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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Medien zwischen Anspruch und Realität – Ansichten von Johannes Rau zur Qualität des Journalismus
Datum: 8. Mai 2007 um 8:58 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Referat anlässlich einer Bildungsreise für junge belarussische Journalisten nach Deutschland „Auf den Spuren von Johannes Rau“ am 6. Mai 2007 am Institut für öffentliche Verwaltung in Hilden.
Medien zwischen Anspruch und Realität – Ansichten von Johannes Rau zur Qualität des Journalismus
Von Wolfgang Lieb
Johannes Rau hatte ein distanziertes Verhältnis zu den Medien. Er legte Wert auf eine klare Rollenverteilung zwischen Politikern und Journalisten. Kumpanei zwischen Politikern und Journalisten war im zuwider. Erst die professionelle Distanz zwischen Politik und Journalismus mache ein unabhängiges Urteil möglich.
Das distanzierte, ja manchmal sogar misstrauische Verhältnis zum Journalismus lässt sich aber vor allem aus seinem Politikstil begründen.
Johannes Rau wurde „Menschfischer“ genannt, d.h. er wollte die Menschen für seine Politik gewinnen. Er wollte sie mitnehmen.
Er ließ politische Entscheidungen reifen und wurde deshalb von manchen Journalisten als Zögerer und Zauderer kritisiert.
Seine Devise war „Mit mir zusammen“ und nicht „Mir nach“.
Anders als etwa Bundeskanzler Schröder der die Öffentlichkeit, seine Partei, die SPD oder die Medien etwa mit seinem Kurswechsel zur Agenda 2010 geradezu über Nacht vor vollendete Tatsachen stellte und politische Diskussionen gerne mal mit einem „Basta“ beendete, suchte Johannes Rau lange nach Bündnispartnern und Mehrheiten, lotete Kompromisse aus und setzte auf Konsens, statt auf Konfrontation.
Journalismus lebt von Neuigkeiten, von News und von Meinungsverschiedenheiten, ja vom Streit. Jemand der wie Johannes Rau nicht mit der Axt den gordischen Knoten zerschlug, sondern der Politik als das „Bohren dicker Bretter“ (Max Weber) verstand, konnte und wollte nicht jeden Tag eine Neuigkeit bieten – oder wie man das journalistisch nennt – eine neue Sau durchs Dorf jagen.
Jemand der auf Konsens setzte, wollte möglichst den Streit vermeiden. Rau war das Gegenteil eines „Schlagzeilengauners“.
Deshalb war es nicht immer leicht Johannes Rau medial zu „verkaufen“, zumal in einer Medienwelt, die in einem immer härter werdenden Wettbewerb um Einschaltquoten und Verkaufsauflagen ständig nach Sensationen, nach Events, nach Skandalen oder nach Streit zwischen Personen sucht, ja vielleicht sogar suchen muss um zu überleben.
Johannes Rau war ein Künstler der Sprache und er wog seine Worte ab. Seine Waffe war – wie er das selbst formulierte – das Florett und nicht der schwere Säbel.
Journalismus aber lebt von der Zuspitzung und vom Angriff auf andere Positionen.
In einer Medienwelt, die ausgehend von den elektronischen Medien, von der Personalisierung von politischen Sachverhalten – vom „Wer gegen wen – lebt, gab ein Politiker, wie Johannes Rau, der jeden persönlichen Angriff auf seine politischen Gegner tunlichst vermied, kein gefundenes Fressen ab.
Johannes Rau liebte in der politischen Debatte die Frageform. Etwa: „Sollte man nicht auch bedenken?“ „Wäre es nicht vernünftig dieses oder jenes zu tun?“
Er mochte den Konjunktiv: „Wäre es nicht besser?“ „Würde man diese oder jenes tun, so hätte das diese oder jene Folgen.“ Etc.
Wie sollte ich als sein Sprecher aus Fragen oder aus einem Konjunktiv eine direkte Aussage für eine Presserklärung machen?
Aus seinen Reden eine Nachricht zu machen, war häufig eine schwierige Gradwanderung. Aber das gehörte auch zum Rollenspiel zwischen einem Spitzenpolitiker und seinem Sprecher. Der Sprecher diente oft auch als eine Art „Minenspürhund“ für politisch zugespitzte Aussagen. War ich mit einer öffentlichen Erklärung zu weit gegangen und schlugen in den Medien die Wellen hoch, so konnte der Politiker selbst durch eine Klarstellung die Wogen wieder glätten.
