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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Das Elend mit der Meinungsvielfalt
Datum: 26. September 2014 um 9:43 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Lobbyismus und politische Korruption, Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Referat von Wolfgang Lieb beim Gesprächskreis „Denkzeit“ in Düsseldorf am 25. September 2014.
Viele der hier Anwesenden kommen aus dem inneren politischen Zirkel, sie kennen also einigermaßen die Hintergründe und sachlichen Zwänge für politische Entscheidungen und sie erleben es täglich bei der Lektüre der Presseschauen, wie groß die Lücke zwischen der Binnensicht und der Außensicht vermittelt durch die Medien ist oder wie sehr die Wirklichkeit von der veröffentlichten Meinung abweicht.
Die größte Bedeutung für die öffentliche Meinung hat im Ergebnis die veröffentlichte Meinung.
Es gab ja mal einen veritablen Bundeskanzler, der gesagt haben soll, dass er zum Regieren nur „BILD, BamS und Glotze“ brauche. Es hatte es dann aber am eigenen Leib verspürt, dass diese drei Medien auch ausreichten, um die Macht zu verlieren.
Kein Zweifel, Politik ist auf Meinungsmache angewiesen und von Meinungsmache abhängig.
Die spannende Frage ist also: Wie wird Meinung gemacht?
Ich will kein habermas`sches Referat halten über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, ich will hier auch nicht philosophisch über die Meinungsvielfalt als wesentliche Bedingung für das Funktionieren von Demokratie reden.
Ich will an Hand einiger weniger Beispiele zeigen, wie Meinungsmache bei uns entsteht und funktioniert.
Oder andersherum, ich will spiegelbildlich aufzeigen, wie und wo die Medien versagen, wo sie ihre Wächterrolle in der Demokratie nicht mehr erfüllen. Und wie statt Vielfalt als Garant vernünftiger politischer Entscheidungsprozesse, die Einfalt zur Durchsetzung einseitiger wirtschaftlicher Interessen zur herrschenden Meinung geworden ist.
Das jüngste Beispiel für Meinungsmache, genauer für die Einseitigkeit der Berichterstattung ist die Krise in der Ukraine. Für nahezu sämtliche Leitmedien war Putin die Inkarnation des Bösen, er ist an allem Schuld. „Stoppt Putin“ titelten die Bild-Zeitung wie der Spiegel, sogar noch mit dem gleichen Motiv, nämlich mit den Bildern der Opfer des Flugzeugabsturzes und kassierten damit sogar eine Rüge des Presserates.
Was wir da in den letzten Monaten erlebt haben, wurde am letzten Dienstagabend in der ZDF-Satire-Sendung „Die Anstalt“ trefflich karikiert. Es lohnt sich diese Sendung auch nachträglich in der Mediathek anzuschauen.
Ich brauche mich bei der Behauptung, hier sei einseitig Stimmung gemacht worden nicht auf eine eigene Analyse zu stützen, sondern kann einfach nur den in seiner Kritik gewiss zurückhaltenden „Programmbeirat der ARD“ zitieren:
„Der Programmbeirat kam aufgrund seiner Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Berichterstattung im Ersten über die Krise in der Ukraine teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt hat und tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen gerichtet war…
Berichtet werden müssen hätte über die Faktoren, die ursächlich am Entstehen der Krise beteiligt waren, darunter die Politik von EU, USA und NATO und deren Interessen gegenüber der Ukraine und Russland. Stattdessen wurde die Verantwortung für die Krise fast ausschließlich der Regierung Janukowitsch und Russland, genauer: Putin persönlich, zugeschrieben. Differenzierte Berichterstattung war das nicht. Eine gewisse Einseitigkeit ließ sich manchmal auch in der Wortwahl erkennen, im mehr oder weniger unterschwelligen Transport von Meinung durch Moderatoren und Reporter und in der Auswahl von Berichtsgegenständen, die selbst in der Zusammenschau aller zehn Ukraine-»Brennpunkte« kein einigermaßen umfassendes Bild der Krise ergaben…“
Nebenbei, das ZDF, allen voran Klaus Kleber, war noch viel einseitiger als die ARD.
Total versagt hat der Journalismus im Hinblick auch bei einem anderen fundamentalen Ereignis der letzten Jahre, nämlich auf die Finanzkrise.
