provozieren, nie so einsetzen könnte. Auch ein Grund weshalb dem organisierten Verbrechen fast nie Einhalt zu gebieten ist.
- Die Globalisierung Gazas
Wie Israel das Völkerrecht durch “juristische Kriegsführung” aushöhlt
Die Operation „Protective Edge“ (hebräisch Tzuk Eitan, d.h. „Fels in der Brandung“) war nicht nur der militärische Angriff auf eine vorwiegend aus Zivilisten bestehende Bevölkerung. Wie Israels vorangegangene ‘Operationen’ ( „Cast Lead“ – „Gegossenes Blei“ im Jahre 2008/09 und „Pillar of Defense“/“Pillar of Cloud“ – „Wolkensäule“ im Jahre 2012) war diese auch Teil eines andauernden Angriffes auf das humanitäre Völkerrecht durch ein exzellent koordiniertes Team von israelischen Anwälten, Offizieren, PR-Leuten und Politikern, angeführt von, man höre und staune, einem Ethikphilosophen. Das Ziel der Bemühungen ist es nicht nur, zu verhindern, dass Israel wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts belangt werden kann, sondern auch, anderen Regierungen dabei zu helfen, derartige Einschränkungen zu umgehen, wenn auch sie sich in eine ‘asymmetrische Kriegführung’, ‘Niederschlagung eines Aufstandes’ oder ‘Terrorismusbekämpfung’ gegen Menschen begeben, die sich gegen ihre Herrschaft wehren. Es handelt sich um eine Kampagne, die Israel ‘juristische Kriegsführung’ (lawfare) nennt. Wir sollten sie sehr ernst nehmen.
Quelle: Jeff Halper [PDF – 131 KB]
Dazu: Sind Palästinenser keine Menschen?
Ich habe Ihren Artikel über die Palästinenser in der New York Times vom 4. August gelesen und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Ihr Angriff gegen die Hamas und Ihre schockierende Anschuldigung, die Hamas würde sogar Kinder opfern, in Wahrheit ein Angriff – sorgfältig verschleiert, aber unverkennbar – gegen alle Palästinenser ist, einschließlich ihrer Kinder.
Selbst ein Kind von Holocaust-Überlebenden – meine beiden Eltern haben Auschwitz überlebt –, bin ich entsetzt über Ihre anti-palästinensische Einstellung, die Sie, wie mir bekannt ist, schon lange hegen. Ich wollte Sie schon immer fragen: warum eigentlich? Welche Verbrechen haben die Palästinenser in Ihren Augen denn begangen? Etwa, daß sie der Welt vor Augen führen, daß Israel eine Besatzungsmacht ist und sie selbst nur Israels fast wehrlose Opfer? Oder daß sie sich der nun schon fast 50jährigen Unterdrückung durch die Juden widersetzen und uns durch diesen Widerstand dazu zwingen, uns als Volk der Tatsache unserer verlorenen Unschuld zu stellen, an der Sie ja so hartnäckig festhalten?
Quelle: Sara Roy [PDF – 74 KB]
- Lesetipp – Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung
In aller Stille hat sich eine professionelle Dienstleistungsbranche entwickelt: Professionelle Bekämpfer von unliebsamen Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaften: Wirtschafts- und Medienkanzleien, Wirtschaftsdetekteien, PR-Agenturen, verdeckt von Unternehmen finanzierte Universitäts-Institute und Unternehmens-Stiftungen sowie Psycho-Strategen für „Human Resources“. „Christliche“ und „gelbe“ Gewerkschaften erfahren ebenso Auftrieb wie neue Arbeitgeberverbände. Die Autoren schildern Vorbilder aus den USA und die staatliche Unterstützung durch die deutschen Regierungen unter Kohl/Lambsdorff und Schröder ebenso wie durch die EU. 13 Personenporträts der wichtigsten „Macher“ runden das Bild ab zusammen mit 9 Betriebskonflikten. Wer im heutigen Kapitalismus seine Interessen nachhaltig vertreten will, braucht diese Kenntnisse über die Gegenseite.
Quelle: PapyRossa Verlag
Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung.
Werner Rügemer und Elmar Wigand
Papyrossa-Verlag, Köln 2014, 238 Seiten, 14,90 Euro. ISBN 978-3-89438-555-2