Johannes Rau war im Umgang mit Journalisten äußerst vorsichtig, ja er misstraute jedenfalls manchen, dass sie etwa aus sog. Hintergrundgesprächen das vertraulich gesprochene Wort öffentlich machen würden und wenn nicht die Ohrenzeugen selbst, dann diejenigen, die davon gehört haben.
Dabei fürchtete er weniger die Kritik, denn er hatte nichts gegen die Medien als Kontrollinstanz der Politik, aber er hatte es oft genug erlebt oder erdulden müssen, dass von Journalisten, die sich selbst von politischen Interessen leiten ließen, durch Zuspitzungen und Halbwahrheiten absichtlich Stimmungen verstärkt, ja sogar Stimmungen gemacht wurden.
Er ärgerte sich über nichts so sehr, wie über Halbwahrheiten, die – wie er meinte – oft schlimmer seien, als ganze Lügen.
Seine Waffe, womit er sich lästige Kritiker und unangenehme Fragen vom Halse hielt, war sein Humor und sein treffender Witz.
Er hasste geradezu, die Eine-Minute-Dreißig-Statements für die Nachrichtensendungen, weil sich in dieser Zeit kein komplexes Problem darstellen lasse. Er liebte die große Rede und dafür wurde er von seinen anwesenden Zuhörern bewundert.
Aber für den Abdruck einer Rede war in den Zeitungen kein Platz und in den elektronischen Medien keine Zeit.
Rau erwartete von Journalisten die Mühe, das notwendige handwerkliche Geschick und vor allem die notwendige Bildung und das sprachliche Geschick seine Reden prägnant und treffend zusammen zu fassen. Dabei wurde er vielfach enttäuscht.
Er karikierte einmal die mangelnde Professionalität mancher Journalisten mit folgender Anekdote:
„Nach einer Rede kam eine junge Reporterin auf mich zu, hielt mir das Mikrofon hin und fragt unvermittelt: “Herr Rau, was war das Wichtigste in Ihrer Rede?” Ich habe ihr geantwortet: “Die Einleitung, der Hauptteil und der Schluss.”
Aber so ungern sich Johannes Rau, vor politischen Entscheidungen in die Karten schauen ließ und so behutsam er auch mit dem gesprochenen Wort umging, er verfolgte beharrlich und manchmal sogar stur seine Ziele. Er selbst hat seinen Politikstil einmal treffend so formuliert:
„Niemand sollte Behutsamkeit in der Sprache mit Zögerlichkeit in der Sache verwechseln“.
Johannes Rau baute vor allem auf den „Mundfunk“ und weniger auf den Rundfunk. Deswegen zog er unermüdlich durchs Land und suchte das unmittelbare Gespräch mit den Menschen.
Die Bürgerinnen und Bürger spürten im Laufe der Zeit, woran sie bei ihm sind und sie vertrauten darauf, dass er wohlabgewogene Entscheidungen traf – und das war sein politisches Erfolgsgeheimnis, das ihm große Mehrheiten bei den Wahlen einbrachte und ihm eine der längsten Amtszeiten in einem politischen Spitzenamt in Deutschland bescherten.
Johannes Rau wusste sehr genau, dass es schädlich für einen selbst ist, einen einzelnen Journalisten zu kritisieren, geschweige denn Medienschelte zu betreiben. Einzelkritik führt bekanntermaßen zur Solidarisierung aller anderen Kollegen und eine allgemeine Medienkritik wird nach aller Erfahrung tausendfach heimgezahlt.
Was Johannes Rau niemals getan hätte, will ich an seiner Stelle tun, nämlich einige kritische Anmerkungen zu den Medien zwischen Anspruch und Realität machen.
Die Pressefreiheit, dazu zählt natürlich auch die Rundfunkfreiheit, gelten nach unserer Verfassung als für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, denn die Pressefreiheit ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen und den politischen Wettbewerb um die besten Konzepte für die Zukunft.
Presse und Rundfunk tragen wesentlich zur Bildung der Öffentlichen Meinung bei, sie sind Medium und zugleich Faktor der politischen Willensbildung und tragen damit auch für die über Wahlen stattfindende Bildung von Mehrheiten im Parlament und damit für die Bildung einer Regierung bei.
Soweit das Ideal und der Anspruch. Aber wie meistens im konkreten Leben wird die reine Idee in der Wirklichkeit höchst selten erreicht.