Auch das ist nicht meine Meinung, sondern das Ergebnis einer empirischen Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Der ehemalige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Wolfgang Storz und der Kommunikationswissenschaftlers Hans-Jürgen Arlt haben die Berichterstattung von fünf überregionalen Tageszeitungen, von ARD-Aktuell und der Basis-Nachrichtenagentur dpa über 10 Jahre bis zur Finanzkrise aufgearbeitet.
Fazit dieser Studie:
Ohne Zweifel gibt es in den deutschen Medien, in Zeitungen, Zeitschriften und in den öffentlich-rechtlichen Medien des Öfteren sehr informative und aufschlussreiche Beiträge. Aber diese Beiträge bestimmen nicht das Gesamtbild der deutschen Medienlandschaft. Solche Einzelbeiträge können insbesondere nicht korrigieren, was wir seit Jahren beobachten müssen und was wir bei unserem eigenen Versuch zur Herstellung einer demokratischen Gegenöffentlichkeit, also in unserem Blog NachDenkSeiten vielfältig belegen:
Krüger nennt etwa den Mitherausgeber der ZEIT Josef Joffe, den Ressortleiter Außenpolitik von der Süddeutschen, Stefan Kornelius, Klaus-Dieter Frankenberger, verantwortlicher Redakteur Außenpolitik bei der FAZ oder den Chefkorrespondenten von Springers Welt Michael Stürmer, sie alle sind Mitglieder oder haben Funktionen bei Think-Tanks wie der Atlantik-Brücke, dem Aspen Institute, der Münchner Sicherheitskonferenz, der Trilateralen Kommission, der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und wie diese Plattformen zur Verbreitung sog. Westlicher Werte und transatlantischer Interessen auch alle heißen mögen.
Ein paar Beispiele:
Da hat die Finanzkrise ein eklatantes Versagen der Märkte mit katastrophalen Folgen erwiesen, aber der Politik ging es bei der Krisenbewältigung nur um ein Ziel, nämlich das „Vertrauen der Märkte“ zurückzugewinnen. Dabei haben wir doch mit der Finanzkrise doch gerade erst ein eklatantes Versagen der Märkte erlebt.
Dennoch sind die anonymen, angeblich objektiven, effizienten oder alternativlosen „Märkte“ wieder zur höchsten Instanz erhoben worden: Was kein Parlament schafft, die „Märkte“ schaffen es: Sie treiben Regierungschefs aus ihren Ämtern, sie zwingen Parlamenten drastische Sparbeschlüsse auf, die nicht nur die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verarmen, sondern – noch viel schlimmer – ganze Volkswirtschaften gegen die Wand fahren lässt. Angela Merkel spricht ganz offen von „marktkonformer Demokratie“ und meint damit nichts anderes, als dass die Politik das zu exekutieren hat, was die „Finanzmärkte“ angeblich verlangen.
Ein weiteres schlagendes Beispiel für eine gelungene Gehirnwäsche ist, wie es auf nahezu ganzer Linie gelungen ist, die Finanzkrise in eine „Staatsschuldenkrise“ umzudeuten. Das ist geradezu absurd.
Der Kapitalismus wäre doch vor die Wand gefahren – wenn ihn die Staaten nicht gerettet hätten.
Selbst Finanzminister Schäuble hat sozusagen regierungsoffiziell eingestanden, dass die derzeitige Schuldenkrise eine unmittelbare Folge der Finanzkrise ist.
Als wäre ein kompletter Gedächtnisverlust eingetreten, sind heute nicht mehr die Banker oder das Finanzkasino in der Kritik, sondern die Staaten und die Regierungen sind die Bösen, weil „wir“ angeblich über unsere Verhältnisse gelebt hätten. Nicht die Politik straft die Spekulanten ab, sondern die Finanzmärkte strafen Regierungen ab, weil sie „schlecht gewirtschaftet“ hätten.
Aus einer Bankenkrise wurde eine Staatsschuldenkrise. Weil die Staaten den Banken ihre Schulden abgenommen haben. Weil der konjunkturelle Einbruch Milliarden an Steuerausfällen nach sich zog. Und weil die Rezession mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen bekämpft werden musste.
