Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (OP/WL/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Ukraine/Russland
- Wie die Regierung Kiew die Aufklärung der Brand-Tragödie in Odessa sabotiert
Der Untersuchungsausschuss der Stadtratsabgeordneten von Odessa löste sich auf, weil die Innenbehörde keine Informationen rausrückte. Drei verhaftete rechte Gewalttäter wurden freigelassen
Am Donnerstag stellte der von Abgeordneten des Stadtrates Odessa gebildete Untersuchungsausschuss zum Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa, bei dem mindestens 48 Menschen starben, seine Arbeit ein. Dies berichtete das regierungskritische Nachrichtenportal “Tajmer”. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Innenbehörde und die Generalstaatsanwaltschaft wichtige Informationen und Dokumente der Ermittlungen zurückhalten.
Nun gibt es nur noch zwei Ausschüsse, welche den Brand im Gewerkschaftshaus, bei dem nach Meinung von Regierungskritikern über 100 Menschen starben, untersuchen, einen Ermittlungsausschuss von Journalisten aus Odessa und einen Ermittlungsausschuss des Parlaments in Kiew. Doch es drängt sich der Eindruck auf, dass die ukrainischen Behörden kein Interesse an der Aufklärung des Brands im Gewerkschaftshaus haben.
Gründliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu dem Brand hatte es offenbar nicht gegeben. Die Ermittler arbeiteten nur einige Tage nach dem Brand in dem Gebäude. Den ganzen Mai über stand das ausgebrannte Gewerkschaftshaus faktisch unbewacht und war für Trauernde und für Neugierige zugänglich.
Wie Juri Tkatschew, Mitglied des von Journalisten gebildeten Untersuchungsausschusses, in einem Beitrag im “Tajmer” schreibt, würden wichtige Informationen von der Innenbehörde “absichtlich vor der Öffentlichkeit versteckt”. Die Polizei argumentiere mit dem “Schutz der Ermittlungen”.
Quelle: Telepolis
- Ex-US-Botschafter über Ukraine-Krise
Putins aktuelle Politik ist die Folge von Provokationen des Westens, sagt Jack Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau.
„Als wir den Kalten Krieg beendet und politisch dabei geholfen haben, Osteuropa zu befreien, war klar, dass wir Russland für ein freies und vereintes Europa einbeziehen müssen. Wir wussten auch, wenn man ein Instrument des Kalten Krieges – die Nato – in dem Moment vor bewegt, wo die Barrieren fallen, schafft man neue Barrieren in Europa. Und genau das ist jetzt geschehen. Wenn wir Frieden wollen, dann sollten Russland, die Ukraine und die Länder Ost- und Westeuropas in einer einzigen Sicherheitsgemeinschaft sein….
Die Osteuropäer brauchten eine gewisse Rückversicherung und Schutz. Aber es war ein Fehler, die Nato in den Osten auszudehnen – und die Art und Weise, wie das geschehen ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ende des Kalten Kriegs kein westlicher Sieg war. Wir haben das Ende des Kalten Kriegs verhandelt und es zu Bedingungen getan, die auch vorteilhaft für die Sowjetunion waren. Wir haben alle gewonnen…
Putin handelt so, wie jeder russische politische Verantwortliche unter diesen Umständen handeln würde. Der Umsturz in Kiew im vergangenen Februar hat Leute in den Sicherheitsapparat gebracht, die vehement antirussisch sind und die politisch so weit rechts stehen, dass man sie ohne Übertreibung Neonazis nennen kann. Die gewaltsame Übernahme von Regierungsgebäuden hat im Westen der Ukraine begonnen. Nicht im Osten…
Ich sage nicht, dass es richtig war, die Krim einzunehmen. Aber es war vorhersehbar, dass Russland es tun würde, wenn es um seinen Flottenstützpunkt in Sewastopol geht.
Quelle: taz
- Dennis J. Snower: Der Westen und Russland – Sanktionen sind Gift für die Wirtschaft
Grundsätzlich nimmt, wer Wirtschaftssanktionen verhängt, damit in Kauf, auch die eigene Wirtschaft zu treffen. Die westlichen Staaten tun dies, weil sie die gesamtwirtschaftlichen Risiken für begrenzt halten. Sie drohen allerdings die Gefahren zu unterschätzen, die sich aus den psychologischen Folgen eines sich aufschaukelnden Handelskrieges ergeben. Sanktionsgegnern wird häufig vorgeworfen, sie wollten für das Wohlergehen der Wirtschaft politische Grundsätze opfern. Es kann angemessen sein, einen wirtschaftlichen Preis zu zahlen, um politische Ziele zu erreichen. Doch der wirtschaftliche Preis muss realistisch berechnet werden, einbezüglich der psychologischen Risiken.
Dabei ist auch zu beachten, dass durch den Handel und die Wirtschaftsbeziehungen Menschen in Kontakt kommen. Sie schließen auf freiwilliger Basis miteinander Geschäfte ab – zum gegenseitigen Nutzen. Diese Interaktionen sind ein wichtiger Beitrag, um Konfliktpotenzial abzubauen. Sie zeigen täglich im Kleinen, wie wir aufeinander angewiesen sind. Dass diese Kontakte weniger werden, gehört ebenfalls zum Preis, den wir für Sanktionen zu bezahlen haben.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Anmerkung Orlando Pascheit: Zum größten Teil befasst sich der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft mit den gesamtwirtschaftlichen Folgen von Sanktionen und Gegensanktionen. In einer rein statischen, ökonomischen Sichtweise hält er die Folgen für alle Beteiligten für überschaubar. Auch die neuen Sanktionen (erschwerter Zugang zu europäischen Krediten, Ausweitung des Exportverbots für Technologie zur Erdölförderung und Beschränkungen zur Ausfuhr militärisch nutzbarer Güter. Rund 20 Personen soll die EU mit Konten- und Einreisesperren belegen) dürften an dieser Einschätzung wenig ändern. Allerdings betont Dennis J. Snower, dass die Situation in Europa nicht normal sei: “Auch eigentlich recht kleine Störungen wie die aktuellen Sanktionen haben daher das Potenzial, Europas Konjunktur wieder aus der Bahn zu werfen.” Die Spannungen mit Russland hätten “vermutlich entscheidenden Anteil daran, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft seit dem Frühjahr spürbar verschlechtert hat.” Snower befürchtet, dass die damit verbundenen Unsicherheiten, zu einem Rückgang der Investitionen führen könnten und damit zu einer Ausbremsung der Konjunktur.