So ist das auch mit der Pressefreiheit.
Das fängt bei ganz handfesten Tatsachen an.
Wer eine Zeitung verlegen oder Rundfunk veranstalten will, braucht Kapital. Das hat nun leider nicht jeder. Vielleicht kann noch jeder einzelne ein Flugblatt verbreiten, aber eine Zeitung herauszugeben, die viele Menschen erreicht, verlangt Druckmaschinen, braucht Journalisten, die bezahlt werden wollen, benötigt einen aufwändigen Vertrieb.
Selbst der Betrieb einer kleinen Radiostation verlangt die Finanzierung einer Redaktion und eines Studios.
Noch teurer sind der Betrieb und die Produktion von Fernsehsendungen.
In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, in dem Sie im Augenblick zu Gast sind, gibt es für die 18 Millionen Einwohner
45 Tageszeitungen mit 21 Hauptredaktionen mit einer Gesamtauflage von 3,3 Millionen Zeitungsexemplaren. Die Auflagenstärke der kleinsten Zeitung liegt bei 8.000, die größte Zeitung, die Rheinische Post, verkauft täglich 325.000 Exemplare.
In 46 Regionen und Städten gibt es Lokalradios, die von einem Rahmenprogrammanbieter versorgt werden. Die Lokalradios werden häufig wiederum von den ortsansässigen Verlegern der Zeitungen betrieben.
Dazu kommen noch 6 private lokale oder regionale meist auch von Verlegern veranstalteten TV-Programme oder Regionalfenster in bundesweit ausgestrahlten öffentlich-rechtlichen Programmen.
Eine Besonderheit NRW ist der sog. Bürgerfunk und das Bürgerfernsehen.
In Nordrhein-Westfalen gibt es ein bisher einmaliges System des Offenen Kanals im Radio. Wer immer es möchte, erhält die Gelegenheit, sich in einem der 46 privaten Lokalradios in Nordrhein-Westfalen unmittelbar zu Wort zu melden, denn jeder dieser Sender muss täglich eine wenn auch knappe Sendezeit für Bürgerfunk-Beiträge reservieren
Darüber hinaus gibt es 9 offene Fernsehkanäle bei den privaten Sendern.
Leider muss man sagen, dass dieses Angebot der Bürger für Bürger nur wenige Hörer oder Zuschauer findet.
Im Hinblicke auf die Vielzahl der Medien in unserem Land könnte man von einem zufrieden stellenden Bild sprechen, wenngleich seit Jahren ein stetiger Prozess der Pressekonzentration abläuft.
Gilt diese positive Einschätzung auch im Hinblick auf die Vielfalt der Medien und damit die Vielfalt der Meinungen?
Wenn die Verlegerverbände immer wieder die publizistische Vielfalt in Deutschland feiern, dann deshalb, weil es noch eine ganze Reihe kleiner, ja sogar kleinster Zeitungsverlage gibt. Was den Jubel aber trübt, ist, dass es in über 60 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte nur noch eine einzige Zeitung gibt, d.h. in weit mehr als der Hälfte des Deutschlands gibt es regionale Zeitungsmonopole.
Relativ viele Kleinverlage auf der bundesrepublikanischen Zeitungslandkarte bedeuten aber noch lange nicht Meinungsvielfalt: Denn typisch für diese Kleinzeitungen ist eine „Versippung“ von Verlegern oder Chefredakteuren mit den örtlichen Eliten und das ist gleichbedeutend mit der Ausrichtung an mittelständischen Interessen vor Ort.
Was aber noch viel entscheidender ist: Die Regional- und Lokalzeitungen prägen nicht das Meinungsklima in diesem Lande.
Die meinungsprägenden Medien sind die überregionalen Tageszeitungen, die Boulevardzeitungen, die großen Magazine und die hinter ihnen stehenden Großverlage und natürlich die elektronischen Medien Rundfunk und vor allem das bundesweit ausgestrahlte Fernsehen.
Wir haben in Deutschland fünf einflussreiche überregionale Tageszeitungen:
Die größte ist die Süddeutsche Zeitung mit einer Auflage von 445.000 Exemplaren. Sie ist wirtschaftspolitisch marktliberal und rechtspolitisch bürgerlich bis linksliberal.
