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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Eine differenzierte Betrachtung des Themas Subventionen
Datum: 14. Mai 2007 um 11:21 Uhr
Rubrik: Veröffentlichungen der Herausgeber, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Der Text zum Thema Subventionen in meinem Buch „Die Reformlüge“ ist immer noch aktuell; das zeigen neuerliche Äußerungen unseres Bundespräsidenten. Deshalb hier der Text über Denkfehler 38: »Subventionen sind unsozial.«
Denkfehler 38:
»Subventionen sind unsozial.«
Variationen zum Thema:
»Wir leben in einem Subventionsdickicht.«
»Subventionen radikal streichen.«
Eine der schönsten Zumutungen unserer Meinungsmacher lief mir Ende 2003 über den Weg. Da schaute uns aus einer etwa halbseitigen Zeitungsanzeige der Markenartikelproduzent Randolf Rodenstock an – übrigens ein Kuratoriumsmitglied der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. »Subventionen sind unsozial«, ließ uns der erfolgreiche Unternehmer aus München per Schlagzeile wissen. Im Text selbst erfuhren wir dann, dass Subventionen den Strukturwandel verzögern, dass bei uns jährlich 156 Milliarden Euro an Subventionen gezahlt werden und dass Rodenstock innerhalb von drei Jahren 50 Prozent davon pauschal kürzen will, das macht 78 Milliarden gesparte Euro.
Das klingt phantastisch. Und einleuchtend. Und es ist dennoch eine kabarettreife Leistung. Ein Blick in den Entwurf zum Bundeshaushaltsplan 2004, Einzelplan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung, zeigt ein Stück von der Narretei, die uns aus solchen Anzeigen entgegenspringt. Auf Seite 68 des Bundeshaushaltsplans findet sich der Titel 683 19-169 mit der Bezeichnung »Optische Technologien«. In diesem Titel sind jene öffentlichen Mittel der Steuerzahler, also Subventionen, aufgeführt, die die optische Industrie erhält, zu der das Unternehmen von Herrn Rodenstock gehört: 69,5 Millionen Euro im Jahr 2004, dazu kommen weitere Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 58 Millionen für die Jahre bis 2008. Dann gibt es noch eine aufschlussreiche Fußnote: »Die optischen Technologien haben eine Schlüsselstellung zur Lösung zahlreicher gesellschaftlicher Probleme, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und industrielle Fertigung. In einem zweijährigen Strategieprozess mit Wissenschaft und Industrie wurden die Handlungsfelder zum Förderprogramm ›Optische Technologien‹ zusammengeführt, das im Februar 2002 veröffentlicht worden ist.«
Diese Fakten einschließlich der Fußnote im Haushaltsplan sind hier nicht allein deshalb zitiert, um die Interessenlage eines deutschen Managers, dessen Unternehmen früher mehrmals staatliche Förderung in Anspruch nahm, und eines Verbandsvertreters deutlich zu machen.81 Die Fußnote zum Bundeshaushaltsplan 2004 erklärt auch, warum wir uns in Deutschland bisher einig waren, dass es Subventionen, also Fördermittel des Staates, geben soll, um beispielsweise bestimmten Technologien zum Durchbruch auf dem Markt zu verhelfen. Der Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass manche Entwicklungen so unsicher sind und so viel Geld erfordern, dass es der Mithilfe des Staates, also von uns allen, bedarf, um solchen Technologien über die Hürde zu helfen. In anderen Ländern wie in den USA, in Großbritannien oder Frankreich werden ebenfalls viele Mittel für die Förderung von Technologien ausgegeben, unter anderem auch über die militärische Forschung.
46 Prozent aller Subventionen des Bundes, der sogenannten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen, gingen im Jahr 2002 an die gewerbliche Wirtschaft. Dass diese Art von Subventionen aufgegeben beziehungsweise pauschal halbiert werden sollen, habe ich aus der Anzeige von Herrn Rodenstock gelernt. Dass wir viele dieser Subventionen durchforsten müssen, dass manches gestrichen werden müsste und Neues hinzukommen könnte, ist ohne Zweifel richtig. Aber das meint Randolf Rodenstock ja nicht. Wahrscheinlich meint er nicht einmal, dass die Subventionen für die optische Industrie gestrichen werden sollen.
Wir sollten das Subventionsgebaren unseres Staates umsichtig und realistisch betrachten. Stellen wir in diesem Sinne doch einmal ein paar Fragen:
Auch über Steinkohlesubventionen (3,069 Milliarden Euro), die Förderung des Wohnungswesens (fast 6 Milliarden Euro) und über eine Reihe der eingangs erwähnten Förderungen für die Industrie kann man mit dem Ziel der Verringerung oder der Streichung dieser Subventionen sprechen. Aber man wird kein Stückchen weiterkommen und man wird keine sachlich vernünftigen Entscheidungen treffen, wenn man so undifferenziert vorgeht wie in der Rodenstock-Anzeige.
Das tollste Stück jedoch ist: Die Subventionen des Bundes betrugen 2002 insgesamt 21,445 Milliarden Euro. Rechnet man auch noch die Subventionen der Bundesländer und die Marktordnungsausgaben der Europäischen Union sowie die sogenannten ERP-Finanzhilfen dazu, kommt man auf ein Gesamtvolumen der Subventionen in Deutschland von etwa 58 Milliarden Euro. Das ist unendlich weit von den 156 Milliarden Euro entfernt, die im Anzeigen-Interview von Herrn Rodenstock genannt wurden. In seiner dramatisch hohen Ziffer ist zusätzlich alles enthalten, was es an Steuervergünstigungen und anderen staatlichen Tätigkeiten gibt, die man teilweise zu Recht, teilweise nur mit großen Verrenkungen als Subventionen bezeichnen kann: Kindersteuerfreibeträge, Arbeitnehmerfreibetrag, Pendlerpauschale, Steuerfreiheit von Nachtarbeitszuschlägen und so weiter. Wollen jene, die sich das Thema Subventionen als Kampagne gegen öffentliche Leistungen ausgesucht haben, all dies halbieren oder streichen? Das wäre absurd.
Manche dieser Vergünstigungen sind schlicht sinnvoll. Andere sind so festgelegt, dass man mit bestem Willen nicht darüber verfügen kann. Über die Marktordnungsausgaben der Europäischen Union kann man in einer Anzeige frei verfügen, aber nicht in der Realität. Und die sogenannten ERP-Finanzhilfen enthalten neben fragwürdigen Subventionen für Flugzeugexporte auch die Mittel für Mittelstandsförderung und Existenzgründung. Soll das weg?
Die Subventionsdebatte, die zu führen sinnvoll wäre, ist in ihrer aktuellen Ausformung leider nichts weiter als eine Ergänzung der allumfassenden Polemik gegen öffentliche Tätigkeit. Die Anzeige der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mit Herrn Rodenstock ist typisch für den Umgang der Meinungs¬führer in Deutschland mit den Problemen unseres Landes: Übertreibung, Fälschung und eine immer wiederkehrende Staatsfeindlichkeit. Zu klugen Entscheidungen wird man mit einer solchen öffentlichen Meinungsbildung nicht kommen.
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