Neben dem Generalthema Sanktionen fällt in einem Nebensatz folgende Aussage des neoliberalen Ökonomen auf: “Deshalb muss Europa endlich auf einen Kurs der verantwortungsvollen Fiskalpolitik einschwenken. Ein wichtiges Element dafür ist die Einführung von atmenden Fiskalregeln für Schuldnerländer, die eine langfristige Schuldenquote verbindlich vorgeben, aber in Rezessionszeiten durchaus Mehrausgaben ermöglichen.” Immerhin. Snower auf den Spuren eines anderen Neoliberalen namens Draghi: ” … mehr Spielraum für die Fiskalpolitik” ja eine “wachstumsfreundlichere Fiskalpolitik” ? – Wirklich bemerkenswert fand ich den Snowers Hinweis über das rein Ökonomische hinaus, dass Handel eine Form der Kontaktnahme sei, die ein wichtiger Beitrag seien, um Konfliktpotenzial abzubauen.
- TTIP/CETA
- Herta Däubler-Gmelin: „Nicht zustimmungsfähig!“
Rote Linien für TTIP müssen auch für CETA gelten. Zur Not muss geklagt werden.
In den letzten Jahren ist der CETA-Entwurf im Windschatten der Diskussion um TTIP ausgehandelt worden. Seit Anfang August liegt der endgültige Text vor, der 521 Seiten umfasst. Bis heute ist er weder offiziell veröffentlicht, noch den Parlamentariern des Europäischen Parlaments oder der nationalen Parlamente übersandt worden. Beim Durcharbeiten fällt sofort ins Auge, dass viele der von Bernd Lange an TTIP gestellten Anforderungen bei CETA keineswegs erfüllt sind…
Der CETA -Entwurf verstärkt jedoch zusätzlich Zweifel daran, dass die Sicherung bzw. Vereinbarung hoher gemeinsamer Standards gewollt oder möglich wäre. Diese Probleme weisen nahezu alle betroffenen Regelungsbereiche auf, besonders deutlich jedoch die häufig zugesagten Sicherung hoher Arbeitsstandards. Doch gerade die ist ja erforderlich um zu verhindern, dass die Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen in eine Abwärtsspirale führt. Maßstab dafür ist die verbindliche Vereinbarung zumindest der bekannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. CETA sieht deren Garantie jedoch nicht vor….
Auch die Formulierungen über die Rückübernahme einmal privatisierter Dienstleistungen in öffentliche Verantwortung schüren Zweifel, dass dies weiterhin zulässig sein wird. Hinzu kommt schließlich, dass CETA, ebenso wie wohl TTIP, die einbezogenen Bereiche nicht in einer Positivliste klar umgrenzt, sondern Bereiche ausnimmt.
Das klingt zunächst beruhigend, hat aber zur Folge, dass jede neue Entwicklung oder neue Geschäftsmodelle in Grenzbereichen zwangsläufig zu Unsicherheiten über ihre Einbeziehung und damit über die Ausgliederung aus der staatlichen Regelungskompetenz führen müssen. Diese Unklarheiten, aber auch weitere Streitfragen aus CETA sollen, ebenso wie künftige Regelungen, nicht auf dem Weg über neue Vereinbarungen, sondern durch einen Regelungsrat geklärt oder festgelegt werden. Dieses Gremium hat Entscheidungs- und Regulierungskompetenzen. Seine Mitglieder werden als „Experten“ von den Vertragsparteien berufen. Sie sind aber weder Parlamentarier, noch von Parlamenten gewählt oder diesen verantwortlich. Rechte von Gewerkschaften, gar die Konsultation mit der Zivilgesellschaft finden nur ausnahmsweise und vereinzelt Erwähnung…
Ich brauche die bekannten Kritikpunkte hier nicht zu wiederholen: Sie konzentrieren sich auf die Einseitigkeit der privaten Schiedsstellen, die Mängel im Verfahren und die Benachteiligung von Staaten. Einige dieser Kritikpunkte greift CETA durchaus auf, nicht jedoch das rechtstaatliche Grundproblem, dass die Klagen der ausländischen Investoren gegen staatliche Regulierungen insgesamt der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen und im Wege des „Outsourcing“ privaten internationalen Gremien zugewiesen werden.
Quelle: Internationale Politik und Gesellschaft (IPG)
- Das CETA-Abkommen mit Kanada ist rechtswidrig
Noch beunruhigender ist in diesem Kapitel die Methode der sogenannten “Negativliste” In Artikel X 06). Bei diesem Verfahren werden alle Steuerarten aufgezählt, für die das CETA-Abkommen nicht gelten soll. Alle künftigen Besteuerungen, die heute etwa noch nicht existieren, werden durch CETA und die EU geregelt. Und um diese Bestimmung völlig wasserdicht zu machen, gibt CETA jedem ausländischen Investor auch in diesem Punkt ein Klagerecht gegen den Gaststaat. Er kann geltend machen, dass eine bestimmte steuerliche Maßnahme ihn besonders hart trifft und damit gegen die Investitionsschutzbestimmungen in CETA verstößt. Wie mit dieser Unterwerfung unter fremde Richter weiter zu verfahren ist, wird in CETA ausführlich dargelegt. Axel Flessner (und mancher Kollege) kann hier nur ungläubig den Kopf schütteln: “Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Staaten mit demokratischer Verfassung sich für ihre Gesetze und Regierungsakte qua selbstgeschlossener Verträge in die Rolle von schadensersatzpflichtigen Beklagten gegenüber Privatpersonen und privaten Unternehmen bringen lassen.”
Dass die Kommission bei CETA rechtswidrig, also ohne dass sie dafür zuständig ist, die noch verbliebenen Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten einschränkt, ist auch für den Nicht-Juristen mit Händen zu greifen. Fast unabweislich wird die Feststellung: Die EU-Kommission hat sich bei den CETA-Verhandlungen Zuständigkeiten angemaßt, die sie nach dem Lissabon-Vertrag nicht hat. Sie hat unerlaubt in die Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten eingegriffen und damit, man muss es wohl so nennen, eine widerrechtliche Selbstermächtigung begangen.