Die zweitgrößte ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Sie hat eine Auflage von 370.000 gilt in Anlehnung an unsere Nationalflagge als schwarz-rot-gold. Schwarz steht für die konservative Politikredaktion, rot für das oftmals durchaus kritische Feuilleton und gold für den wirtschaftsliberalen Wirtschaftsteil.
Die Welt aus dem Verlagshaus Axel Springer mit einer Auflage von 251.000 ist im konservativen politischen Lager anzusiedeln.
Als linksliberal wird die Frankfurter Rundschau mit einer Auflage von 161.000 eingestuft. Diese Zeitung hatte große ökonomische Schwierigkeiten und ist vor kurzem in der Hand, des liberalen Kölner Verlegers Neven DuMont übergegangen. Man wird beobachten müssen, wie sich der Eigentümerwechsel auf die politische Linie des Blattes auswirken wird.
Dann gibt es noch die ständig am Existenzminimum krebsende „tageszeitung“ „taz“ mit einer verkauften Auflage von 60.000 Exemplaren. Die taz war ursprünglich eher eine Zeitung der Ökologie- und Friedensbewegung und somit der früheren Grünen Partei. Mit dem Wandel der „Grünen“ zu einer öko-liberalen Partei, wandelte sich auch die taz. Dennoch bedient die „taz“ noch ein in das linkere politische Lager reichende Spektrum des intellektuellen Bürgertums.
Dazu haben wir noch die werktäglich, also 5-mal in der Woche erscheinenden Wirtschaftszeitungen „Handelsblatt“ (144.000) und die „Financial Times Deutschland“ (101.000), die einen überwiegend einen konsequent wirtschaftsliberalen Kurs vertreten.
Diese überregionalen Abonnementszeitungen haben zwar nur einen Marktanteil von 5,2 Prozent, doch sie sind zusammen mit den großen Zeitschriften, SPIEGEL, Focus oder Stern die sog. „Gate-Keeper“ für die kleineren Zeitungen. D.h. die Themen, die von ihnen aufgegriffen werden finden ihr Echo auch in den Regional- oder Lokalzeitungen.
Politisch auf die Masse der Bevölkerung die wirkungsmächtigste Zeitung ist die Boulevardzeitung „BILD“ mit 3,5 Mio Auflage und nach eigenen Angaben 12 Mio Lesern täglich. Sie kommt aus dem konservativen Verlagshaus Axel Springer.
Der frühere Bundeskanzler Schröder soll einmal gesagt haben, man könne Deutschland mit „BILD“ und der „Glotze“ (also dem Fernsehen) regieren. Da ist viel dran. „BILD“ betreibt einen Kampagne-Journalismus und wenn dieses Massenblatt ein Thema aufgreift und tagelang trommelt, kommt die Politik kaum darum herum, darauf zu reagieren.
Die größte publizistische Macht in Deutschland konzentriert sich auf vier Großkonzerne: Bertelsmann, Springer, Bauer und Burda. Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, dass diese weitverzweigten Medienimperien die veröffentlichte Meinung in Deutschland wesentlich beeinflussen.
Die Aufzählung, wie viele Medien in Deutschland wirtschaftlich von den vier Großen beherrscht und damit in ihrer redaktionellen Ausrichtung auch geprägt werden muss ich mir an dieser Stelle leider ersparen, das würde meine Redezeit bei weitem sprengen.
Ein konservativer Journalist, der Ressortchef von Axel Springers „Die Welt“ hat diese Realität schon vor über vierzig Jahren einmal zugespitzt wie folgt kritisiert:
„Im Grundgesetz stehen wunderschöne Bestimmungen über die Freiheit der Presse. Wie so häufig, ist die Verfassungswirklichkeit ganz anders als die geschriebene Verfassung. Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Journalisten, die diese Meinung teilen, finden sie immer. Ich kenne in der Bundesrepublik keinen Kollegen, der sich oder seine Meinung verkauft hätte. Aber wer nun anders denkt, hat der nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken? Die Verfassung gibt ihm das Recht, die ökonomische Wirklichkeit zerstört es. Frei ist, wer reich ist.“
Paul Sethe hat damals noch von zweihundert reichen Leuten gesprochen, inzwischen ist allenfalls noch ein gutes Dutzend reicher Leute übrig geblieben, die die Pressefreiheit ausüben können. Und diese reichen Leute müssten schon Heilige sein, wenn sie mit ihrer Meinungsmacht nicht auch ihre ökonomischen Interesse verteidigten.