Zum Schluss will ich noch beispielhaft ein paar konkrete Beispiele aus den letzten Monaten eingehen, wie Meinung gemacht wird:
„41 Prozent wollen länger als 65 arbeiten
Umfrage ergibt klare Mehrheit für flexibles Renteneintrittsalter“
Es hätte umgekehrt heißen müssen: 59% wollen nicht bis 65 arbeiten und schon gar nicht länger als 65.
Von der Mehrheit die für ein flexibles Renteneintrittsalter ist die Hälfte für einen flexiblen Renteneintritt bis 64 und nur 32 Prozent sind für einen späteren Renteneintritt.
Durch die rentenpolitischen Maßnahmen des Koalitionsvertrags sollen nach Berechnungen der Prognos AG im Auftrag der INSM bis 2030 die Arbeitskosten um 777 Milliarden Euro ansteigen.
Deutschland stürze bei der Wettbewerbsfähigkeit bei heutigen Rahmenbedingungen von Rang 9 auf Rang 23 nach der Umsetzung des Koalitionsvertrages ab.
Man setzt dabei auf den billigen Trick der Manipulation mit hohen Zahlen, indem man Beträge über mehr als 15 Jahre bis zum Jahr 2030 addiert und damit rechnet, dass ein zahlenunkundiges Publikum allein schon angesichts der Höhe des Betrages, den Rentenreformen und Mindestlohn angeblich kosten sollen, geschockt ist.
Die zweite Irreführung ist, man rechnet bei allen Kosten mit Nominalwerten, das heißt, man vernachlässigt die Inflationsraten über diesen langen Zeithorizont. Dadurch fallen die Zahlen höher aus.
Der größte Bluff besteht jedoch darin, dass man die Zahlen sozusagen nackt in den Raum stellt, ohne sie etwa mit dem Wachstum der Volkswirtschaft oder mit dem Anteil der Kosten der sozialen Sicherung am gestiegenen BIP zu vergleichen.
Beispiel: Angebliche Explosion der Gesundheitsausgaben
– Reuters meldet (7.4.14): „Gesundheitsausgaben übersteigen erstmals 300 Milliarden Euro. Die öffentlichen und privaten Ausgaben für den Gesundheitssektor haben einen neuen Rekord erreicht.“
Tatsächlich sind die Gesundheitsausgaben im Jahresvergleich um 2,3% gestiegen im Vergleichszeitraum (2012) lag die Inflationsrate bei 2,0%, real sind die Gesundheitsausgaben also um 0,3% Prozentpunkte gestiegen. Ist das eine Meldung über einen neuen Rekord wert?
Die Nominallöhne stiegen um 2,6%. D.h. der Anstieg der Gesundheitsausgaben hat auch nicht zu weiterer Verarmung geführt.
Seit 20 Jahren ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP von 10,1 auf 11,3 %, also um 1,2 Prozentpunkte angestiegen. Kostenexplosion sieht anders aus.
Mit der jubilierenden Schlagzeile „Atypische Beschäftigung drängt normale Arbeitsverhältnisse nicht zurück“ stellte die Bertelsmann Stiftung im Januar eine Studie des von der Deutschen Post AG gesponserten Institut für die Zukunft der Arbeit IZA vor.
Unsere „Qualitätsmedien“ griffen diese Botschaft begeistert auf:
„Ein echtes Wunder“ titelt „Die Welt“. „Mehr Arbeit“ frohlockt die Süddeutsche Zeitung. „Flexible Arbeitsverhältnisse führen zu Beschäftigungsrekord“ jubelt wallstreet:online. „Mehr ‘normale’ Stellen trotz Minijobs und Leiharbeit“ wählte die FAZ als Überschrift und ließ die Gelegenheit nicht aus, geleichzeitig vor neuen Regulierungen des Arbeitsmarktes durch den Mindestlohn zu warnen.
Den erhobenen Fakten in der Studie gemäß hätte die Überschrift korrekter lauten müssen:
Atypische Beschäftigung steigt erheblich schneller als normale Arbeitsverhältnisse.