Quelle: Norbert Häring
- TTIP und Ceta kommen Gemeinden in die Quere
Ein europäisches Freihandelsabkommen mit den USA oder mit Kanada – das klingt für die deutschen Gemeinden weit weg. Doch die Kommunen könnten einen großen Teil ihrer politischen Gestaltungsmacht verlieren – ob bei Mietpreisbremsen, Gewerbeansiedlungen, öffentlichen Krankenhäusern oder der Abfallbeseitigung. Dies ist das Ergebnis einer neuen Kurzstudie des Bürgernetzwerkes Campact. Die Campact-Studie führt einige detaillierte Beispiele auf: Kommunale Krankenhäuser erhalten oft Ausgleichszahlungen vom deutschen Staat. Schon jetzt gehen private Kliniken dagegen vor – bisher sind sie allerdings gezwungen, sich an die deutsche Justiz zu wenden. So läuft in Baden-Württemberg gerade ein Musterprozess: Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) hat den Landkreis Calw verklagt, weil dieser seine Kreiskrankenhäuser unterstützt. Das Landgericht Tübingen wies die Klage zwar ab, aber der BDPK kündigte schon an, in Berufung zu gehen. Private Krankenhausketten wie Fresenius haben bereits Aktionäre, die wie der Vermögensverwalter BlackRock aus den USA stammen. Sobald die Abkommen abgeschlossen sind, könnten sie vor internationale Schiedsgerichte ziehen. Auch bei vielen Supermarktketten und Einkaufszentren sind amerikanische Investoren beteiligt. Sie könnten sich künftig dagegen wehren, wenn Städte nicht beliebig viele Malls zulassen.
Bei der Vorstellung der Campact-Studie war Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer dabei. Der grüne Realo wollte sich nicht eindeutig festlegen, ob er Ceta und TTIP ablehnen wird. “Ich bin gegen Verschwörungstheorien.” Gleichzeitig stellte er aber klar: Sollte der Investorenschutz in den Verträgen unverändert bleiben, “macht das Tübingen kaputt.” Dann würde er die Freihandelsabkommen ablehnen. “Aber dafür muss man nicht Grüner sein. Dann müssen sich alle Kommunen wehren.”
Quelle: taz
Folgen der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft für Bundesländer und Kommunen [PDF – 2.9 MB]
Anmerkung Orlando Pascheit: Was soll das ziemlich nebulöse Geraune des grünen Realo Palmer von “Verschwörungstheorien?
- Ein „Rentenpaket“ macht noch lange keinen Frühling
Seit gut 20 Jahren bedeuten „Reformen“ in der Rentenpolitik stets Leistungseinschnitte. Nun liegt ein „Rentenpaket“ der großen Koalition vor, das Leistungsverbesserungen vorsieht – und auch gleich so heißt: „Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung“ (kurz: RV-Leistungsverbesserungsgesetz). Einiges an diesem Rentenpaket ist dringend nötig und doch nicht genug. Einiges ist gut und manches schwierig bis bedenklich…
Grundsätzlich und in großen Teilen ist das Rentenpaket aus Sicht der Beschäftigten zu begrüßen. Es ist allerdings festzuhalten, dass die Regierung am grundsätzlichen Kurs festhält: Die Rentenversicherung soll dem Ziel der Beitragssatzstabilität untergeordnet bleiben und das Rentenniveau weiter sinken. Im Kontext dieser einnahmeorientierten Rentenpolitik führt das Rentenpaket aber zu weiteren Verwerfungen.
Die beitragsfinanzierten Mehrausgaben führen zu einem höheren Beitragssatz. Insbesondere die „Mütter-Rente“ schlägt hier zu buche, da sie mit Abstand die teuerste Leistung ist und gar nicht aus Beiträgen finanziert werden dürfte. Steigende Beiträge kürzen aber über die Rentenanpassungsformel (den Faktor Altersvorsorgeaufwendungen, der sogenannte „Riester-Faktor“) die Rentenerhöhung. Die Renten steigen daher gerade wegen des Rentenpakets noch langsamer als bisher vorgesehen.
Das Rentenpaket dämpft darüber hinaus noch über einen zweiten Faktor in der Rentenanpassungsformel die Rentenerhöhungen: den Nachhaltigkeitsfaktor. Verkürzt gesagt ist dies dann der Fall, wenn die Ausgaben schneller steigen als der aktuelle Rentenwert. Dies trifft auf das Rentenpaket zu, da die „Mütter-Rente“, die „63er-Rente“ wie auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente die Ausgaben über den Rentenwert hinaus erhöhen. Dadurch sinkt das Rentenniveau stärker als ohnehin vorgesehen. Ein Viertel der „Mehrausgaben“ wird durch geringere Rentenerhöhungen auf die Renten umgelegt. Die Rentnerinnen und Rentner zahlen also einen weiteren Anteil der Kosten des Rentenpakets durch langsamer steigende Renten.
Die Leistungsverbesserungen durch das Rentenpaket sind nicht das Problem; sie sind sogar weitgehend zu begrüßen. Die Probleme sind vielmehr die falsche Finanzierung, die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel und insgesamt das Ziel der Beitragssatzstabilität. Wenn hier keine Änderung eintritt, drohen weitere Leistungskürzungen und ein weiterer Wertverlust der gesetzlichen Rentenversicherung.
Quelle: Ingo Schäfer in annotazioni.de
- Sozialrechtliche Regelbedarfsleistungen derzeit noch verfassungsgemäß
Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, werden im Ergebnis nicht verfehlt. Insgesamt ist die vom Gesetzgeber festgelegte Höhe der existenzsichernden Leistungen tragfähig begründbar. Soweit die tatsächliche Deckung existenzieller Bedarfe in Einzelpunkten zweifelhaft ist, hat der Gesetzgeber eine tragfähige Bemessung der Regelbedarfe bei ihrer anstehenden Neuermittlung auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 sicherzustellen.
Der Gesetzgeber hat tragfähig begründet, warum sich die Fortschreibung an die bundesdurchschnittliche Preis- und Lohnentwicklung anlehnt. Die Preisentwicklung muss allerdings – wie geschehen – im Vergleich zur Lohnentwicklung stärker gewichtet werden, weil gerade bei Leistungen zur Deckung des physischen Existenzminimums deren realer Wert zu sichern ist.
Quelle 1: Bundesverfassungsgericht Pressemitteilung
Quelle 2: Entscheidung des BVerfG v. 23.Juli 2014
- Arbeitslosenverwaltung: Viel fordern, schnell strafen
Rund drei Millionen Menschen in Deutschland sind ohne Arbeit. Geld bekommen sie vom Jobcenter – sofern sie sich an dessen Forderungen halten. Bei Nichtbefolgen drohen sofort finanzielle Sanktionen. Dabei ist die Gefahr des Missbrauchs kaum existent.