Die Väter und Mütter unserer Verfassung müssen das vorausgeahnt haben. Deshalb haben sie als Ausgleich oder Gegenpart zu den privaten Printmedien den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfunden. Eine weltweit ziemliche einmalige Konstruktion.
Nach den bösen Erfahrungen im Nationalsozialismus mit dem Staatsrundfunk als wichtigstes Propagandainstrument, wollte man keinesfalls Hörfunk und Fernsehen noch einmal in die Hand des Staates und der Politik geben.
Man wollte dieses wirkmächtige Medium aber auch nicht wenigen Privaten überlassen, die sich ein so teures Massenkommunikationsmittel leisten können.
Also hat man eine Konstruktion gefunden, bei der jeder Bürger, der ein Rundfunkgerät besitzt, zwangsweise wie eine Steuer eine Rundfunkgebühr bezahlen muss.
Die Aufsicht und Kontrolle über den Rundfunk sollten, sog. gesellschaftlich relevanten Gruppen, also Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Sportverbände usw. führen, die ihre Repräsentanten in einen Rundfunkrat delegieren.
Eine in meinen Augen geniale Konstruktion für ein so wirkmächtiges Massenmedium wie den Rundfunk. Leider hat man vor etwa zwanzig Jahren aus meiner Sicht den schweren Fehler gemacht, neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch das private Kommerzfernsehen, also ein Fernsehen, das sich ausschließlich über Werbung finanziert, zuzulassen.
Nach dem Motto „der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, haben sich die privaten Fernsehveranstalter vor allem auf massenwirksame Angebote, also auf Unterhaltung, Sport (vor allem Fußball), auf Fernsehen auf Boulevard-Niveau konzentriert. Der Name des Senders RTL wurde mit „Rammeln, Töten, Lallen“ karikiert.
Und die Fische bissen an.
Die Privaten Sender überholten die öffentlich-rechtlichen beim Kampf um die Einschaltquoten.
Und prompt gab es Kampagnen in den Printmedien, denen ja teilweise die Kommerzsender gehörten, warum denn die Bürger überhaupt noch Rundfunkgebühren bezahlen müssten, wenn deren Programme niemand mehr sehen möchte.
Das zwang auch die öffentlich-rechtlichen Sender zu einem Wettlauf um Einschaltquoten und zu immer mehr massenattraktiven Programmen. Der Bildungsauftrag und der Auftrag zur politischen Information – also die demokratische „Grundversorgung“ – wurden an den Rand, sprich in die Abend- oder Nachtstunden oder in spezielle Spartensender für Kultur oder Nachrichten gedrängt – wie etwa Phoenix, Arte oder 3Sat. Die politischen Magazine wurden auf eine halbe Stunde pro Woche gekürzt.
So schwenkten die großen öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme auch zunehmend auf den Meinungsmainstream ein und verlieren dabei ihre Bedeutung als kritische journalistische Widerlager.
Eine neuere technische Entwicklung, könnte die Pressefreiheit aber wieder an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben: Es ist das Internet. Im World-Wide-Web kann wieder jeder einzelne, ohne hohen Kostenaufwand seine Meinung in die Öffentlichkeit tragen.
Und in der Tat gibt es auch in Deutschland inzwischen eine aktive und öffentlichkeitswirksame Bloggerbewegung.
Ich selbst betreibe eine Netzzeitung und obwohl wir nur zwei Leute sind, die ehrenamtlich dieses Projekt betreiben, haben wir inzwischen im Monat eine Million Zugriffe. Das ist zwar ein Tropfen auf einen heißen Stein gegenüber den täglich 12 Millionen Lesern etwa der BILD-Zeitung, aber immerhin ein Anfang.
Das Medium, die Meinungsmacht des großen Geldes wieder von unten und demokratisch aufzubrechen, wäre jedenfalls über das Internet da.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige wenige, keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erhebende kritische Anmerkungen zum Wandel des Journalismus im letzten Jahrzehnt machen:
– Johannes Rau hat das in der ihm eigenen zurückhaltenden Form so gesagt: „Die Politik hat sich verändert, und das hat auch mit den Medien zu tun. Und schließlich hat sich unsere Gesellschaft verändert und das politische Klima in unserem Land. Das wiederum hat mit beidem zu tun.“
– Das Vordringen des Fernsehens hatte Rückwirkungen auf die Printmedien. Die knapp bemessene Sendezeit im Fernsehen lässt es eben nicht zu, wie in der Zeitung täglich eine ganze „Seite Drei“ einem bestimmten politischen Thema zu widmen. Fernsehen ist kurz und knapp, daran gewöhnen sich die Rezipienten und die Zeitungen scheinen diesem Trend zu folgen: „Kurz und Klein“ und möglichst bunt heißt hier inzwischen die Devise.