Oder: Jede/r Vierte ist inzwischen atypisch beschäftigt
Während vor gut 10 Jahren nicht einmal jede/r fünfte Erwerbstätige atypisch, also in Teilzeitarbeit und unsicheren, niedrigentlohnten Jobs beschäftigt war, war es 2013 nahezu jede/r Vierte. Zwar hat angesichts einer mäßig ansteigenden Konjunktur auch der Anteil der Erwerbstätigen auf unbefristeten Vollzeitstellen statistisch um 2 Prozent zugenommen, aber die atypische Beschäftigung eben um 5 Prozent.
Ich könnte nun an beliebig vielen Beispielen zeigen, wie die PR-Agenturen und die vom Großen Geld finanzierten Think-Tanks nahezu tagtäglich versuchen die Wirklichkeit schön reden, die Erfolge der neoliberalen Politik hochzuloben und jede Kritik am herrschenden Kurs mundtot zu machen:
Beispiele wie die Auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich verharmlost wird, über die Panikmache gegen Steuererhöhungen (die vor allem die Grünen im letzten Wahlkampf getroffen hat) über das Vertuschen des Scheiterns der Riesterrente usw. usf. finden Sie auf den NachDenkSeiten unter den Rubriken „Strategien der Meinungsmache“ oder „Manipulation des Monats“ verteilt über die letzten 10 Jahre in beliebig großer Zahl.
Abschließend noch eine politische Einschätzung:
Ein immer wiederkehrendes Aktionsfeld der Meinungsmache ist der Versuch, jede politische Alternative links von der Union unmöglich zu machen.
Die politische Meinungsmache tut mit viel Geld und hohem Propagandaaufwand alles dafür, dass in Deutschland nicht noch einmal zu einer Mehrheit links von CDU/CSU, oder links von Frau Merkel zustande kommt.
Leider hat die SPD bis heute nicht begriffen, dass sie sich damit auf absehbare Zeit im Bund jede Regierungsoption nimmt, sondern dass die Kampagne gegen die LINKE auch ihr selbst schadet. Man kann es auch so sagen, auch die Rechte in der SPD stärkt ihre Macht, indem sie die LINKE stigmatisiert und ausgrenzt.
Diese Kampagnen gegen alles, was links gilt, trafen aber auch die Grünen. Ständig wurden in der veröffentlichten Meinung die sog. „Fundis“ bekämpft und die sog. „Realos“ hofiert.
Genauso ging es den Sozialdemokraten, angefangen mit der Hetze gegen Willy Brandt und dem Lob für Helmut Schmidt, der Begeisterung für Clement bis zum Medienhype für Steinbrück als Kanzlerkandidat. Das Motto war immer dasselbe: „gute Leute, aber in der falschen Partei“.
Die fortschrittlichen politischen Kräfte, die Demonstranten und alle, die sich wehren, werden von den Medien geradezu systematisch verteufelt. Die Fremdbestimmung von der Parteien durch die veröffentlichte Meinung hat eher zu- als abgenommen.
Wie Meinungsmache die Regierungsbildung prägen kann, erleben wir aktuell in Thüringen:
Da wird im Zusammenhang mit einer Koalition von CDU und SPD stets von Stabilität gegenüber einem Bündnis von Rot-Rot-Grün geredet. Es ist daran zu erinnern, dass CDU (34 Sitze) und SPD (12 Sitze) mit zusammen 46 Sitzen im Landtag nur die kleinstmögliche Mehrheit von einem Parlamentssitz haben. Weder in der SPD noch in der CDU ist man sich einig, ob man mit Christine Lieberknecht als Ministerpräsidentin zusammengehen will. Der CDU-Fraktion gehört z.B. Marion Walsmann an, die von 2010 bis vor einem Jahr Chefin der Staatskanzlei war und von Lieberknecht ziemlich brüsk entlassen worden ist. Walsmann ist auch auf Druck von Lieberknecht auf einem wenig aussichtsreichen Listenplatz der CDU bei der Landtagswahl gelandet, hat sich aber in Erfurt überraschend gegen Bodo Ramelow durchgesetzt. Wer also da wie in geheimer Abstimmung stimmen würde ist ein völlig offene Frage.
Ich könnte die Beispiele für Meinungsmache beliebig fortsetzen und vermutlich könnten Sie weitere Beispiele anführen.
Mein Referat sollte einen Anstoß zu einer Diskussion darüber geben, was man unternehmen könnte, um die Strategien der Meinungsmache zu durchbrechen. Vor allem darüber würde ich gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen.
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