Viele Jobcenter sind überlastet. Der Druck auf die Mitarbeiter ist hoch. Sie sollen die Arbeitslosen – ungeachtet der Chance auf eine erfolgreiche Vermittlung – gewissermaßen aus pädagogischen Gründen möglichst häufig vorladen. Die Intervalle werden in der sogenannten Eingliederungsvereinbarung festgelegt, die zwischen dem Jobcenter und dem Arbeitssuchenden geschlossen wird. Wer sich nicht an die Vereinbarungen hält, dem drohen Geldstrafen, Sanktionen genannt: Zehn Prozent des Regelsatzes werden einbehalten, 30, sogar bis zu 100 Prozent. Wobei Jugendliche besonders hart sanktioniert werden. Die Strafen seien allerdings nur das letzte Mittel…
Die vergleichsweise hohe Zahl der Verfahren hat mehrere Gründe. Zum einen sind Mitarbeiter in den Jobcentern der überaus komplexen Materie nicht immer gewachsen. Das ist kein Wunder, denn bis in die jüngste Vergangenheit wurden viele Mitarbeiter nur zeitlich befristet eingestellt, in der Hoffnung, ihre Arbeit würde irgendwann überflüssig. In dem Bestreben, möglichst jeden Einzelfall gerecht zu erfassen, aber auch niemandem zu viel Geld zu kommen zu lassen, hat sich das Regelwerk zudem zu einem bürokratischen Monstrum entwickelt…
Quelle: DLF
- Die Hartz-IV-Gesetze sind die Arbeitshäuser des 21. Jahrhunderts
Mit der Drangsalierung der Arbeitslosen lässt sich prima Stimmung machen – und Wahlen gewinnen…
Seit der Einführung von Hartz IV stimmen 47,3 Prozent der Deutschen der Aussage zu, dass die meisten Arbeitslosen kaum daran interessiert seien, einen Job zu finden, wie das Forschungsprojekt “Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” ermittelt hat. Aufschlussreich ist dabei die Feststellung, dass die Hetze gegen Arbeitslose und Arbeitsverweigerer mit dem Einkommen steigt…
Der Tenor der Reichen ist eindeutig: Jeder ist seines Glückes Schmied. Die so genannten sozial Schwachen müssen selbst schauen, wo sie bleiben und wie sie über die Runden kommen. Die Wohlhabenden grenzen sich ab vom Pöbel und ziehen sich zurück aus der Solidargemeinschaft…
Der Hartz-IV-Empfänger bestätigt in seiner Funktion als Sündenbock den vermeintlich besseren Status desjenigen, der ihn beschimpft. Insofern untermauert und stützt die Armut den Status quo des Gesellschaftssystems…
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat seit Monaten an einer Reform des SGB II herumgebastelt, um die Arbeitslosen abermals zu schikanieren. Das Ganze lief unter dem schöngefärbten Titel “Rechtsvereinfachungen im Zweiten Sozialgesetzbuch”, offiziell heißt es nun “Neuntes SGB II-Änderungsgesetz”.
Unter den 36 geplanten Änderungen finden sich unter anderem diese abstrusen Punkte…
Quelle: Telepolis
- Schädliches Öl
Verwüstete Landschaften, vergiftete Umwelt, vertriebene Menschen. Kanadas Ölproduktion ist weltweit hoch umstritten. Obwohl die EU solch umweltschädlich gewonnene Energie eigentlich ablehnt, ist es bereits nach Spanien eingeführt worden. Und auch Deutschland ist interessiert…
Kanada hat keine tauglichen Tiefseehäfen, das Öl wird via USA nach Europa verschifft. Plusminus liegt die bislang unveröffentlichte Liste des US-Handelsministerium vor: Schon 13 Sondergenehmigungen für Exporte sind erteilt: nach England, die Niederlande und nach Deutschland. Experten meinen, dass innerhalb von zwei Jahren so über die USA 500 000 Barrel Kanadaöl pro Tag in alle Welt verschifft werden können. Seit dem 5. August liegt nun der Entwurf des Freihandelsvertrags mit Kanada vor. Ölkonzerne, wie die von Alberta, können demnach ihre Exportinteressen auch in einem Schiedsverfahren einklagen und gegen Regierungsentscheidungen vorgehen. Ursprünglich hatte die EU bei Klimaschutzauflagen kein Klagerecht geplant. Das ist nun anders.
Werden die Ölkonzerne also klagen, wenn Klimaschutzauflagen verschärft werden? Für Lobbyist Friedmann eine Möglichkeit. Klimaschutz war gestern – heute zählt für Europa Energiesicherheit. Und daran werden die europäischen Ölmultis BP, Total und Shell sehr gut verdienen.
Quelle: Das Erste, plusminus
- Umweltministerium: Fracking einschränken auch bei ungefährlicher Flüssigkeit
Das Bundesumweltministerium hat gegenüber dem NDR Fernsehmagazin “Panorama – die Reporter” ein Treffen eines Ministerialbeamten am 6. Mai 2014 mit drei SPD-Abgeordneten bestätigt, in dem das neue Fracking-Gesetz beraten wurde. Nach Angaben einer Teilnehmerin wurde dabei gemeinsam nach Wegen gesucht, Fracking im Schiefergas zu verhindern. Laut einem internen Vermerk, den der NDR über das “Handelsblatt” erhalten hat, solle die Neuregelung nicht den Anschein eines “Frackingermöglichungsgesetzes” hervorrufen. Aus dem Kontext wird klar, dass eine Regulierung bis kurz vor einem Verbot von Fracking im Schiefergas angestrebt wird. Den weiteren Gesprächsverlauf hält das Ministerium dann wie folgt fest: “Es wurde festgestellt, dass dies mit einem Verbot gefährlicher Stoffe nicht möglich ist, da Exxon Mobil angekündigt hat, in Kürze ohne gefährliche Stoffe unkonventionell fracken zu können.”
Quelle: NDR
Anmerkung WL: Ein merkwürdiger Kampf für das Fracking, den der NDR hier führt.
Journalistische Rechthaberei oder Instrumentalisierung durch Lobbyisten?
- Japan geschockt über Einbruch der Wirtschaft
Die japanische Wirtschaft ist in Folge einer Anhebung der Verbrauchssteuer so stark geschrumpft wie seit mehr als fünf Jahren nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt sank zwischen April und Juni um eine hochgerechnete Jahresrate von real 7,1 Prozent und brach damit noch stärker als erwartet ein, wie die Regierung am Montag bekanntgab…
Abes Politik aus lockerer Geldpolitik und Konjunkturspritzen hatte die Gewinne der Unternehmen sowie die Aktienkurse zunächst deutlich steigen lassen.