Bei einer Gesundheits- oder einer Rentenreform handelt es sich jedoch um höchst komplexe Sachverhalte, die sich beim besten Willen nicht in einer Minute dreißig Sekunden in Diskussionshäppchen in Talk-Shows oder auf maximal 200 Zeilen darstellen lassen.
Journalisten brauchten mehr Zeit, um sich solches Wissen anzueignen, und sie brauchten mehr Platz, um ihre Erkenntnisse darstellen zu können. Wenn beides fehlt, sind Journalisten in einer schwachen Position – gegenüber ihren Gesprächspartnern, gegenüber den Einflüsterungen einer immer mächtiger werdenden PR-Industrie und damit letztlich auch gegenüber ihren Zuschauern und Lesern.
– Im Fernsehen sind „jung und forsch“ zu sein, ganz wichtige Attribute für erfolgreiche Reporter. Häufig eilt jedoch die Forschheit, der journalistischen Kompetenz voraus. Diese Attitüde der Forschheit oder manchmal sogar der Frechheit hat sich im Journalismus ziemlich breit gemacht. Das hat aber wenig mit Kritikfähigkeit zu tun, die dringend erforderlich wäre.
– Elektronische Medien sind aus technischen Gründen zeitnaher und damit aktueller als Printmedien, sie bestimmen damit immer mehr die Agenda der Berichterstattung. Das hat dazu geführt, dass das Aktuelle immer wichtiger wird als das Wichtige.
Die schnelle Nachricht hat Vorrang vor der richtigen und der solide recherchierten Nachricht und deshalb sind Nachrichten zunehmend mit Vorsicht zu genießen. Dabei werden der Eile halber, Dinge häufig aus dem Zusammenhang gerissen und nur die halbe Wahrheit verbreitet, die sich oft als eine ganze Lüge herausstellt. Das hat zu einem spürbaren Glaubwürdigkeitsverlust der Medien und des Journalismus beigetragen.
– Elektronische Medien leben von Bildern und nicht von der abstrakten Analyse. Am leichtesten lassen sich abstrakte Inhalte mit Personen visualisieren. Das führt aber zunehmend dazu, dass nicht mehr danach gefragt wird, „wer steht für was“, sondern „wer steht gegen wen“. An die Stelle der Auseinandersetzung in der Sache tritt der Streit zwischen Personen.
– Die politische Lobbytätigkeit in Deutschland hat sich krebsgeschwürartig ausgeweitet. 2006 versorgten in Deutschland nach Schätzungen der Verbände 30.000 bis 50.000 PR-Mitarbeiter rund 48.000 hauptberufliche Journalisten mit Informationen. Die Lobbyorganisationen und ihre Think-Tanks versuchen nicht mehr nur die Politiker zu beeinflussen, sondern auch die veröffentlichte Meinung. Das fängt bei kleinen Einladungen von Journalisten zu Abendessen oder zu Reisen an und hört bei Zusatzverdiensten als Referent oder Moderator bei PR-Veranstaltungen nicht auf. Das gefährdet die Unabhängigkeit des Journalismus.
Es ist schon schlimm, wenn ganze Drehbücher von Fernsehfilmen danach geschrieben werden, um ein bestimmtes Produkt ins Bild zu setzen, noch schlimmer ist, wenn Journalisten als Umfragen oder wissenschaftliche Studien aufgemachte politische Propaganda kritiklos als Berichte übernehmen und nicht einmal mehr die Quelle preisgeben. Es breitet sich ein sog. „Plattform-Journalismus“ aus, bei dem unverfroren Anzeigenschaltungen und journalistische Berichterstattung verkoppelt werden.
Und immer öfters werden Einzelfälle bekannt, in denen Unternehmen kritische Berichte durch Anzeigenboykott „bestraft” haben.
Vor wenigen Tagen, am 2. Mai, begingen wir den Tag der Pressefreiheit. Aus diesem Anlass hat eine Vereinigung kritischer Journalisten „Netzwerk Recherche“ eine Dokumentation über die Misere des Wirtschaftsjournalismus herausgegeben.
Das Fazit ist: „Wir haben inzwischen zu viele Schönschreiber und zu wenig harte Rechercheure.“
Ich breche meine kritischen Anmerkungen hier einfach einmal ab, weil ich denke, dass wir uns in der Diskussion noch über viele andere Probleme des Journalismus unterhalten können.
Damit ich nicht nur in der Kritik verharre, zum Schluss noch ein paar aus meiner Sicht konstruktive Vorschläge:
Als Gegenmittel gegen diese kritisch zu betrachtenden Tendenzen sehe ich die Vermittlung von mehr Wissen und die Verbesserung des Handwerkzeugs, also im Ergebnis eine noch bessere Ausbildung von Journalisten, eine breitere Bildung und die Schulung der journalistischen Fähigkeiten.
In einer Zeit, in der die wirtschaftliche Situation der Zeitungsverlage wegen des Rückgangs an Abonnementen und wegen eines geringeren Anzeigenaufkommens schwieriger geworden ist, werden die Redaktionen verkleinert. Das erhöht den Zeitdruck und den Arbeitsdruck auf die weniger gewordenen Journalisten in geschrumpften Redaktionen. Damit sinken die Qualität des Journalismus und im Gefolge die Qualität der politischen Meinungsbildung.
Die entscheidenden Defizite des deutschen Journalismus haben somit wirtschaftliche Ursachen. Leider reflektiert das der deutsche Journalismus kaum oder er darf es wohl kaum reflektieren.
Besserung gibt es nur, wenn die Redaktionen nicht noch weiter
ausgedünnt sondern, im Gegenteil, aufgefüllt werden; mit Journalisten, die Kontakte knüpfen und pflegen, mit Journalisten, die Zeit haben, sich in ein Thema einzuarbeiten, mit Journalisten, denen wieder die Gelegenheit gegeben wird, zu recherchieren.
Informiert sein, alle Seiten zu hören, kritisch zu sein und selbst zu recherchieren und dann noch Schreiben zu können, das sind die Kennzeichen für Qualitätsjournalismus und das ist der Grund, warum der Pressefreiheit in der Demokratie ein so hoher Wert eingeräumt wird. Papageien-Journalismus ist eine Gefahr für die Demokratie.
Es ist unumgänglich, dass Journalisten auch politische oder sogar parteipolitische Präferenzen haben. Das wäre nicht vorwerfbar, solange Journalisten die Dinge nüchtern betrachten und unvoreingenommen beschreiben. Vorwerfbar ist, wenn Journalisten „die Seite wechseln“ und sich in die Politik einmischen. Dieser Tage erscheint in Deutschland das Buch des Journalisten Gerhard Hofmann, das belegt, wie im letzten Bundestagswahlkampf im Jahre 2005 Journalisten gezielt eine Regierung oder zumindest einen Kanzler weggeschrieben haben.
Soweit würde ich nicht gehen wollen, aber unbestreitbar ist, dass eine beachtliche Anzahl teils angesehener Journalisten von der Bank der Beobachter auf die Seite der Handelnden gewechselt sind und so Verrat übten an dem, was eigentlich ihr Auftrag – und ihr Privileg – ist: nämlich die Kontrolle der Macht.
In der im eigenen typischen Frageform, hat Johannes Rau dieses Phänomen schon vor Jahren vorausschauend problematisiert:
„In einem demokratischen System unterwerfen sich die gewählten Repräsentanten der Kontrolle durch den Bürger – sie übernehmen für eine begrenzte Zeit Verantwortung und sie können bei Wahlen abgewählt werden.
Medien und Journalisten unterliegen einer solchen demokratischen Kontrolle nicht. Warum auch?
Sie machen ja keine Gesetze, sie wählen keine Regierungen, sie berufen keine Minister.
Was aber geschieht, wenn sie doch Einfluss nehmen? Wer kontrolliert, ob und auf welchem Wege sie das tun? Wer prüft, welche ökonomischen Interessen die beteiligten Medienunternehmen dabei möglicherweise haben? Wo verläuft die Grenze zwischen Aufklärung, Meinung und Manipulation?“
Das wären wichtige Fragen, über die ich gerne mit Ihnen in einen Meinungsaustausch treten würde.
Quelle 1: bundespräsident.de
Quelle 2: nachdenkseiten
Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage [PDF – 6,7 MB]
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=2324