Dies schürte die Zuversicht, dass die Wirtschaft stark genug ist, die Anhebung der Verbrauchssteuer von 5 auf 8 Prozent im April gut zu verkraften. Die Steuer ähnelt der deutschen Mehrwertsteuer, liegt aber deutlich niedriger…
Die jüngsten Daten deuten darauf hin, dass die höheren Firmenprofite bisher nicht wie erhofft die Kaufkraft der Haushalte anhebt. Zwar stiegen die Einkommen zuletzt um 1,6 Prozent, die Verbraucherpreise zogen jedoch deutlich stärker um 3,4 Prozent an. Die Ausgaben privater Haushalte sanken im Juli um 5,9 Prozent zum Vorjahr und damit stärker als befürchtet. Zudem fiel das Wachstum der Industrieproduktion im Juli mit 0,2 Prozent schwächer aus als erhofft.
Quelle: WAZ
Anmerkung M.F.: Steigende Unternehmensgewinne sowie Aktienkurse führen also nicht zu steigenden Haushaltsausgaben der “gemeinen” Verbraucher, also Arbeitnehmer. Das ist ja mal eine richtig überraschende Einsicht…
- Wie ich fast ein Dschihadist wurde
Vor zwanzig Jahren habe ich mein katholisches Gymnasium im Norden New Yorks verlassen, um an einer Koranschule in Pakistan zu studieren, die durch Saudi-Arabien unterstützt wurde. Als junger Konvertit ergriff ich die Chance, in einer Moschee zu leben und den ganzen Tag lang den Koran zu studieren. Das alles geschah Mitte der 1990er Jahre, als der tschetschenische Widerstand gegen die russische Herrschaft eskalierte. Nach der Schule schalteten wir den Fernseher an und sahen uns die Bilder der Zerstörung und des Leidens an. Die Videos waren bestürzend. So bestürzend, dass ich mich bei dem Gedanken ertappte, meine religiöse Ausbildung aufzugeben, zur Waffe zu greifen und für die Freiheit Tschetscheniens zu kämpfen. Es war kein Vers aus unseren Koranstudien, der mich auf diese Gedanken brachte, sondern meine amerikanischen Wertvorstellungen. Ich war in den 1980er Jahren aufgewachsenen, der Reagan-Ära. Ich habe aus G.I. Joe-Cartoons gelernt, dass man (so hieß es im Titelsong) „für die Freiheit kämpfen solle, wo immer es gerade Probleme gibt“. Ich nahm an, dass Individuen das Recht – und die Pflicht – hatten, überall auf unserem Planeten einzugreifen, wo sie wahrnahmen, dass Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit in Gefahr waren.
Quelle: FAZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Leider drückt sich der Autor um eine wesentliche Frage, nämlich warum er sein katholisches Gymnasium verlassen hat, warum er konvertierte und warum er ausgerechnet in Pakistan den Koran studieren wollte. Natürlich ist es ganz wunderbar, das erzkonservative Muslime ihn davon abhielten, als Dschihadist in Tschetschenien zu kämpfen. Wenn aber der Autor meint, dass “einige” Jugendliche in seiner Situation wohl anders beraten worden seien, wird die Dimension dieser anderen Beratung kleingeredet. Immerhin vermittelten die Koranschulen Pakistans die ideologische Grundlage für die Bewegung der Taliban.
Noch seltsamer wird es, wenn Michael Muhammad Knight meint, ihn hätten uramerikanische Ideale und Werte getrieben, sich in einen Freiheitskampf zu werfen, der nicht sein eigener sei – wie andere Amerikaner auch. Seine Ausführungen gipfeln in der Behauptung: “Es mag schwer zu glauben sein, aber ich betrachtete den Krieg unter dem Gesichtspunkt des Mitleids. Wie so viele Amerikaner, die aus Liebe zu ihrem Vaterland Dienst an der Waffe tun, sehnte auch ich mich danach, gegen Unterdrückung zu kämpfen und die Sicherheit und Würde anderer zu beschützen. … Das Szenario, das ich mir davon ausmalte, Tschetschenien zu befreien und in einen islamischen Staat zu verwandeln, war eine rein amerikanische Phantasie.”
Knight liefert keine Erklärung für die Faszination des IS von amerikanischen Jugendlichen. Dessen Videos vermitteln keineswegs, “dass Individuen das Recht – und die Pflicht – hatten, überall auf unserem Planeten einzugreifen, wo sie wahrnahmen, dass Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit in Gefahr waren.” Wenn Knight am Ende ausführt, das man in den USA dazu erogen werde, “Gewalt zu lieben und militärische Eroberung als Akt der Menschenfreundlichkeit zu verehren” und “andere Gesellschaften nach seinen eigenen Vorstellungen aufzubauen” mag sich manch USA-Kritiker bestätigt fühlen, aber diese Begründungen dienen wohl eher dazu, die eigene Motivlage zu verbrämen bzw. zu relativieren, als die Motivation “westlicher” Möchte-gern- Dschihadisten zu erklären.
Passend dazu: Wie wir Firas verloren haben
Binnen weniger Jahre wurde der 19-jährige Firas H. vom lieben Buben zum Dschihadisten und zum Frontkämpfer für den “Islamischen Staat” in Syrien. Seine Eltern kamen vor einem Vierteljahrhundert aus Tunesien und haben dem Wochenmagazin News nun ein großes Interview gegeben. “Wir sind wohl das, was man moderne Muslime nennt”, sagt der Vater. Die Mutter trägt kein Kopftuch, sie haben Firas eine gute Bildung verschaffen wollen. Er ging auf die Tourismusschule, sollte Abitur machen. … Firas war 16, als er anders wurde. Er ging in Moscheen, zu Jugendtreffs, recherchierte im Internet zum Islam. Begann vom Kalifat zu reden. Eine Verwandlung. Er wird ummontiert und montiert sich selbst um. Die Eltern hören die Alarmglocken, versuchen alles, was sie können. “Es ist an sich schon schwer, als Eltern mit einem Jugendlichen in der Pubertät eine gute Verbindung zu haben, aber wenn der Sohn einer Gehirnwäsche ausgesetzt wird, ist es aussichtslos”, sagt der Vater. Der Vater versucht ihm den Umgang zu verbieten. Erfolglos. Er beschattet seinen Sohn sogar.
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: Auch der Versuch Robert Misiks die Wandlung eines 16jährigen Jungen zum Dschihadisten zu erklären, gelingt nicht. Diskriminierungserfahrungen von Türken, Tunesiern oder Ägyptern in Europa finden gewiss statt, aber dann müssten viel mehr Jugendliche aus diesem Kulturkreis dem Dschihad anheimfallen. Auch für den zweiten Erklärungsstrang gilt dies: “Und irgendwie ist das natürlich auch alles Pop. Junge Leute, die in die Pubertät kommen und genau das machen, was am schärfsten provoziert – nicht zuletzt ihre Väter und deren Welt, Väter, die sich hier eingerichtet haben in ihrem Migrantenleben, ihrer Minderheitenrolle. Väter, die als Schwächlinge erlebt werden. Dschihad als brutale Gegenkultur. Einen globalen ‘Protestislam’ hat der algerischstämmige Soziologe Fouad Allam das schon vor zehn Jahren genannt: entwurzelt, entkleidet lokaler Traditionen, selbst gebastelter Einheitsislam. Das Irre ist: Man kann das alles ganz leicht verstehen. Und es ist dennoch verrückt.” Protest klar, aber warum mündet dieser Protest bei einigen wenigen in Barbarei?
- Boko Haram baut einen Staat
Bleibt die Bundesrepublik Nigeria vereint oder wird ihr Nordosten von der islamistischen Untergrundarmee Boko Haram abgespalten? Diese Frage wird dieser Tage mit Waffengewalt ausgefochten. Eine Entscheidungsschlacht droht um die größte Stadt der Region, Maiduguri, Hauptstadt der Provinz Borno mit mehreren Millionen Einwohnern. Der Krieg zwischen Nigerias Regierung und Boko Haram hat mit all dem eine neue Qualität erreicht. Die Islamisten machen nicht mehr nur mit Geiselnahmen, Anschlägen und Überfällen auf sich aufmerksam, sondern suchen die territoriale Kontrolle. Am 24. August, nachdem die Kämpfer die Stadt Gwoza eingenommen hatten, verkündete Boko Harams Anführer Abubakar Shekau die Gründung eines “islamischen Kalifats”. Seitdem hat sich die Miliz in einem Ring von Orten festgesetzt, der Maiduguri fast komplett vom Rest Nigerias abschneidet. Boko Haram operiert grenzüberschreitend, spielt lokale Rivalitäten gegeneinander aus und tritt immer wieder besser ausgerüstet auf als die Armee.
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: Der Bundesstaat Borno ist etwa so groß wie Bayern. Es leben dort an die 5 Mio. Menschen, Muslime, welche die Scharia als Quelle der Gesetzgebung und der Rechtsprechung betrachten. In einem Statusbericht des Nigeria Security Network heißt es:
“Nigeria verliert gerade die Kontrolle über den Bundesstaat Borno und dessen Hauptstadt Maiduguri … Wenn Borno fällt, könnten die Nachbarstaaten Yobe und Adamawa folgen” und vergleicht die Entwicklung mit der erfolgreichen Blitzoffensive der dschihadistischen Gruppe IS in Syrien und im Irak. Auch die Grenzgebiete im östlich von Nigeria gelegenen Kamerun seien mittlerweile in Gefahr. Für diese Sichtweise spricht eine Mitteilung der kamerunischen Armee: Sie tötete am Dienstag nach eigenen Angaben rund 40 schwer bewaffnete Boko-Haram-Kämpfer, als diese aus Nigeria kommend die Grenze bei Fotokol überqueren wollten. Die Kämpfe dauerten laut dem Verteidigungsministerium drei Stunden, ein Regierungssoldat sei dabei verletzt worden. – Kalifate allerorten. Welche Erklärungsmuster könnten hier greifen? Überzeugt die These eines innernigerianischen Machtkampfes der Politklasse?
- Unmenschlichkeit als Konzept
Im Zeitraum 1. August 2013 bis 31. Juli 2014 kamen, so das italienische Innenministerium, 117.000 Menschen auf dem Seeweg nach Italien; doch bloß 35.400 von ihnen reichten in Italien einen Antrag auf Asyl oder humanitären Schutz ein. Die stärksten Flüchtlingsgruppen stammten im letzten und im laufenden Jahr aus Eritrea und Syrien, sie machen etwa die Hälfte aus. Doch bis Ende 2013 stellten bloß 695 der über 11.000 eingetroffenen Syrer in Italien einen Asylantrag; zum Vergleich: In Deutschland waren es fast 12.000, in Schweden 16.000. Nicht viel anders ist die Situation bei den Eritreern; knapp 10.000 kamen 2013 in Italien an – doch nur 2.200 beantragten Asyl.
Quelle: taz
- Schottland schockt Europa
Noch ist es nur eine Umfrage. Am 18. September stimmen die Schotten darüber ab, ob sie sich vom Vereinigten Königreich abspalten wollen. Erstmals gab es dafür eine Mehrheit, doch allein das reicht, um das Pfund und die EU-Kommission unter Druck zu setzen. Das Pfund fiel zum Dollar auf den tiefsten Stand in diesem Jahr, auch zum Euro gab es nach. Die Devisenhändler stellen sich schon jetzt die Frage, wie es nach einem “No” zu UK weitergeht. Bekommt Schottland dann den Euro? Was wird aus den schottischen Banken, können sie weiter in Pfund Geschäfte abwickeln? Bleibt London auf den britischen Staatsschulden sitzen? Wenn die Schotten in Euro zahlen und die Engländer die Zeche zahlen müssen, würde das Vereinigte Königreich nicht nur zu einem Kleinbritannien schrumpfen; auch die Londoner City, Europas größter Finanzplatz, würde an Macht verlieren. Aber auch in Brüssel macht man sich Sorgen. Auf den Zerfall eines Mitgliedslands ist die EU nicht vorbereitet. Ein unabhängiges Schottland könnte Schule machen – in Spanien (Baskenland, Katalonien), Frankreich (Korsika) oder Belgien (Flandern).
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: Zunächst einmal, eine Umfrage macht noch keinen Sommer. Zudem, auch in dieser Umfrage bleibt ein Viertel der Wähler unentschlossen. Allerdings kommt seitens des Establishments die Debatte reichlich spät in Gang. Wenn jetzt der Schatzkanzler Lockangebote macht, ist das erbärmlich. Man hat viel Zeit verschenkt, in der die Vorteile der Union hätten diskutiert werden können, nicht nur, wie bisher, reine Abschreckungsszenarien. Vor allem schläft Europa. Wie glaubwürdig ist denn eine Nation, die sich so sehnlich zu separieren wünscht, in einem sich immer stärker integrierenden Europa. Die Schotten drängen nach Europa, geben sich europafreundlich im Gegensatz zu den Engländern. Solch eine Nation wünscht natürlich Zugang zur größten Freihandelszone der Welt, aber das war es dann. Von gemeinschaftlichen Institutionen, gemeinschaftlichen Verantwortlichkeiten dürfte Schottland wenig wissen wollen – nach der eben erlangten Souveränität. Die EU hätte schon längst allen Separatisten signalisieren müssen, dass die EU nicht automatisch allen möglichen Separationsbewegungen Unterschlupf bieten wird, und diesen eine langjährige Zeit auf der Wartebank garantieren müssen. Auch unsere “gerade” wiedervereinigte Kanzlerin, deren Regierung sich so gerne in die Belange anderer Nation einmischt, könnte ruhig einmal betonen, dass eine in Separation endende Autonomie nicht im europäischen Trend läge. Oder liegt der Kanzlerin so viel an einem schwachen England?
Anmerkung AM: Nach meiner Einschätzung würde die Trennung Schottlands von England der Europäischen Union und Europa nicht schaden. Weil ein getrenntes Schottland europafreundlicher sein würde als Großbritannien unter der Dominanz der Engländer, und weil ein solches Schottland das inzwischen in die Minderheit geratene sozial orientierte Europa verstärken würde. Außerdem würde der Einfluss der britischen Finanzwirtschaft und der Spekulanten geschwächt. Und vermutlich auch der Einfluss jener, die offensichtlich mit großem Vergnügen auf schnelle militärische Einsätze drängen. Von Libyen bis zur Ukraine. Aller Voraussicht nach wäre deshalb die Trennung nicht schädlich. Deshalb kann ich nicht einsehen, warum wir uns um die Einheit Großbritanniens sorgen sollten und schon gar nicht sehe ich einen Sinn darin, ein solches Schottland für eine „langjährige Zeit auf die Wartebank“ zu verdonnern.
- Es riecht nach Bohnerwachs und Spießigkeit
Als Jan Delay vor einigen Monaten Heino einen Nazi nannte, gab Uli Hannemann in der »taz« zu bedenken, dass das Wort bei Heino gar nicht passe. Schließlich sei er ja kein Nationalsozialist und auch kein »Hitler-Verehrer«. Es gäbe passendere Bezeichnungen: »reaktionär. Ewiggestriger. Blockwart. Rassist. Sexist. Faschist. Arschloch.« Ich sehe das ähnlich, wenn ich jetzt von vielen Linken höre, dass es sich bei der AfD um Nazis handle. Leute, es gibt passendere Begriffe. Siehe drei Sätze vorher.
Diese »Alternative für Deutschland« ist in erster Linie ein Sammelbecken für kleinbürgerliche Spießer und Biedermänner, ein Pool schulmeisterlicher Pedanten. Insofern ist sie wirklich eine richtig deutsche Partei, denn sie formiert den Typus, der immer brav den Gehsteig kehrt und beim Nachbarn schielt, ob er es ja auch tut. Die AfD will vorschreiben, erklären was in Deutschland moralisch zu sein hat und was nicht, ruft nach Ordnung in einer pluralistischen Welt, die sie »Chaos« nennt. Dieser spießige Reglementierungswahn endet nicht etwa in Wirtschaftsfragen. Dort ist sie ja sogar eher für Laissez Faire. Sie will zum Beispiel auch (und vor allem) den Musikgeschmack und die sexuelle Präferenz neu strukturieren. Ganz nach Philisterart. Toleranz gilt für diese Leute nicht als Tugend, sondern als gesellschaftliche Schwäche, als Blöße und Traditionsverrat.
Quelle: ad sinistram
- Ausbeutung von Wissenschaftlern: Professor in spe für 8,33 Euro die Stunde
Mit 43 hat Sören Philipps “den Lebensstandard eines Studenten”. Gezwungenermaßen. Wie er arbeiten an deutschen Unis Tausende Wissenschaftler in unsicheren Verträgen – und zu einem Verdienst knapp über dem Mindestlohn.
Die Zeit für Sören Philipps läuft ab. “Ich darf noch drei Monate und neun Tage an der Uni arbeiten, dann ist Schluss”, sagt er….
Satte 84 Prozent der 160 000 wissenschaftlichen Mitarbeiter an Deutschlands Hochschulen haben mittlerweile Zeitverträge. Sie unterstützen Professoren, schreiben an ihrer Doktorarbeit, managen Organisationskram, und mitunter forschen sie auch. Es gibt volle Stellen, viele halbe Stellen und manchmal nicht einmal das. Kürzlich hat der Wissenschaftsrat, das einflussreichste Beratergremium in der Bildungspolitik, die Zustände im sogenannten Mittelbau angeprangert…
Denn Dank allerlei Förderprogrammen und Promotionsangeboten gibt es nun zwar viel mehr Doktoren, also mögliche spätere Professoren. Doch die Zahl der Professoren-Stellen ist in den vergangenen acht Jahren nur wenig gewachsen. Das Leben auf Zeitverträgen erweise sich häufig “erst sehr spät als Sackgasse”, schreibt der Wissenschaftsrat.
Quelle: Roland Preuß in der SZ
Anmerkung S.T.: Pikant ist, dass 84% der wiss. Mitarbeiter in Deutschland befristet angestellt sind und das im Beitrag erwähnte Schicksal teilen. Pikant deshalb, weil das nichts anderes heißt, als das der Lehr- und Forschungsbetrieb maßgeblich von diesem Prekariat gestemmt wird. Da gibt es wenige Glückliche, die sorglos auf einer unbefristeten Stelle sitzen – die im Regelfall Professorin oder Professor sind. Das Gros des akademischen Fußvolkes darf sich aber nicht nur mit den Brotkrumen begnügen, nein, es hat gefälligst auch dankbar dafür zu sein … Um Missverständnisse zu vermeiden – ja, als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu arbeiten, das ist durchaus vielfach mit Privilegien verbunden, von denen normal Arbeitende nur träumen können (freie Einteilung der Zeit usw.). Aber so, wie mit ihnen Umgegangen im Hochschulsystem wird, das ist schlicht eine Schande! Und entwürdigend ist es, dass unser wettbewerbliches Hochschulsystem so “gebaut” ist, dass auch kaum eine Solidarität unter den Betroffenen aufkommen kann. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …
Anmerkung Orlando Pascheit: Selten dämlich und verlogen – mir fehlen die Worte – das Argument: Durch Unsicherheit den Wettbewerb der Wissenschaftler zu fördern und Innovationen hervorzurufen – Unsicherheit als Erfolgsfaktor. Das ist kein produktiver Wettbewerb, sondern Existenzkampf, in dem die Möglichkeit rasant schwindet, über den Tellerrand der eigenen Existenz zu schauen und ernsthaft zu forschen. Dabei besteht größter Bedarf an Professoren. Im Jahre 2000 – und die Situation war schon damals alles andere als ideal – kamen im Durchschnitt auf einen Professor 58 Studenten, 2011 waren es 63 Studenten pro Professor. Deutschland “verspart” auf fast allen denkbaren Ebenen seine Zukunft.
- Die Berichterstattung unterscheidet sich kaum von den Statements der Politik
Friedensforscher Lutz Schrader über den Journalismus in Zeiten geopolitischer Konflikte
“Man hat als Mediennutzer das Gefühl, sich seit Monaten in einer Art Endlosschleife zu befinden. Dieselben Argumente werden ständig wiederholt. Es scheint immer weniger Journalisten zu geben, die es für notwendig erachten, gründlich zu recherchieren und sich eine eigene und vor allem unabhängige und kritische Meinung zu bilden.” Das sagt der Friedens- und Konfliktforscher Lutz Schrader im Interview mit Telepolis und verdeutlicht: Der Journalismus, wie er dieser Tage im Hinblick auf die Krisen in der Ukraine oder in Syrien zu beobachten ist, ist in vielerlei Hinsicht mit Unzulänglichkeiten behaftet.
Quelle: Telepolis
- Rezension: Russland und der Westen – Ansichten zweier “Putinversteher”
Wer ist Schuld am neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Russland? Das fragen die Journalisten Mathias Bröckers und Paul Schreyer in ihrem Buch “Wir sind die Guten”. Darin gehen sie mit den westlichen Medien hart ins Gericht – und bezeichnen sich selbst ausdrücklich als Putinversteher…
In diesem Sinne halten Mathias Bröckers und Paul Schreyer die Rolle der westlichen Medien für fatal. Diese zeichneten in ihrer großen Mehrheit ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema: hier der gute Westen, dort der böse Putin. Eine Dichotomie, die kriegstreiberisch sei, sagt Bröckers. Sie verstelle zudem den Blick darauf, dass Europa mehr als die USA darauf angewiesen sei, mit Russland in friedlicher Koexistenz zu leben. Auch deshalb hätten die Autoren das Wort Putinversteher als ironische Replik in den Untertitel genommen.
“Weil im Zusammenhang mit Ukraine-Krise dieses Wort Putinversteher als Schimpfwort, als Denunziation für jeden eingesetzt wurde, der versucht hat, die Lage zu analysieren und auch die Motive Russlands zu verstehen. Wenn man aber nicht mehr verstehen darf, wenn Analyse, Erkenntnis denunziert wird, dann läuft etwas falsch.”
Hier haben Bröckers und Schreyer einen wichtigen Punkt aufgegriffen, der nicht zu Unrecht auch von vielen Bürgern kritisiert wird: Die plakative Art, mit der beispielsweise so unterschiedliche Blätter wie “BILD” und “Spiegel” in gleicher Manier gegen Russland Stellung beziehen und einem Krieg als Mittel der Politik das Wort reden. Gleichwohl leidet das gut geschriebene Buch ein wenig darunter, dass es den Spieß einfach umdreht und aus den Amerikanern nun die Bösen macht…
Es geht nicht darum, ob die Guten im Westen und die Bösen im Osten leben. Es geht darum, dass sich Europa überlegen muss, ob es in seiner Außenpolitik nicht andere Interessen verfolgen muss als die Amerikaner – und dass Krieg – egal gegen wen – nur das allerletzte Mittel der Politik sein darf.
Quelle: Brigitte Baetz im DLF
- Rezension: Wem gehört Deutschland?
Jens Berger steuert mit seinem neuen Buch eine gelungene Untersuchung zur Vermögensdebatte bei. Berger klärt über die Verhältnisse in Deutschland auf, anstatt anzuklagen. Er geht in seinem neuesten Buch sehr objektiv und verständlich vor und spart dabei nicht an Beispielen und Vergleichen.
Doch ist dies für mich ein weiteres Buch, welches den Leser mit vielen interessanten Informationen füttert und am Ende empörter über die Verhältnisse zurücklässt. Berger schafft es mit sorgfältiger Recherche über die Arm- und Reichtumsverteilung hinaus, die ganze Bandbreite dieser Thematik in dem Buch abzubilden.
Das Buch ist gespickt mit Zahlen, Statistiken und tollen ‘wussten sie schon’- Schaukästchen, doch schafft es Berger den Leser bei Interesse zu halten durch eine sinnvolle Argumentationsstruktur. Berger geht es hierbei weder um eine Neiddebatte, noch ist das Buch populistisch oder links fokussiert. Jens Berger schreibt unaufgeregt, das Buch ist sehr sachlich und lässt die realen Zahlen und Daten für sich sprechen.
Sehr fundiert und klar strukturiert zeigt er in dem ersten Teil des Buches auf, warum und wieso die jetzige, ungleiche Situation in Deutschland so ist, wie sie ist. Leider sind die Graphiken und Abbildungen teilweise unglücklich gewählt, ohne eindeutige Aussagekraft oder einfach schlecht lesbar.
Quelle: hpd
- das Allerletzte: Russische Rakete hinter Abschuss vermutet
Quelle: Der Stern
Anmerkung JB: Gerade eben dies steht nicht im Bericht, wie sicher auch der Stern weiß. Die Überschrift zum Artikel ist wider besseren Wissens falsch und somit manipulativ. Auch der Ausdruck „russische Rakete“ ist eine Manipulation. Selbst wenn eine Buk-Rakete, wie es die Vermutungen im Artikel suggerieren, MH 17 vom Himmel geholt hat, so sagt dies nichts über den Täter aus. Alle Buk-Raketen kommen aus Russland und es ist gesichert, dass sowohl die Ukraine wie Russland über diese Raketen verfügen, während Indizien auch darauf hindeuten, dass zum Tatzeitpunkt auch die Separatisten eine Buk-Einheit kontrollierten … allesamt mit „russischen Raketen“.